Der Wunsch nach Freundschaft und Harmonie darf aber nicht über eines hinwegtäuschen: Die weitere Annäherung wird durch das aktuelle Agieren des Türkischen Ministerpräsidenten - ich will es vorsichtig formulieren - nicht unbedingt erleichtert.
Ob Korruptionsskandale, Säuberungswellen bei der Justiz und der Polizei, die Verhaftung von Journalisten oder die Behinderung sozialer Netze im Internet: Die Politik dieses Ministerpräsidenten wirft die moderne Türkei um Jahre hinter das Erreichte zurück und muss daher zu Recht kritisiert werden.
Umso mehr haben uns die Berichte über die Türkei-Reise unseres Ministerpräsidenten irritiert. Zum Start der Reise wurde der Hinweis auf die Verfassung gegeben, welche ihm angeblich eine aktive Rolle in der Außenpolitik verbietet. Dann kam diese unglaubliche Selbstinszenierung - eben fortgesetzt - eines außenpolitischen Supermanns, der sogar den Bundespräsidenten in den Schatten stellt. Da erschien der Bundespräsident zuweilen als der polternde Elefant im Porzellanladen, den Sie, Herr Ministerpräsident, aber dennoch mit Ihrer ruhigen und klugen Art in Schutz genommen ha
Leider gibt es bei der Betrachtung dieses diplomatischen Geniestreichs, den die Kollegin eben beschrieben hat, einige Schönheitsfehler. Zunächst fällt auf, dass ihre angeblich so hintergründig formulierte Kritik in der türkischen Presse praktisch überhaupt keine Erwähnung gefunden hat. Das vermag auch nicht zu überraschen. Vergleicht man nämlich die wirklich mutige Rede des Bundespräsidenten vor türkischen Studenten mit Ihrer Rede vor der Juristischen Fakultät der Istanbuler Kültüruniversität, fällt vor allem eines auf: Während der Bundespräsident die Dinge beim Namen genannt hat, wird Ministerpräsident Erdogan in Ihrer Rede nicht einmal erwähnt. Das gilt übrigens auch für den Bundespräsidenten, den Sie angeblich - so konnten wir es lesen - in Schutz genommen haben.
So vermag es nicht zu überraschen, dass Ihnen die so innig erbetene Audienz durch Herrn Erdogan nach Tagen des Wartens doch noch gewährt worden ist. Aus dem anschließenden Vieraugengespräch haben Sie dann stolz berichtet: Tacheles ist dort gesprochen worden. Und einer Ihrer - ich möchte fast sagen - journalistischen Hofberichterstatter wusste zu melden, dass - ich zitiere - „kein Thema ausgespart worden ist“, und dies obwohl der betreffende Journalist noch nicht einmal dabei gewesen ist.
Wir wissen nicht, worüber Sie mit Herrn Erdogan wirklich gesprochen haben. Wir werden es wohl auch nie erfahren. Leider war auch die Pressemitteilung des türkischen Ministerpräsidenten denkbar knapp formuliert. Sie bestand aus ganzen zwei Sätzen, die lauteten:
„Ministerpräsident Erdogan empfing Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Der Empfang im Premierministerium dauerte eine Stunde.“
Frage des EU-Beitritts zu eigen gemacht haben. In Ihrer Rede vor türkischen Studenten heißt es zu den EU-Beitrittsverhandlungen - ich zitiere -:
„Die von Zypern ausgehende Blockade gegen die Aufnahme entsprechender Verhandlungen mit der Türkei kann ich übrigens nicht nachvollziehen.“
Herr Ministerpräsident, war das eine bewusste Provokation oder Ausdruck schlichter Unkenntnis über den Zypern-Konflikt? Wie umfassend haben Sie sich eigentlich vor Ihrem Abflug in die Türkei über die politische Situation auf Zypern informiert? Ist Ihnen wirklich entgangen, dass die türkische Regierung durch die illegale Ansiedlung türkischer Staatsbürger im widerrechtlich besetzten Nordzypern Fakten schafft und die Friedensverhandlungen torpediert? Ist Ihnen wirklich entgangen, dass die türkische Regierung das EU-Mitgliedsland Zypern bis heute nicht einmal anerkannt hat? - Diese Weigerung der Türkei, das EU-Mitglied Zypern anzuerkennen, ist und bleibt ein Verstoß gegen die Grundfesten der Union.
Es war nicht nur unredlich, Ihren türkischen Gastgebern derartige Versprechungen zu machen, Ihre Äußerungen waren auch ein diplomatischer Affront gegen einen EU-Mitgliedstaat.
Herr Weil, bei den Bemühen um die wünschenswerte Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen - da sind wir bei Ihnen - bedarf es eines wirklichen diplomatischen Schwergewichts. Das ist noch nicht Ihre Gewichtsklasse.
Vielen Dank, Herr Toepffer. - Jetzt hat sich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Belit Onay zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte hier ausdrücklich noch einmal den Generalkonsul begrüßen und unsere Trauer und unser Mitgefühl für die Kumpel in Soma und die Hinterbliebenen und die Familienangehörigen deutlich zum Ausdruck bringen.
Ministerpräsident Weil hat eine Delegationsreise in die Türkei zu einer Zeit unternommen - Sie haben es richtig skizziert -, die politisch nicht hätte spannender sein können. Dementsprechend ist uns in Ankara ein, gelinde gesagt, etwas schroffer Wind - so möchte ich es formulieren - entgegengeschlagen. Uns wurden dort in den politischen Gesprächen des Öfteren der NSU, Islamophobie oder Rassismus vorgehalten. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich diese Kritikpunkte ausdrücklich teile. Wir müssen darüber diskutieren, auch mit unseren türkischen Freundinnen und Freunden. Es ist sehr frustrierend - gerade für die türkische Bevölkerung in Deutschland -, wenn man das Gefühl gewinnt, dass diese Punkte nicht ernst gemeint sind, dass sie vorgeschoben sind, um für die Gauck-Rede eine Retourkutsche zu sein. Dafür dürfen diese Themen nicht instrumentalisiert werden; denn dafür sind sie zu wichtig.
Die Frage ist aber, warum dieser Unmut überhaupt entstanden ist. Wir sprechen ständig auch in Reden davon, dass Deutsche und Türkinnen und Türken so enge und freundschaftliche Beziehungen hätten. Offensichtlich ist dem nicht so; denn unter Freundinnen und Freunden darf man auch offen Kritik äußern, wie es Herr Gauck offensichtlich gemacht hat.
Wir müssen uns darum bemühen - auch das wird offensichtlich -, dass diese freundschaftlichen Beziehungen inniger werden, dass sie fester und intensiver werden. Es darf nicht nur bei einer leeren Freundschaftsfloskel bleiben, sondern wir müssen diese Freundschaft mit Leben füllen. Erst dann können wir inhaltliche, differenzierte Kritik äußern.
Wir können Kritik äußern, auch in Richtung der Türkei, wie Sie es getan haben: Pressefreiheit, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit. - Dazu vielleicht auch noch ein kurzer Exkurs: Es gibt in Niedersachsen keine „Hofberichterstatter“, sondern hier gibt es Gott sei Dank Pressefreiheit. Die wünschen wir uns natürlich auch für alle Staaten, die Teil der Europäischen Union sein möchten.
Die Türkei ist eben nicht schwarz-weiß. Es gibt viele Grautöne. Während wir die Kritik äußern, sehen wir auf der anderen Seite einen Umgang mit syrischen Flüchtlingen, der uns Respekt abverlangt.
Die Türkei hat 1 Million Menschen aufgenommen und 2,5 Milliarden Dollar für diese Flüchtlinge investiert. Man muss sich einmal vorstellen, über welche Dimensionen wir da sprechen.
Diese Vielfältigkeit, diese Widersprüchlichkeit in diesem Land haben wir auch in Konya, der zweiten Station, feststellen können: Ich meine die Gastfreundschaft - ich rede nicht von touristischer oder folkloristischer Gastfreundschaft, sondern von wirklich ernst gemeinter, inhaltlicher Gastfreundschaft -, die darauf abzielte, bei den Universitäten, bei der Stadtverwaltung, bei der Zivilgesellschaft ernsthaft Gespräche und Kooperationen zu suchen sowie Vertrauen zu stiften und Vertrauen zu schaffen für einen Umgang miteinander, der Niedersachsen und die Türkei einander näherbringt.
Ein weiterer Punkt, den man hier, glaube ich, nicht unerwähnt lassen darf und der uns auch des Öfteren vorgehalten wurde, ist die Visafrage. Wenn wir eine Kooperation mit der Türkei eingehen, dann muss es dafür eine Lösung geben. Für uns ist es ganz einfach: Sie können sich mit dem Personalausweis in den nächsten Flieger schwingen und werden in der Türkei empfangen. Für Türkinnen und Türken ist das ungleich schwieriger. Das ist nicht nur äußerst peinlich bei solchen Besuchen, sondern verursacht auch wirtschaftliche Schäden.
Wenn Sie einfach einmal über die HannoverMesse, die Agritechnica oder über die Domotex schlendern, werden Sie immer wieder auf türkische Stände treffen, an denen die Waren zwar ausliegen, aber die Menschen nicht mitkommen und nicht einreisen konnten, damit sie ihre Waren dort präsentieren können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Schaden für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen. Deutschland muss Europarecht umsetzen. Es gibt eine aktive Dienstleistungsfreiheit. Dazu gibt es einige Urteile; denn das von der Bundesregierung angewandte VisaRegime entspricht nicht europäischer Rechtsprechung. Exemplarisch seien nur das Demirkan- und das Soysal-Urteil des Europäischen Gerichtshofs genannt.
Abschließend möchte ich noch einmal auf die freundschaftlichen Beziehungen zurückkommen. Es wurde mehrfach genannt. Es sind nicht nur die tausendfachen verwandtschaftlichen Beziehungen, die beide Länder eng miteinander verbinden, sondern es sind auch die historischen Beziehungen. Es war spannend zu hören, dass in der Türkei immer wieder die brüderliche Verbundenheit, die
Allianz während des Ersten Weltkriegs an uns herangetragen wurde. Es war von Waffenbrüdern die Rede. Das klingt erst einmal befremdlich, und ich hoffe auch, es bleibt Teil der Geschichte und in der Geschichte begraben. Denn wie hat es Bundestagspräsident Herr Lammert auf Einladung des Landtagspräsidenten so schön von eben diesem Pult formuliert? - Die EU ist das vielleicht größte Friedensprojekt der Menschheitsgeschichte, das wir bisher miterleben durften. Ich hoffe, dass wir in Zukunft mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei, wenn die Voraussetzungen stimmen, in diesem Friedensrahmen auch Friedensbrüder und Friedensschwestern sein können. In diesem Sinne war der Besuch des Ministerpräsidenten Herrn Weil ein erster Schritt, damit auch Niedersachsen seinen Teil dazu beitragen kann.
Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Jetzt hat sich der Kollege Christian Dürr von der FDP-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Über die engen Beziehungen zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland ist in den Wortmeldungen eben schon gesprochen worden. Das sind die Beziehungen zwischen zwei Ländern. Es gibt aber auch viele menschliche Beziehungen. Ich will das noch einmal unterstreichen, was die drei Kollegen vor mir gesagt haben. Unsere Gedanken sind in diesen Stunden ausdrücklich - das gilt auch für meine Fraktion - bei den verschütteten und den getöteten Bergleuten in Soma und bei den betroffenen Familien. Das, was dort passiert ist, ist mehr als schrecklich und sollte heute ausdrücklich Erwähnung finden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich natürlich auch bei denjenigen, die die Reise organisiert haben. Das hat Herr Weil ja nicht alles selbst gemacht, sondern es gibt auch Mitarbeiter im Hintergrund. Das war alles sehr, sehr ordentlich.
Niedersächsischen Landtages Bernd Busemann dafür, dass es neben Wirtschaftsdelegationsgesprächen und Gesprächen, die der Ministerpräsident mit Herrn Gül und mit Herrn Erdogan auf der Regierungsebene geführt hat, auch die Möglichkeit gegeben hat, sich mit Parlamentariern auszutauschen. Das war für mich mehr als lehrreich.
An dem Tag, an dem wir in der Türkischen Nationalversammlung waren, hatten wir die Möglichkeit, mit Vertretern des Menschenrechtsausschusses, mit dem Parlamentspräsidenten, dem Kollegen von Herrn Busemann, sowie mit der deutsch-türkischen Freundschaftsgruppe der Türkischen Nationalversammlung zu sprechen.
Die Eindrücke - das will ich auch deutlich sagen - waren differenziert. Ich glaube, zu solchen Gesprächen gehört auch dazu, dass man sich unter Freunden sehr klar die Wahrheit sagt. Das haben wir in Teilen getan. Ich erinnere mich sehr deutlich daran, dass auf meine Frage, wie denn die Oppositionsrechte insbesondere auf der parlamentarischen Ebene ausgestattet sind, die eine oder andere Antwort der Kolleginnen und Kollegen der AKP doch eher ausweichend war. Ich sage zu meinem Bedauern: Auch die Oppositionsparteien dort haben eher ausweichend geantwortet.
Der Eindruck, der sich während der Reise für mich verstärkt hat, ist der, dass in der Türkei einiges auf dem richtigen Weg ist, es in Wahrheit aber an einer starken Opposition mangelt. Ich wünsche den Freunden in der Türkei und insbesondere dem dortigen Parlament eine starke Opposition. Das macht auch eine Regierung am Ende des Tages besser, wie wir es in der Demokratie immer wieder erfahren.
Wir haben neben den Gesprächen mit den Parlamentariern, die sehr erkenntnisreich waren, auch Gespräche mit der Zivilgesellschaft geführt. Herr Weil, auch diese Gespräche fand ich sehr bereichernd. An der Stelle nur ein Anekdote: Eine Vertreterin der Zivilgesellschaft hat gesagt, warum das Twitter-Verbot gerade auch aufseiten der Opposition so heftig reingeschlagen hat. Die Türkei ist das Land in der Welt, in dem im Vergleich zu der gesamten Bevölkerung die meisten Twitter-Nutzer sind. Sie liegt noch vor den USA und vor anderen Ländern. Das war mir, offen gestanden, nicht bewusst. Das Twitter-Verbot durch die Regierung Erdogan ist deshalb - das will ich bei aller freund
schaftlichen Verbundenheit mit der Türkei ausdrücklich unterstreichen - aus deutscher Sicht zu verurteilen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das war falsch und hat dem türkischen Rechtsstaat geschadet.