d) Kulturförderung, Atomausstieg, Chlorhühner - TTIP & Co. gefährden durch private Schiedsgerichte demokratische Entscheidungen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/1514
Das ist gut. Das ist vielleicht auch das Vernünftige. Aber die Zettel lagen hier in einer anderen Reihenfolge. - Sie haben das Wort, Fraktionsvorsitzende Anja Piel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Freihandelsabkommen TTIP hat in den letzten Wochen für reichliche Debatten ge
sorgt. NGOs, Gewerkschaften, Verbände und Kulturorganisationen laufen Sturm gegen das Abkommen – zu Recht. Mit dem Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU soll der größte Wirtschaftsraum der Welt gestärkt werden. Wer aber ist beteiligt, und wozu ist das gut?
Die Verhandlungen laufen seit Juli 2013 in Hinterzimmern, und das ohne transparente Beteiligung der europäischen Parlamente. Durch TTIP und das geplante Investorenschutzabkommen soll ein paralleles Rechtssystem installiert werden, das viele soziale und ökologische Errungenschaften und unsere Demokratie an sich bedrohen könnte.
Das geplante TTIP birgt das Risiko, die Souveränität der Parlamente und auch der Rechtssysteme auszuhebeln.
Teil des TTIP ist das Investorenschutzabkommen, über das ich heute im Besonderen reden will. Kern dieses Abkommens ist die Möglichkeit für Unternehmen, Staaten zu verklagen, weil sie Gesetze erlassen haben, die vermeintlich Handelsbarrieren aufbauen. Wie können wir uns das vorstellen? - Ein Tabakkonzern verklagt einen Staat vor einem privaten Schiedsgericht wegen Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln, weil der Konzern meint, der Staat habe ihm dadurch sein Geschäft verdorben - mit Aussicht auf Erfolg.
Wenn TTIP Wirklichkeit wird, entscheidet zukünftig ein sogenanntes Schiedsgericht in Investor-StaatSchiedsgerichtsverfahren über gigantische Entschädigungen für Unternehmen in Milliardenhöhe,
(Frank Oesterhelweg [CDU]: Die Sa- che können Sie abhaken! Das hat sich erledigt! Das ist der Stand von vorgestern!)
ein Schiedsgericht, das keiner nationalen Gesetzgebung und Kontrolle unterworfen wäre. Wie die Schiedsrichter entscheiden, ist völlig unklar; denn die Verfahren sind geheim. Das heißt, es gibt keine Rechtsmittel, also keine Berufung, keine Revision, keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
Bundesrepublik Deutschland vor einem Internationalen Schiedsgericht für das frühzeitige Abschalten der Atomkraftwerke auf 3,7 Milliarden Euro Schadenersatz. Es ist doch absurd, wenn Konzerne auf solche Weise demokratische Entscheidungen wie den Atomausstieg beklagen und in Frage stellen.
(Beifall bei den GRÜNEN - Frank Oesterhelweg [CDU]: Gibt es schon ein Urteil? Wir leben in einem Rechts- staat!)
- Ja, genau über diesen Rechtsstaat wollen wir ja reden. Das ändern Sie auch durch Ihre Lautstärke nicht.
Mit TTIP steuern wir auf eine Paralleljustiz zu, ohne demokratische Legitimierung, ohne Beteiligung und Kontrolle durch den Staat, ohne unabhängige Richter und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Meine Damen und Herren, Europa braucht keine geheimen Hinterzimmerentscheidungen im Interesse klagender Konzerne, sondern eine transparente Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Unternehmen tragen ein eigenes unternehmerisches Risiko. Sie können ihre Verluste nicht staatlich absichern lassen. Wir brauchen kein System, in dem Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden können.
Lassen Sie mich kurz auf ein Beispiel aus dem Kulturbereich eingehen. Die Buchpreisbindung - das ist vielleicht ganz wichtig - und damit die große Zahl und Vielfalt von Buchhandlungen, Verlagen und Autoren in Deutschland werden durch TTIP massiv gefährdet. Bücher sind nicht nur Waren. Sie sind viel mehr als das.
Auch die spezielle Art der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die gesamte Kulturförderung werden durch TTIP bedroht. Das können Sie nicht wollen; das können wir nicht wollen.
Zum Bereich Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Nehmen wir z. B. das Beispiel der inzwischen berühmten Chlorhühnchen. Da werden Hühnchen nach dem Schlachten durch Chlorbäder
gezogen, damit die Erreger abgetötet werden. Das hat den Vorteil, dass man sich über Hygiene in den Ställen und Schlachtbetrieben natürlich keine großen Gedanken mehr machen muss. Aber wollen wir das wirklich? Wollen das unsere Verbraucherinnen und Verbraucher genau so?
Wie könnte eine Investorenschutzklage konkret aussehen? - Wenn sich z. B. eine rot-grüne Landesregierung um bäuerliche Familienbetriebe, um ökologische Aspekte der Landwirtschaft und um eine einigermaßen ordentliche Bezahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Fleischbranche kümmert, dann könnte ein Investor dagegen klagen.
Dann könnte der Investor sagen: Das wussten wir vorher nicht. Das hatten wir vorher nicht. Das verschlechtert unsere Gewinnaussichten. Das dürft ihr nicht. - Investorenschutzklage, und weg damit!
Lassen Sie mich mit einem prägnanten Satz zusammenfassen, welche Gefahren in der TTIP stecken. Treffender als die amtierende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks vermag ich es nicht zu formulieren:
„Ein solches Schlupfloch wie die privaten Schiedsgerichtsverfahren würde die Errungenschaft von 150 Jahren Arbeiterbewegung, 100 Jahren Frauenbewegung und 50 Jahren Umweltbewegung mit einem Federstrich zerstören.“
Vielen Dank, Frau Piel. - Jetzt hat das Wort die Kollegin Petra Emmerich-Kopatsch, SPD-Fraktion. Bitte schön.
Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA kann natürlich vielfältige Chancen auch für Niedersachsen bieten. Der Landtag wird sich daher morgen erneut mit dem Thema etwas ausführlicher beschäftigen. Aber es ist schon so, dass die anfängliche Euphorie leicht zurückgegangen ist. Dies liegt vor allem auch an dem Investor-Staat-Schiedsverfahren,
über das hier geredet werden soll; denn auch aus unserer Sicht - da sind wir mit Bündnis 90/Die Grünen einig - sind spezielle Investitionsschutzvorschriften in einem Abkommen zwischen USA und EU überhaupt nicht erforderlich; denn sowohl die EU wie auch die USA verfügen über ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten vor nationalen Gerichten.
Schiedsverfahren sind überflüssig; denn die USA und Europa haben ausdifferenzierte Rechtssysteme. Anders als Gerichte tagen Investor-StaatSchiedsverfahren im Verborgenen. Und nicht einmal die Verhandlungsprotokolle, aus denen die Entscheidungsgründe hervorgehen, werden veröffentlicht. Von daher ist es richtig, dass die Kommission eine dreimonatige Konsultation zu diesen Fragen eingeleitet hat. Ursprünglich waren übrigens Schiedsverfahren zur Absicherung von Investitionen in Staaten gedacht, die über kein zuverlässiges Rechtssystem verfügten. Inzwischen haben sich aber solche Regelungen in fast alle bilateralen Verträge eingeschlichen. Wie schon erwähnt: Die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik, bei der 3,7 Milliarden Euro Schadenersatz wegen des vorzeitigen Atomausstiegs geltend gemacht werden, hat klargemacht, dass mit diesen parallelen Klagemöglichkeiten Staaten und Regierungen in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden könnten. Das Gleiche könnte uns übrigens passieren, wenn sich Investoren z. B. wegen des Frackingverbots in unkonventionellen Lagerstätten in ihrer Tätigkeit eingeschränkt sehen würden. In diesem und anderen Fällen geht es darum, was mehr zählt. Was ist wichtiger? Sind es die Interessen des Staates, der eine Vorschrift zum Schutz des Allgemeinwohls erlässt, oder sind es die Interessen von Unternehmen, die eine durch sinkende oder entgangene Gewinne empfundene indirekte Enteignung beklagen können?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Investorenschutzabkommen dürfen Staaten aus unserer Sicht nicht in ihrem Handeln einschränken. Bislang hat die Bundesrepublik Deutschland 136 solcher Abkommen geschlossen, ohne dass es größere Probleme gab. Bei den USA allerdings kann man sich sicher darauf einrichten, dass große amerikanische Kanzleien ihre wirtschaftlichen Chancen nutzen wollen und große Verdienstmöglichkeiten in dem Investorenschiedsverfahren sehen und nutzen könnten.
Von daher ist es richtig, dass die Bundesregierung eine deutlich ablehnende Haltung einnimmt, Kolleginnen und Kollegen; denn generell muss klar
sein, dass der Besitzstand der europäischen Gesetzgebung nicht angetastet oder gar durch Schiedsgerichte ausgehebelt wird.
Und es muss klar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Marktöffnungen nicht zulasten der Verbrauchersicherheit und der Arbeitsbedingungen gehen können. Gerade im Bereich der Lebensmittelsicherheit muss klar sein, dass hormonbehandeltes, gentechnisch verändertes, geklontes oder, wie erwähnt, durch Chlorbäder gezogenes Fleisch nicht über TTIP den Weg auf unsere Teller findet. Umweltschutz, Datenschutzstandards und die Sicherung der Daseinsvorsorge und vor allem die Arbeitnehmerrechte dürfen nicht ausgehöhlt werden.
Ich fasse zusammen: Das Freihandelsabkommen der EU mit den USA kann ein großer Erfolg werden, wenn erstens die folgenden Anforderungen an den Datenschutz für die Bürger und Unternehmen in der EU von den USA respektiert werden, wenn zweitens der besonders schwierige Punkt des Investitionsschutzes nicht durch das InvestorStaat-Schlichtungsverfahren, sondern durch die ordentliche Rechtsprechung gewährt wird, und wenn drittens bestehende Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz- und Verbraucherstandards in Europa gewahrt bleiben.
Vielen Dank, Frau Emmerich-Kopatsch. - Es hat sich jetzt zu Wort gemeldet Frank Oesterhelweg, CDU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eugen Roth hat einmal gesagt: Auch wenn wir Deutschen nichts mehr haben. Bedenken haben wir immer. - Ich bin absolut entsetzt, Frau Piel, über diese Märchenstunde, die Sie hier eben abgeliefert haben.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Miriam Staudte [GRÜNE]: Wie bitte? Sie als Landwirt wissen das ja alles besser!)