Protocol of the Session on August 16, 2017

Meine Damen, meine Herren, seit Bestehen des Niedersächsischen Landtags ist dies erst die vierte Enquetekommission. Es handelt sich dabei um eine parlamentarische Besonderheit. Eine Enquetekommission ist weder ein Landtagsausschuss noch ein Untersuchungsausschuss im Sinne der Niedersächsischen Verfassung. Üblicherweise dient die Arbeit der Landtagsausschüsse der Kontrolle der Regierungsarbeit. Die Stoßrichtung einer Enquetekommission ist aber ganz anders gelagert; denn im Fokus stehen hier die eigenständige Aufarbeitung und Bewertung von komplexen Sachverhalten sowie die Unterbreitung von Vorschlägen, die für eine weitere Beschlussfassung des Landtages von Bedeutung sein können.

Unsere Kommission umfasst - oder „umfasste“ muss man demnächst ja sagen - siebzehn Mitglieder, und zwar elf Mitglieder des Landtages und sechs Sachverständige, die nicht Abgeordnete sind. Von den Abgeordneten gehören vier der CDU-Fraktion an, sechs der Zählgemeinschaft der Fraktionen von SPD und Grünen sowie einer der Fraktion der FDP.

Bei den Sachverständigen handelt es sich zum einen um einschlägig profilierte Wissenschaftler. Wir sind sehr stolz darauf, dass die uns auch zur Seite gestanden haben. Ich nenne hier z. B. Frau Professorin Dr. Daniela Münkel vom BStU, Profes

sor Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann von der Leibniz Universität Hannover oder Samuel Salzborn von der Georgia-Augusta Göttingen. Unter ihnen war auch der zwischenzeitlich verstorbene Dr. Hans-Jürgen Grasemann, den wir in wirklich sehr guter Erinnerung haben, weil er uns hervorragend unterstützt hat. Herr Grasemann war über einige Jahre stellvertretender Leiter der Zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Mit Silke Stokar und Hartmut Büttner wurden zwei ehemalige Bundestagsabgeordnete Mitglieder des Gremiums, die schon im Bundestag in unterschiedlichen Kommissionen und Gremien zum Thema „Stasi und Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit“ gearbeitet haben.

Ich denke, ihnen allen gebührt ein großer Dank für die Einbringung von so viel Expertise und Engagement.

(Beifall)

Unsere Enquetekommission zur Aufarbeitung der Stasiaktivitäten in Niedersachsen hat Neuland betreten. Sie ist die erste Kommission dieser Art in den alten Bundesländern. Dies betrifft sowohl die inhaltlich-thematischen Aspekte als auch die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik mit ihren ganz jeweils eigenen unterschiedlich gewachsenen Diskussions- und Diskurskulturen. Hierzu kann ich sicherlich einiges als Bindeglied beitragen, weil ich lange Zeit als Wissenschaftlerin, als Historikerin, gearbeitet habe, bevor ich in den Landtag gekommen bin. Auch ich habe erlebt, wie schwierig es manchmal vom Denken her ist. Man ist in anderen Zeitabläufen, in anderen Logiken verhaftet. Man muss es einfach zusammenbringen. Dass man das fruchtbar machen kann, zeigt, glaube ich, auch unsere Kommission.

Doch nicht nur in diesen unterschiedlichen Kulturen der Diskussion, Wissenschaft und Politik zusammenzuführen, lag von Anfang an auch ein gewisser Reiz.

Eine systematische Aufarbeitung des Wirkens der Staatssicherheitsorgane der DDR in Niedersachsen gibt es bisher noch nicht. Dies gilt nicht nur mit Blick auf Niedersachsen, sondern es gilt auch für die übrigen westdeutschen Bundesländer. Unsere Kommission hat deshalb eine Vorreiterfunktion eingenommen, auch im Sinne der politischen Auf

arbeitung der gemeinsamen deutsch-deutschen Geschichte.

Dabei war eine wesentliche Herausforderung, im begrenzten Einsetzungszeitraum bis ungefähr Frühjahr 2017 zu vorzeigbaren Ergebnissen zu kommen. Zur Bearbeitung der im Einsetzungsbeschluss definierten Themen wurde ein mehrstufiges Verfahren festgelegt. Wir haben für uns selber Regel aufgestellt, um dieses mehrstufige Verfahren einzuhalten.

Erstens: die Erstellung eines kommentierten Findbuches zur Dokumentation der archivalischen Bestände zu den Themenfeldern des Einsetzungsauftrages. Letztlich ist das Aufbewahren von Archivalien kein Selbstzweck. Sie müssen entdeckt, historisch aufgearbeitet und interpretiert werden. Lehren für das demokratische Miteinander und gegen Repression und Verfolgung sind daraus zu ziehen. Unsere Demokratie muss verteidigt werden. Dazu trägt das Wissen über Methoden und Aktivitäten der Gegner von Demokratie natürlich einiges bei. Ich bin davon überzeugt, dass dies mit dem von Frau Dr. Elke Kimmel erstellten Findbuch gelingen wird. Es wird eine gute Grundlage für weitere Forschungsarbeiten sein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens haben wir im April 2016 ein wissenschaftliches Symposium hier in diesen Räumlichkeiten durchgeführt. Dies war sehr gut besucht, und es war auch eine tolle Fachöffentlichkeit dabei. Einschlägig Forschende haben sich beteiligt. Die Beiträge werden in einem Tagungsband präsentiert.

Drittens fanden in der Enquetekommission Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen statt. Unser Kommissionsmitglied Hartmut Büttner, der heute auch anwesend ist, hat sich bei den Vorbereitungen sehr verdient gemacht. Ich freue mich, Herrn Preuß begrüßen zu können, der als Sprecher der Opferverbände heute hier ist.

(Beifall)

Den Opfern des MfS in Niedersachsen hat die Kommission bewusst großen Raum eingeräumt. Ihre erschütternden Lebens- und Leidensgeschichten lösten bei uns allen große Betroffenheit aus. Es ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, mit welch großer Offenheit die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichteten. Wir sind ihnen allen zu großem Dank verpflichtet, dass die traumatisierenden Ereignisse und Drangsale der Kommission gegenüber berichtet wurden. Die Gespräche mit den

Zeitzeugen - ich glaube, da sind sich alle Mitglieder der Kommission einig - gehören zu den eindrucksvollsten Sitzungen, und sie werden in einer dreibändigen Veröffentlichung dokumentiert.

Mit Abschluss der Arbeit der Enquetekommission werden diese Arbeitsergebnisse nun in einer dreibändigen Publikation vorgelegt, die dieser Tage in den Druck geht und in einigen Wochen vorliegen soll. Diese soll natürlich gleichzeitig auch Basis für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung des Themas sein.

Meine Damen, meine Herren, die Kommission hat eine Reihe von Erkenntnissen zutage gefördert. Zum einen geht es darum, einen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten, zum anderen geht es aber auch um auf die Zukunft gerichtete Empfehlungen. Was es bedeutet, in einem geteilten Land zu leben, kennt eine Vielzahl von uns, die wir hier zusammensitzen. Die jüngere Generation kennt das aber nicht mehr. Dies zu vermitteln, wird mit zunehmender zeitlicher Distanz immer schwieriger. Die Empfehlungen sollen von daher auch einen Impuls geben, Erinnerung und Aufarbeitung voranzubringen.

Zu den Empfehlungen im Einzelnen, die Ihnen ja auch als Drucksache zugegangen sind:

Besonderes Augenmerk wurde auf die Befassung mit den Opfern von Stasiunrecht gerichtet. Es gibt deshalb Empfehlungen zur Anerkennung, Hilfe und Entschädigung der Opfer. Unter anderem soll die bestehende Opferberatungsstelle in Niedersachsen so lange fortgeführt werden, bis hierfür keine weitere Nachfrage mehr besteht. Unter anderem soll das Land eine Bundesratsinitiative ergreifen und die Rehabilitierungszuwendungen nicht mehr an eine bestimmte Zeit der Haftstrafe binden.

Etliche Empfehlungen beziehen sich auf die Bereiche Schule, Erinnerungskultur, Forschung und Lehre. Beispielsweise sollen Gedenkstätten und Ausstellungen mit Bezug zur SED-Diktatur und mit Bezug auf Niedersachsen künftig stärker gefördert sowie Maßnahmen ergriffen werden, die die Auswirkungen staatlicher Unrechtsherrschaft künftig greifbarer machen. Hierzu gehört auch die Einbeziehung digitaler Medien.

Des Weiteren soll die Einflussnahme der Stasi auf Abgeordnete, deren Mitarbeiter und Parteien untersucht werden. Außerdem erscheint der Kommission ein Verbundprojekt „Stasi in Niedersachsen“ lohnenswert. Die weitere Untersuchung des Stasieinflusses auf Niedersachsen steht aber im

mer noch am Anfang. Ideen, wie diese Untersuchung aussehen könnte, gibt es viele.

Meine Damen, meine Herren, am Ende dieser Kommissionsarbeit möchte ich mich ganz herzlich bei all denen bedanken, die uns Auskunft gegeben haben.

Zuallererst möchte ich die Zeitzeugen nennen, die sich zur Verfügung gestellt und in großer Offenheit auf unsere Fragen geantwortet haben. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der unterschiedlichsten Ministerien sind zu nennen, vor allem aber auch unser Ausschussreferent, Herr Gutzler, und Frau Dr. Kresse vom Stenografischen Dienst, die dieses nicht alltägliche Gremium immer hervorragend unterstützt und begleitet haben.

(Beifall)

Eine hervorragende Unterstützung haben wir durch die Archive, beispielsweise das Niedersächsische Landesarchiv Hannover, aber auch die Archive in Magdeburg und Berlin, erfahren.

Allen voran möchte ich den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Herrn Roland Jahn, nennen. Er war ein ganz wichtiger Wegbegleiter und Unterstützer unserer Kommission.

Mein Lob und mein Dank gelten - das sage ich auch als Vorsitzende der Enquetekommission - insbesondere allen Kollegen aus dem Landtag. Wir haben, glaube ich, sehr produktiv und konstruktiv miteinander gearbeitet; das ist nicht immer in dieser Form der Fall. Dafür herzlichen Dank! Es war wirklich eine sehr angenehme Atmosphäre. Es war hervorragend, finde ich, wie wir das hinbekommen haben, das war klasse, obwohl das Themenfeld manchmal schwer zu bewältigen war.

Die historische, fachliche Aufarbeitung ist aber nur das Eine. Sie hätte zwischen zwei Buchdeckeln Platz gehabt. Das Interesse der Enquetekommission geht aber darüber hinaus. Die Aufarbeitung von Stasiunrecht braucht Aufmerksamkeit. Am Ende muss es auch darum gehen, wie Vermittlungsarbeit geleistet werden kann, wie die Öffentlichkeit, wie vor allem junge Menschen über das Thema informiert werden. Deshalb freue ich mich sehr über das beachtliche Presse- und Medieninteresse an unserer Arbeit. Im Rahmen unserer Arbeit war es auch mehrfach möglich, an Veranstaltungen teilzunehmen und über unsere Tätigkeiten zu berichten, z. B. in Berlin, Teistungen und Hannover.

Meine Damen und Herren, die Enquetekommission will ein nicht zur Genüge aufgearbeitetes Kapitel der jüngeren deutschen und auch niedersächsischen Geschichte aufarbeiten und dies mit einer Mahnung verbinden. Demokratie ist das Grundprinzip der Gesellschaft, in der wir leben. Demokratie ist aber keine Selbstverständlichkeit. Sie muss immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Mechanismen, Methoden und Ausmaß staatlicher Unterdrückung aufzuarbeiten, ist auch ein Beitrag dazu, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für die Zukunft zu rüsten und zu stärken.

Die Arbeit der Enquetekommission ist heute beendet; das ist völlig zutreffend. Aber mit der demnächst folgenden Veröffentlichung der Begleitbände wird die Forschung weitergehen, wird das Interesse hoffentlich auch andernorts geweckt werden. Die Auseinandersetzung mit diesem Kapitel unserer jüngsten deutsch-deutschen Geschichte ist hingegen noch lange nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil: Sie wartet geradezu auf ihre Aufarbeitung, solange es noch Zeitzeugen gibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Lesemann. - Das Wort hat jetzt Volker Meyer für die CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Meyer!

(Zustimmung von Adrian Mohr [CDU])

- Herr Meyer, ein Fan!

(Björn Thümler [CDU]: Was hat das gekostet?)

Immerhin, Herr Präsident.

Das kann sich nur steigern. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenige Tage nach den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit hier in Hannover reichte die CDULandtagsfraktion einen Antrag zur Einrichtung einer Enquetekommission mit dem Titel „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Nieder

sachsen aufarbeiten“ ein. Schließlich kamen alle vier hier im Landtag vertretenen Fraktionen überein, diese Enquetekommission einzurichten. Frau Lesemann hat es bereits gesagt: Es ist die vierte Enquetekommission seit Bestehen des Niedersächsischen Landtages.

Die Aufgaben einer Enquetekommission sind die eigenständige Aufarbeitung und Bewertung von komplexen Sachverhalten aus dem Untersuchungsauftrag sowie die Unterbreitung von Vorschlägen für weitere Beschlüsse des Landtages. Warum betone ich die eigenständige Aufarbeitung und Bewertung besonders? Bei aller Gemeinsamkeit der Fraktionen im Laufe des Arbeitsprozesses - zu Beginn war es doch schwer, einen gemeinsamen Weg zu finden. Man musste den Eindruck gewinnen, dass SPD und Grüne diese Arbeit am liebsten durch die Landesregierung hätten machen lassen. Dies widerspricht aus unserer Sicht dem grundsätzlichen Wesen einer Enquetekommission. Es widerspricht auch dem Selbstverständnis dieses Hauses sowie dem Selbstverständnis unserer Parlamentarier. Hierüber sollten Sie, glaube ich, in Zukunft noch einmal nachdenken. Wir als Parlamentarier sollten so viel Selbstbewusstsein haben, dass wir unsere eigenständig ermittelten Ergebnisse auch entsprechend vertreten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Enquetekommission ist die erste Kommission dieser Art in den alten Bundesländern. Eine systematische Aufarbeitung des Wirkens der Staatssicherheitsorgane der DDR gab es bisher noch nicht. Dies gilt mit Blick nicht nur auf Niedersachsen, sondern auch auf die übrigens westdeutschen Bundesländer.

Mit der Einrichtung der Enquetekommission wurde die Aufarbeitung der Machenschaften der Stasi als gesamtdeutsche Aufgabe anerkannt. Dies fand bundesweit eine hohe Anerkennung. Somit könnte diese Kommission auch Vorbildcharakter für andere westliche Länder haben, was, denke ich, überaus erfreulich wäre.

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Mit Abschluss der Arbeit der Enquetekommission werden diese Arbeitsergebnisse nun in einer dreibändigen Publikation vorgelegt. Dies sollte gleichzeitig auch Basis für eine weitere wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas sein. Insbesondere die Anhörung der Zeitzeugen hat gezeigt, dass die historische Sichtweise nur ein Teilbereich ist. Bei