Protocol of the Session on March 26, 2014

(Unruhe)

Herr Försterling, eine Sekunde! - Meine Damen und Herren, wir debattieren in der Aktuellen Stunde gerade über die Gymnasien. Ich bitte Sie zuzuhören. Wer daran kein Interesse hat und Gespräche führen möchte. - Herr Försterling, bitte!

Nehmen wir noch einmal diese 1 480 Stellen, die weniger benötigt werden. Die werden also wegfallen. Sie sagen, dass Sie dem Ganzen ein Förder

konzept, wie eben von mir dargestellt, entgegenstellen. Dieses Förderkonzept bedeutet landesweit, dass Sie dafür 130 Lehrerstellen einsetzen. Sprich: 1 480 Lehrerstellen werden frei, und 130 geben Sie in das System hinein. Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie den Gymnasien nur eine von 10 Lehrerstellen lassen und aus den Gymnasien mehr als 90 % der aufgrund dieses Systemwechsels frei werdenden Ressourcen abziehen.

Das ist nichts anderes als ein Trojanisches Pferd. Deshalb hätte der Titel dieses Antrages zur Aktuellen Stunde lieber lauten müssen: „Retro-Renate reitet ein Trojanisches Pferd“.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Försterling. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet die Abgeordnete Ina Korter, Bündnis 90/Die Grünen. Frau Korter, bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie viel Freude ich daran habe, heute in dieser Aktuellen Stunde zu sprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schon im Jahr 2008 hat meine Fraktion einen sehr kritisch-konstruktiven Antrag in das Plenum eingebracht und unter dem Titel „Schule darf nicht krank machen“ diskutiert. Jetzt, im Jahr 2014, haben wir endlich einen großen Schritt erreicht, sodass wir dieses Ziel tatsächlich in den nächsten Jahren umsetzen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich kann dabei die Opposition nicht ganz verstehen, Herr Försterling und Herr Seefried. Bis vor ein paar Wochen haben Sie noch gefordert „So schnell wie möglich zurück zum G 9!“ und haben Sie hier Eilanträge eingebracht. Aber jetzt ist dies auf einmal auch wieder verkehrt. Ich glaube, Sie haben Ihr Thema verloren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die CDU/FDP-Landesregierung hat mit der Einführung des G 8 damals für viel Druck an den Gymnasien gesorgt. Sie hat die Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre komprimiert und damit das Lernen immer mehr verdichtet. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das eini

ge von Ihnen heute noch richtig finden. Sie hat in der Oberstufe die Prüfungsanforderungen drastisch erhöht und so dafür gesorgt - es ist mir wichtig, das zu betonen -, dass Schülerinnen und Schüler vor allem für die Tests pauken, statt mit ausreichender Zeit nachhaltig und selbstständig zu lernen. CDU und FDP haben gemeint, dass mehr Druck in den Schulen zu besseren Ergebnissen führt. Jetzt sind Sie damit auf ganzer Linie gescheitert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dabei wissen wir doch, meine Damen und Herren, dass Druck und das Gefühl von Überlastung eher lähmen als anspornen.

Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche mit Freude lernen und mit der nötigen Zeit eigene Lösungswege finden und entdecken, statt nur vorgegebene nachzuvollziehen. Das ist Kreativität, und solche Köpfe brauchen wir.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Wir setzen deshalb mehr auf Förderung, und wir geben den Schülerinnen und Schülern wieder mehr Zeit zum Lernen. Wir reduzieren die Pflichtstunden pro Woche in den Klassen 5 bis 10 auf maximal 30 Stunden. Damit entlasten wir die Schülerinnen und Schüler gerade in der Pubertätsphase. Sie gewinnen Zeit, um eigenen Interessen nachzugehen, sowohl innerhalb der Schule mit mehr Wahlangeboten als auch außerhalb der Schule bei Sport, Musik, Theater oder auch in der Jugendarbeit, in der wir sie dringend brauchen.

Wir geben den Gymnasien pro Schuljahrgang zwei zusätzliche Lehrerwochenstunden für mehr individuelle Förderung. Es tut mir leid, dass Herr Försterling sich das nur rechnerisch pro Person vorstellen kann. Individuelle Förderung setzt gezielt an; dafür setzt man gezielt diese Stunden ein. Wir wollen damit Schülerinnen und Schüler unterstützen, die gerade in den unteren Jahrgängen nach dem Wechsel auf das Gymnasium manchmal Gefahr laufen, dort nicht sofort Erfolg zu haben, um das Klassenziel zu erreichen. Wir wollen damit den Verweis auf andere Schulformen verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Auch in der Oberstufe reduzieren wir die hohe Pflichtwochenstundenzahl und die Zahl der Klausuren. Damit schaffen wir auch hier unnötigen Stress und Druck ab und setzen wir mehr auf Qua

lität. Mit den fünfstündigen Kursen auf erhöhtem Anforderungsniveau gibt es wieder Zeit für vertiefendes Lernen.

Zugleich soll die Studien- und Berufsorientierung auch im Gymnasium endlich intensiviert werden. Das ist beispielsweise neu, genauso wie die individuelle Förderung, Herr Kollege Försterling.

Leistungsstarken Schülerinnen und Schülern wollen wir die Möglichkeit bieten, das Abitur nach zwölf Jahren abzulegen. Sie werden vor allem dann unterstützt, wenn sie das 11. Schuljahr überspringen. So bleibt das G 8 als freiwillige Option. Auch das ist neu, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Das ist überhaupt nicht neu!)

Was wir aber ablehnen, ist die Einrichtung eines Turbozugs im Sekundarbereich I, wie es der CDU vorschwebt. Damit würden wir den sehr jungen Schülerinnen und Schülern wieder genau das abverlangen, was wir gerade verhindern wollen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die geringe Akzeptanz in anderen Bundesländern für diesen von der CDU vorgeschlagenen Weg hat gezeigt - so sagt es auch die Expertenkommission -, dass dies von den Eltern nicht gewollt wird.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Das Turbo-Abitur mit Fast-food-Lernen ist gescheitert. Wir brauchen keine unkritischen Lernroboter, die möglichst viele Fakten reproduzieren können. Wir brauchen selbstständig denkende und verantwortlich handelnde junge Menschen, die sich mit Interesse in die Bereiche einarbeiten, die sie gut können, ihre Defizite und Schwächen erkennen und daran arbeiten und die vor allen Dingen wieder Zeit haben, sich für ihr Umfeld zu interessieren.

Dafür haben wir gemeinsam mit Rot-Grün und der Landesregierung die Weichen gestellt. Dafür werden wir ein neues Schulgesetz erarbeiten und im Landtag vorlegen, das zum 1. August 2015 umgesetzt werden soll.

Wir wollen ein nachhaltiges neues G 9. Darin haben uns all die Experten aus dem Dialogforum bestärkt. Wir erfahren dafür Rückhalt und Zuspruch aus dem gesamten Land.

Großer Dank meiner Fraktion und der SPD-Fraktion - das hat Herr Kollege Poppe schon betont - gilt den Experten aus dem Dialogforum, die uns hervorragende Ergebnisse vorgelegt haben, die wir zu einem großen Teil umsetzen werden. Nie

dersachsen, meine Damen und Herren, setzt mit dieser Entscheidung ein Signal für ganz Deutschland, ein Signal für nachhaltigeres Lernen.

Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Korter. - Zu Wort gemeldet hat sich die Kultusministerin Frau Frauke Heiligenstadt. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit der Entscheidung für ein neues modernes Abitur nach 13 Jahren hat die Landesregierung nach der Vorlage des Abschlussberichts durch die Expertenkommission zum Dialogforum „Gymnasien gemeinsam stärken“ eine wesentliche Festlegung aus der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen erfolgreich erfüllt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zahlreiche Klagen und Beschwerden, ja teilweise Hilferufe hatten die jetzigen Koalitionsfraktionen bereits vor der Regierungsübernahme aus den Schulen von den Schülerinnen und Schülern, von Eltern, von Lehrerverbänden und von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erreicht. Der Leistungsdruck und die hohe zeitliche Belastung in der Schule selbst hätten den Schülerinnen und Schülern einen Großteil ihrer Lebensfreude und damit auch ihrer Lebensqualität genommen - so kann man die Beschwerden, die uns erreicht haben, vielleicht zusammenfassen. Bei 34 Pflichtwochenstunden ist das durchaus nachvollziehbar.

Bereits vor der Landtagswahl 2013 hatten deshalb SPD und Grüne diese Stimmung aufgenommen. Die geäußerte Kritik wurde sehr ernst genommen. Schließlich wurde die Zielsetzung, den Druck aus den Gymnasien herauszunehmen und damit den Druck und den Stress zu verringern, in die Koalitionsvereinbarung eingearbeitet. Ich bin den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD außerordentlich dankbar, dass sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, den Weg eines Dialogs genau zu diesem Thema zu beschreiten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Um diese Ziele zu erreichen, um den Druck aus den Gymnasien herauszunehmen, hat die Landesregierung genau das umgesetzt, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden war. Wir haben im Juni letzten Jahres das Dialogforum gestartet. Eine Expertengruppe thematisierte in zahlreichen Sitzungen die Möglichkeiten für eine Rückkehr zu G 9, Alternativen für das G 8 und auch ein Modell eines Abiturs im eigenen Takt. Ich bin der Expertengruppe und ihren Mitgliedern, die dort gearbeitet haben, außerordentlich dankbar, dass sie trotz der diversen Verlautbarungen von Organisationen am Rande dieser Expertengruppe inhaltlich und fachlich kontinuierlich weitergearbeitet und ein wirklich großartiges Ergebnis vorgelegt haben.

Auf der Basis dieser abschließenden Ergebnisse im Dialogforum, aber auch auf der Grundlage der sehr zahlreich im Kultusministerium eingegangenen Eingaben sowie vieler Gespräche, Besuche etc. haben wir folgendes Konzept zur Umstellung des Abiturs nach acht Jahren auf ein Abitur nach neun Jahren erarbeitet - ich will es gerne noch einmal kurz skizzieren, weil hier insbesondere Herr Seefried und Herr Försterling in ihren Beiträgen ein paar Tatsachen verdreht haben -:

Die Gymnasien und die nach Schulzweigen gegliederten Kooperativen Gesamtschulen kehren zum 1. August 2015 generell zum Abitur nach 13 Schuljahren zurück. Damit kann im Schuljahrgang 2020/2021 das erste Abitur wieder nach neun Jahren in Niedersachsen abgelegt werden, meine Damen und Herren.

Die Möglichkeit zur Verkürzung der Schulzeit auf acht Jahre bleibt individuell für Schülerinnen und Schüler durch das Überspringen einer Jahrgangsstufe erhalten. Sie werden, wie andere Schülerinnen und Schüler, aber jetzt mit zusätzlichen Stunden dabei unterstützt. Das ist nicht etwa etwas aus der Vergangenheit. Sie hatten zehn Jahre lang dazu Zeit, meine Damen und Herren von FDP und CDU. Sie haben keinerlei Förderstunden für das Überspringen am Gymnasium verankert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Sie wis- sen aber, dass es beim Überspringen einen Unterschied macht, ob man das G 8 oder das G 9 hat!)

Die Umstellung auf die 13-jährige Schulzeitdauer bis zum Abitur beginnt dann mit dem Schuljahr 2015/2016.

(Glocke des Präsidenten)

Einbezogen werden die Jahrgänge 5, 6, 7 und 8. Für die Schülerinnen und Schüler des Sekundarbereichs I, die noch die Abiturprüfung nach 12 Jahren ablegen, werden wir besondere Unterstützungs- und Entlastungsmaßnahmen vorsehen. Es wird nicht mehr als 30 Wochenstunden in den Schuljahrgängen der Sekundarstufe I geben.