Vielen Dank, Herr Kollege Scholing. - Für die FDPFraktion hat nun das Wort Herr Kollege Försterling. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur, dass wir in fast jedem Plenarabschnitt Eingaben von Eltern, Lehrkräften oder Kreiselternräten behandeln, die uns bitten, die Förderschule Lernen nicht auslaufen zu lassen, nein, dieser Tage erreichen uns Abgeordnete, aber auch die Förderschulen Lernen zahlreiche Anrufe besorgter Eltern, die sich fragen: Wie geht es mit meinem Kind im kommenden Schuljahr eigentlich weiter? Gibt es nicht doch irgendeine Möglichkeit, mein Kind auch im Jahrgang 5 in der Förderschule Lernen beschulen zu lassen?
Wenn Sie im Land unterwegs sind und mit Eltern sprechen, die diese schwere und nicht einfache Entscheidung für ihr Kind treffen wollen, nämlich ihr Kind zu einer Förderschule Lernen zu schicken, dann merken Sie, dass sich die Eltern ganz genau überlegen, ihr Kind dorthin schicken zu wollen.
Einen Moment, bitte, Herr Försterling! - Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Thema hat wirklich Ihre Aufmerksamkeit verdient. Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Plenarsaal. Wir werden erst fortfahren, wenn die Ruhe im Plenarsaal wieder hergestellt ist. Das betrifft vor allem die Beratungen in den Fluren. - Vielen Dank. - Bitte, Herr Kollege!
Ich denke, es ist wichtig, dass wir als Parlament nicht nur in der Debatte die notwendige Aufmerksamkeit an den Tag legen, sondern auch den Eltern den erforderlichen Respekt entgegenbringen, die diese Entscheidung für ihre Kinder treffen wollen. Wenn das ein flächendeckender Wunsch ist - und dieser Wunsch ist in der Tat flächendeckend -, dann sind wir als Parlament doch gut beraten zu sagen: Ja, dann lassen wir die Förderschule Lernen eben nicht auslaufen.
(Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Es gibt schon jetzt Landkreise, die kom- plett ohne Förderschule auskommen!)
- Ja, es gibt Landkreise, die kommen komplett ohne Förderschule Lernen aus. Warum aber wollen Sie das auch all den anderen Landkreisen im Land vorschreiben? - Sie wollen das, weil das Ihre Ideologie ist. Und das ist das Problem!
Wir haben immer gesagt: Förderschulen Lernen können auslaufen, wenn Eltern diese Schule nicht mehr wünschen. - Eltern aber wünschen diese Schulen. Respektieren Sie doch einmal den Wunsch der Eltern! Respektieren Sie doch einmal die Kinder als Individuen! Versündigen Sie sich nicht aufgrund Ihrer ideologischen schulpolitischen Vorstellungen an den Kindern, meine sehr geehrten Damen und Herren!
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist Ideologie! Unglaublich! - Grant Hen- drik Tonne [SPD]: Sie sind der Letzte, von dem wir uns etwas sagen lassen!)
Ich sage Ihnen noch eines: Den Eltern reicht es, dass sich die Kultusministerin jedes Schuljahr aufs Neue hinstellt und sagt: „Inklusion in Niedersachsen ist ein Erfolgsmodell, weil sich wieder mehr Schülerinnen und Schüler für Inklusion entscheiden.“ Warum entscheiden die sich denn dafür? - Weil sie sich gar nicht anders entscheiden können, sondern weil sie gezwungen sind, eine Regelschule zu besuchen, da Sie die Förderschulen Lernen abschaffen.
Ich will auch einmal aufräumen mit der Mär, dass die Förderschulen Lernen im Sekundarbereich zwangsläufig auslaufen, weil man sie auch schon im Primarbereich hat auslaufen lassen. Es gibt hier eben keine Zwangsläufigkeit. Auch heute gibt es viele Eltern, die sich wünschen, dass ihr Kind nach Abschluss der vierten Grundschulklasse eine Förderschule Lernen besucht. Auch das gilt es zu respektieren.
Und ja: Wir haben 2012 in diesem Parlament versucht, einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen. Und ja: Wir haben versucht, die Grünen mit ins Boot zu holen. Wir haben versucht, auch die SPD mit uns Boot zu holen. Die SPD war nur mit dem Signal mit ins Boot zu holen, dass mindestens eine Förderschulart ausläuft. Wegen des gesellschaftlichen Konsenses waren wir bereit, die Förderschule Lernen im Primarbereich auslaufen zu lassen.
Es war umso mehr ein Fehler, wenn man sieht, wie Sie Ihre ideologische Schulpolitik heute fortsetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich bin es leid, dass Sie uns nur deshalb, weil wir ein Bekenntnis zur Förderschule Lernen abgeben, vorwerfen, wir wollten aus der Inklusion aussteigen. Nein, das wollen wir nicht! Wir wollen auch diesen Kindern keine Chancen nehmen. Dann müssten Sie sich doch einmal fragen, ob Sie aufgrund des von Ihnen vorgesehenen Fortbestands der Förderschulen Sprache, Geistige Entwicklung, Körperliche und Motorische Entwicklung sowie der Landesblindenschulen nicht auch Inklusionsgegner sind. Oder wollen Sie den Menschen jetzt endlich einmal die Wahrheit sagen, dass das erst der Anfang Ihrer Schulideologie ist und Sie in der nächsten Legislaturperiode am liebsten auch noch die anderen Förderschulen auslaufen lassen wollen? - Dann sagen Sie das den Menschen diesmal aber vor der Wahl, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Dann werden Sie erleben, dass die Eltern Sie am 14. Januar zu Recht abwählen werden wegen Ihrer verfehlten Inklusionspolitik, wie auch die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen abgewählt worden sind.
Vielen Dank, Herr Kollege Försterling. - Auf Ihren Beitrag hin gibt es eine Kurzintervention des Kollegen Scholing. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! De facto treten Sie dafür ein, die bestehenden Förderschulen Lernen in diesem Land im nächsten Schuljahr abzuschaffen. Wenn Sie wirklich keine weiteren abschaffen wollen, dann stimmen Sie zumindest dem Gesetzentwurf der CDU zu! Dann werden Sie Ihr Versprechen, das Sie hier gerade abgegeben haben, erfüllen. Ich traue Ihnen wie viele Eltern in diesem Punkt nicht mehr über den Weg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Seefried durchaus dankbar dafür, dass er den Gesetzentwurf seiner Fraktion so sachlich eingebracht hat, bevor der Beitrag von Herrn Försterling am Ende leider vollends in Wahlkampfklamauk abgedriftet ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche Wahlkampfrhetorik hat dieses wirklich ernste und wichtige Thema nicht verdient.
Ich möchte beginnen mit ein paar persönlichen Erfahrungen. Hier ist ja schon viel über persönliche Erfahrungen gesprochen worden, die in Gesprächen mit Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie mit Lehrkräften gemacht worden sind. Immer dann, wenn die Debatte auf die Förderschule Lernen kommt, denke ich einerseits an meine eigene Schulzeit, andererseits aber auch an meine berufliche Tätigkeit als Lehrkraft zurück.
In meiner eigenen Schulzeit war ich Realschüler in einem Ort in der Nähe von Braunschweig. Dort gab es drei Schulstandorte: die Realschule, damals noch die Orientierungsstufe und eine Förderschule
Sie kennen sicherlich alle aus Ihrer Schulzeit noch den Begriff der Sonderschule. Der Bus fuhr zuerst Realschule und Orientierungsstufe an, danach dann die sogenannte Sonderschule. Sie kennen das vielleicht auch, jedenfalls einige von Ihnen, dass sogenannte Sonderschüler damals - so würde man heute sagen - Stigmatisierung ausgesetzt waren. Wir haben damals gesagt, dass sie gehänselt wurden.
Das führte dazu, dass es zu einem ernst zu nehmenden Problem wurde, dass diese Schülerinnen und Schüler häufig zu spät kamen. Was war der Hintergrund? Sie sind, um nicht als sogenannte Sonderschüler erkannt zu werden, am Realschulzentrum ausgestiegen und haben den langen Fußmarsch ans andere Ende des Ortes auf sich genommen, um zur Sonderschule zu kommen.
Das zeigt die Problematik, die sich dargestellt hat, bevor wir überhaupt an Inklusion zu denken wagten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr froh, dass wir heute wesentliche Schritte weiter sind.
Die zweite Erfahrung aus meiner beruflichen Tätigkeit, wie ich sie hier schon immer wieder geschildert habe: Ich war Lehrer an einer Berufsbildenden Schule in Goslar in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Förderschule Schwerpunkt Lernen. Wir hatten ein Kooperationsprojekt dieser Berufsbildenden Schule Goslar-Baßgeige mit der benachbarten Pestalozzischule. Ich war über sieben Jahre hinweg einmal in der Woche an der Förderschule Schwerpunkt Lernen und hatte viel Einblick, viel Kontakt natürlich zu den Schülerinnen und Schülern, zu den Lehrkräften und hin und wieder auch zu den Eltern.
Ich habe vor allem mitbekommen, dass sich viele Eltern - gerade in umgekehrter Art und Weise - mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, dass bei ihren Kindern sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert wird und sie an dieser Schulform unterrichtet werden. Sie haben alles versucht, um eine Beschulung an einer Förderschule Schwerpunkt Lernen zu vermeiden.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich will hier überhaupt nicht diese Schulform stigmatisieren. An dieser Schulform machen die Lehrkräfte seit Jahrzehnten eine wunderbare Arbeit; unter erschwerten Bedingungen. Herr Kollege Heiner Scholing hat es schon geschildert. Diese Schule ist alles andere als ein Schonraum, das Gegenteil ist häufig der Fall.
Wenn Sie einmal an einer Förderschule Schwerpunkt Lernen hospitiert haben, dann werden Sie das mitbekommen haben. Denn die Situation sieht so aus, dass in Klassen mit bis zu 16 Schülerinnen und Schülern in der Regel eine Lehrkraft ohne Schulsozialarbeit immer die Aufgabe hatte, den Klassenunterricht und die Einzelförderung von Schülerinnen und Schülern mit ganz unterschiedlichen Hintergründen unter einen Hut zu bringen. Nicht wenige Lehrkräfte sind an dieser Situation schier verzweifelt. Von daher ist der Wunsch der Lehrkräfte nach Erhalt dieser Schulform wirklich an vielen Orten überhaupt nicht vorhanden.