Protocol of the Session on July 23, 2014

Gemeinsam mit dem Präsidium wünsche ich Ihnen allen einen guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsi- dent!)

Tagesordnungspunkt 13: Mitteilungen des Präsidenten

Im Einvernehmen mit der Frau Schriftführerin und dem Herrn Schriftführer darf ich eine gute Präsenz im Plenarsaal feststellen, und damit ist die Beschlussfähigkeit gegeben.

Geburtstag haben heute der Landwirtschaftsminister und Abgeordnete Christian Meyer und der Abgeordnete Björn Försterling.

(Beifall)

Herr Meyer und Herr Försterling, der Applaus unterlegt es: Ich übermittle Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzliche Glückwünsche. Gesundheit und Wohlergehen für das vor Ihnen liegende neue Lebensjahr und natürlich die notwendige Schaffenskraft!

Meine Damen und Herren, wie Sie der Tagesordnung entnehmen können, würdigen wir zum Beginn unserer heutigen Sitzung zunächst den 70. Jahrestag des 20. Juli 1944. Danach findet, wie gewohnt, die Aktuelle Stunde statt. Anschließend setzen wir die weiteren Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 17.40 Uhr enden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin, Frau Tippelt, mit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigt für den heutigen Sitzungstag haben sich: von der CDU-Fraktion Frau Angelika Jahns, von der SPDFraktion Frau Kathrin Wahlmann und von der FDPFraktion Frau Almuth von Below-Neufeldt.

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, ich gehe jetzt zu einem Tagesordnungspunkt ganz besonderer Art über:

Ansprache von Helmuth Caspar Graf von Moltke „Die Frucht des deutschen Widerstands“

Ich darf dazu in unserer Mitte, in der Mitte des Parlaments, Helmuth Graf von Moltke begrüßen. Herr von Moltke, zunächst ein herzliches Willkommen!

(Lebhafter Beifall)

Seien Sie ganz herzlich willkommen im Plenarsaal dieses wunderbaren Landtages!

Meine Damen und Herren, am vergangenen Sonntag jährte sich zum 70. Mal der Versuch, die nationalsozialistische Diktatur durch einen Staatsstreich zu beseitigen und dadurch den Zweiten Weltkrieg möglichst schnell zu beenden.

Lieber Graf Moltke, zu den zentralen Persönlichkeiten des deutschen Widerstands, der im Attentatsversuch des Grafen Stauffenberg seinen Höhepunkt fand, gehörte Ihr Vater, Helmuth James Graf von Moltke.

Er war zwar nicht am Staatsstreich selbst beteiligt. Zu diesem Zeitpunkt saß er bereits in Haft. Seine Bedeutung liegt aber in der Rolle als Gastgeber und geistiges Oberhaupt des Kreisauer Kreises, die er gemeinsam und in enger Partnerschaft mit Ihrer Mutter Freya ausfüllte.

Der Kreisauer Kreis ist nach Ihrer Heimat in Niederschlesien benannt, unserer Partnerregion im heutigen Polen.

Im vergangenen Jahr hat das Präsidium des Niedersächsischen Landtages Kreisau auf einer Delegationsreise besucht. Das „Neue Kreisau“ ist durch seine Bedeutung für den deutschen Widerstand sowie als Ort der Versöhnungsmesse von 1989 ein besonderes Symbol für die deutsch-polnische Aussöhnung.

Die Ausstellung in der unteren Wandelhalle, die uns die Kreisau-Initiative Berlin aus Anlass Ihrer heutigen Rede zur Verfügung gestellt hat, zeigt einiges von diesem Geist des alten wie des neuen Kreisau.

Lieber Graf Moltke, Sie waren 1944 sieben Jahre alt. Das ist ein Alter, in dem man bereits über ein

waches Bewusstsein verfügt und an das man sich später erinnern kann. Außerdem haben Sie lange Zeit und bis heute im Ausland gelebt und gearbeitet, sodass Ihr Blick auf den deutschen Widerstand weit über die bundesrepublikanische Perspektive hinausreicht.

Sie hatten zudem das Glück, dass Ihre Mutter Freya erst 2010 im gesegneten Alter von 99 Jahren gestorben ist. Sie gehörte zu den Menschen, die durch ihre Persönlichkeit und ihr Wirken nach 1945 für eine angemessene Würdigung des deutschen Widerstands gesorgt haben.

Aus diesen genannten Gründen freue ich mich ganz besonders, dass wir Sie für einen Vortrag vor dem Plenum des Landtages gewinnen konnten. Von dieser Möglichkeit wurde in der Geschichte dieses Hauses nur selten Gebrauch gemacht, meine Damen und Herren. Beispielsweise hat Bundespräsident Lübke 1962 zur Einweihung dieses Plenarsaaales gesprochen, außerdem Paul Spiegel als Vorsitzender des Zentralrates der Juden und auch die Gouverneurin der südafrikanischen Provinz Eastern Cape. Dorthin haben Sie, lieber Graf Moltke, enge persönliche Bindungen. Ihr Urgroßvater, Sir James Rose Innes, ist dort geboren, und Sie selbst haben eine Zeit lang in Südafrika gelebt.

Nun werden Sie der letzte Gast sein, der innerhalb der Tagesordnung des Landtages in diesem Plenarsaal spricht. Die nächste Plenarwoche wird bereits im provisorischen Plenarsaal stattfinden, während hier die Umbauarbeiten beginnen.

Besonders begrüßen möchte ich auch die Schülerinnen und Schüler der drei hannoverschen Schulen, die gestern an den Workshops der Freya-vonMoltke-Stiftung zum Kreisauer Kreis teilgenommen haben.

Im Anschluss an die Rede von Graf Moltke wird die Presse noch Gelegenheit haben, im Leibniz-Saal Fragen an den Redner sowie an die WorkshopTeilnehmer, also an die Schülerinnen und Schüler, zu stellen.

Lieber Graf Moltke, noch einmal ein ganz herzliches Willkommen! Sie haben das Wort. Bitte sehr!

(Beifall)

Helmuth Caspar Graf von Moltke:

Verehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Ministerpräsident! Verehrte Abgeordnete und Minister des Landes Niedersachsen! Es ist mir eine große Ehre, heute eine Rede über die Wirkung des Wider

stands im Dritten Reich und danach halten zu können. Ich hoffe, Ihnen darlegen zu können, dass der so erfolglose deutsche Widerstand für unser Land und uns Deutsche auch heute noch relevant ist.

Als sich der Kreisauer Kreis im Jahre 1942 und 1943 traf, war ich ein vier- bzw. fünfjähriger Junge und habe davon nichts verstanden. Mein Jahrgang hat den Krieg als Kind erlebt, und soweit man persönlich nicht betroffen war, war das gut zu ertragen. Mein Schicksal mit dem Verlust meines Vaters und als Flüchtling haben Hunderttausende meiner Altersgenossen auch getragen, und den größten Teil unseres Lebens haben wir in einem demokratischen, wirtschaftlich gesunden Land verbracht. So sind wir im Grunde die Nutznießer des Deutschlands, das aus dem Krieg hervorgegangen ist.

In diesen Tagen jährt sich zum 70. Mal der Tag, an dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg seinen Sprengsatz in der Wolfsschanze auslöste und damit den deutlichsten Versuch unternahm, Hitlers Leben zu beenden und in Deutschland eine neue Regierung an die Macht zu bringen. Es war der letzte ernste Versuch, den Diktator und sein Regime zu stürzen. Neun Monate später war der Krieg vorüber, und Deutschland war besiegt.

An jenem 20. Juli war der Verlust des Krieges absehbar. Im Osten näherte sich die Front den Reichsgrenzen, im Westen hatten die Alliierten fest Fuß gefasst, die Befreiung von Paris stand bevor, und Rom war schon im Juni gefallen. Aus alliierter Sicht war das Attentat eine Handlung von Offizieren, die die bedingungslose Kapitulation vermeiden wollten und aus nationalem Interesse handelten. Kein Wunder daher, dass dieses deutlichste Aufbäumen innerhalb Deutschlands im Ausland sowohl damals als auch im Verlauf der folgenden Jahre recht wenig Beachtung gefunden hat. Man kann es mit dem englischen Wort „too little, too late“ umschreiben.

Hollywood hat die Handlung später verfilmt und im Grunde Stauffenbergs Attentat in einen Actionfilm verwandelt. Die lange, komplizierte Geschichte, die zu dem Versuch führte, blieb im Ausland weitgehend unbeachtet. Ferner war der Welt auch nicht bekannt, dass es vorher eine ganze Anzahl von Anschlägen gegeben hat. So waren die Versuche von Georg Elser, von Henning von Tresckow, von Axel von dem Bussche und von Ewald von KleistSchmenzin im Ausland nicht bekannt.

Sobald der Angriff auf Polen stattgefunden hatte und Deutschland kämpfte, war es obendrein Ver

rat, wenn Deutsche gegen die eigene Regierung handelten. Es wurde allgemein erwartet, dass jeder für den Sieg kämpfte. In den besetzten Ländern war es im Gegenteil heroisch, Widerstand gegen die Deutschen zu leisten. So war die Hürde, in den Widerstand zu treten, für die Männer und Frauen in Deutschland viel größer als im besetzten Ausland.

Für uns Deutsche ist der Stellenwert des deutschen Widerstands viel höher, und es ist daher richtig, dass wir diesen Tag feiern, an dem dieser Widerstand am deutlichsten sichtbar wurde. Stauffenbergs Handlung hat das Naziregime zutiefst erschreckt und zu einer Racheaktion gegen alle Gegner veranlasst, die viele Menschen das Leben gekostet hat. Sie wurden im ganzen Lande vor den Volksgerichtshof gestellt, verurteilt und hingerichtet. Jeder, der es auf seine Art wagte, sich gegen die NSDAP zu stellen, wusste, dass Opposition das Leben kosten konnte. Der 20. Juli ist für alle diese Opponenten der Nazis der Gedenktag geworden, weil die Anzahl der Opfer nach dem Anschlag deutlich größer war als in den Jahren zuvor und auch, weil Stauffenberg und die Männer um ihn an leitenden Stellen in der Wehrmacht und in der Öffentlichkeit gestanden hatten und daher für die Nazis eine große Bedrohung waren.

Die Männer und Frauen des breiten Widerstandes kamen jedoch aus unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft. Es waren Christen, Kommunisten, Sozialdemokraten, Studenten, Soldaten, Beamte, Arbeiter. Manche hatten bewusst Kontakte zum Ausland aufgebaut, die auf den ersten Blick verräterisch erschienen. Viele hatten aber lediglich von bürgerlichen Rechten Gebrauch gemacht wie freie Meinungsäußerung und private Kritik an der Regierung. Die allumfassenden Vergehen wie „Wehrkraftzersetzung“ und „Defätismus“ - böse Worte aus der Nazivergangenheit - reichten, um das Leben aller zu beenden.

Es konnten so banale Tätigkeiten wie die privaten Nachmittagstreffen des Solf-Kreises, die Plakatierungsaktionen der „Roten Kapelle" oder die Flugblätter der „Weißen Rose" sein, oder es konnte eine Mitwisserschaft der Pläne Stauffenbergs sein. Alles führte zum Volksgerichtshof, zu kurzem Prozess und nach dem 20. Juli zur sofortigen Hinrichtung. Ich möchte hier unterstreichen, dass Überzeugungstäter nach unserem heutigen Rechtsgefühl in aller Welt als gerechte Helden gesehen werden, und das gilt auch für den deutschen Widerstand.

(Lebhafter Beifall)

Mein eigener Vater hatte die vier ersten Jahre des Krieges mit Versuchen verbracht, in seinem Amt und mit seinen Freunden das Ende des Regimes vorzubereiten. Als der Krieg begann, war er als Berater für internationales Recht im Amt Ausland des Oberkommandos der Wehrmacht dienstverpflichtet worden, was ihm sowohl Zugang zu Informationen als auch gewisse Spielräume von Amts wegen einräumte. Er war obendrein auf Dauer in Berlin stationiert und konnte daher mit anderen Feinden des Regimes Kontakt halten und ein Netzwerk aufbauen. Dieses Netzwerk, das später nach unserem schlesischen Familiensitz „Kreisauer Kreis“ genannt wurde, verfügte über keine Waffen, Truppen oder Machtmittel, um das Regime zu stürzen. Obendrein waren es vorwiegend junge Männer ohne Parteizugehörigkeit, in den meisten Fällen zwischen 30 und 40 Jahre alt. Als mein Vater 1941 nach verlässlichen Männern mit Erfahrung für die Beratungen suchte, kam er auf den Gedanken, der ehemalige Bürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, 31 Jahre älter als er selbst, könnte geeignet sein. „Zu alt!“ war das sofortige Urteil meiner gerade 30-jährigen Mutter.

Peter Graf Yorck von Wartenburg und mein Vater hatten es sich zum Ziel gesetzt, demokratisch eingestellte Vertreter aller wichtigen Gruppen der zivilen Gesellschaft in ihrem Kreis zusammenzubringen, um Gedanken zu einer neuen Ordnung Deutschlands nach dem Krieg zu entwickeln, die von einer breiten Mehrheit der Civil Society getragen worden wäre. Unter ihnen waren konservative und sozialdemokratische Männer, Christen und Theologen beider großer Konfessionen, Vertreter der Arbeiterschaft, der Unternehmer, der Landwirtschaft, Pädagogen, Wirtschaftswissenschaftler und Staatsrechtler, alle vereint in ihrer Ablehnung der Nazis und ihrer Suche nach einem demokratischen Deutschland.

Man traf sich von 1940 bis 1943 meistens in Berlin und in München in kleinen Gruppen, um die Gedanken zu sammeln und zu diskutieren. Die Ergebnisse wurden in drei größeren Treffen zusammengetragen, die - getarnt als Freundestreffen - im Frühjahr und Herbst 1942 sowie im Frühjahr 1943 auf unserem Gut in Schlesien stattfanden. Diese drei Treffen waren der Grund, weswegen die Gruppe später als „Kreisauer Kreis“ bekannt wurde.

Im August 1943 war die Arbeit abgeschlossen, die Pläne wurden in den „Grundsätzen für die Neuord

nung" niedergeschrieben, und jeweils eine Kopie wurde von meiner Mutter im Kreisauer Schloss und von den Jesuiten in München versteckt. Sie wollten einen demokratischen und christlichen Rechtsstaat Deutschland aufbauen, eingebettet in ein demokratisches und weitgehend vereintes Europa, in großen Zügen also die Welt, in der wir heute leben.

Kontrovers war für die Männer und Frauen immer die Frage, ob man Hitler per Attentat ermorden sollte. Die Jesuiten hatten es zur Bedingung ihrer Zusammenarbeit gemacht, dass dies nicht die Arbeit der Gruppe sein würde, und mein Vater lehnte das Attentat ab. Seine Gründe reichten von dem Zweifel, ob die Generäle überhaupt ein erfolgreiches Attentat zustande bringen könnten - übrigens war das ein Zweifel, den er mit Graf Stauffenberg teilte -, über den politischen Gedanken, dass es eine Neuauflage der Dolchstoßlegende geben würde, die von den Feinden der Weimarer Republik so erfolgreich ausgenutzt wurde, bis hin zu dem moralischen Ziel, den neuen demokratischen Staat nicht mit einem Mord zu beginnen. Er hat sich nie entscheiden müssen, ob er im Ernstfall mit seinen Freunden hinter Stauffenberg stehen würde; denn er warnte einen Bekannten, dass die Gestapo einen Spitzel in die Solf-Gruppe eingeschleust hatte, und als die Gestapo zugriff, wurde auch mein Vater im Januar 1944 verhaftet. Er ist nie wieder auf freiem Fuß gewesen und saß am 20. Juli 1944 im Zellenbau des KZ Ravensbrück. Seine Freunde wurden Teil der Gruppe um Stauffenberg, die das Attentat planten. Acht Männer des Kreisauer Kreises sind nach einem Prozess vor dem Volksgerichtshof hingerichtet worden, darunter auch mein Vater und Graf Yorck von Wartenburg.

1945 wird auf Dauer eine große Zäsur in der Geschichte Deutschlands bleiben. Die westlichen Alliierten halfen kurz nach dem Krieg, eine deutsche Demokratie auf den Weg zu bringen. Genau 100 Jahre nach dem missglückten Versuch, in der Frankfurter Paulskirche eine demokratische Verfassung für Deutschland durchzusetzen, wurde im Herbst 1949 die Verfassung der Bundesrepublik verabschiedet, und eben jener Konrad Adenauer, den meine Mutter im Krieg für zu alt gefunden hatte, wurde erster Bundeskanzler.

Aus den Reihen des Kreisauer Kreises haben einige der Überlebenden mitgeholfen, die Bundesrepublik auf den Weg zu bringen. So war Eugen Gerstenmaier lange Jahre Bundestagspräsident und Theodor Steltzer erster Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Beide hatten am 9. Januar