Ich eröffne die Beratung und erteile das Wort dem Kollegen der FDP-Fraktion. Bitte, Herr Kollege Oetjen!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diesen Antrag im September des vergangenen Jahres in den Landtag eingebracht. Die Situation von damals hat sich bis heute eigentlich nicht verändert: Eine große Zahl von Flüchtlingen ist nach Deutschland und auch nach Niedersachsen gekommen, und nachdem die ersten Probleme mit Unterbringung und Ähnlichem geklärt waren, musste Integration stattfinden - was aber letztlich nicht passiert ist.
Wir haben den Eindruck, dass sich die Fehler, die wir in der Vergangenheit bei der Integration gemacht haben, heute zum Teil wiederholen. Aber das, meine Damen und Herren, wäre für unsere Gesellschaft fatal. Daher haben wir diesen Antrag gestellt.
Ich bedauere, dass die Fraktionen von SPD und Grünen diesen Antrag nicht nur ablehnen, sondern anscheinend auch keine eigenen Ideen zum Thema Integration entwickeln.
Der Schlüssel für die Integration ist aus unserer Sicht die Sprache. Deswegen wollen wir, dass jeder Mensch, der nach Deutschland kommt, einen Deutschkurs macht, und das unabhängig davon, wie sein zukünftiger Weg aussehen wird. Wir glauben, dass das Erlernen der deutschen Sprache für jeden Menschen - unabhängig davon, ob er bei uns bleibt oder irgendwann wieder in sein Heimatland zurückkehrt - und für unsere Gesellschaft ein Gewinn ist.
Wir wollen, dass Kinder möglichst früh in die Kindergärten kommen. Dort mit anderen Kindern zu spielen, ist für sie der einfachste Weg zur Integration. Und wir wollen, dass die Kinder, die schon im Schulalter sind, in Sprachlernklassen möglichst schnell Deutsch lernen und so möglichst gut auf ihrem Schulweg gefördert werden.
Aber was macht Rot-Grün an dieser Stelle? - Anstatt draufzusatteln und mehr Lehrer für die Sprachförderung von Kindern zur Verfügung zu stellen, werden 550 Stellen zum neuen Schuljahr abgebaut. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
ist aber genau das falsche Signal. Wir brauchen mehr Lehrer, die sich um die Sprachvermittlung kümmern, und nicht weniger, so wie Rot-Grün das im Moment macht.
Für Erwachsene ist die Arbeit der Motor für Integration. Wir wollen Hürden bei der Arbeitsvermittlung abbauen, wir wollen vor Ort ermöglichen, dass Patenschaften für Flüchtlinge in Betrieben übernommen werden, dass Praktika ermöglicht werden. Und wir müssen insbesondere die Berufsschulen und die Ausbildung im Handwerk darauf vorbereiten.
Wir wissen doch, dass wir für viele handwerkliche Berufe heute kaum noch Auszubildende finden. Die Situation in den Regionen ist zum Teil dramatisch, wenn es darum geht, Auszubildende für die klassischen Handwerksberufe wie Maurer, Gerüstbauer oder Bäcker zu finden. Diese Betriebe sind gern bereit, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen Ausbildungsoptionen anzubieten.
Es ist gut, dass es die 3-plus-2-Regelung gibt, dass also Auszubildende nicht abgeschoben werden dürfen. Unterstützen müssen wir die Flüchtlinge jedoch auch bei dem schulischen Teil der Ausbildung, sodass sie ihn erfolgreich absolvieren können. Dafür brauchen wir zusätzliche Ressourcen. Den praktischen Teil bekommen sie gemeinsam mit den Betrieben hin. Aber im schulischen Teil müssen wir sie vor allem beim Spracherwerb stärker unterstützen. Dort passiert zu wenig.
Die Hauptlast bei der Integration tragen derzeit die Kommunen. Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund hat am 31. Mai in Harsefeld eine Resolution beschlossen. Es geht darum, was die Kommunen alles leisten. Das Problem ist ja Folgendes: Die Kommunen erhalten die Pauschale für diejenigen Menschen, die im Asylverfahren sind. Wenn diese Menschen aus dem Asylverfahren heraus sind, also eine Anerkennung bekommen haben, beispielsweise im subsidiären Schutz, bleiben sie vor Ort. Den Kommunen fehlen jedoch die Mittel, um vor Ort die Integration zu gewährleisten.
Die Aufgaben bleiben natürlich weiter bestehen. Die praktische Integrationsarbeit vor Ort muss weiterhin durch die Kommune gewährleistet werden, unabhängig vom Status der Person. Es geht u. a. darum, dass Integrationshelferinnen und
helfer vor Ort bezahlt werden müssen, es geht darum, dass zusätzliche Plätze in Schulen und Kindertagesstätten geschaffen werden müssen, es geht um Hilfe bei der Integration durch Sozialpädagogen, es geht um psychologische Betreuung, es geht um die Vermittlung von Flüchtlingen in Sprach- und Integrationskurse, es geht um die aktive Förderung der Teilhabe von Mädchen und Frauen am gesellschaftlichen Leben.
All das sind Aufgaben, die vor Ort wahrgenommen werden, für die dort aber keine Mittel zur Verfügung stehen. Deswegen fordert der Städte- und Gemeindebund eine zusätzliche Integrationspauschale, die das Land den Kommunen zur Verfügung stellen soll.
Meine Damen und Herren, Ich finde, die Kommunen haben recht. Das Land darf sie an dieser Stelle nicht alleine lassen, sondern muss ihnen die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, damit diese Aufgaben ordentlich wahrgenommen werden können. Hier ist die Landesregierung in der Pflicht und darf die Kommunen und auch die Flüchtlinge nicht im Regen stehen lassen.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Filiz Polat [GRÜNE]: Unverschämt! - Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Sie be- haupten das so einfach, ohne es zu belegen! - Gegenruf von Jan- Christoph Oetjen [FDP]: Das sind die Ausführungen vom Städte- und Ge- meindebund vom 31. Mai! - Gegenruf von Filiz Polat [GRÜNE])
Lieber Kollege Oetjen, vielen Dank. - Frau Polat, Sie alle haben noch die Möglichkeit, sich zu Wort zu melden. Jetzt hat aber für die SPD-Fraktion Frau Doris Schröder-Köpf das Wort. Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg: Ich bin schon ein wenig erstaunt, dass Sie gar nicht zu Ihrem Antrag gesprochen haben.
„Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren, wir haben unseren Beruf verloren und damit das Ver
trauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwo von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle.“
Sehr geehrte Damen und Herren, diese Beschreibung stammt von einem der berühmtesten Flüchtlinge unseres Landes, von Hannah Arendt, nach der seit dem 2. April 2015 der Platz hier vor dem Hohen Haus benannt ist. Die Philosophin und Politologin aus Hannover-Linden ist 1975 in New York gestorben, nie mehr ganz nach Deutschland zurückgekehrt. Was Hannah Arendt 1943 aus eigener leidvoller Erfahrung beschrieb, hat eine geradezu erschreckende zeitlose Gültigkeit. Sie flüchtete damals über den Atlantik in eine neue, damals auch noch bessere Welt.
Nur wenige hundert Meter von hier, im Niedersächsischen Landesmuseum, steht als Exponat im Rahmen einer Sonderausstellung derzeit das brüchige Symbol einer jüngeren Flucht: ein kleines hölzernes Schlepperboot, auf dem erst vor kurzer Zeit 80 Menschen auf geradezu wundersame Weise die Überfahrt über das Mittelmeer gelang.
Sehr geehrte Damen und Herren, allein am vergangenen Wochenende wurden etwa 2 850 Menschen von italienischen und internationalen Einsatzschiffen aus dem Mittelmeer gerettet. Laut UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, haben von den etwa 72 000 Flüchtlingen mindestens 1 850 die Überfahrt nicht überlebt oder gelten als vermisst. Es sind zumeist die Stärksten und Wohlhabendsten, die den gefährlichen Seeweg überhaupt versuchen und ihn auch bezahlen können. Der sicherere Landweg ist ja gerade versperrt. Dazu schreibt Cordula Meyer im neuesten Spiegel:
„Statt Deutschland schlossen im März 2016 die südosteuropäischen Länder ihre Grenzen und damit die Balkanroute. Gleichzeitig handelte Merkel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan den EUFlüchtlingsdeal aus. Die Drecksarbeit macht seitdem die Türkei für uns.“
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin sicher, es wird nicht still bleiben angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen, die in ihren Ausläufern derzeit Deutschland und Niedersachsen noch erreichen.
Deshalb ist es gut, dass wir hier und heute aufgrund des FDP-Antrags erneut über das Instrumentarium diskutieren, mit dem wir den Geflüchteten von gestern - aber eben auch denen von morgen - die besten Voraussetzungen zur gelingenden Integration schaffen, auch wenn die meisten der in dem Antrag genannten Vorschläge meines Erachtens durch Regierungshandeln erledigt sein dürften.
Etwa bei der Vorrangprüfung, die wir in Niedersachsen bis zum 5. August 2019 ausgesetzt haben. Das ist der Spielraum, den wir haben. Wir wissen ja, dass die Vorrangprüfung den Zugang zum Arbeitsmarkt für die Geflüchteten verzögert, ohne ihn für heimische Kräfte zu erleichtern. Außerdem haben wir Vertrauen in die Unternehmerinnen und Unternehmer, selbst am besten beurteilen zu können, wen sie benötigen und einstellen.
Wir haben auch Vertrauen, dass es gelingen wird, Vielfalt als Normalität zu begreifen und von ihr zu profitieren. Deshalb tun wir gut daran, auch bei der Suche nach guten Ideen weiterhin Grenzen hinter uns zu lassen.
Nur ein Beispiel: In Schweden - so berichtet die Zeitschrift Internationale Politik - können Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern als Lehrkräfte tätig waren, Unterricht in ihrer Muttersprache erteilen und parallel die Qualifizierung fürs Lehramt nachholen. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe und erreicht einen Mehrwert für alle.
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns kurz gemeinsam zurückblicken, um uns die Dimension des Kraftaktes bei der Flüchtlingsaufnahme noch einmal vor Augen zu führen. Seit unserem Regierungsantritt im Jahr 2013 wurden beinahe 172 000 Flüchtlinge in Niedersachsen neu registriert. In der gleichen Zeitspanne zuvor - zwischen 2008 und 2012 - waren es nur 18 600. Schon die Zahlen sind beeindruckend, und doch vermögen sie nicht annähernd den weiten Weg zu beschreiben, den wir in diesen Jahren gemeinsam zurückgelegt haben. Die nachhaltigen Umbrüche hat der Gesellschaftsforscher Professor Steven
Vertovec vom Max-Planck-Institut in Göttingen als die „zweite Wende“ in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, von der Bereitstellung von Schlaf- und Unterbringungsplätzen - in Hochzeiten beinahe 50 000 -, der medizinischen Versorgung, über flächendeckende Sprachförderprogramme auf allen Bildungsebenen bis zu umfassenden Maßnahmenpaketen zur Arbeitsmarktintegration zusammen mit Kommunen und Kreisen, mit Vereinen und Verbänden, Kirchen und Unternehmen hat die Landesregierung Strukturen geschaffen, die einen erfolgreichen Integrationsprozess, wenn auch nicht garantieren, so zumindest doch einleiten und ermöglichen.
In mehreren Ausschusssitzungen wurden die Mitglieder des Landtages in den vergangenen Monaten detailliert informiert. Ich werde aus Zeitgründen auf die Aufzählung verzichten; das geht aus den Protokollen sehr schön hervor, was es da alles an Angeboten gibt.
Was zu diesen Jahren, die sicher in die Geschichtsbücher und in das gesellschaftliche Gedächtnis eingehen werden, auch gehört, ist das Engagement der Menschen - all jener, die unserem Land von Emden bis Friedland ein freundliches Gesicht gegeben haben.