Protocol of the Session on June 14, 2017

Genau das fordern wir ein.

Meine Damen und Herren, wir wollen Wahlfreiheit. Wir wollen, dass die Eltern selbst entscheiden

können, wo der beste Förderort ist. Inklusion darf eben nicht bedeuten, etwas zu verbieten. Inklusion muss bedeuten, etwas zu ermöglichen. Deswegen brauchen wir jetzt kein „Weiter so“, wie es derzeit stattfindet, sondern wir brauchen eine Zeit der Besinnung, um die Inklusion in Niedersachsen wieder auf ein solides Fundament zu stellen und alle Beteiligten auf diesem Weg mitzunehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das passt dann auch zur Äußerung des Kollegen Santjer: Politik beginnt - das haben wir hier im Parlament auch selbstkritisch in eigenen Entscheidungen in den letzten Jahren mehrfach deutlich gemacht - mit der Betrachtung der Realität.

Es hilft uns nichts, die Situation bei der Inklusion zu beschönigen. Nein, es läuft nicht rund in Niedersachsen. Nein, unsere Lehrkräfte stehen vor einer Situation, mit der sie nur schwer umgehen können. Wir haben ohnehin die schlechteste Unterrichtsversorgung seit 15 Jahren. Wir haben die Beschulung von Flüchtlingskindern. Wir haben eine veränderte Gesellschaft, in der Schülerinnen und Schüler immer mehr zusätzliche Bedarfe und mehr Unterstützung ihrer Lehrkräfte benötigen. Und wir wollen die Inklusion zum Erfolg bringen. Das soll nicht heißen, dass die Lehrkräfte die Arbeit nicht richtig machen. Im Gegenteil! Wir dürfen unsere Lehrkräfte auf diesem Weg aber nicht alleinlassen. Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Wir müssen den Druck herausnehmen. Und wir müssen endlich auf das reagieren, was in unseren Schulen derzeit stattfindet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Statt die Realität zur Kenntnis zu nehmen, wird hier mit einer gestiegenen Inklusionsquote geblendet, wie sie Rot-Grün, aber auch die Ministerin verkaufen. 61,4 % aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen besuchen jetzt eine allgemeinbildende Schule. Das wird von der Landesregierung lobend erwähnt.

Wenn man die Zahlen aber genau liest, erkannt man, dass diese Zahlen eine andere Sprache sprechen, als es Rot-Grün gerne darstellen würde. Denn natürlich steigt die Quote der Kinder mit Förderbedarfen im Regelschulsystem, wenn sie keine Wahlmöglichkeit mehr haben, weil die Förderschule nicht mehr vorhanden ist. Natürlich steigt diese Quote auch, weil wir eine enorm angestiegene Zahl von Schülerinnen und Schülern mit festgestellten Förderbedarfen haben, weil sich die Eltern um die Ressourcen für ihre Kinder sorgen und weil

vermehrt Förderbedarfe festgestellt werden. Das ist eben auch die Realität hinter diesen Zahlen.

Ich finde, die Nordwest-Zeitung hat es in einem Kommentar dazu am 11. Mai sehr gut beschrieben:

„Dass die Zahlen einen Zuwachs der Inklusion belegen, überrascht nicht. Welche Wahl haben Eltern, wenn Landesregierung Förderschulen schließt? Es grenzt an Zynismus, dann noch von Elternwille zu sprechen.“

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir wollen, dass Inklusion in Niedersachsen gelingt. Das Kindeswohl muss dabei im Mittelpunkt stehen. Wir haben heute hier im Landtag die Chance, etwas zu verändern und auch den Weg noch zu ändern.

Wir haben den Gesetzentwurf bewusst nur auf diesen einzigen Satz konzentriert, um Ihnen eine Brücke zu bauen, wieder zu mehr Gemeinsamkeit im Parlament zu kommen, nachdem alle großen Entschließungsanträge abgelehnt worden sind. Heute geht es nicht um das große Maßnahmenbündel, sondern heute geht es ganz konkret um die Schülerinnen und Schüler, die nach den Sommerferien in die fünften Klassen der Förderschulen Lernen hätten gehen wollen und denen es die Landesregierung verboten hat. Derzeit haben wir noch rund 150 Förderschulen Lernen in Niedersachsen in diesem Bereich.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie heute bitten - ich hoffe, meine Rede hat das unterstrichen -, dass wir hier einen Weg zu mehr Einigkeit finden, um auf die aktuelle Situation zu reagieren. Wenn alle ganz ehrlich sind und die parteipolitische Ideologie hintansteht,

(Zuruf von der SPD: Sollen wir Ihnen mal ein Taschentuch leihen? - Weite- re Zurufe)

können wir heute hier gemeinsam ein Bekenntnis ablegen, dass wir diesen Schulen eine weitere Perspektive aufzeigen wollen. Selbst wenn diese Gesetzesberatung noch längere Zeit in Anspruch nimmt, sage ich Ihnen: Heute haben wir die Chance, wenn alle Fraktionen dazu ein Bekenntnis ablegen, dass das Kultusministerium, dass die Landesschulbehörde bereits im Vorgriff auf diese Gesetzesberatung den Schulen noch eine Perspekti

ve aufzeigen können. Wenn sich heute alle zur wirklichen Situation bekennen und ehrlich mit den Fakten umgehen, haben wir heute zum letzten Mal die Chance, viel für die Schülerinnen und Schüler im Förderbereich Lernen sowie für die Förderschulen zu erreichen.

Ich möchte Sie auffordern: Lassen Sie uns diese Chance heute gemeinsam nutzen!

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Seefried. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Scholing das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir die Debatten anhöre - nicht nur die heutige, sondern die vielen Debatten, die wir zu diesem Thema hatten -, stelle ich mir immer wieder eine Frage: Hatten Sie, meine Damen und Herren, 2012 eine Idee, wie groß die Aufgabe sein würde?

(Zurufe von der CDU: Ja! - Ja, aber wir haben sie nicht noch vergrößert!)

Ich habe da meine Zweifel. Wussten Sie, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen?

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Wussten Sie, dass Inklusion sehr viel mehr meint als die gemeinsame Beschulung von beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Schülern?

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Jetzt stellen Sie die Wahlfreiheit in den Vordergrund. Ja, bei der Einführung der Inklusiven Schule ging es um Wahlfreiheit. Es galt, endlich die Diskriminierung zu beenden, die Situation zu beenden, dass Kinder, die Schwierigkeiten beim Lernen haben, nicht mehr gemeinsam mit ihren Nachbarkindern in eine Schule gehen sollten. Das sollte beendet werden. Das stand im Vordergrund.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Recht auf eine gemeinsame Beschulung wurde ohne Wenn und Aber, ohne Vorbehalte festgeschrieben. Die galten nämlich bis 2012. Sachliche und personelle Vorbehalte wurden im Gesetz formuliert. Das war der Kontext, in dem über Wahlfreiheit debattiert wurde.

Was Sie jetzt mit Ihrem Verweis auf Wahlfreiheit veranstalten, konterkariert die Debatten in 2012.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU: Vergan- genheit!)

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit: 1999, also vor 18 Jahren - dabei geht es nicht um die ehemalige Landesregierung, sondern wirklich um die Vergangenheit -, hat eine Rahmenplanung für die Fortführung der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf vorgelegen. Darin heißt es: Der langjährige Grundsatz, dass Schülerinnen und Schüler den Ort der Hilfe - nämlich die Sonderschule - aufsuchen, wird nun allmählich umgekehrt. Die Hilfe kommt zu den Kindern in die allgemeine Schule. - Das war 1999, meine Damen und Herren.

Konkret hieß es in dieser Rahmenplanung, dass dort, wo die sonderpädagogische Grundversorgung eingeführt wurde, die Förderschule Lernen im Primarbereich ausläuft. In etwa der Hälfte der niedersächsischen Landkreise wurde dieser Weg beschritten. Dann war es übrigens völlig konsequent und folgerichtig, 2012 das Auslaufen der Förderschule Lernen im Primarbereich gesetzlich festzuschreiben. Politik hat eine Verantwortung. Politik hat die Verantwortung, für gesicherte Rahmenbedingungen zu sorgen. Das ist damit geschehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn ich mir die Situation der Förderschulen - Herr Seefried, Sie sprachen von 150 - im Lande anschaue, bin ich immer noch und immer mehr davon überzeugt, dass es 2015 völlig folgerichtig war, das Auslaufen in der Sekundarstufe fortzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Kai Seefried [CDU]: Schade! Sehr schade!)

Wir stehen jetzt an dem Punkt, an dem wir sagen: Moratorium - ich nehme dieses Wort auf; ich könnte auch „Ausbremsen“ sagen - oder Weiterentwicklung? Sie entscheiden sich für das Moratorium, das Aussetzen.

(Zuruf von der CDU: Für das Kindes- wohl!)

Wir sagen: Wir brauchen Weiterentwicklung. Schulen müssen sich sehr vielfältigen Herausforderungen stellen: hochbegabte Kinder, Kinder mit Ent

wicklungsstörungen, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit unterschiedlichen Interessen, Neigungen und Betätigungen. Das alles kann nur in der Inklusiven Schule gelingen, in keiner anderen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich höre immer wieder Debatten über den Schonraum der Förderschule Lernen. Meine Damen und Herren, ich schätze die Arbeit der dort tätigen Kollegen sehr. Aber diese Schule war nie ein Schonraum. Es hat nämlich durchaus einen Preis. Denn das Gemeinsame der Schülerinnen und Schüler ist, dass sie keinen anderen Lernort haben. Das hat einen Preis, und zwar einen hohen Preis.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Hier wurde auch schon Herr Fricke vom vds zitiert. Es ist unehrlich, immer wieder auszublenden, dass Doppelstrukturen auf Dauer nicht realisierbar sind. Das ist unehrlich.

Wir übersehen auf keinen Fall, dass Inklusion in der Tat ein strittiges Thema geworden ist. Auch ich stelle mich Debatten. Auch ich bin in Schulen unterwegs. Ich glaube, niemand hier im Raum beansprucht für sich ein Alleinvertretungsrecht. Ja, es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die sich überfordert fühlen. Es gibt Eltern, die unzufrieden sind. Das, meine Damen und Herren, ist doch aber nicht neu. Es ist doch nicht neu, dass Eltern unzufrieden sind, weil sie den Eindruck haben, in der Schule werde nicht genug gefördert. Das ist nicht das Ergebnis unserer Entscheidung, die Förderschule Lernen im Sekundarbereich auslaufen zu lassen. Kennzeichnend für den derzeitigen Entwicklungsstand ist aber auch, dass über gelungene Entwicklungen viel zu selten gesprochen wird. Es gibt im Land viele ermutigende Beispiele.

Wir wissen, dass die Entwicklung der inklusiven Schule einen Paradigmenwechsel darstellt. Wir wissen, dass diese Entwicklung noch viel Aufmerksamkeit, viele Ressourcen, viel Nachsteuerung und vor allem viel Haltung braucht. Ich lasse mich gern auf die weiteren Diskussionen ein. Ich lasse mich auch darauf ein, dass wir noch viel Nachsteuerung brauchen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Scholing. - Für die FDPFraktion hat nun das Wort Herr Kollege Försterling. Bitte!