Protocol of the Session on March 26, 2014

Für die FDP-Fraktion hat Jan-Christoph Oetjen das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie alle wissen, dass wir von der FDPLandtagsfraktion uns schon in der letzten Legislaturperiode um die Asyl- und Ausländerpolitik hier in Niedersachsen sehr viele Gedanken gemacht haben. Wir haben damals ein 10-Punkte-Papier vorgelegt, und wir haben damit auch einige Verbesserungen erreichen können. - Sicherlich nicht so viele, wie wir uns gewünscht hätten, aber die Abschaffung der Residenzpflicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht auf das Konto der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben es als richtig empfunden, dass nach der Landtagswahl versucht wurde, einen anderen Umgang in der Asyl- und Ausländerpolitik in Niedersachsen auf den Weg zu bringen. Wir haben einen eigenen Vorschlag zur Härtefallkommissionsverordnung eingebracht, der viele Punkte enthielt, die ähnlich oder deckungsgleich mit den Punkten der Reform von Rot-Grün waren. Wir finden es richtig, dass ein Rückführungserlass auf den Weg gebracht wird, der den Ausländerbehörden eine klare Handhabe gibt.

Aber es ist und bleibt die Unwahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Niedersächsische Landesregierung in ihrer Broschüre zur

ersten Jahresbilanz von Rot-Grün schreibt: „Nächtliche Abholzeiten bei Rückführungen gehören der Vergangenheit an.“ - Das muss auch klar gesagt werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Angelika Jahns [CDU]: Das kann man auch nicht nachträglich heilen!)

Die Wahrheit musste erst durch die Kleine Anfrage des Kollegen Focke - Drucksache 17/1288 - ans Licht gebracht werden. Im Jahr 2013 hat es 100 nächtliche Abschiebungen gegeben - 100 Abschiebungen, bei denen nachts die Polizei geklingelt hat und bei denen die Menschen abgeholt, zum Flughafen gebracht und in ihr Heimatland oder in den Dublin-Aufnahmestaat zurückgeführt wurden.

(Minister Boris Pistorius: Nach vorhe- riger Ankündigung! Das ist ein we- sentlicher Unterschied!)

- Ja, nach vorheriger Ankündigung.

Wir als FDP-Fraktion haben einen Vorschlag dazu vorgelegt, wie diese Dublin-Verordnung verändert werden könnte. Ich hoffe auf breite Zustimmung dieses Landtages dazu, damit diese unsägliche Verordnung, die den Menschen so viel Leid bringt, verändert werden kann.

Herr Minister Pistorius, Sie können sich aber nicht hinter dieser Dublin-Verordnung verstecken. Denn mindestens 44 dieser 100 Abschiebungen waren keine Abschiebungen in Dublin-Staaten, sondern Rückführungen in die Heimatländer.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Deswegen trägt diese Landesregierung auch Verantwortung dafür. Ich bitte Sie wirklich, einmal zu überlegen, ob es dann, wenn eine frühe Abflugzeit nicht zu vermeiden ist, nicht auch einen anderen Weg geben kann, als die Familie nachts abzuholen. Sie müssen doch einmal kreativ werden. Wenn Sie Humanität in den Vordergrund stellen wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann sollte das für alle gelten und nicht nur für diejenigen, bei denen man den Flug umbuchen kann.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Jetzt auf einmal! Endlich aufgewacht!)

Ich würde mir wirklich wünschen, dass Sie die Kraft hätten, endlich mit Nachtabschiebungen aufzuhören. Aber scheinbar haben Sie diese Kraft

nicht. Deswegen sage ich: Sie werden den eigenen Ansprüchen nicht gerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir werden gleich vielleicht noch etwas vom Kollegen Watermann hören. Der Kollege Focke hat ja recht: Erst wenn die Medien so ein Thema aufgreifen, wird die SPD-Fraktion wach. Ich habe sowieso den Eindruck, dass die SPD-Fraktion meistens nicht so richtig wach ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zurufe von der SPD: Hey!)

Und dann kommt eine Pressemitteilung so nach dem Motto: Man könne ja gar nichts dafür; es werde nur die Dublin-Verordnung umgesetzt; man müsse sich jetzt endlich um eine Änderung der Dublin-Verordnung kümmern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die FDP-Fraktion hat einen Antrag dazu vorgelegt. Stimmen Sie unserer Initiative zu! Dann erreichen wir Verbesserungen in diesem Bereich und eine Verteilung der Flüchtlinge, die der Stärke der einzelnen europäischen Länder gerecht wird und sich nicht nur nach ihrer geografischen Lage richtet. Man kann doch niemandem zumuten, in ein Land zurückgeführt zu werden, in dem die Wahrscheinlichkeit, dass ein Asylantrag angenommen wird, bei 1 % liegt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam die Dublin-Verordnung verändern!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Oetjen. - Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Watermann, SPD-Fraktion. Herr Watermann!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Oetjen, die SPD ist mit ihren 151 Jahren die älteste Partei, die hier im Landtag vertreten ist; wir haben eine lange Tradition und Geschichte. Aber - das kann ich Ihnen sagen - trotz unseres hohen Alters sind wir hellwach; da können Sie sicher sein.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Zum Thema!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass man hellwach ist, zeigt sich übrigens nicht daran, dass man Weltmeister bei Pressemitteilungen ist, sondern am politischen Handeln.

Zuerst will ich feststellen: Herr Kollege Oetjen, bei Ihnen erkenne ich ja, dass Sie sich durchaus intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, dass es Ihnen um die Familien geht und darum, Wege zu finden, um das Verfahren gerade bei nächtlichen Abschiebungen und Überstellungen in Ankunftsländer in Europa zu verändern.

Vielleicht erinnern Sie sich daran: Ich habe Ihnen das auch signalisiert, als Sie Ihren Antrag eingebracht haben. Wir haben einen umfangreichen Vorschlag zum Verfahren gemacht. Das, was ich damals gesagt habe, habe ich sehr ernst gemeint. Denn ich glaube, dass es in diesem Bereich Veränderungspotenzial gibt. Ich stehe aber auch zu der Aussage, dass diese europäische Vereinbarung die Grundlage einer gemeinsamen Asylpolitik sein muss, weil wir das national alleine nicht steuern können.

Wenn wir uns die Probleme anschauen, über die wir hier diskutieren, dann stellen wir fest, dass es bereits Veränderungen gibt, die aber noch weiterentwickelt werden müssen, damit sich Verbesserungen für die Menschen ergeben.

Als ich dieses Thema der Aktuellen Stunde gesehen habe, habe ich überlegt, wie man an eine Rede zu diesem Thema herangeht, ob Herr Kollege Focke sich so äußert, wie er das schon an anderer Stelle gemacht hat, sodass man sagen kann, dass wir an dem Punkt angekommen sind, uns gemeinsam darum zu kümmern, dass es für die Menschen besser wird.

Aber der Redebeitrag von Herrn Focke war heute - er wird ja gleich noch einmal sprechen; vielleicht kann er das ja noch in diese Richtung bringen - nicht darauf angelegt, zu schauen, wie es den Menschen geht und wie man ihre Situation verbessern kann, sondern es ging alleine darum, ein Türschild mit dem Tenor „Abschiebeminister“ anzukleben. Das ist zu wenig, meine Damen und Herren, und wird dieser Aufgabe auch null gerecht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist wichtig, dass wir das auch richtig einordnen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass bestimmte Dinge europäisch geregelt werden und wir das Problem in Europa angehen müssen. Dabei müssen wir den Bund und die Große Koalition mitnehmen; wir müssen unseren Teil und sie muss ihren Teil leisten. Der Bundesinnenminister muss Abweichungen von der Regelung ermöglichen, dass am selben Tag zurückgeflogen wird, wenn Personal mitfliegt. Wir müssen dazu kommen, dass die Menschen nicht zu Zeiten abgeholt werden, die inhuman erscheinen, weil sie in der Nacht liegen.

Deshalb sage ich ganz deutlich: Lassen Sie uns im Rahmen des FDP-Antrags und anderer Initiativen an Lösungen arbeiten.

Der niedersächsische Innenminister hat doch deutlich aufgezeigt, wie er bestimmte Dinge verändert hat: Rückführungsverordnung, Härtefallkommission, Ankündigungen. Jeder weiß es jetzt vorher, wenn eine solche Situation eintritt. Das sind doch Verbesserungen, und darum geht es. Lassen Sie uns das an den Menschen orientiert machen.

Man kann sich ja fragen, warum wir manche Dinge so unterschiedlich sehen und interpretieren. Das kann eigentlich nur daran liegen, dass wir unsere Ferngläser unterschiedlich halten. Wir halten unser Fernglas richtig herum und sehen alles scharf und klar. Bei Ihnen habe ich ab und zu das Gefühl, dass Sie das Fernglas verkehrt herum halten und deshalb alles klein und unscharf sehen. Ich empfehle Ihnen: Drehen Sie das Fernglas um, dann sehen Sie auch die Dinge so, wie sie sind.

Arbeiten Sie mit uns daran, Verbesserungen voranzutreiben, anstatt Schilder an irgendwelche Türen anzubringen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Watermann. - Herr Kollege Focke hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Sie haben gemerkt, der Minister hat an zweiter Stelle gesprochen, was nicht üblich, aber natürlich erlaubt ist. Er hat seine Redezeit um etwa vier Minuten überzogen. - Sie erhalten 2:30 Minuten, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Watermann, vielleicht nehmen Sie einfach mal die Kappen vor Ihrem Fernglas ab. Dann sehen Sie die Realität in diesem Land.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Ulrich Watermann [SPD])

Wir haben uns bei dem Thema auf den Weg gemacht - in der Kommission für Migration und Teilhabe, zum Teil auch im Innenausschuss -, um konstruktiv zu überlegen, wie man gewisse Dinge verbessern kann. Aber es bleibt dabei: Sie können nicht in Ihrer Jahresbilanz und in der Öffentlichkeit sagen, dass es in Niedersachsen keine Nachtabschiebungen mehr gibt und dass Familien nicht mehr auseinandergerissen werden. Das ist schlicht nicht die Wahrheit. Und das müssen Sie hier heute auch ertragen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auf den Rückführungserlass warten wir seit 14 Monaten. Der Niedersächsische Landkreistag hat den ersten Entwurf als untragbar zurückgehen lassen. Es wird ja immer wieder angekündigt, dass er vorgelegt wird. Wir sind gespannt.

Ich habe vorhin vorausgesagt, Herr Minister, wie Sie sich bei der Sache herausreden werden, beispielsweise unter Berufung auf Flugzeiten.

Zum Schluss möchte ich - weil Sie das auch gemacht haben - noch zwei Beispiele nennen. Erstens nenne ich die Familie Osmani, die trotz Information des Innenministeriums auseinandergerissen und abgeschoben wurde. Am Ende waren ein Mitarbeiter des Innenministeriums und der Landrat von Lüchow-Dannenberg die Sündenböcke.

Zweitens nenne ich Motasem N., der trotz eines Selbstmordversuches am 19. März 2014 aus der Psychiatrie abgeholt, von seiner Frau getrennt und abgeschoben wurde.