Protocol of the Session on December 14, 2016

Die Anfrage wird von unserer Kollegin Angelika Jahns von der CDU-Fraktion vorgetragen. Bitte sehr, Frau Jahns!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich trage die Dringliche Anfrage der CDU-Fraktion vor:

Was tut die Landesregierung gegen Asylmissbrauch?

Der Weser-Kurier berichtete in seiner Ausgabe vom 27. Oktober 2016 unter dem Titel „14-köpfige Familie fährt von Gemeinde zu Gemeinde“, dass der Bürgermeister der Samtgemeinde Tarmstedt, Herr Frank Holle, befürchte, eine 14-köpfige Familie abgelehnter Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina kurzfristig erneut unterbringen zu müssen.

Im Weser-Kurier heißt es hierzu:

„Tarmstedt. Samtgemeindebürgermeister Frank Holle mag in diesen Tagen gar nicht mehr aus dem Fenster seines Dienstzimmers schauen. Es könnte nämlich passieren, dass ein bestimmtes Wohnmobil auf den Parkplatz des Tarmstedter Rathauses einbiegt. Dass dem Fahrzeug eine 14-köpfige Familie entsteigt, die von der Samtgemeinde Tarmstedt untergebracht werden will. Es wären alte Bekannte, die Holle und seiner Rathausmannschaft schon länger Schweißperlen auf die Stirn treiben. Ebenso wie anderen Rathaus-Chefs und ihren Leuten.

Es handelt sich um die Großfamilie, die Asyl suchend im März 2015 von der Samtgemeinde im alten Pfarrhaus in Wilstedt untergebracht wurde. Die Asylanträge seien im Dezember als unbegründet abgelehnt worden, so Holle, der Familie sei die Abschiebung nach Bosnien angedroht worden. Am 2. Januar sei sie verschwunden gewesen.

‚Untergetaucht‘, sagt Holle. Die zuvor renovierte und eingerichtete Wohnung im alten Pfarrhaus sei derart ramponiert gewesen, dass Reparaturkosten von 10 000 Euro entstanden seien.

Auch der Freundeskreis Asyl, der in der Samtgemeinde etwa 200 Flüchtlinge betreut, hat mit dieser Familie so schlechte Erfahrungen gemacht, dass der Verein nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Vorstandsmitglied Rolf Struckmeyer: ‚Das sind keine Flüchtlinge. Die versuchen, sich in Deutschland durchzuschlagen, indem sie von Gemeinde zu Gemeinde reisen. Das ist eine völlig andere Denk- und Lebensweise. Wir wollen nicht, dass unsere Gutmütigkeit weiter ausgenutzt wird.‘“

Im selben Artikel heißt es weiter unten:

„Doch Holle weiß im Moment überhaupt nicht weiter. Er habe im Moment schlichtweg keinen Platz für die große Familie, die einzige geeignete Unterkunft in Wilstedt sei belegt. Er habe die Familie übergangsweise in der Samtgemeinde Selsingen unterbringen können. Doch die Familie habe sich in Rhade bei Mitbewohnern und Nachbarn ebenso unbeliebt gemacht wie zuvor in Wilstedt, sodass die Selsinger den Tarmstedtern eine Frist bis Freitag gesetzt haben, sie wieder zurückzunehmen.

Holles Problem wäre gelöst, wenn er die Familie beispielsweise in der Notunterkunft des Landkreises in Visselhövede unterbringen könnte, in der im Moment reichlich Platz ist. Das hat zwar der Landkreis neulich so gemacht, nachdem die Familie eines Nachmittags unerwartet in Rotenburg vorm Kreishaus aufgeschlagen ist. Doch das ist laut Gesetz so nicht vorgesehen. ‚Es ist die Kommune zuständig, bei der die Asylsuchenden zuletzt gemeldet waren‘, so Holle.

Der rechnet nun jederzeit damit, dass das ungeliebte Wohnmobil, für das weder der Vater noch die Mutter einen gültigen Führerschein besitze, am Tarmstedter Rathaus vorfährt.“

Und abschließend der Weser-Kurier:

„Sein Dilemma bringt Holle so auf den Punkt: ‚Diese Leute machen sich die Lücken im deutschen Rechtssystem zunutze. Sie haben überhaupt keine Chance, in Deutsch

land Fuß zu fassen, doch wir kriegen sie nicht raus.‘ Er habe jedenfalls entschieden: ‚Wenn die bei uns vor der Tür stehen, schicken wir sie weg.‘“

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie ist der aktuelle Status hinsichtlich der betroffenen Familie?

2. Welche Möglichkeiten bestehen seitens des Landes, des Landkreises und der Samtgemeinde, um diese Familie aus Bosnien abzuschieben?

3. Welche Möglichkeiten hat die Samtgemeinde Tarmstedt, dieser Familie Sozialleistungen zu verweigern bzw. sie zu einem sozial adäquaten Verhalten zu bewegen?

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Jahns. - Jetzt antwortet die Landesregierung, ich denke, in persona Herr Innenminister Pistorius. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Dringlichen Anfrage liegt der Einzelfall einer vermutlich bosnischen Familie zugrunde. Aus datenschutzrechtlichen Gründen darf und kann ich hier nähere Einzelheiten nicht ausführen.

Aber lassen Sie mich anhand dieses Falles exemplarisch darstellen, dass das Land Niedersachsen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, einem Asylmissbrauch entgegenzuwirken, und die örtlich zuständigen Ausländerbehörden dabei unterstützt, den Aufenthalt dieser Familie und auch anderer, vergleichbarer Einzelfälle umgehend zu beenden.

Sicher ist an dieser Stelle auch, dass unser Asylsystem an die politische Verfolgung anknüpft und kein geeignetes Instrumentarium ist, um Flüchtlingen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, zu helfen.

In dem in Rede stehenden Fall geht es nicht nur um die Frage der örtlichen Zuständigkeit für die Unterbringung. Die diesbezügliche Rechtslage ist, wie bereits in der Anfrage formuliert, eindeutig. Vielmehr liegen hier die Probleme in der ungeklärten Identität der Familie und in fehlenden Dokumenten.

Vor diesem Hintergrund beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Die Familie ist erstmals Anfang Februar 2015 in das Bundesgebiet eingereist und im März 2015 dem Landkreis Rotenburg (Wümme) zugewiesen worden. Der Asylantrag der Familie wurde am 1. Dezember 2015, also sieben Monate später, als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die Familie hat am 5. Januar 2016 gegen die negative asylrechtliche Entscheidung den Klageweg beschritten. Da die Familie seit dem 6. Januar 2016 - also bereits einen Tag nach Klageerhebung - unbekannten Aufenthalts war, ist das Klageverfahren im April 2016 eingestellt worden.

Im September 2016 hat sich die Familie wieder bei den Behörden gemeldet und, ebenfalls erfolglos, einen Asylfolgeantrag gestellt. Die gegen diese asylrechtliche Entscheidung gerichtete Klage entfaltet keine aufschiebende Wirkung. Seit Oktober 2016 ist die Familie wieder untergetaucht und zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben.

Im Falle eines Aufgriffs steht dem Vollzug einer zeitnahen Abschiebung derzeit allerdings entgegen, dass die für eine Aufenthaltsbeendigung erforderlichen Dokumente ihres Herkunftsstaates nicht vorliegen. Der Aufenthalt der Familie wäre wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung zu dulden.

Zu Frage 2: Die Landesregierung ist bestrebt, die Ausreiseverpflichtung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer konsequent durchzusetzen. Vorrang hat dabei die Förderung einer freiwilligen Ausreise. Die in Rede stehende Familie wurde von der zuständigen Ausländerbehörde auch über die Möglichkeit und die Vorteile einer freiwilligen Rückkehr informiert.

Zuständig für die Einleitung einer Abschiebung ist die Ausländerbehörde des Landkreises. Einer zeitnahen Aufenthaltsbeendigung steht in diesem Fall jedoch entgegen, dass die Familie über keinerlei Dokumente ihres Herkunftsstaates, die für eine Abschiebung zwingend erforderlich sind, verfügt oder diese eventuell unterschlagen hat.

Trotz des aktuell unbekannten Aufenthalts der Familie wird die Klärung der Identität von der Ausländerbehörde intensiv betrieben. Das Fachreferat meines Ministeriums steht bereits mit der Ausländerbehörde in Kontakt. Es hat mit der zuständigen Sachbearbeiterin Möglichkeiten der Identitätsklärung und in der Folge der Beschaffung der für eine

Aufenthaltsbeendigung notwendigen Dokumente erörtert und Unterstützung zugesagt.

Sofern die bislang vorliegenden Hinweise, die auf eine bosnische Staatsangehörigkeit hindeuten, zutreffend sind, ist zu beachten, dass BosnienHerzegowina derzeit keine Rückführung unter Nutzung des EU-Laissez-passer akzeptiert. In diesem Fall wäre nach einer Klärung der Identität der Betroffenen und der Feststellung der bosnischen Staatsangehörigkeit ein reguläres Rückübernahmeverfahren einzuleiten. Zur Erleichterung von Rückführungen verhandelt der Bund momentan mit Bosnien-Herzegowina über die Akzeptanz von EU-Laissez-passer. Insoweit haben allerdings weder das Land Niedersachsen noch die Kommunen Einflussmöglichkeiten.

Zu Frage 3: Die kommunalen Leistungsbehörden haben die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungseinschränkungen gemäß § 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes vorzunehmen.

Leistungseinschränkungen sind beispielsweise möglich, wenn den Leistungsberechtigten nachgewiesen werden kann, dass sie sich nur nach Deutschland begeben haben, um Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen. Darüber hinaus können Leistungseinschränkungen auch dann vorgenommen werden, wenn sich die Leistungsberechtigten einer Abschiebung entziehen oder ihre Mitwirkungspflichten verletzen. Es handelt sich in jedem Fall immer um eine Einzelfallprüfung der zuständigen Kommune.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta übernimmt den Vorsitz)

Sollte die Leistungsbehörde nach der Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass Leistungseinschränkungen vorzunehmen sind, werden unter den in § 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes genannten Voraussetzungen nur noch Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Diese Leistungen sollen dann grundsätzlich als Sachleistungen erbracht werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. - Die erste Zusatzfrage stellt Frau Abgeordnete Jahns, CDUFraktion. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Warum wurde diese Familie bei dem zweiten Asylantrag wieder der Samtgemeinde Tarmstedt zugewiesen? Sehen Sie die Möglichkeit, die Samtgemeinde zu unterstützen, indem diese Familie, wenn sie noch einmal auftaucht, in einer Landeseinrichtung untergebracht wird?

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Bitte, Herr Minister Pistorius!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gilt die räumliche Beschränkung der Erstzuweisung. Daran ist nichts zu ändern. Das heißt, derjenige kommt dahin, wohin er beim ersten Mal zugewiesen worden ist. Das ist so.

Die Landesaufnahmeeinrichtung, die in dem Bericht, den Sie zitiert haben, auch genannt worden ist - Visselhövede -, ist in der Abwicklung begriffen. Schon von daher ist es schwierig, dort noch jemanden unterzubringen. Zum Zweiten gilt in diesem Fall das Gleiche wie oben: Landesaufnahmeeinrichtungen sind nicht ein Ersatz für eine im Wege der Erstzuweisung vorgenommene Zuweisung in eine Kommune.

Vielen Dank, Herr Minister. - Die zweite Zusatzfrage stellt wiederum Frau Kollegin Jahns, CDUFraktion. Bitte, Frau Kollegin!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage die Landesregierung: Wie viele ähnliche Fälle von derart großen Familien sind ihr bekannt?

Vielen Dank. - Bitte, Herr Minister!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Jahns, auf Zuruf ist mir keiner