Protocol of the Session on May 14, 2014

Zur Stärkung interkultureller Verständigung werden im Rahmen einer Fortbildung bereits jetzt verstärkt Besuche und Dialogveranstaltungen mit gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht. So waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes im letzten Jahr schon Gäste der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover und in einer islamischen Moschee.

Die Führung von V-Personen - ein weiterer wichtiger Punkt - muss verbessert werden. Und wir werden das verbessern.

Mit der Einrichtung einer wissenschaftlichen Dokumentationsstelle schließlich werden wir zukünftig die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Vereinen und Verbänden stärken.

Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag ist ausdrücklich hervorgehoben, dass Prävention bei der Bekämpfung des politischen Extremismus eine wichtige Aufgabe ist. Aber: Einen globalen Präventionsansatz gibt es nicht. Vielmehr müssen wir auf die verschiedenen Phänomenbereiche zugeschnittene spezifische Instrumentarien entwickeln. Ein Programm für den Rechts- und für den Linksextremismus ist in Über- bzw. in Erarbeitung.

Maßnahmen der Prävention im Bereich des Islamismus werden selbstverständlich fortgeführt. So wird der Verfassungsschutz weiterhin für Vorträge

zur Aufklärung über Islamismus und Salafismus angefragt und kann damit weiterhin für die Gefahren dieser Phänomene sensibilisieren. Der Dialog mit den muslimischen Verbänden konnte erfreulicherweise nach Regierungsübernahme wieder auf einen guten Weg gebracht werden.

Der niedersächsische Verfassungsschutz hat keinen Bildungsauftrag. Eingebettet in ein Gesamtkonzept von Bildungsinstitutionen kann er aber auch für Schulen ein Informationsgeber bei der Aufklärung über verfassungsfeindliche Bestrebungen sein, wenn seine Expertise angefragt wird.

Ein weiterer wichtiger Baustein im Reformprozess betrifft das Thema Datenspeicherungen. Im vergangenen Jahr wurden unzulässige Speicherungen u. a. von publizistisch und journalistisch tätigen Personen entdeckt. Die Resonanz im Parlament und in der Öffentlichkeit auf diesen Sachverhalt hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, wie stark das Vertrauen in die Arbeit der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde durch diese Speicherpraxis erschüttert worden ist.

Neben den Sofortmaßnahmen der Verfassungsschutzpräsidentin wie der Einführung des VierAugen-Prinzips bei Erstspeicherungen und einer internen Revision, habe ich mich damals veranlasst gesehen, eine Taskforce einzusetzen, die die Speicherpraxis der Behörde untersucht. Diese Taskforce war - das möchte ich betonen - nicht Teil der zuvor einberufenen Reform-AG. Sie hatte einen eigenen, klar und eng umrissenen Auftrag: die Überprüfung aller personenbezogenen Speicherungen in der Amtsdatei auf der Grundlage des geltenden Verfassungsschutzgesetzes. Dabei war die Taskforce in der Wahl ihrer Maßstäbe frei. Sie hat entschieden, das Aufgabenverständnis des Verfassungsschutzes in den Mittelpunkt ihrer Prüfung zu stellen. Diese Prüfung konzentrierte sich dabei auf die folgenden zwei zentralen Fragen: Sind die Grundrechte hinreichend beachtet worden? Und: Waren die Speicherungen erforderlich und verhältnismäßig?

Ich betone: Die Taskforce ist kein Tribunal, vor dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verantworten hätten. Als jemand, der vor 15 Monaten die Verantwortung für dieses Ressort übernommen hat, war und ist es mir wichtig, zu erkennen, wie wir das System verbessern können und was wir tun müssen, um Fehler in der Zukunft zu vermeiden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Taskforce ist dabei zu folgenden Ergebnissen gekommen:

Es wurden insgesamt 9 004 Datensätze überprüft, gegliedert nach den Phänomenbereichen Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug/Islamismus und Rechtsextremismus.

Die Taskforce ist zu dem Ergebnis gekommen, dass davon 1 937 Datensätze - also gut 20 % - zum Zeitpunkt der Überprüfung nicht in der Datei hätten sein dürfen: entweder weil sie nie hätten aufgenommen werden dürfen, weil sie also von Anfang an rechtswidrig waren, oder weil sie längst hätten gelöscht werden müssen, weil sie nicht mehr erforderlich sind. Die Taskforce empfiehlt in ihrem Abschlussbericht damit die umgehende Löschung jeder fünften Datei in den Akten des Verfassungsschutzes.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Hört, hört!)

Hinzu kommen 1 564 Speicherungen - also noch einmal knapp 20 % -, die auf Empfehlung der Taskforce zeitnah gelöscht werden müssen, da sie nicht länger für die Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Hier gibt es allerdings kein vorwerfbares Unterlassen.

Aus den vorgefundenen Datensätzen bleiben damit voraussichtlich - das wird die weitere Prüfung im Einzelnen ergeben - zukünftig insgesamt lediglich etwas über 60 % der Amtsdatei.

Meine Damen und Herren, das Prüfungsergebnis der Taskforce belegt, wie richtig die Entscheidung war, eine unabhängige Überprüfung der Speicherungen zu veranlassen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Außerdem belegt das Ergebnis, dass es sich bei den von der Präsidentin zufällig bei Stichproben gefundenen unrechtmäßigen Speicherungen aus dem letzten September leider nicht um Einzelfälle handelte.

Wie kommt die Taskforce nun zu dieser Einschätzung? - Ich will hierzu nur einige Beispiele nennen:

Erstens. Ein Teil der Speicherungen muss nach Auffassung der Taskforce beispielsweise gelöscht werden, weil minderjährige Personen, meine Damen und Herren, gespeichert wurden, die keinen konkreten individuell zurechenbaren Gewaltbezug aufwiesen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Unglaublich!)

Denn nur für den Fall des Gewaltbezuges dürften gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes Jugendliche überhaupt gespeichert werden. Der Grundsatz ist nämlich, dass Minderjährige nicht gespeichert werden dürfen.

Zweitens. Eine große Anzahl von Fällen war nach Auffassung der Taskforce längst nicht mehr erforderlich, was ebenfalls eine zwingende Voraussetzung für eine Speicherung ist.

Drittens. Das Gesetz verlangt zudem, dass jeder Datensatz regelmäßig daraufhin überprüft werden muss, ob er zu löschen ist. In Ausnahmefällen - so das Gesetz - kann diese Wiedervorlagefrist auf maximal fünf Jahre erhöht werden. In der Behörde wurde diese Ausnahme jedoch zur Regel: Sie wurde im Datensystem automatisch als Regelwiedervorlagefrist gespeichert. Nur wenn der Mitarbeiter diese Frist ausdrücklich kürzer vorsehen wollte, musste er einen Haken entfernen, um sie zu verkürzen. Der gesetzliche Ausnahmefall wurde also systematisch zum Regelfall und der gesetzliche Schutz der Höchstfrist quasi ad absurdum geführt.

Lassen Sie mich an der Stelle etwas zu den knapp 300 Dateien sagen, die von Anfang an rechtswidrig waren. Wir haben im Herbst bei den bekannt gewordenen Fällen die Betroffenen informiert. Ich halte es für richtig, das auch in diesem Fall zu tun - um das sehr deutlich zu sagen - und diese knapp 300 Personen darüber zu informieren, dass sie rechtswidrig gespeichert waren. Wir werden jetzt prüfen, unter welchen Bedingungen und wie das möglich ist. Dann werden wir das gegebenenfalls unter Abwägung aller relevanten Kriterien vornehmen.

Meine Damen und Herren, bei den Phänomenbereichen gab es im Bericht der Taskforce folgende Schwerpunkte:

Im Phänomenbereich Linksextremismus hat die Taskforce Folgendes festgestellt: Es gab nicht wenige Fälle von bürgerlichem Protest, die wegen einer falsch vorgenommenen Abgrenzung als linksextremistisch eingestuft wurden. So wurde ein Landwirt, der ausschließlich bei Blockadeaktionen - insbesondere mittels Traktoren - im Rahmen der Anti-Castor-Proteste auffällig geworden war, gespeichert. Das mag ohne Frage ein Fall für die Polizei sein - linksextremistisch, meine Damen und Herren, ist das aber auf keinen Fall.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein anderes Beispiel aus diesem Phänomenbereich: In 2012 wurde eine Studentin als Verdachtsfall gespeichert, nur weil sie in einem von der Polizei als „Szeneobjekt“ bewerteten Haus wohnte. Das war alles. Die Frau war noch nicht einmal dem Vertrauensmann des Verfassungsschutzes vor Ort bekannt. Ich finde, das ist fast eines der augenfälligsten Beispiele. Stellen Sie sich vor, eine unserer Töchter oder einer unserer Söhne geht nach Berlin, Hamburg oder sonst wohin, um zu studieren,

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Oder Göttingen!)

mietet eine Wohnung, die bezahlbar ist und gut liegt, aber hat natürlich keine Ahnung, wer sonst noch in dem Haus wohnt - woher auch, das steht ja niemandem auf die Stirn geschrieben. Und nur weil in dem Haus zwei Autonome oder zwei Rechtsradikale wohnen oder wer auch immer, landet Ihr Sohn oder Ihre Tochter in der Datei des Verfassungsschutzes. Das ist ungefähr so, als würde man hingehen, das Klingelschild abfotografieren und alle Namen, die auf dem Klingelschild stehen, in diese Datei übernehmen.

(Johanne Modder [SPD]: Das ist un- fassbar!)

Im Phänomenbereich Islamismus hat die Taskforce die langjährige Speicherung von überschlägig knapp 100 Personen allein wegen regelmäßiger Besuche von Freitagsgebeten - und damit wegen verfassungsrechtlich geschützter Religionsausübung - in extremistisch beeinflussten Moscheen beanstandet.

Noch ein erschreckendes Beispiel aus diesem Bereich: Eine Frau wurde 2012 gespeichert - das finde ich wirklich bemerkenswert -, weil ihre Telefonnummer im Mobiltelefon eines Kalifatsstaatsanhängers gespeichert war. Zwar lief gegen den Telefonbesitzer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen; Erkenntnisse zu der Frau lagen dem Fachbereich aber nicht vor. Auch Lichtbildvorlagen bei drei Quellen verliefen negativ. Die Frau hätte also die Zahnärztin, die Rechtsanwältin, die Krankengymnastin oder meinetwegen die Fußpflegerin des Beobachtungsobjektes sein können, sie wurde aber gespeichert, weil sie in seinen Handykontakten war.

Meine Damen und Herren, im Phänomenbereich Rechtsextremismus schließlich hat es eine Sonderkonstellation gegeben: Das im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex im Jahre 2011 in allen Verfassungsschutzbehörden von den Landesinnenministern und -senatoren auf Anregung des NSUUntersuchungsausschusses verfügte Löschmoratorium hat zu unangemessenen Verlängerungen von Wiedervorlagefristen geführt. Das war gemeinsam so gewollt und richtig, um die entsprechende Arbeit der Gremien zu ermöglichen. Aber dadurch hat es in diesem Bereich eine nicht unerhebliche Zahl von Speicherungen von Daten gegeben, die andernfalls längst gelöscht worden wären.

Meine Damen und Herren, die Ergebnisse der Taskforce bieten die einmalige Chance, den Datenbestand wieder in einen rechtsstaatlich einwandfreien Zustand zu bringen und damit auch einen neuen Standard für die Datenspeicherung zu schaffen. Zusammen mit den Handlungsempfehlungen der Arbeitsgruppe zur Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes haben wir die Chance auf einen echten Neustart.

Schon bei der Veröffentlichung der Handlungsempfehlungen der Reform-AG im April war in der Presseberichterstattung und in der öffentlichen Diskussion, aber auch hier im Haus fraktionsübergreifend ein positives Echo zu vernehmen. Das zeigt mir, dass wir gemeinsam auf dem richtigen Weg sind.

Ich werde nun auf der Grundlage der mir vorliegenden Erkenntnisse und Empfehlungen einen Gesetzentwurf erarbeiten und - wenn alles gut läuft - im September vorlegen. Dann sind Sie am Zuge, meine Damen und Herren. Die Ereignisse der vergangenen Jahre und die aktuellen Erkenntnisse haben uns die Bedeutung des Themas noch einmal eindrücklich vor Augen geführt. Lassen Sie uns gemeinsam an einem modernen, transparenten, grundrechtskonformen und effektiven Verfassungsschutz arbeiten!

Ich danke Ihnen.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Innenminister Pistorius.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle fest, dass die Regierungserklärung 24 Minuten gedauert hat. Nach unseren Gepflogenheiten er

halten für die nun folgende Aussprache die beiden großen Fraktionen die gleiche Redezeit und die beiden kleinen Fraktionen die Hälfte dieser Zeit. Das bedeutet folgende Redezeiten: Fraktion der CDU und Fraktion der SPD je 24 Minuten und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie Fraktion der FDP je 12 Minuten.

Mir liegt bereits eine erste Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Jens Nacke für die Fraktion der CDU vor. Herr Nacke, Sie haben das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, mit Blick auf Ihre heutige Regierungserklärung können wir, glaube ich, zunächst einmal feststellen, dass wir an sich auf einem guten Weg sind. Es gibt zwei Publikationen zu diesem Thema - Sie kennen natürlich beide -: eine Publikation aus Ihrem Haus - Sie haben darauf Bezug genommen - zur Reform des niedersächsischen Verfassungsschutzes und eine Publikation der Expertenkommission der CDU-Landtagsfraktion zur Zukunft des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Zwei Expertenkommissionen haben sich mit der Zukunft und mit der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes befasst. Ihre Einschätzungen sind in vielen Punkten deckungsgleich, und sie hätten Übereinkünfte treffen können, wenn sie sich hätten austauschen dürfen.

Mit anderen Worten: CDU und SPD sind - wie bislang - gemeinsam auf dem Weg, um eine vernünftige Basis für die Arbeit des Verfassungsschutzes zu finden.

(Beifall bei der CDU)

Ich nenne hier beispielhaft das Vier-Augen-Prinzip bei der Frage, ob ein Datensatz neu erfasst werden soll. Ich nenne den Ausbau der parlamentarischen Kontrolle, der von uns allen gewünscht und gewollt ist. Ich war ein wenig überrascht, Herr Minister, dass Sie insbesondere auf die Vorschläge Ihrer Kommission zum Ausbau der parlamentarischen Kontrolle nicht eingegangen sind. Ich hätte mir auch hier ein klares Bekenntnis der Landesregierung gewünscht.