Protocol of the Session on February 3, 2017

1Die Antworten zu den Anfragen 2 und 4 bis 59, die nicht in der 121. Sitzung des Landtages am 3. Februar 2017 behandelt und daher zu Protokoll gegeben wurden, sind in der Drucksache 17/7350 abgedruckt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu einer freien, liberalen Bürgergesellschaft gehört auch, dass sich die Menschen im öffentlichen Raum tatsächlich auch frei bewegen können. Der Staat hält hierfür ein umfangreiches Verkehrssystem vor. Im urbanen Bereich haben die Menschen die Möglichkeit, den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen - darüber haben wir eben eine ganze Menge gehört -, aber im ländlich strukturierten Bereich von Niedersachsen sind viele Menschen auf den privaten Pkw angewiesen, wenn sie zur Arbeit wollen, wenn sie einkaufen wollen oder wenn sie an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen wollen. Auch in meinem Landkreis gibt es einige Dörfer, in denen es keinen Supermarkt und keinen Bäcker mehr gibt. Da brauchen die Menschen einen privaten Pkw mit der dazugehörigen Fahrerlaubnis. Das ist dort von ganz besonderer Bedeutung.

Der Staat hat selbstverständlich auch dafür zu sorgen, dass dieser öffentliche Verkehr - insbesondere der Straßenverkehr - möglichst gefahrlos organisiert wird. Dafür gibt es das Straßenverkehrsrecht. Menschen, die sich nicht an die dort vereinbarten Regeln halten, können mit einem Fahrverbot oder sogar mit einem Entzug der Fahrerlaubnis bestraft werden. Dazu gibt es die Möglichkeit der Straßenverkehrsämter, Menschen, die z. B. aufgrund eines Gebrechens nicht mehr in der Lage sind, ein Kraftfahrzeug verkehrssicher zu führen, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das alles, meine Damen und Herren, ist völlig unstrittig.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: So ist es!)

Nun hat die Bundesregierung eine Erweiterung des § 44 StGB beschlossen. Ein Fahrverbot soll demnach auch dann verhängt werden können, wenn es um die Bestrafung eines Delikts geht, das nicht im direkten Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs steht. Dabei soll die maximale Verbotsdauer von drei auf sechs Monate erhöht werden.

Die Idee eines Fahrverbots als Nebenstrafe, meine Damen und Herren, ist nicht neu, und sie ist schon ewig umstritten. In der Gesetzesbegründung heißt es denn auch ganz ausdrücklich, dass ein Fahrverbot als Nebenstrafe insbesondere im Bereich der kleinen und der mittleren Kriminalität Anwendung finden soll. Das gilt auch für das Jugendstrafrecht.

Ziel des Gesetzentwurfs sind also nicht die Schwerverbrecher, sondern es sind die Menschen, die zuvor unbescholten, unauffällig gewesen sind. So könnte das Fahrverbot z. B. im Fall einer Beleidigung, einer leichten Körperverletzung, einer Nötigung oder beispielsweise beim Drücken vor Unterhaltszahlungen Anwendung finden, also bei Menschen, die erstmals aufgefallen sind und nun - so formuliert es auch der Entwurf - einen Denkzettel erhalten sollen.

Dieser Entwurf, meine Damen und Herren, wird zu Recht vom Deutschen Anwaltsverein, vom Deutschen Verkehrsgerichtstag und von vielen Verbänden abgelehnt. Er ist auch nicht zu Ende gedacht.

Zunächst einmal handelt es sich hierbei um eine Sondersanktion gegen Fahrerlaubnisinhaber. Für Bürger ohne Fahrerlaubnis ist sie völlig irrelevant. Das führt in der Konsequenz zu einer massiven Ungleichbehandlung bei der Ahndung von Straftaten. Während eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe jeden Straftäter treffen kann, richtet sich ein Fahrverbot oder ein Entzug einer Fahrerlaubnis nur an Inhaber von Fahrerlaubnissen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass bei einem Täter mit Fahrerlaubnis unter Umständen durch die Verhängung eines Fahrverbots von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe abgesehen werden kann. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, besteht die Möglichkeit nicht, und die Freiheitsstrafe wird vollstreckt. Die Chance auf eine Bewährungsstrafe erhöht sich also mit einer Fahrerlaubnis. Alleine diese Privilegierung widerspricht dem Grundsatz, nach dem Straftäter durch die Strafe auch gleich betroffen werden sollen.

Hinzu kommt, dass für manche Straftäter ein Fahrverbot auch durchaus angenehmer sein kann als eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe. Je nach persönlicher Situation, die von dem Gericht gar nicht in die Tiefe geprüft werden kann, kann sich der Betroffene Alternativen suchen. Entweder lässt er sich von Familienangehörigen fahren, fährt Taxi oder sucht sich einen angestellten Fahrer. Es wird für ein Gericht unmöglich sein, die persönlichen Lebensverhältnisse des Betroffenen so genau auszuforschen, um die tatsächliche Wirksamkeit eines Fahrverbots überprüfen zu können.

Wer glaubt, meine Damen und Herren, die Gerichte könnten Kleinkriminelle mit einem Fahrverbot treffsicherer sanktionieren, der hat noch nie einen Gerichtssaal von innen gesehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich kenne einen Steuerberater, der sich im Fall eines Fahrverbots schlicht von einem Azubi seiner Kanzlei im Porsche durch die Gegend fahren lässt. Das mag für den Azubi wegen des Porsches recht angenehm sein, aber eine treffsichere Sanktion, meine Damen und Herren, sieht jedenfalls anders aus.

Ich kann auch das Argument nicht nachvollziehen, wonach sich insbesondere wohlhabende Menschen angeblich von einer Geldstrafe nicht beeindrucken lassen. Bei einem Höchstsatz von 360 Tagessätzen zu je 30 000 Euro, also einer Summe von 10,8 Millionen Euro, sind eigentlich die meisten Menschen beeindruckt. Martin Winterkorn vielleicht nicht, aber die meisten Menschen.

Weitere Ungleichbehandlungen ergeben sich aus dem Wohnort des Täters, also ob der öffentliche Personennahverkehr genutzt werden kann, aus der jeweiligen beruflichen Situation und auch aus der familiären Situation. Ein Fahrverbot kann auch durchaus eine Familie betreffen. Mitglieder einer Familie ohne Fahrerlaubnis werden so ganz schnell in Mithaftung genommen, beispielsweise wenn Kinder nicht mehr zum Kindergarten oder zur Schule gefahren werden können oder gebrechliche Menschen nicht mehr zum Arzt. Im ländlich geprägten Bereich in Niedersachsen ist das durchaus ein Thema.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube auch nicht, dass die Androhung eines Fahrverbots Täter mehr abschreckt als eine mögliche Haftstrafe oder eine Geldstrafe. Wen eine Zeit hinter Gittern nicht beeindruckt, den wird auch das Fahren mit dem Bus nicht aus der Bahn werfen.

Ein weiteres Problem ist die Überprüfung, ob ein Fahrverbot überhaupt befolgt wird. Bei Geldstrafen oder verhängten Freiheitsstrafen ist das problemlos möglich. Ein missachtetes Fahrverbot fällt nur bei einer zufälligen Straßenverkehrskontrolle auf. Das wird übrigens auch in der Gesetzesbegründung ganz offen eingeräumt.

Auch im Jugendstrafrecht, meine Damen und Herren, ist diese Gesetzesänderung kontraproduktiv. Gerade dort steht der Erziehungsgedanke ganz weit vorne. Wenn allerdings der Zusammenhang zwischen der Sanktion und der Tat nicht mehr besteht, dann sinken auch die Akzeptanz und der erzieherische Effekt auf einen Jugendlichen.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube auch, meine Damen und Herren, dass die Gesetzesänderung für die Justiz einen deutlichen Mehraufwand bedeuten würde. Es muss nämlich ausgeforscht werden, wie sich ein Fahrverbot auf die persönlichen Lebensumstände des Betroffenen auswirkt. Zudem ist mit einer Zunahme von Rechtsmitteln zu rechnen. Am Ende können auch verminderte Einnahmen stehen, wenn Geldstrafen nicht mehr verhängt werden, weil Fahrverbote möglich sind. Das könnte auch gemeinnützige Vereine betreffen, die ja sehr oft von Geldauflagen profitieren.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: So ist es!)

Es ist daher kein Wunder, meine Damen und Herren, dass diese Gesetzesänderung von so gut wie allen Fachverbänden abgelehnt wird.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein hat ebenfalls einen Antrag eingebracht, sich im Bundesrat gegen die Einführung des Fahrverbots als eigenständige Sanktion und gegen die Ausweitung des Fahrverbots als Nebenstrafe auszusprechen. Dieser Antrag wurde einstimmig, also mit den Stimmen der CDU, der Grünen und der SPD, verabschiedet.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Und mit den Stimmen des SSW!)

Ich freue mich daher auch im Niedersächsischen Landtag auf eine einstimmige Abstimmung und Annahme dieses FDP-Antrags.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Das Wort hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Limburg. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Sanktionssystem im deutschen Strafrecht ist menschengemacht und deshalb natürlich auch von Menschen veränderbar. Das gegenwärtige Sanktionssystem mit der Freiheitsstrafe und der Geldstrafe und in der Tat möglichen Nebenstrafen genießt nicht die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes oder Ähnliches, sondern kann natürlich modifiziert werden.

Herr Dr. Genthe hat bereits darauf hingewiesen: Im Jugendstrafrecht haben wir bereits jetzt die Situation, dass es eine Vielzahl von Sanktionsmöglichkeiten und Auflagen gibt. Jugendrichterinnen und Jugendrichter haben die Möglichkeit, jugendlichen und heranwachsenden Straftätern ein ganz breites Spektrum von Auflagen aufzuerlegen. Insofern und vor diesem Hintergrund finde ich es ausdrücklich richtig, dass man auch über das Sanktionssystem im Erwachsenenstrafrecht immer wieder diskutiert.

In der Tat hat das gegenwärtige Sanktionssystem Schwächen. Herr Dr. Genthe, Sie haben gerade gesagt, eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe treffen jede und jeden gleich. Aber in der Tat haben Sie auch darauf hingewiesen: Der Tagessatz bei der Geldstrafe ist nach gegenwärtiger Rechtslage bei 30 000 Euro gedeckelt. Diese Deckelung führt dazu, dass in Wahrheit Gutverdienende - und Sie haben ja einen genannt; wir haben Gutverdienende, die selbst über eine 11-Millionen-EuroGeldstrafe, die für uns alle hier wahrscheinlich astronomisch hoch klingt, nur müde lächeln würden - vom gegenwärtigen deutschen Sanktionssystem massiv bevorzugt werden - aus meiner Sicht ein absolut unhaltbarer Zustand in einem Rechtsstaat.

(Beifall bei den GRÜNEN - Miriam Staudte [GRÜNE]: Sehr richtig!)

Nun ist ergänzend auch das Fahrverbot als allgemeine Strafe, nicht nur als Nebenstrafe in der Debatte, und da gilt es in der Tat, sehr genau hinzuschauen und abzuwägen. Herr Dr. Genthe hat bereits darauf hingewiesen: Ein Fahrverbot trifft die Menschen sehr unterschiedlich. Selbst innerhalb einer Stadt ist je nach Wohnsituation, je nach persönlicher Lebenssituation das Ausweichen auf den ÖPNV oder auch auf Fahrräder, Herr Kollege Dr. Genthe, nicht immer möglich oder nicht immer angezeigt.

Aus meiner Sicht kann es einem Gericht nicht zugemutet werden, eine so intensive Erforschung des individuellen Mobilitätsverhaltens vorzunehmen, dass abgewogen werden kann, ob das Fahrverbot tatsächlich richtig trifft oder ob es nicht zu hart trifft. Auch das ist ein wichtiger Grundsatz im Strafrecht. Der Rechtsstaat darf ja auch nicht übermäßig strafen. Das heißt, wir wären in der Situation, dass man jeweils in eine sehr genaue Einzelfallprüfung eintreten müsste. Ich kann mir das nur sehr schwer vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Meine Damen und Herren, gleichwohl mag ich nicht ausschließen, dass es Fälle über die gegenwärtigen Fälle hinaus gibt, bei denen der Entzug der Fahrerlaubnis - beispielsweise weil die Benutzung von Fahrzeugen ein wesentlicher Teil einer Straftat ist, ohne dass die Voraussetzungen einer kompletten Einziehung des Autos oder eines begrenzten Fahrverbots vorliegen - sinnvoll sein kann.

Daneben müssen wir - dies finde ich viel wichtiger - in der Tat die Debatte darüber führen, wie wir gerade im Bereich der Bagatelldelikte zu einem differenzierten Sanktionsmechanismus kommen. Wir erleben gegenwärtig - um nur ein Beispiel zu nennen -, dass beim sogenannten Schwarzfahren sehr häufig Menschen, die aus sozial schlechten Verhältnissen kommen, direkt in die Ersatzfreiheitsstrafe gehen, weil sie einfach nicht in der Lage sind, eine Geldbuße zu bezahlen. Auch das kann für einen sozialen Rechtsstaat nicht richtig und nicht gewollt sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne und unter diesen Prämissen freue ich mich auf die Ausschussberatung. SPD und Grüne jedenfalls werden sich mit aller Entschlossenheit diesen ergebnisoffenen Beratungen widmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Wahlmann. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, wenn man sich Ihren Entschließungsantrag anschaut, dann muss man vor dem Hintergrund der nicht einmal ganz gefüllten Seite leider sagen: Daraus hätte man ein bisschen mehr machen können.

Das Thema ist aktuell. Es wird auf Bundesebene beraten. Der Verkehrsgerichtstag in Goslar hat sich letzte Woche aktuell damit befasst. Sämtliche Vereine, Verbände, Anwaltsvereinigungen, der Richterbund und die Polizei haben dazu Stellung genommen. Das Thema ist populär. Es erscheint einfach. So gut wie jeder hat eine Meinung dazu. Wenn man hier sitzt und alle wissen, dass man gleich zu diesem Thema spricht, wird man sowohl

von der einen als auch von der anderen Seite angesprochen, wie man das Ganze zu beurteilen habe. Das ist eine heiß umstrittene Sache. Warum also legen Sie nur so ein dünnes Gerippe von Entschließungsantrag vor?

Hintergrund des Antrags ist doch wohl ganz offensichtlich, dass Sie die Regierungsfraktionen damit in eine Zwickmühle bringen wollen:

(Christian Calderone [CDU]: Bravo!)

Entscheiden wir uns gegen unseren Justizminister Heiko Maas, der ein sehr guter Justizminister ist?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: In der Tat! - Reinhold Hilbers [CDU]: Das, was Sie da vortragen, nennt man subjektive Wahrnehmung! - Gegenruf von Grant Hendrik Tonne [SPD]: Und das ausgerechnet von Ihnen, Herr Hilbers!)

Jetzt hat nur die Frau Kollegin Wahlmann das Wort. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Entscheiden sich die Grünen anders als die Grünen auf Bundesebene, oder streiten wir uns untereinander? - Ich kann Ihnen versichern: Das werden wir nicht tun. Die rot-grünen Reihen waren in den letzten Jahren fest geschlossen, und sie werden auch fest geschlossen bleiben.