Protocol of the Session on February 1, 2017

Herr Präsident, vielen Dank. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will es am Beispiel einer bestimmten Person einmal ein bisschen konkreter machen. Vorletzte Woche ist in der Zeitschrift Die Zeit ein Artikel von der Autorin Julia Friedrichs erschienen, die seit zehn Jahren über Kinderarmut schreibt. Ich lese nur einmal den ersten Absatz vor, der da lautet:

„Eine der Ersten“

- die sie traf -

„war Janina. Ich traf sie vor zehn Jahren in Bochum-Wattenscheid. Als ich sie kennenlernte, war sie elf Monate alt. Zwei Etagen unter ihr lebte ihr Opa. Sein Einkommen be

kam er vom Amt, genau wie ihr Papa und ihre Mama. Die beiden stritten oft, und Janina stellten sie zum Füttern in einem Autositz aufs Sofa, weil sie keinen Kinderstuhl hatten. An diesem Tag, es war der 24. Oktober, hatten Janinas Eltern noch sieben Euro auf ihrem Konto. Zu wenig, um bis zur November-Überweisung über die Runden zu kommen. Der Kühlschrank war leer, die Windeln... waren aufgebraucht, und immer wenn es an der Tür klingelte, zitterten die Eltern, aus Sorge, das Jugendamt würde kommen, um das Kind mitzunehmen und damit den einzigen Antrieb, diesen ganzen dreckigen Alltag auszuhalten.“

Das ist recherchiert und ein Originalzitat von einer Redakteurin, die sich seit zehn Jahren um Kinderarmut bemüht.

Ich finde, dieses Beispiel zeigt ganz deutlich, an welcher Stelle wir uns im Augenblick befinden. Da beißt die Maus überhaupt keinen Faden ab. Wir haben auch in der Anhörung quasi von allen Verbänden gehört, dass Kinderarmut in erster Linie Elternarmut bedeutet und dass sich der Armutsbegriff im Wesentlichen doch eher an der Existenzsicherung und nicht am Existenzminimum orientieren muss. Das heißt eben, es geht auch um solche Sachen wie mal in den Urlaub zu fahren oder um kulturelle Teilhabe und dergleichen mehr und eben nicht nur um „satt und sauber“, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Deswegen ist es richtig - ich komme dann gleich zum Hauptpunkt, warum der Antrag der CDU-Fraktion nicht weitgehend genug ist -, über eine einheitliche Kindergrundsicherung zu reden; denn die meiste Förderung aller Familienförderungen, die wir in Deutschland haben, bekommen die obersten 10 % der einkommensstärksten Familien für ihre Kinder. Das sind im Schnitt ungefähr 199 Euro. Die untersten 10 % bekommen nach einer Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung nur 100 Euro für jedes Kind, das sie haben. Daran zeigt sich schon, wie ungerecht diese Leistungen hier hin Deutschland verteilt sind.

Deswegen ist unser Antrag richtig, zu sagen, wir brauchen eine einheitliche Kindergrundsicherung, die für alle Kinder gleich ist, die in diesem Land geboren werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich sage Ihnen auch gleich, wie wir das finanzieren können. Wir hatten das beim vorigen Tagesordnungspunkt: Es sind ja offensichtlich nur noch sozialdemokratische Parteien in diesem Parlament, die sich mit Forderungen nach Gebührenfreiheit usw. überbieten. Wenn man für jedes Kind in diesem Land 500 Euro Kindergrundsicherung ansetzt, dann sind das im Jahr 30 Milliarden Euro. Ich sage das im Sinne der Kollegin Julia Hamburg, die gesagt hat: Der Spitzenkandidat der SPD spricht von Umverteilung. Ich sage Ihnen, wie man das machen kann: Eine Wiedererhebung der Vermögensteuer nur bei 1 % derjenigen, die das zu bezahlen hätten, würde etwa 20 bis 30 Milliarden Euro bringen. Das wäre genau die Summe, die wir für diese Kindergrundsicherung brauchen.

(Zurufe von den GRÜNEN - Zuruf von Reinhold Hilbers [CDU]) : Ich finde, das wäre der richtige Weg in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei den GRÜNEN)

Um ein bisschen wohlwollend zu sein: Ich finde, dass die Bundesregierung beim Unterhaltsvorschussgesetz einen guten Schritt gemacht hat, indem sie gesagt hat, sie will an dieser Stelle dafür sorgen, dass es nicht mehr nur 72 Monate sind und dass es auch für alle Kinder gilt, allerdings nicht für die Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher im SGB-II-Leistungsbezug. Warum auch immer: Sie sind von dieser Regelung ausgeschlossen. Das versteht man natürlich nicht. Ich kann nur hoffen, dass bei dem nächsten Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung verfasst, nicht das gestrichen wird, was jetzt gerade bekannt wurde, nämlich die Ergebnisse, die belegen, dass die Interessen der armen Menschen in Deutschland deutlich schlechter vertreten werden als die der reichen Menschen. Das sollte nicht geschehen, sondern wir sollten uns an dieser Stelle ehrlich machen.

Ich finde, wir haben einen guten Antrag vorgelegt. Der Antrag der CDU geht nicht weit genug. Deswegen bitte ich Sie, unserem zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Sylvia Bruns das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst auf die Bemessungsgrundlage, von der auch der Kollege Meyer gesprochen hat, eingehen, damit man weiß, worüber man redet. Sogar die Bundesarbeitsministerin Nahles meint, dass man neu darüber sprechen sollte, wie man Armut bemisst. Interessanterweise wurde danach gefragt, wie sich Armut definiert. Da man die Bemessungsgrundlage nicht aktualisiert hat, ist die Kinderarmut in Griechenland nach der Krise gesunken, weil weniger Geld vorhanden ist. Deswegen müssen wir uns tatsächlich einmal darüber unterhalten, wie man das bemisst. Da hat der Kollege Volker Meyer recht. Darüber müssen wir einmal reden. Anscheinend macht das die SPD im Bund ja auch. Dass Sie sich hier verweigert, finde ich merkwürdig.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Ich komme zu einem anderen Thema: Die FDP hat dieses Thema nicht erst jetzt entdeckt und sich formvollendet enthalten. Nein, es ist ein Thema, was mich auch schon seit Langem bewegt. Der Einstieg in dieses Thema ist in Ihrem Antrag ja auch formuliert: Es gibt einen dreistelligen Millionenbetrag für Familienleistungen, der aufgebracht wird, und trotzdem lebt jedes fünfte Kind in Armut. Das hat mich als Ratsfrau schon bewegt, weil wir schon unheimlich viel Zuwendungen für Arbeit in diesem Bereich gezahlt haben und dennoch der Bildungsverlierer Migrant und männlich war und die Wirkung nicht mehr überprüft werden konnte. Deswegen ist es wichtig, dieses Thema anzugehen und zu prüfen, was eigentlich mit den Familienleistungen passiert. Was machen wir damit? Erzielen wir die Wirkungen, die wir brauchen?

Zu dem Antrag an sich: Zunächst zu dem Antrag von SPD und Grünen. Ich finde es richtig, die Mittel des Bildungs- und Teilhabepaketes zu erhöhen und über Vereinfachungen zu reden. Als damals das Bundes- und Teilhabepaket gestartet ist, hat jede Kommune das für sich irgendwie gehandhabt. Manche hatten ganz einfache Abrechnungsformulare - das hatte ich mir seinerzeit in Osnabrück angesehen -, während sich die Region Hannover schwer tat und das dermaßen kompliziert gestaltet war, dass die Gelder nicht abgerufen wurden. Daher ist es schon wichtig, diskriminierungsfrei an die Sache heranzugehen. Auch wenn die Kinder das Mittagessen in den Schulen bezahlt bekommen, muss es nicht sein, dass jeder gleich erkennt, dass

es ein Kind aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ist. Die Diskriminierungsfreiheit ist für mich ein wichtiger Punkt.

(Beifall bei der FDP)

Was sich auch während der Anhörung ergeben hat und sich auch rein sachlich nicht erklärt, ist die Anrechnung des Kindergeldes auf die SGBRegelsätze. Normalerweise ist das Kindergeld für die Kinder da, und deswegen hat sich mir inhaltlich nicht erklärt, warum das auf die SGB-Regelsätze angerechnet wird. Da hat es auch nichts zu suchen. Es gab seinerzeit eine Diskussion um die Regelung, dass Geld aus Ferienjobs auf die Regelsätze angerechnet worden ist. Ich möchte jetzt noch einmal erwähnen, dass auf Antrag der FDP die Zuverdienstgrenzen in diesem Bereich weggefallen sind und deshalb der Verdienst aus den Ferienjobs der Kinder nicht auf die Sätze der Eltern angerechnet wird.

(Beifall bei der FDP - Dr. Marco Genthe [FDP]: Sehr richtig!)

Ich kann mich an ein Beispiel erinnern - ich meine, der DGB hat es gebracht -, dass Busfahrten in den Leistungen nicht enthalten sind. Wenn man die Kinder mit dem Bus beispielsweise durch ganz Hannover zur Kita fahren muss, muss man sich jeden Tag die Busfahrkarte kaufen, aber diese Kosten sind nicht enthalten.

Dennoch werden wir den Antrag ablehnen, weil wir ein anderes Konzept haben. Bei Ihrem Antrag finde ich beispielsweise unter dem Punkt 3 gut, dass man sehen will, ob man die Grundsicherung und die SGB-Leistungen zusammenführen kann. Das ist aber ein anderes Thema. Wir sollten aber auch bei den SGB-Leistungen für die Erwachsenen zu einer ganz anderen Regelung kommen. Nein, das ist nicht das bedingungslose Grundeinkommen, das ist das liberale Bürgergeld. Das finanziert sich ein wenig anders. Wenn man über dieses System das Thema angeht, ist es tatsächlich so, dass Kinder die gleichen Beträge wie die Erwachsenen bekommen würden. Dann würde das ganze System auch ein wenig effizienter arbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Bei dem Änderungsantrag der CDU, der mich leider erst heute Morgen erreicht hat, erschließt sich mir nicht so ganz - der Ursprungsantrag dreht sich ja eigentlich um die SGB-Leistungen sowie um die Vereinfachung des Systems -, warum hier jetzt die Gesundheitsvorsorge und das Kita-Besuchskonzept enthalten sind. Diesen Antrag werden wir ab

lehnen, weil diese Punkte mit dem originären Thema nichts zu tun haben, weil es hier um Zuwendungsleistungen geht. Wir finden, dass das liberale Bürgergeld das bessere Konzept ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Auch Ihnen, Frau Bruns, vielen Dank. - Mir liegt jetzt noch die Wortmeldung der Landesregierung vor. Ich erteile Frau Ministerin Rundt das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Deutschland gibt es knapp 2 Millionen Kinder, die in Armut leben, in Niedersachsen sind es allein 190 000 Kinder, die Sozialleistungen nach dem SGB II beziehen. Das spricht meines Erachtens für sich. Hier besteht Handlungsbedarf. Hier ist Handlungsbedarf - das will ich ausdrücklich sagen - trotz einer einmalig niedrigen Arbeitslosenquote, die wir hier in Niedersachsen dank einer ganz wunderbaren rot-grünen Wirtschaftspolitik haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir stellen jedoch fest, dass Arbeit allein nicht genügt, weil Arbeit alleine das Problem einer sozial ungerechten Umverteilung nicht löst.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch hierfür gilt es, Lösungen zu finden.

Liebe Frau Bruns, bei der Definition von Armut nach EU-Standards geht es um die relative Armut, weil es genau um den Abstand zu den anderen Menschen, die gut verdienen, geht.

Seit unserer ersten Beratung im August sind wir zumindest einen kleinen Schritt weiter. Zum 1. Januar dieses Jahres haben sich die Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche teils deutlich angehoben, z. B. gab es in der Altersstufe der Kinder von 7 bis 14 Jahren eine Erhöhung von 21 Euro. Aber auch das ist noch keine Lösung von grundsätzlichen Fehlentwicklungen im Bereich der Kinderarmut. Deswegen haben wir gemeinsam mit anderen Bundesländern gefordert, das Bildungs- und Teilhabepaket grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Die Leistungen sind nicht nur viel zu gering, sie erfordern auch einen nicht zu vertreten

den bürokratischen Aufwand. Unsere ganz konkreten Forderungen, z. B. die Streichung des Eigenanteils bei der Mittagsverpflegung, die Anhebung des Ansatzes für das Schulbedarfspaket, haben aber leider keinen Eingang in das Gesetz gefunden.

Ja, das möchte ich ausdrücklich sagen, das Geld kommt bei den Kindern an. Gerade Alleinerziehende, aber natürlich auch Familien mit beiden Elternteilen, natürlich abgesehen von Einzelfällen, reißen sich ein Bein aus, damit es ihren Kindern gut geht, und sie leiden unter ihrer Armut, gerade mit Blick auf ihre Kinder.

Ein Baustein zur Bekämpfung der Kinderarmut ist auch die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses, die bereits erwähnt wurde. Die Aufhebung der Höchstbezugsdauer von 72 Monaten war überfällig. Hier ist es wichtig, ebenfalls weiterzukommen.

Das Problem der Kinderarmut wird aber auch dieser erfreuliche Ansatz nicht lösen. Wenn wir Kinderarmut langfristig und wirksam begegnen wollen, müssen wir über den Tellerrand blicken und einen Systemwechsel in Betracht ziehen. Der Lösungsansatz liegt nach meiner Ansicht in der Einführung einer Kindergrundsicherung.

Ein solch tiefgreifender Systemwechsel mit Auswirkung auf Steuerrecht, Zivilrecht, Unterhaltsansprüche, Sozialleistungen, bei denen das Einkommen des Kindes zu berücksichtigen ist, erfordert eine Abstimmung in vielen Bereichen. Wir brauchen also Mut, wir brauchen überzeugende Strategien, und wir brauchen vor allen Dingen einen langen Atem, um dieses Ziel zu erreichen.

Ich bin überzeugt, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind. Die ersten Schritte sind getan. Gemeinsam mit dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge hat das Land Niedersachsen am 9. Dezember letzten Jahres in der Niedersächsischen Landesvertretung zu einer Fachveranstaltung eingeladen, in der die aktuellen Befunde zu Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche sowie neue Konzepte zur Verbesserung der finanziellen Unterstützung von Kindern und deren Familien diskutiert wurden.

(Unruhe)

Frau Ministerin, ich muss Sie kurz unterbrechen, weil die Geräuschkulisse auf der linken Seite des Hauses wirklich zu hoch ist. Wenn Sie bitte der Frau Ministerin lauschen würden! - Vielen Dank.

Niedersachsen hat die Federführung bei einer länderoffenen Arbeitsgruppe zur Einführung einer Kindergrundsicherung übernommen, in deren Rahmen der Diskussionsprozess nun fortgeführt werden soll. Die konstituierende Sitzung erfolgt unter Einbeziehung externer Experten Anfang April.

Der vorliegende Antrag unterstützt unsere Arbeit an der Kindergrundsicherung. Ich freue mich, wenn wir es schaffen, dieses Ziel möglichst gemeinsam weiterzuverfolgen, weil die Beseitigung der Kinderarmut sicherlich ein Ziel ist, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Vielen Dank.