Protocol of the Session on March 27, 2014

Auf dem 13. Deutschen Atomrechtssymposium gab es Aussagen des Bundesumweltministeriums, wonach bei einer Insolvenz eines AKW-Betreibers oder einer Muttergesellschaft die Bundesländer für die Stilllegung und für den Rückbau und der Bund für die Entsorgung des Atommülls einstehen müssen, also in beiden Fällen auch der Steuerzahler.

Als rechtschaffener Bürger in Deutschland geht man eigentlich davon aus - schließlich ist bei uns wirklich alles geregelt -, dass die Kosten, die im Moment anfallen, auch abgedeckt sein müssten. Wir haben ein Atomgesetz, das vorschreibt, dass die Betreiber für die Entsorgung verantwortlich sind; denn es ist klar: Diese Kosten werden unweigerlich anfallen.

Die Betreiber bilden sogenannte Rückstellungen. Aber die Höhe der Rückstellungen hat überhaupt nichts mit den tatsächlichen Kostenerwartungen zu tun. Nach dem Handelsrecht sind Rückstellungen Verbindlichkeiten und Aufwendungen, die in ihrer Entstehung und Höhe ungewiss sind.

Einmal im Jahr veröffentlichen die AKW-Betreiber die Summe an Rückstellungen. Ende des Jahres 2012 waren es angeblich 34 bis 35 Milliarden Euro. Dieses Geld ist aber nicht insolvenzsicher angelegt. Es darf investiert werden. Es ist quasi eine steuerfreie Kriegskasse auf dem Energiemarkt, um Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Energieversorgern zu erlangen.

Eine Kostenkalkulation, geschweige denn eine aktualisierte Kostenkalkulation müssen die Betreiber nicht erstellen und auch nicht offenlegen. Deswegen ist die Einforderung von mehr Transparenz sowie die Offenlegung von Kosten und Rückstellungen, auch kraftwerksscharf pro Atomkraftwerk, ein weiterer Punkt in unserem Antrag. Da wird immer von vielleicht 1 Milliarde Euro pro AKW gesprochen. Das interessiert uns natürlich insbesondere auch bezüglich der Situation in den niedersächsischen Atomkraftwerken. Dann hätten wir tatsächlich erstmalig die Möglichkeit, diese Kostenkalkulation überhaupt auf Plausibilität hin zu überprüfen.

Auf der einen Seite wissen wir nicht, ob das wirklich realistische Zahlen sind. Auf der anderen Seite haben wir aber auch die Erfahrung, dass die Kostensteigerungen gerade bei solchen Großprojekten, bei Projekten, die es bisher noch nicht gab, häufig enorm sind.

Betrachten wir das Ganze einmal international: Der Kanaltunnel von Großbritannien nach Frankreich war doppelt so teuer, der Berliner Hauptbahnhof viermal so teuer, die Elbphilharmonie sechsmal so teuer und die Oper in Sidney - auch das ist ein Großbauvorhaben - 15-mal so teuer. Auch insgesamt im Bereich der Atomkraftwerke ist die Kostensteigerung definitiv die Regel und nicht die Ausnahme.

(Glocke der Präsidentin)

Wir wollen, dass diese Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden, der vor einer Insolvenz der Betreiber schützt.

Man muss in dieser Situation tatsächlich kein Wirtschaftweiser sein, um zu wissen, wie schlecht die Situation bei den vier großen Atomkraftwerksbetreibern, bei den Energieversorgern schon jetzt aussieht. RWE und E.ON haben beide zusammen 60 Milliarden Euro Schulden - im Vergleich zu den 35 Milliarden Euro an Rückstellungen. Jedes Jahr werden neue Verluste eingefahren. Die Dividende z. B. bei E.ON hat sich im letzten halben Jahr halbiert. Bei Vattenfall hat der schwedische Staat, der 100-prozentiger Eigner von Vattenfall ist, gesagt: Nein. Wir wollen uns langsam von diesem unwirtschaftlichen Geschäft in Europa und in Deutschland distanzieren und haben eine sogenannte Patronatserklärung gekündigt.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Kollegin, der Kollege Bäumer möchte Ihnen eine Frage stellen. Möchten Sie diese zulassen?

Er kann ja gleich eine Kurzintervention machen.

Alles klar.

Meine Redezeit ist ohnehin schon vorbei.

Die vielen anderen Punkte, denke ich, werden wir im Ausschuss diskutieren. Ich hoffe, dass ich ein gewisses Problembewusstsein insbesondere auch bei den Haushaltspolitikern wecken konnte. Wir werden die Ausschussberatungen abwarten.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Staudte. - Für die FDPFraktion hat nun Herr Kollege Dr. Hocker das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Staudte, grundsätzlich ist die Aussage nicht falsch, wenn man fordert, dass Rendite und Risiko und dass

Gewinn und Haftung in einer Hand zusammengeführt sein müssen.

(Zuruf von Anja Piel [GRÜNE])

- Passt Ihnen das nicht, Frau Piel?

Das ist richtig. Das ist unseres Erachtens auch das zentrale Element einer sozialen Marktwirtschaft. Das gilt für jeden Mittelständler. Das gilt für jeden, der in Deutschland unternehmerisch tätig ist.

Nur: Wenn man einmal genauer hinguckt, wozu es führen würde und welche Auswirkungen es hätte, wenn die Vorschläge, die Sie eben verkündet haben, in Deutschland tatsächlich umgesetzt würden, wenn man sich das wirklich einmal auch numerisch und zahlenmäßig vor Augen führt - Sie haben ja von 5 000 Milliarden Euro gesprochen, die als Rückstellung gebildet werden müssen - und wenn ich das auf die kommenden acht Jahre umlege, dann müssten 600 Milliarden Euro p. a. an Rücklagen gebildet werden.

Rücklagen - Sie haben eben aus Wikipedia oder ich weiß nicht, aus welcher Quelle, zitiert - führen dazu, dass sich der Gewinn mindert und dass dies, wenn Steuer auf den Gewinn berechnet wird, natürlich auch zu weniger Einnahmen für den Staat führen würde. Ich glaube, über diese Konsequenz sind Sie sich noch nicht ganz bewusst gewesen, als Sie Ihren Antrag formuliert haben. Wenn man das umsetzen würde, was Sie gesagt haben, dann würde der Staat weniger Steuern einnehmen. Dann würden gerade die Kernkraftwerksbetreiber aus der Finanzierung des Gemeinwesens entlassen. Das kann beim besten Willen nicht Ihr Ansatz sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man Ihren Vorschlag weiterdenkt, stellt man fest, dass er einen zweiten Effekt hat. Wenn wir uns nämlich die Kosten- und Preissituation angucken, dann sehen wir, dass durch Rückstellungen für ein Unternehmen in einer betriebswirtschaftlichen Gesamtdarstellung Kosten entstehen. Diese Kosten werden dann - das ist auch üblich - in einer Volkswirtschaft auf den Verbraucher umgelegt. Aber das, verehrte Frau Kollegin Staudte, ist nun wirklich nicht das, was wir gegenwärtig in unserer Energiewirtschaft benötigen können; denn die Energiekosten sind in Deutschland schon so hoch wie in den allerwenigsten anderen Ländern in Europa.

Gerade ist über die Agenturen gelaufen, dass weitere zusätzliche 1,5 Milliarden Euro Ökostromum

lage auf die ohnehin schon 20 Milliarden Euro obendrauf kommen, die Jahr für Jahr durch die Ökostromumlage umverteilt und in dieser Gesellschaft von unten nach oben verschoben wird. Das würde noch obendrauf kommen.

Ich glaube, die Grundidee ist richtig, dass Haftung und Gewinn in einer Hand liegen müssen. Aber in der konkreten und klaren Ausgestaltung, wie Sie sie formuliert haben, führt dies zu zwei Effekten: Erstens. Die zusätzlichen Kosten der Kernkraftwerksbetreiber werden auf die Energiepreise umgelegt. Das können wir uns nicht wünschen. Zweitens werden Kernkraftwerksbetreiber komplett aus der Finanzierung des Gemeinwesens entlassen, weil sie durch die Bildung von Rückstellungen keine Steuern mehr zahlen würden.

Ich bin gespannt auf die Diskussion und vor allem darauf, wie Sie sich im Ausschuss mit diesen Argumenten auseinandersetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Hocker. - Auf Ihren Beitrag gibt es eine Kurzintervention. Frau Kollegin Staudte, bitte!

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Dr. Hocker, ich glaube, Sie haben jetzt ein bisschen etwas durcheinandergebracht. Die 5 000 Milliarden Euro wären die Kosten, die bei einem potenziellen GAU in Deutschland langfristig anfallen würden. Da ist unsere Forderung, dass wir die Haftungssummen erhöhen und die Haftungsregelungen anpassen.

Sie wissen selbst, dass Sie, wenn Sie eine Haftpflichtversicherung mit einer Summe von vielleicht 10 Millionen Euro für Personenschäden haben, nicht diese 10 Millionen Euro bezahlen müssen, sondern dass Sie die Prämien an Ihre Versicherung zahlen müssen. Diese Zahl ist also schon einmal schief.

Es wird realistisch davon ausgegangen, dass beim Rückbau und bei der Entsorgung des Atommülls Kosten von 44 Milliarden Euro anfallen werden und nicht nur die 34 Milliarden Euro, die die EVU im Moment als Rückstellungen haben, um den Rückbau und die Entsorgung zu organisieren.

Die EVU haben die Energiewende verpennt, muss man sagen. RWE preist zwar in seiner Werbung

unter dem Slogan „Vorweg gehen“ die Erneuerbaren; da bewegen sich sogar die Vogelscheuchen mit Energie aus Solarmodulen. Aber gerade bei RWE tragen die Erneuerbaren nur 2,5 % zum Betriebsergebnis bei. Da muss man sagen: Die Versorger sind zum Teil selber schuld an der Situation, in der sie sind. Sie könnten gegensteuern, indem sie in die richtigen Bereiche investieren.

Auch wenn die Dividende um die Hälfte gefallen ist, bekommen die Aktionäre immer noch eine hohe Gewinnausschüttung. Bei E.ON sind es ungefähr 4 %. Die bekommt man mit einem normalen Sparbuch nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Herr Dr. Hocker antwortet.

Verehrte Frau Kollegin Staudte, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie diese Kurzintervention formuliert haben. Sie sagten, sie sind selber schuld daran. Sie treten in diesem Landtag häufig mit Betroffenheitsrhetorik auf. Diese Entgleisung hier sollten Sie vielleicht noch einmal überdenken.

(Lachen bei den GRÜNEN - Miriam Staudte [GRÜNE]: Entgleisung?)

- Entschuldigung, Frau Kollegin! In den vergangenen Jahren ist es zu vielen Tausend Entlassungen gekommen, weil es in der einen oder anderen Situation betriebswirtschaftliche Entscheidungen gegeben hat, die nicht zur Sicherung der Arbeitsplätze geführt haben. Aber zu sagen, dass diese Menschen selber schuld sind,

(Helge Limburg [GRÜNE]: Keiner hat davon gesprochen, dass die Men- schen selber schuld seien! Ihr Beitrag ist eine Unverschämtheit!)

ist eine Intonierung, die der Würde dieses Hauses nicht angemessen ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank. - Wir fahren in der Rednerliste fort. Als Nächster hat nun Herr Kollege Bosse von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Meine Hoffnung auf eine sehr sachliche Diskussion ist noch nicht gestorben. Herr Kollege Hocker, ich bin davon überzeugt, dass die Kollegin Staudte die Unternehmensphilosophie der Energieversorgungsunternehmen meinte.