Meine Damen und Herren, aus der kriminalistischen Forschung - bezeichnenderweise fast ausschließlich aus den USA und aus Großbritannien - wissen wir recht präzise, welche Wirkung wir von der Videoüberwachung erwarten dürfen. Die Hoffnungen darauf waren ja vor zehn Jahren noch fast unbegrenzt: Straftaten sollten verhindert und Täter leichter ermittelt werden können. Nicht zuletzt sollte die Videoüberwachung das Sicherheitsempfinden erhöhen und damit die Lebensqualität der Bevölkerung verbessern.
Im Lichte der Forschungsergebnisse stellte sich dann aber heraus, dass sich das Sicherheitsempfinden tatsächlich nicht verbessert. Wenn überhaupt, nimmt es nur kurzfristig zu. Außerdem taucht die Frage nach den unterstellten Sicherheitsdefiziten an einer Örtlichkeit auf, an der die Videoüberwachung durchgeführt wird.
Ich sage Ihnen aus eigener Erfahrung: Wer sich diese überdimensionalen Hinweise auf die Videoüberwachungsmaßnahmen in den britischen Städten angeschaut hat, der kann das gut nachvollziehen. Wohlfühleffekte lösen die Dauerpräsenz von Videokameras und die plakativen Wandtapeten von Schutzmännern, die freundlich lächelnd darauf
hinweisen, dass dort zum Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung flächendeckend videografiert wird, jedenfalls nicht aus.
Abschreckungseffekte zur Verhinderung von Straftaten sind auch zweifelhaft. Erfahrungen aus Großbritannien weisen zwar einen moderaten Rückgang der Kriminalitätsrate aus, allerdings hauptsächlich in Parkhäusern. Vergleichbare Untersuchungen aus den USA konnten nicht einmal diesen Effekt bestätigen. Lediglich eine Unterstützung bei der Täterermittlung konnte durch die Forschung belegt werden. Immerhin! Das erkenne ich an, das ist etwas. Aber dazu, meine Damen und Herren von der CDU, brauchen wir wahrhaftig keine flächendeckende oder sonst wie maßlos ausgeweitete Videoüberwachung.
Meine Damen und Herren, was wir viel tiefergehend diskutieren sollten, ist die Technik, die sich hinter Ihrem - wie ich finde - Euphemismus „moderne Formen der ‚intelligenten‘ Videoüberwachung“ - so formulieren Sie es in Ihrem Antrag - verbirgt. Bezeichnenderweise sind Sie uns während der gesamten Antragsberatung und auch heute die Erklärung dafür schuldig geblieben, was sich nach Ihrer Auffassung hinter diesem Ausdruck „moderne Formen der ‚intelligenten‘ Videoüberwachung“ verbirgt.
In Ihrer Antragsbegründung schreiben Sie dazu lediglich: „Moderne ‚intelligente‘ Überwachungssysteme können Gefahren teilweise sogar besser erkennen und helfen, Verbrechen oder Terror zu bekämpfen.“ In Ermangelung Ihrer Erklärung, die ich mir gewünscht hätte, erlaube ich mir daher selbst eine Interpretation Ihrer Intention:
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass die Bilderflut massenhafter Videoüberwachung personell nicht ausgewertet werden kann, schon gar nicht in Echtzeit. Also soll als Notlösung die IT heran. Dazu wird den Überwachungskameras ein Algorithmus nachgeschaltet, der das Aussehen und/oder das Verhalten von Menschen bewertet und die Situation dann völlig autonom als normal oder als außergewöhnlich einstuft und dementsprechend Alarmierungen oder weitergehende Maßnahmen auslöst.
Meine Damen und Herren, kann mir mal jemand erklären, welches Aussehen ein Mensch haben muss, damit er als „normal“ oder als „außergewöhnlich“ kategorisiert wird? Und kann mir mal jemand erklären, wie wohl Menschen diese intelligente Überwachungstechnik bewerten, die in ihrem Leben zwar noch keine Straftat begangen
haben, aber aufgrund ihres Aussehens bei diesen Automaten ständig Alarme auslösen und dann bei jedem Besuch eines Bahnhofs oder eines Flughafens von freundlichen Polizisten nach dem Ausweis gefragt werden, während andere Gäste dieser Institution ungehindert weitergehen können?
Das erzeugt persönliche Auswirkungen bei diesen Menschen. Das erzeugt Haltungen. Ich finde, dass das deutlich tiefer diskutiert werden muss, als Sie es mit diesem einen Satz in Ihrem Antrag getan haben.
Meine Damen und Herren von der CDU, vielleicht sollten Sie aufhören, bloß Werbebotschaften von Sicherheitsdienstleistern abzuschreiben, und an dieser Stelle selbst nachdenken.
Am Ende bleibt jedenfalls von Ihrem Antrag nichts übrig. In Niedersachsen wird Videoüberwachung durch die Polizei und durch die Verkehrsträger nach wie vor als begleitendes Instrument zur Strafverfolgung und -verhütung eingesetzt, und zwar in Anerkennung der Grenzen, die diese Technik nun einmal hat - nicht flächendeckend, sondern auf der Grundlage einer Lagebildanalyse an konkreten kriminalitätsbelasteten Örtlichkeiten und ausgewogen, orientiert an dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, aber bestimmt nicht nach dem Maßlosigkeitsprinzip „viel hilft viel“, meine Damen und Herren von der CDU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Brauchen wir Videoüberwachung, um Sicherheit zu gewährleisten? - Wir Freien Demokraten glauben: Ja, wir brauchen sie an bestimmten, genau definierten öffentlichen Plätzen, die heute Kriminalitätsschwerpunkte sind. Da gibt es auch jetzt schon Videoüberwachung. Wir finden das im Prinzip richtig.
Das war früher möglich, und das wird auch zukünftig möglich sein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Herr Minister, wir wissen zwar noch nicht, ob wir in dieser Wahlperiode noch ein neues Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz bekommen und, wenn ja, wann das der Fall ist. Aber zumindest nach den bisherigen Entwürfen dürfte das auch nach dieser Variante möglich sein.
Brauchen wir also zusätzliche Möglichkeiten, wie sie die Union hier fordert? - Wir Freien Demokraten glauben: Nein; denn die rechtlichen Befugnisse, die heute im SOG und auch zukünftig im Gefahrenabwehrgesetz festgeschrieben werden, reichen aus. Damit können wir nämlich Kriminalitätsschwerpunkte mit Video überwachen. Das halten wir für richtig.
Die Union fordert aber in ihrem Antrag einen Punkt zu Recht, nämlich die Erprobung moderner Technologie. Herr Kollege Becker, man kann das so interpretieren, wie Sie das tun, nämlich nach dem Motto, das sei ganz gefährlich. Auch solche Technologie gibt es. Aber heute existiert auch Technologie, die datenschutzrechtlich positiv sein kann - beispielsweise die Möglichkeit, bestimmte Bereiche zu verpixeln, damit nicht in private Räume hinein gefilmt wird. Außerdem gibt es die Lightfinder-Technologie, die es ermöglicht, dass die Kamera sich in Situationen, in denen nicht so viel Licht da ist, an diese Lichtverhältnisse anpasst und dadurch Bilder produziert, die trotzdem auswertbar sind. Das ist eine Modernisierung, die wir für richtig und notwendig erachten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kameras, die in Niedersachsen hängen, stammen alle aus der Zeit der Expo 2000. Sie sind also alt. Damals gab es diese Technologie noch nicht. Wir glauben, dass wir endlich ein Modernisierungsprogramm für die Videoüberwachungsanlagen in Niedersachsen brauchen, damit wir diese moderne Technologie einsetzen können. Die Landesregierung bleibt es bisher schuldig, ein solches Modernisierungsprogramm aufzulegen.
Als FDP wollen wir des Weiteren, dass wir stärker in das Monitoringverfahren der Kameras gehen. Die Menschen denken ja „Da ist eine Kamera; da passt jemand auf mich auf“ und haben deswegen ein Gefühl der Sicherheit. Dieses Gefühl trügt aber; denn es passt ja niemand auf, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern die Kamera
zeichnet nur auf. Wir wollen, dass wir in bestimmten Situationen Kameras tatsächlich auch im Monitoringverfahren betreiben. Das heißt, dass da jemand sitzt, der auch die Kolleginnen und Kollegen losschicken kann, um einzugreifen, damit die Polizei helfen kann, wenn Gefahr im Verzug ist. Auch das ist derzeit nicht der Fall. Das wäre aber eine sinnvolle Ergänzung.
Abschließend zum Thema öffentlicher Personennahverkehr. Sehr geehrter Herr Kollege Limburg, sehr geehrter Herr Kollege Schremmer, verehrte Grüne, ich habe nicht so richtig verstanden, wie Sie es eigentlich einfach hinnehmen können, dass die Landesnahverkehrsgesellschaft als Gesellschaft des Landes Niedersachsen in ihren Ausschreibungen vorschreibt, dass alle Züge, die im öffentlichen Personennahverkehr in Niedersachsen eingesetzt werden, grundsätzlich mit Kameras ausgestattet sein müssen,
damit überhaupt die Möglichkeit besteht, den Zuschlag zu bekommen. Das heißt also: Das Land Niedersachsen schreibt vor, dass flächendeckende, tageszeitunabhängige Videoüberwachung im öffentlichen Personennahverkehr möglich sein muss. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass die Grünen einen solchen Punkt mitmachen.
Wir brauchen Videoüberwachung da, wo tatsächlich Gefahr im Verzug ist und wo es eine Möglichkeit gibt, Straftaten zu verhindern, aber keine flächendeckende, tageszeitunabhängige Videoüberwachung. Das ist der falsche Weg.
Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Onay das Wort. Bitte!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Videoüberwachung, wie die CDU sie hier fordert - das haben wir ja schon bei der ersten Debatte und auch im Ausschuss deutlich gemacht -, können wir so nicht mitgehen. Insbesondere betrifft das beispielsweise
In dem Antrag steht beispielsweise: „In öffentlichen Bahnen, Bussen, Bahnhöfen, zentralen Plätzen und Straßen müssen Passagiere jederzeit damit rechnen, beobachtet zu werden.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, Gott sei Dank ist das in einem Rechtsstaat wie Deutschland nicht der Fall. Bürgerinnen und Bürger müssen eben nicht damit rechnen, jederzeit beobachtet zu werden. Denn selbstverständlich sind auch die genannten Plätze Kommunikationsräume, Verweilräume und Räume der freien Bewegung. Insofern sind sie auch nicht flächendeckend zu überwachen. Sie sind nur - um das Bundesverfassungsgericht noch einmal zu bemühen - Orte des Verweilens, der Begegnung und eines allgemeinen kommunikativen Verkehrs.
Hier einfach davon zu sprechen, dass Bürgerinnen und Bürger damit rechnen müssten, beobachtet zu werden, zeugt schon von einem etwas seltsamen, schrägen Rechts- und Staatsverständnis, sehr geehrter Herr Kollege Nacke.
Etwas weiter oben in Ihrem Antrag behaupten Sie, dass der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung den Schutz der Bürgerinnen und Bürger und ihren Zugang zu öffentlichen Räumen verletzen könnte.
- Nein, das ist nicht missverständlich. Was Sie wünschen, ist in Ihrem Antrag relativ klar und deutlich formuliert.
Das habe ich in der ersten Landtagsdebatte bereits angesprochen. Da sind wir wieder bei dem nicht vorhandenen Supergrundrecht auf Sicherheit.