Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Meine Hoffnung auf eine sehr sachliche Diskussion ist noch nicht gestorben. Herr Kollege Hocker, ich bin davon überzeugt, dass die Kollegin Staudte die Unternehmensphilosophie der Energieversorgungsunternehmen meinte.
Wir alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben die Schreckensmeldungen und die Folgen von Tschernobyl und Fukushima durchaus noch Augen. Wir alle waren geschockt von dem Ausmaß der unglaublichen Katastrophen, die die damalige Sowjetunion und das hoch technisierte Japan getroffen haben. In Japan sprach man von der schwersten Krise des Landes seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Schauen wir uns das mal ein bisschen genauer an! Es traten riesige Mengen an Radioaktivität aus. Boden, Nahrungsmittel, Leitungswasser und Meerwasser wurden im höchsten Grade kontaminiert. Ein Umkreis von 30 km um das Atomkraftwerk Fukushima musste evakuiert werden. Hunderttausende Säcke mit verstrahltem Müll stehen dort immer noch auf den Äckern und warten auf eine fachgerechte Entsorgung. Zehntausende Japaner leiden unter den Folgen der Atomkatastrophe. Viele von ihnen sind schon an Krebs erkrankt. Die Krebsrate steigt enorm stark. Die gesundheitlichen Folgen werden bei 2 Millionen Japanern regelmäßig untersucht.
Allein der GAU in Fukushima hat bis jetzt Kosten von etwa 350 Milliarden Dollar verursacht. Nach dem Unglück sprang zunächst einmal der Betreiber TEPCO ein. Um nicht innerhalb kürzester Zeit komplett insolvent zu sein, rief er sofort nach dem Staat. Tatsächlich ist der japanische Staat eingesprungen. Denn nur der Staat konnte die Kosten bewältigen, weil TEPCO in keinster Weise Rücklagen für einen solchen Fall gebildet hatte.
Nun erhält TEPCO in steter Regelmäßigkeit riesige Milliardensummen an Staatshilfen. Die Gewinne, die in anderen TEPCO-Bereichen durchaus noch anfallen - TEPCO ist nicht einseitig aufgestellt -, streicht TEPCO aber ein. Das heißt, der japanische Steuerzahler muss zahlen, TEPCO selbst streicht aber noch Unternehmensgewinne ein. Das hat dazu geführt, dass man in Japan mittlerweile darüber nachdenkt, Atomkraftwerke zu verstaatlichen.
Verehrter Herr Kollege Bosse, ich möchte Sie gerne fragen, welche Kenntnisse Sie darüber besitzen, wie sich das Bilden von Rückstellungen auf den betriebswirtschaftlichen Gewinn auswirkt, den ein Unternehmen erzielt.
Ein Unternehmen muss Rückstellungen bilden. Ich komme im Laufe meiner Rede noch dazu, wie wir uns das vorstellen.
Verehrter Herr Kollege Hocker, es kann nicht sein, dass private Unternehmen Gewinne aus der Kernenergie einstreichen, während der Staat letzten Endes alleine für die Folgen aufkommen muss. Das kann und darf nicht sein.
Das Risiko des Betreibens von Atomkraftwerken darf nicht allein am Staat hängenbleiben. Die Kosten von Fukushima und Tschernobyl belaufen sich auf zusammen 500 Milliarden Euro. Die Kosten allein durch Fehlinvestitionen, Rückbau- und Sanierungsmaßnahmen im Atomenergiebereich werden weltweit - diese Zahl stammt aus tagesschau.de, also einer durchaus glaubwürdigen Quelle - auf 1 Billion US-Dollar geschätzt. Alleine in Deutschland belaufen sich die Kosten der Atomenergie seit den 50er-Jahren - Subventionierung, Forschung, Fehlinvestitionen und Sanierung; ich nenne hier den Uranabbau der Wismut und die Sanierung der Asse - auf 150 Milliarden Euro.
Man sollte an dieser Stelle eigentlich meinen, dass genügend Lehrgeld gezahlt worden sei. Aber offenbar reicht das immer noch nicht. Denn weltweit - Kollege Bäumer sagte es - werden noch über 200 Atomkraftwerke betrieben, und niemand hier im Raum und auch niemand anderswo weiß, ob Fukushima der letzte GAU war. Meine sehr verehrten Damen und Herren, einen weiteren GAU
Kommt es tatsächlich zu einer nuklearen Katastrophe, zahlt immer die Bevölkerung. Es zahlt immer der Steuerzahler. Nie bezahlt der Verursacher.
Die deutschen Atomkraftwerke - die Kollegin Staudte sagte es - sind insgesamt mit 2,5 Milliarden Euro in einer sogenannten Solidargemeinschaft versichert. Das sind - auch das sagte die Kollegin Staudte - rund 250 Millionen Euro für ein Atomkraftwerk. Bei der Haftpflicht für einen Pkw, wie wir alle ihn draußen auf dem Parkplatz stehen haben, liegen die Versicherungssummen - das wissen wahrscheinlich auch Sie, verehrter Kollege Hocker - zwischen 50 Millionen und 100 Millionen Euro. Wo ist da die Verhältnismäßigkeit, ein Atomkraftwerk für 250 Millionen Euro und ein Auto zwischen 50 Millionen Euro und 100 Millionen Euro zu versichern? - Genau an dieser Stelle, Herr Kollege Hocker, wollen wir ansetzen; denn das stimmt hinten und vorne nicht!
Um noch eines oben draufzusetzen: In Frankreich sind die Atomkraftwerke allesamt insgesamt nur mit 90 Millionen Euro versichert. Ich halte das für einen Skandal.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Das können die Sozialisten dort ja än- dern!)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eindeutig eine einseitige Bevorteilung der Atomindustrie. Das wollen wir nicht.
Wäre die Atomkraft gezwungen, sich den üblichen Rahmenbedingungen der Marktwirtschaft auszusetzen, so wäre niemals ein Atomkraftwerk gebaut worden. Im Übrigen bekommen wir für die Transparenz, die wir in unserem Antrag fordern, natürlich auch einen großen Beistand, nämlich von niemand geringerem als dem EU-Kommissar Günther Oettinger, der für den Bereich der Energie zustän
dig ist. Der hat nämlich grundsätzlich gesagt, dass die Kosten für Atomenergie und für den Aufwand unbedingt transparenter gemacht werden müssen. Insofern freue ich mich auf eine sachliche, vernünftige, grundsolide Debatte im Sinne der Steuerzahler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Staudte, schade, dass Sie vorhin meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben. Aber so wichtig, dass ich eine Kurzintervention hätte machen wollen, war es dann auch nicht.
Wenn ich gedurft hätte, hätte ich Sie gefragt, ob Sie mir sagen können, wie hoch der deutsche Staat verschuldet ist. Sie haben ja gesagt, die beiden Unternehmen seien mit 60 oder 80 Milliarden Euro verschuldet. Mein Professor hätte damals gesagt: Das ist eine sehr große Zahl.
Der deutsche Staat ist aber mit deutlich mehr als 80 Milliarden Euro verschuldet. Insofern ist Ihre Gleichung, wonach es schlecht ist, wenn private Unternehmen haften, und es besser ist, wenn der deutsche Staat haftet, nicht richtig, weil auch der deutsche Staat sehr stark verschuldet ist. Sie müssen an dieser Stelle die Frage beantworten, warum Sie dem Staat mehr als privaten Unternehmen zutrauen, die Dinge zu regeln.
Zu meiner Rede: „Alle Jahre wieder“ heißt es in einem schönen Weihnachtslied. Alle Jahre wieder kommen die Grünen und mittlerweile auch die SPD mit der These, dass die finanziellen Risiken der Kernenergie in Deutschland unzureichend abgesichert seien.
Ich habe mir sehr lange überlegt, ob ich heute Morgen die gleiche Rede halten sollte wie im Jahr 2009, als wir das Thema schon einmal behandelt haben. Fachlich wäre das garantiert korrekt gewe
Frau Kollegin, natürlich ist es unsere Aufgabe, Risiken in den Blick zu nehmen und abzuwägen, ob diese Risiken nicht noch besser abgesichert werden könnten. Aber wenn es etwas gibt, das mich gerade auf der linken Seite in diesem Haus permanent stört, ist es die Tatsache, dass Sie immer so tun, als habe die Kernenergie für dieses Land nur Nachteile gehabt. Sie stellen sich hier hin und sagen: Wir sind die Guten, ihr seid die Bösen! Wir sind die Weißen, ihr seid die Schwarzen! - Frau Kollegin Staudte, das wird der Historie überhaupt nicht gerecht. Gestehen Sie mir zu, dass ich nicht derjenige bin, der die Kernenergie in Deutschland verteidigen muss; denn ich habe sie nicht eingeführt.
Lieber Herr Kollege Bosse, wir waren beide im Asse-Ausschuss. Wenn Sie einmal nachlesen, worüber wir dort diskutiert haben, wissen Sie ganz genau, welche Partei es war, die in Deutschland die Kernenergie ausbauen wollte, welche Partei es war, die 100 Kernkraftwerke bauen wollte.
Deswegen ist es an dieser Stelle sehr unredlich, immer nur auf die Nachteile hinzuweisen und niemals zu sagen, dass uns die Kernenergie auch mit Strom versorgt hat. Sie haben das selbstverständlich genutzt, Sie haben das genommen, und wenn Sie heute nur böse über Kernenergie reden, ist das nicht richtig.
Natürlich kennen wir die Nachteile dieser Kernenergie, dieser Technologie mittlerweile, und wir haben uns natürlich für den Ausstieg entschieden. Wir haben uns natürlich dafür entschieden, bei diesem Ausstieg verlässlich zu bleiben. Nach der Debatte gestern sage ich ganz deutlich - auch wenn aus Bayern andere Töne kommen -: Wir bleiben bei dem, was wir beschlossen haben!
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie sähe es hier in diesem Land aus, wenn wir keine Kernenergie gehabt hätten? Statt immer nur auf der Kernenergie herumzudreschen, müsste man
sich einmal die Frage stellen, ob wir ohne sie diese Entwicklung hätten nehmen können. Wenn es die Kernenergie nicht gegeben hätte, dann hätten wir vermutlich mehr Kohlekraftwerke gehabt. Wie das ausgesehen hätte, hat man wunderbar in Bitterfeld lernen können.
Nach diesen einleitenden Worten, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich mich mit Ihrem Antrag beschäftigen, Frau Kollegin Staudte. Der Antrag hat vier Punkte. Wenn Sie meine Rede aus dem Jahr 2009 nachlesen, werden Sie feststellen, dass es mit der Zahl Vier damals eine besondere Bewandtnis gehabt hat. Ich will das aber jetzt nicht alles wiederholen.
In Ihrem ersten Punkt fordern Sie, dass die Energiekonzerne, was die Rückstellungen in Sachen Kernenergie angeht, gewissermaßen enteignet werden. Das Geld, das heute in deren Bilanzen steht, wollen Sie aus dem privaten heraus in einen öffentlich-rechtlichen Fonds transferieren. Das ist nichts anderes als eine Enteignung. Ich bin mal gespannt, was die Konzerne davon halten werden, wenn man ihnen das Geld, das sie in ihren Bilanzen haben, wegnehmen möchte.
Ich habe Ihnen vorhin gesagt, dass ich bezweifle, dass der Staat mit dem Geld besser umgehen kann als die Privaten. Natürlich fällt das private Insolvenzrisiko weg. Aber dass die öffentliche Hand bzw. der Staat in finanziellen Dingen immer ein großes leuchtendes Beispiel ist, wage ich zu bezweifeln. Wir haben in den vergangenen Finanzkrisen auch schon mal Staaten wackeln sehen.