Protocol of the Session on October 30, 2013

Zugleich leben wir in einer Zeit, in der wir die Erhebung von Daten letztlich auch als Annehmlichkeit empfinden. „Big Data“ sorgt u. a. dafür, dass uns bei Amazon Bücher zum Kauf empfohlen werden, die uns gefallen könnten; Daten werden aggregiert, Nutzerprofile erstellt. Als Kunden wird uns mithilfe von Daten alles annehmlich, mithin bequem gemacht - ebenfalls ohne unser Wissen.

Der entscheidende Punkt ist: Auch unter dem Deckmantel von Bequemlichkeit und wirtschaftlicher Nützlichkeit dürfen Freiheits- und Bürgerrechte niemals aufgeweicht oder letztlich ausgehöhlt werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das haben wir zu spüren bekommen. Das hat sogar die Bundeskanzlerin dieses Landes zu spüren bekommen. Dass Frau Merkel abgehört wurde und vielleicht auch noch wird, bekümmert mich nicht wegen der Person von Frau Merkel, sondern wegen ihres Amtes und ihrer verfassungsrechtlichen Stellung.

(Zustimmung von Mechthild Ross- Luttmann [CDU])

Wenn Regierungschefs durch andere Staaten überwacht werden, dann ist die Souveränität eines Landes in Gefahr. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es gibt hinreichend Hinweise dafür, dass wir von dieser Ausspähpraxis auch in Niedersachsen in besonderer Weise betroffen sind. In Norden in Ostfriesland landet das

Datenkabel TAT-14 an, über das ein Großteil des transatlantischen Datenverkehrs abgewickelt wird. Es gibt seit geraumer Zeit mehrere Berichte, die darauf hinweisen, dass dieses Kabel direkt von der NSA und auch von britischen Geheimdiensten angezapft wurde. Damit entstünde Zugriff auf die Daten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Das ist doch der eigentliche Skandal, und das bekümmert mich wirklich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Man wundert sich ja doch gelegentlich, dass erst dann Aufmerksamkeit entsteht, wenn das Kanzlerinnenhandy höchst selbst angezapft wird. Ich glaube, manche, die noch vor Kurzem freimütig erklärt haben, die NSA-Affäre sei beendet, müssen sich korrigieren.

(Johanne Modder [SPD]: Unverant- wortbar!)

Sie ist keineswegs beendet, und es ist höchste Zeit für Aufklärung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jede Forderung, nur in Niedersachsen oder in Deutschland den Datenschutz neu zu regeln, wird aber dem Fortschreiten der Zeit nicht standhalten können. Denn es geht darum, wie der Datenschutz in der EU insgesamt geregelt ist. Noch immer haben wir hier einen Flickenteppich; 28 Mitgliedstaaten orientieren sich an einer Richtlinie von 1995. Damals war das Internet immerhin wirklich noch Neuland. Wir brauchen heute eine neue europäische Datenschutz-Grundverordnung, die für alle verbindlich gilt.

Ich will kurz fünf Eckpunkte nennen, von denen ich glaube, dass sie für die weitere Debatte wichtig sind.

Erstens. Wir brauchen ein Recht für jeden Einzelnen auf Auskunft über Daten, Löschung und Korrektur von Daten, die durch andere erhoben werden. Dazu gehört die explizite Einwilligung, wenn es zur Verarbeitung von Daten kommen soll.

Zweitens. Wir brauchen eine Informationspflicht und mehr Transparenz bei der Weitergabe von Daten. Das schließt auch und insbesondere die Datenweitergabe an Drittstaaten ein. Und es muss klare Sanktionen bei Verstößen geben.

Drittens. Wir brauchen „Privacy by Design“ und eine datenarme Verarbeitungspraxis sowie eine

Regelung, die mit wenig Bürokratie auskommt und eine einheitliche Rechtsdurchsetzung sicherstellt.

Viertens. Wir brauchen bei staatlich erhobenen Daten das Prinzip von Open Data. In Niedersachsen werden wir übrigens mit unserem Informationsfreiheitsgesetz dafür die Grundlagen schaffen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Fünftens. Wir müssen in der Bildung ganz am Anfang beginnen - Stichwort „Medienkompetenz“. Denn der Umgang mit Daten muss gelernt werden.

Kurzum: Meine Damen und Herren, die Logik der Überwachung muss durchbrochen werden. Die Parallelgesellschaften der Geheimdienste müssen aus dem Dunkel ins Licht der Öffentlichkeit gezogen und hinterfragt werden. Deshalb darf es auch nicht nur bei dieser Aktuellen Stunde bleiben; politisch verantwortliches Handeln ist gefragt. Darauf kommt es an.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. - Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Ross-Luttmann. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben heute in einer Zeit, in der die Entwicklung in der Informationstechnologie immer schneller voranschreitet. Datenerfassung, Datentransport und Datenspeicherkapazitäten nehmen weltweit rasend schnell zu. Daten werden in einem kaum überschaubaren Maße gesammelt. Aber nicht alles, was heute technisch möglich und machbar ist, sollte auch erlaubt und umgesetzt werden.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Der Bürger und die Bürgerin müssen im Einzelnen wissen, was mit ihren Daten passiert. Sie müssen die Möglichkeit der Kontrolle über ihre Daten haben.

Natürlich besteht hierbei auch ein Spannungsfeld; denn zum einen müssen die Persönlichkeitsrechte zuvörderst gewahrt werden, zum anderen hat die

Datensammlung aber auch positive Effekte. Ich will nur zwei Effekte nennen: Die Wissenschaft profitiert natürlich vom Datenaustausch und den bestehenden technischen Möglichkeiten. Auch die Demokratie kann gewinnen, wenn der mündige Bürger vielfache Informationsmöglichkeiten hat und sie auch nutzt. Die Volkszählung beispielsweise, basierend auf rechtlichen Vorgaben - ich glaube, das ist das Entscheidende: basierend auf rechtlichen Vorgaben -, hat den Kommunen die Möglichkeit gegeben, anhand von aktuellen Daten die Planungen für das künftige Zusammenleben der Menschen voranzutreiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich bringen diese neuen Technologien auch neue Gefahren. Darauf muss der Staat reagieren, um seine Bürger zu schützen. Die neuen Möglichkeiten der sozialen Begegnungen, beispielsweise in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, schaffen auch neue Möglichkeiten der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung. Nicht ohne Grund fordern gerade diese Woche fünf Schulleiter aus Cloppenburg dazu auf, beim Cyber-Mobbing nicht länger wegzuschauen. Auch ist auf das Phänomen des Sexting, also das Verbreiten intimer Bilder über Handys, zu reagieren. Hier muss aufgeklärt werden. Es muss immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, dass das, was einmal ins Internet gestellt wird, nicht vergessen wird. Das Internet vergisst nie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Staat hat - das ist zwangsläufig und notwendig - schon immer viele Daten gesammelt und verarbeitet. Ich will zwei Beispiele nennen: Erstens. Ein rechtmäßiger Einkommensteuerbescheid ist nicht ohne eine Vielzahl von Informationen über den steuerpflichtigen Dritten denkbar.

Zweitens. Der tiefe Einblick in privateste Angelegenheiten - etwa in den Jugendämtern oder bei den Krankenkassen - verlangt gerade einen sensiblen und bewussten Umgang mit diesen Daten. Deutschland ist in den letzten 30 Jahren mit der Einführung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und einer ausgefeilten Datenschutzgesetzgebung international ein Vorreiter gewesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland haben einen Anspruch darauf, dass sie keiner ständigen Überwachung von staatlichen Stellen unterliegen. Das gilt nicht nur für den deutschen Staat, sondern auch international. Die Überwachung führender

Politiker Deutschlands durch befreundete oder verbündete Nationen geht gar nicht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dass die Bundeskanzlerin, die gerade eindrucksvoll vom deutschen Volk in ihrer Amtsführung bestätigt wurde und erst vor zwei Jahren den höchsten zivilen Orden der USA erhalten hat, wohl mit Kenntnis von Barack Obama abgehört wurde, ist nicht hinnehmbar. Ich denke, das wird auch Folgen für das Ansehen dieses Präsidenten haben. Vielleicht sollte Herr Minister Wenzel noch einmal über seine vor knapp einem Jahr im Landtag geäußerten Worte nachdenken, als er am 9. November 2012 sagte:

„Wir freuen uns über ‚four more years’ für Barack Obama und gratulieren ihm.“

(Helge Limburg [GRÜNE]: Sie glau- ben doch nicht, dass es nicht besser geworden ist? Das ist doch lächerlich! Romney hätte noch viel mehr abge- hört!)

- Herr Limburg, das, was jetzt passiert ist, ist auch Herrn Barack Obama zuzurechnen. Ich glaube, wir sind uns hier im Landtag einig, dass das gar nicht geht. Wenn wir uns hier hinstellen und sagen, wir wollen, dass Persönlichkeitsrechte gewahrt werden, und zwar unabhängig von der einzelnen Person und unabhängig von dem Amt, das jemand bekleidet - jeder einzelne Bürger muss wissen, was mit seinen Daten geschieht -, dann muss es auch möglich sein, auf die Dinge hinzuweisen, die in diesem Landtag schon einmal besprochen worden sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist Aufgabe des Gesetzgebers, seine Bürger und Bürgerinnen vor Beleidigungen, vor Betrug, vor Missbrauch, vor Manipulation, vor Ausgrenzung und vor Extremismus zu schützen. Jeder Bürger sollte die Möglichkeit der Kontrolle seiner Daten haben. Ich denke, dass gerade diese Aktuelle Stunde dazu beitragen wird, dass wir uns mit dieser hoch sensiblen Frage noch weiter beschäftigen werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Ross-Luttmann. - Ebenfalls zu diesem Punkt der Aktuellen Stunde -

Persönlichkeitsrechte - hat sich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Belit Onay gemeldet. Herr Onay, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP versucht, sich neu zu erfinden. Das macht sie in den Ausschüssen. Dort weht uns auch ein Wind vermeintlicher Liberalität entgegen. Das versucht sie mit Entschließungsanträgen, und heute versucht sie es eben mit dieser Aktuellen Stunde. Sie hat dabei den Datenschutz für sich entdeckt - nicht, weil ihr der Datenschutz so sehr am Herzen liegt, sondern weil er gerade so sexy klingt.

(Zuruf von Christian Dürr [FDP] - Mechthild Ross-Luttmann [CDU]: Ich glaube nicht, dass Datenschutz sexy ist!)

Ihre Ernsthaftigkeit haben wir im letzten Plenum gesehen, als Sie einen Antrag eingebracht haben, der auf eine Gesetzesinitiative der Bundesjustizministerin abzielte, die die Landesregierung im Bundesrat unterstützen sollte. Diese Gesetzesinitiative hat es allerdings noch nicht einmal über den Kabinettstisch hinaus geschafft, meine sehr geehrten Damen und Herren.