Protocol of the Session on March 2, 2017

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. - Jetzt hat sich Michael Höntsch für die SPD-Fraktion gemeldet. Bitte, Herr Höntsch!

Verehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich sage heute ehrlichen Herzens ein Dankeschön an die Adresse der CDUFraktion für diese Große Anfrage zu den „Reichsbürgern“. Nun hatte ich zwar eigentlich vermutet, Sie würden einmal etwas zum Linksextremismus fragen, aber umso besser, wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, wo die großen Gefahren für unser demokratisches Gemeinwesen verortet werden müssen.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Die „Reichsbürger“ sind in aller Munde, sie sind ein Thema in den politischen Debatten. Was hat dazu geführt? - Es war ein Mord. Hierdurch hat die große Mehrheit der Bevölkerung zum ersten Mal überhaupt etwas von der Existenz dieser Menschen gehört. Jetzt, wo wir alle genauer hinschauen, hören wir von Gerichtsvollziehern, die das Problem schon lange kennen. Dem Pressespiegel konnten wir einen ganz furchtbaren Fall in Barbis entnehmen, wo ein Polizeibeamter mit Säure übergossen worden ist.

Die „Reichsbürger“ weigern sich, Steuern zu zahlen. Sie erklären ihre Grundstücke zu eigenen

staatlichen Territorien, sie haben eigene Ausweispapiere und fahren mit selbst erstellten Fahrerlaubnissen.

Die „Reichsbürger“ sind kein neues Phänomen. Es gibt sie im Prinzip seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die älteren Semester unter uns können sich sicherlich noch an tagespolitische Forderungen erinnern, die durchaus und gerade heute noch bei den „Reichsbürgern“ Konjunktur haben. Das hängt natürlich auch mit dem historischen Kontext zusammen.

ln meiner Jugend stand am Eingang der Kleinstadt ein Schild mit der Aufschrift: „Dreigeteilt? Niemals!“ Mein Erdkundelehrer nannte die Ostverträge „Schandverträge“. Er nannte jene, die sie einforderten, Vaterlandsverräter und wies immer darauf hin, dass wir keinen Friedensvertrag haben. - Dies ist eine wichtige Argumentation, die auch die „Reichsbürger“ immer wieder benutzen.

Warum sage ich das an dieser Stelle? - Ich erinnere daran, weil diese Auseinandersetzungen zu unserer Geschichte gehören und weil ich deutlich machen will, dass die Aussagen dieser Leute heute keinerlei Originalität besitzen. Es ist alles schon einmal dagewesen, wenn auch in einem anderen historischen Kontext. Es ist nur lange her, und wir alle haben wohl gedacht, es hätte sich längst biologisch erledigt. Aber weit gefehlt!

Es ist, wie gesagt, der Mord, der jetzt aufrüttelt, und dies natürlich zu Recht. Dieser Mord macht deutlich, was wir bereits in unseren Debatten zu Hate-Speech diskutiert haben. Überall und ganz offensichtlich nicht nur im Internet wird der Abstand zwischen dem Aufruf zur bösen Tat und der eigentlichen bösen Tat geringer. Das muss alle Demokratinnen und Demokraten beunruhigen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Jan- Christoph Oetjen [FDP])

Hören wir einmal zu, was „Reichsbürger“ uns zu sagen haben - ich zitiere -: „Deutschland ist eine GmbH; das weiß jeder.“ - „Frau Merkel ist eine Halbjüdin, und eigentlich hat hier die RothschildBank das Sagen.“ - „Wir haben übrigens keinen Friedensvertrag; das wissen die meisten Menschen nicht, und deshalb sind wir auch noch nicht souverän.“ - „Es ist das Ostküstenkapital, das die Völker Europas unterjocht.“

Ach ja, und - ich kann mir das an dieser Stelle nicht verkneifen - immer wieder reden diese Leute

von den Chemtrails, mit der die Regierungen die Bevölkerung besprüht.

Wenn es diese „Reichsbürger“ nicht so verdammt ernst nehmen würden, wir könnten uns ausschütten vor Lachen. Dann wäre es damit getan, hier und da einmal ein Bußgeld zu verhängen, und dann hätte sich der Fall erledigt.

So einfach aber ist das nicht. ln ihrer scheinbar lustigen Variante sind sie schon in den Sendeanstalten der Republik angekommen, sie finden statt, bekommen sozusagen ein Millionenpublikum, das sich bei den Reden der selbsternannten Könige, Reichsverweser oder Statthalter belustigt auf die Schenkel schlägt. Dies ist eine Begleiterscheinung, die man in den Fernsehräten einmal diskutieren müsste.

Aus der Antwort der Landesregierung geht hervor, dass die „Reichsbürger“ in der Regel einzeln agieren und nur wenig vernetzt sind. Wir werden weiterhin genau hinschauen müssen, damit dies auch so bleibt.

Verehrter Herr Landtagspräsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wahrscheinlich sind die meisten unter uns überzeugt davon, persönlich keine „Reichsbürger“ zu kennen. Wer das glaubt, der irrt. „Reichsbürger“ sind überall anzutreffen, sowohl auf dem Land als auch in unseren Klein- und Großstädten. Eine Radtour in diesem Frühjahr, vorbei an den Kleingärten, kann uns eines Besseren belehren. Der Gartenfreund, die Gartenfreundin an sich ist ein Mensch wie Sie und ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Mensch mit Nachbarn. Nur, dass es immer wieder Nachbarn gibt, die eine ganz eigentümliche Fahne in der Gartenkolonie hissen. Worum handelt es sich? - Richtig! Um die Reichskriegsflagge.

Wikipedia können wir entnehmen:

„Die Verwendung des Deutschordenskreuzes in Flaggen stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Ein schwarzes Kreuz auf weißem Grunde bildete das Abzeichen der Ritter des Deutschen Ordens. Als solches wurde dieser Kreuzbalken in die Flagge des Norddeutschen Bundes sowie in die Kriegsflaggen des Kaiserreichs und der NS-Zeit übernommen... Die Reichskriegsflagge wurde erstmals am Hauptquartier der Wehrmacht in der Bendlerstraße in Berlin gehisst… In Deutschland ist die Verbreitung und Darstellung der Kriegsflagge des Dritten Reiches mit Hakenkreuz strafbar gemäß

§ 86 und § 86 a StGB. Versionen der Kriegsflagge ohne Hakenkreuz sind in der Öffentlichkeit erlaubt, können aber polizeilich beschlagnahmt werden, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet erscheint.“

Aber wann ist sie gefährdet? - Ich glaube, auch da müssen wir ran und genau hinschauen.

„Reichsbürger“ - ein Randphänomen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache es mal ganz brandaktuell mit einem Beispiel aus dieser schönen Landeshauptstadt deutlich. Hier eine Stellungnahme der Wohnungsbaugenossenschaft Gartenheim aus dem Februar, also von vor ein paar Tagen. Ich erlaube mir, hier zu zitieren:

„Noch vor wenigen Jahren brüllten wir vor Lachen über die Bemerkung eines Außenministers, der unsere Gesellschaftsentwicklung als ‚römisch-dekadent‘ bezeichnete, nun können andere eigentlich nur noch über unsere Gesellschaft lachen. Hier ist weniger die ‚überrannte‘ Bevölkerung gemeint, die zwischen angeordneter Willkommenskultur und einem natürlichen, faschistoiden Reflex zwischen ‚wir schaffen das‘ und der Angst ‚wie soll es weitergehen‘ völlig zerrissen erscheint. Faktisch sind wir nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch ein ‚besetztes‘ Land. Spötter bezeichnen uns gerne auch als ‚Vasallen-Republik‘ der USA.“

„Reichsbürger“ - ein Randphänomen? Sie sehen: keineswegs. Hier muss die sogenannte Zivilgesellschaft in Hannover aktiv werden.

Nehmen wir die Zahl derer, die sich Behörden gegenüber so verhalten, wie hier mehrfach beschrieben, dann gibt es sicherlich nicht so viele. Ihr Gedankengut allerdings ist auf fruchtbaren Boden gestoßen. Bei der Sekte der Ludendorffer eigentlich schon immer und auch bei den neuen Rechten, wie z. B. den Identitären, finden wir durchaus Versatzstücke ihrer Ideologie.

Verehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen jetzt ein paar Sätze vorlesen, die ich aus Songtexten entnommen habe. Sie sprechen für sich, und ich denke, eine Kommentierung muss nicht ausführlich sein.

Ich zitiere - ich sage gleich, darin kommen zwei Wörter vor, die nicht parlamentarisch sind; aber es ist ein Zitat, und ich bitte mir das nachzusehen -:

„Wie die Jungs von der Kleinherzbank, die mit unserer Kohle zocken. Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken. Baron Tothschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel. Der Schmock is’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“

Nicht nur Antisemitismusforschern ist bekannt, dass die Rothschilds das klassische Bild des Judenhasses verkörpern. Die Nationalsozialisten bedienten sich ihrer, um ihre Vernichtungspolitik zu rechtfertigen.

Nun ja, und wer ist der Schmock? - Ihn beschrieb schon Gustav Freytag in seinem Roman „Die Journalisten“: Schmierig, hinterhältig und natürlich jüdisch. Er verkörpert alles Schlechte, was ein menschlicher Charakter nur zeigen kann.

Nun, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Sie fragen sich wahrscheinlich: Von wem spricht der Höntsch da? - Ich will das Rätsel gerne lösen. Es handelt sich um den Sänger Xavier Naidoo. Er erreicht ein Millionenpublikum und hat unzählige Tonträger verkauft. Er trat auf zusammen mit Querfrontlern wie Jürgen Elsässer und sprach auf dem Alexanderplatz von Deutschland als einem besetzten Land.

„Reichsbürger“ - wirklich eine Randerscheinung? Ich bin da sehr skeptisch. Es war die einzig richtige Entscheidung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, ihn seinerzeit vom ESC zurückzuziehen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der FDP)

Was blieb, waren skandalöse Solidarisierungen und Ehrenerklärungen von zahlreichen Prominenten aus Funk und Fernsehen. Politische Bildung? - Fehlanzeige.

Und schon schließt sich der Kreis. Diese rote Landesregierung geht die Probleme an: mit dem Programm gegen Rechts, mit Aussteigerprogrammen, mit Opferberatung und mit der Wiederbegründung der Landeszentrale für politische Bildung. Gern greifen wir auch den Hinweis der Opposition, die die Landeszentrale abgeschafft hat, auf, dass wir in der Landeszentrale die Tätigkeiten besser koordinieren. Das machen wir gerne.

Zuletzt bleibt die Frage, wie wir mit der Tatsache umgehen, dass diese Menschen oft über Waffen verfügen. Dieser Innenminister, Boris Pistorius,

schaut dort genau hin und schöpft alle rechtlichen Möglichkeiten aus. Diese Waffen werden per Erlass seit etlichen Wochen Zug um Zug eingezogen.

(Jens Nacke [CDU]: Allein es fehlt der Glaube!)

So kritisch ich grundsätzlich Gesetzesverschärfungen begleite oder einschätze, desto fester bin ich davon überzeugt: Wir dürfen es auf keinen Fall zulassen - darin sind wir uns alle einig -, dass durch diese Fanatiker Menschen in Niedersachsen zu Schaden kommen. - Sollte es dafür noch Hindernisse geben, müssen diese beseitigt werden.

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich wiederhole mich gerne. Das Thema „Kampf gegen Rechts“ - genau darum ging es auch hier wieder - muss das Herzensanliegen aller Demokratinnen und Demokraten sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Höntsch. - Die nächste Wortmeldung stammt von Julia Willie Hamburg für Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön, Frau Hamburg!

(Jens Nacke [CDU]: Wieder so wie heute Morgen bitte! Das hat uns sehr viel Freude gemacht!)

Herr Nacke, erfreulicherweise kann ich feststellen, dass wir bei dem Thema fast alle einer Meinung sind. Das, was Sie hier gesagt haben, entsprach auch der Antwort der Landesregierung. Dafür können wir uns hier wohl nur alle gegenseitig auf die Schultern klopfen und klatschen und nachdenken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die „Reichsbürger“ gibt es schon eine ganze Zeitlang. Lange wurden sie belächelt, nicht ernstgenommen, als esoterische Spinner oder auch Belustigung angesehen. Die Tatsache, dass Menschen unser Grundgesetz leugneten und dass sie Scheinregierungen gegründet haben, sorgte für Belustigung, wurde nicht ernst genommen und wurde mit Skepsis beobachtet. Es wurde darüber

gesprochen, wie man wohl neue Minister nennen könne und wer das sein möge.

Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen. Die Abgrenzung war schwer. Es gab auch viele Menschen, die einfach keine Lust hatten, ihr Knöllchen zu bezahlen, und vor diesem Hintergrund geschrieben haben: Ich werde diese Strafe nicht bezahlen, ich bin ein „Reichsbürger“.