Ihre Ernsthaftigkeit haben wir im letzten Plenum gesehen, als Sie einen Antrag eingebracht haben, der auf eine Gesetzesinitiative der Bundesjustizministerin abzielte, die die Landesregierung im Bundesrat unterstützen sollte. Diese Gesetzesinitiative hat es allerdings noch nicht einmal über den Kabinettstisch hinaus geschafft, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Nun ist der Datenschutz seit dem Abhörskandal um Kanzlerin Merkel voll im Aufwärtstrend. Aber, ehrlich gesagt, ist die Aufregung auf der Bundesebene sehr geheuchelt und ziemlich albern, wenn man sich nämlich vor Augen führt, wie es noch vor einigen Monaten war, als Bundeskanzleramtsminister Pofalla die Affäre vorschnell für beendet erklärte, als es nämlich nur um eine Totalüberwachung von Millionen von Bürgern ging. Jetzt auf einmal, wenn es um das Handy von Frau Kanzlerin Merkel geht, soll es wieder wichtig sein.
Die Empörung ist jetzt allerdings groß. Doch an der Politik ändert sich nichts. So berichtet SpiegelOnline am 28. Oktober unter dem Titel „Merkel bremst beim Datenschutz in Europa“:
„Kanzlerin Merkel präsentiert sich als empörtes Abhöropfer. Doch als es beim EU-Gipfel um Datenschutz für Europas Bürger ging, zeigte sich Merkel weit weniger engagiert.
Doch den Vogel bei der ganzen Debatte hat Herr Innenminister Friedrich abgeschossen, als er ein Supergrundrecht auf Sicherheit entwarf. Das steht so nicht im Grundgesetz, und er suggerierte damit, dass die Freiheit zurückstehen muss, wenn die Sicherheit in Gefahr ist. Das ist ein wenig so wie mit einer Schusswaffe, mit der man die Demokratie oder die Freiheit schützen will, und der Inhaber dieser Schusswaffe leitet plötzlich für die Waffe selbst einen zu verteidigenden Wert her. Dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir nämlich ein Problem; denn Sicherheit und Freiheitsrechte stehen nicht auf der gleichen Ebene.
In einem freiheitlichen Rechtsstaat sind es die Menschenrechte, denen die Sicherheit zu dienen hat. Das wird wohl jedem einleuchten, der sich die Sicherheitsapparate in diktatorischen Systemen anschaut. Sicherlich hat der Staat eine Schutzfunktion und eine Schutzverpflichtung, aber eben immer nur mit dem Ziel, die Freiheit der Bürger zu schützen. Die Sicherheit ist somit zweckgebunden. Nicht der Bürger muss begründen, warum er seine Freiheitsrechte behalten will, sondern die Politik muss begründen, warum sie in eben diese Freiheitsrechte eingreifen will.
Die Eingriffe müssen zudem verhältnismäßig sein. Das waren sie bei PRISM, Tempora und bei den anderen NSA-Instrumenten eben nicht. Insofern wurde dort das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung massiv unterwandert und darin eingegriffen; denn jeder wurde überwacht.
Wenn Innenminister Friedrich nun glaubt, er könne solche Eingriffe mit solch einem Supergrundrecht rechtfertigen, dann irrt er gewaltig. Vielmehr hat er als Innenminister den Auftrag, solche Eingriffe und Angriffe abzuwehren, auch wenn sie von NATOPartnern kommen. Wie es das Magazin The European sehr treffend formulierte:
„Wir sind in einem Verteidigungsbündnis, nicht in einem westlichen Spionage-Swingerclub, in dem jeder mal mit jedem darf.“
Damen und Herren. Auch in Niedersachsen haben wir massive Skandale um den Verfassungsschutz. Darüber werden wir auch im Rahmen dieser Landtagssitzung diskutieren. Dort werden wir Zeugen, wie der Verfassungsschutz Daten unzulässigerweise sammelte - und das alles unter CDU und FDP. Wenn mir jemand erzählte, dass Journalisten, Juristen, junge Menschen, die sich politisch engagieren, und auch Politikerinnen und Politiker unzulässigerweise beobachtet würden, dann würde ich zuerst an Nordkorea oder an die NSA denken, aber nicht an Niedersachsen. Dank Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir solche Zustände auch hier.
- Doch. Das zeigt doch die Ernsthaftigkeit der FDP. Sie versuchen jetzt, sich mit dem Datenschutz zu profilieren. Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, dass Sie, glaube ich, nur zwei Mitgliederentscheide in Ihrer Parteigeschichte hatten. Einer davon war zum Großen Lauschangriff. Dort wurde mit der Mehrheit Ihrer Parteibasis die Bespitzelung von Privaträumen bestätigt. Frau LeutheusserSchnarrenberger trat damals sogar zurück, meine sehr geehrten Damen und Herren. Auch bei ACTA haben lediglich zwei EU-Abgeordnete der Liberalen dagegen gestimmt, ansonsten einmütig dafür.
Danke schön, Herr Kollege Onay. - Für die Landesregierung hat sich der Innenminister gemeldet. Herr Pistorius, bitte sehr, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Birkner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir seit 1983 über ein weiteres, besonders wichtiges Grundrecht verfügen, und er hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass es zu einer Zeit geschaffen wurde, zu der wir das Internet noch gar nicht erfassen konnten, geschweige denn den heutigen Umgang mit Daten, die Nutzung von Daten, den Zugriff auf Daten, die Möglichkeiten, auf sie zuzugreifen, aber damit eben auch, wie sie missbraucht werden können. Ich füge hinzu: Dieses Grundrecht auf Datenschutz und auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, das auf Augenhöhe mit allen anderen steht. Das heißt im Umkehrschluss auch - darauf hat Herr Onay zu Recht hingewiesen -, dass es kein Supergrundrecht „Sicherheit“ geben kann.
Aber, meine Damen und Herren, seien wir ehrlich im Umgang miteinander! Das Sein bestimmt das Bewusstsein - oder anders ausgedrückt: Aktuelle Ereignisse prägen das Denken oder beeinflussen es zumindest. - So, wie zurzeit „Merkel-Gate“ - wie es neulich eine Zeitung beschrieb - für helle Aufregung sorgt - übrigens für viel mehr Aufregung als noch die NSA-Debatte vor drei Monaten, was mich persönlich ein wenig betroffen macht -,
erleben wir in diesem Kontext jetzt, dass der Datenschutz - ich will nicht sagen: sexy wird; das wird er nie werden; da gebe ich Frau Ross-Luttmann recht - und seine Notwendigkeit, uns alle - und zwar nicht nur Entscheidungsträger, sondern jeden Einzelnen von uns - vor dem Missbrauch seiner Daten zu schützen, eine vor sechs Monaten noch nicht vorhersehbare Renaissance erlebt.
Anders als Herr Onay begrüße ich, dass ich die alte FDP wiedererkenne, die sich genau um diese Fragen kümmert.
- Anfang der 80er-Jahre - kennengelernt habe. Ich freue mich darüber, weil es notwendige Debatten erleichtert, die wir führen müssen.
Aber ich habe gesagt: Wir müssen ehrlich miteinander sein. Wir müssen auch ehrlich zu uns sein, wenn wir sagen: Jetzt prägt das, was durch NSA
und anderes passiert, unser Denken und auch unsere politischen Perspektiven. Das Gleiche haben wir aber am 11. September 2001 erlebt. Auch das hat Denken beeinflusst und politische Entscheidungen maßgeblich beeinflusst, und zwar in die andere Richtung. Das Zitat von Benjamin Franklin beschreibt es ja. Ich betone aber: Auch da sollten wir ehrlich zueinander sein. Das wollte doch am 11. September 2001 niemand hören, sondern dazu muss es erst wieder ein abgekühltes Gemüt geben. Dazu muss es erst wieder den Blick für andere Notwendigkeiten geben, und zwar unverstellt von Bedrohungslagen, die dann gerne auch heraufbeschworen oder überstrapaziert werden, um Sicherheitsgesetze zu unterstützen oder zu verschärfen. Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich das heute hier, weil ich glaube, dass das der Zeitpunkt und der Ort ist, um uns auch für die Zukunft daran zu erinnern, dass es immer wieder um die Frage gehen wird: Wie halten wir die Waage zwischen Sicherheit und Freiheit in unserem Land, meine Damen und Herren?
Gerade die Erfahrungen mit Merkel-Gate - erlauben Sie mir, dass ich das noch einmal sage - machen deutlich, dass die staatliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger es nun einmal erfordert, dass wir uns mit der gegenwärtigen Situation nicht abfinden dürfen, meine Damen und Herren. Es muss alles getan werden, um die Einhaltung des deutschen und des europäischen Rechtes zu gewährleisten. Hier ist dann vor allem die neue Bundesregierung gefordert.
Auch Obama hat inzwischen eingeräumt, dass nicht alles, was technisch möglich ist, von den Geheimdiensten angewandt werden darf und soll, und er hat angekündigt, die Praxis zu überprüfen. Ich finde, das ist angesichts der Entwicklungen der vergangenen 12 oder 13 Jahre in den USA und anderswo eine bemerkenswerte Weichenstellung, die allerdings deutlich zu spät kommt.
Dazu gehört dann aber auch - auch darüber müssen wir in diesem Kontext reden -, dass wir vor dem Hintergrund dessen, was wir jetzt erleben, bestimmte Sicherheitsgesetze oder -abkommen der vergangenen Jahre auf den Prüfstand stellen müssen. Ich nenne hier z. B. das völkerrechtliche Abkommen zum Fluggastdatenaufkommen. Noch vor wenigen Monaten hat der Bundesinnenminister gefordert: Wir brauchen etwas Ähnliches in Euro
pa. - Wir müssen diese Übereinkünfte auf internationaler Ebene auf den Prüfstand stellen und ihre Notwendigkeit hinterfragen. Das Gleiche gilt für Abkommen über den Zahlungsverkehr und anderes.
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen gar nicht in die USA oder nach Brüssel gehen. Herr Dr. Birkner, ich würde mich mit Ihnen gerne darüber unterhalten, wo Sie mit Ihrer Auffassung waren, als CDU und FDP in der ersten Wahlperiode Ihrer Regierungszeit die präventive Telekommunikationsüberwachung auf den Weg gebracht haben.
Das war immerhin ein Gesetz, das vom Bundesverfassungsgericht in Bausch und Bogen für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt worden ist. Oder wo waren Sie, als es um das automatische Kennzeichenlesesystem gegangen ist? - Alles das sind Fragen, die am Ende Sie sich beantworten werden - oder auch nicht.
Die neue Landesregierung jedenfalls wird dem Datenschutz einen größeren Raum einräumen. Die entsprechenden Gesetzesvorhaben sind in Vorbereitung.