Warum also entscheidet sich ein jetzt 16-jähriges Mädchen im Alter von 13 Jahren, einen Niqab zu tragen und damit ihr Gesicht mit einem Schleier zu verdecken, der nur noch ihre Augen frei lässt?
Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten, warum das geschehen ist. Die Möglichkeit Nr. 1: Sie wird von ihrer Familie dazu gezwungen, oder - das gehört auch zur Möglichkeit Nr. 1 - sie fühlt sich aufgrund ihres familiären Umfelds dazu genötigt, diesen Schleier zu tragen.
Dafür spricht einiges. Wie wir bei Spiegel Online am 7. Dezember erfahren konnten, lebt dieses Mädchen in einem radikalen, islamistischen familiären Umfeld. Ihr Vater ist Anhänger des seit 2001 in Deutschland verbotenen Kalifatstaates, und auch ihr 20-jähriger Bruder ist ein Anhänger dieses Kalifatstaates und beteiligte sich an der „Lies!“Koranverteilaktion. Sie wissen, dass das ebenfalls ein Hinweis auf eine Radikalisierung ist. Inzwischen ist der Bruder zur Grenzfahndung ausgeschrieben.
Es spricht also vieles dafür, dass sich dieses Mädchen genötigt gesehen hat, ihrer Familie, der Tradition und dem Glauben ihrer Familie, zu entspre
Die Möglichkeit Nr. 2 ist, dass sie diesen Schleier freiwillig trägt. Das würde allerdings bedeuten, dass sie ihrerseits die Vollverschleierung von Frauen für den richtigen Weg hält, den Islam zu leben. Das würde bedeuten, dass sie sich den islamistischen Auslegungen des Islams ihrer Familie angeschlossen hat. Sie selbst würde dann ihre Mitschüler mit diesem islamistischen Gedankengut, der Unterdrückung von Frauen, konfrontieren. Ihre Mitschüler könnten sich dem nicht entziehen.
Das ist eine Position, die wir in einer niedersächsischen Schule nicht hinnehmen können, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Dass sie mit ihrem Verhalten möglicherweise auch Vorbild innerhalb ihrer Familie ist, zeigt ebenfalls der Spiegel-Artikel; denn ihr zwei Jahre jüngerer Bruder hat sich im Alter von 14 Jahren entschieden, mit Gebetskette und Kaftan in die Schule zu gehen und dort radikale Positionen zu vertreten - mit 14!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, RotGrün hat es seit der Regierungsübernahme geschafft, ein Klima falsch verstandener Toleranz gegenüber radikalen islamistischen Positionen zu schaffen.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist Unfug! - Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)
Dieses Klima hat zu einer Verunsicherung von Behörden und Schulen geführt. Nur so ist es zu erklären, dass sich eine Schulleiterin entschieden hat, zwei Jahre lang nicht mit der Schulaufsicht, nicht mit den Sicherheitsbehörden, mit niemandem über diesen Vorgang zu sprechen. Nur so ist das zu erklären.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das ist eine Verdrehung der Tatsachen!)
Der Innenminister hat bereits am Freitag im Untersuchungsausschuss viele Fehler bei der Zusammenarbeit der Behörden eingeräumt.
(Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Wo waren Sie denn letzten Freitag? - Glocke der Präsidentin)
Meine Damen und Herren, es zeigen sich an dieser Stelle interessante Parallelen. Warum hat auch bei dieser Familie keine Umfeldaufklärung stattgefunden? Warum hat es bei dieser Familie keine Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit den Schulbehörden gegeben?
Das sind interessante Parallelen; so etwas haben wir auch im Umfeld von Safia erlebt. Das ist nicht hinnehmbar. Der Minister hat das - ich sagte es gerade schon - deutlich eingeräumt.
Deswegen die Frage: Warum tut die Landesregierung nichts? Warum tut die Ministerin nichts? - Auch heute wäre das noch möglich. Ausdrücklich sei an der Stelle gesagt: Gespräche mit der Schülerin und der Familie zu führen, war natürlich richtig - gar keine Frage.
Es ist natürlich richtig, zunächst einmal zu versuchen, eine Schülerin davon zu überzeugen, dass sie den Niqab ablegt. Aber was ist das denn bitte für ein Verhalten, wenn sich, wenn die Schülerin das nicht tut, daraus keinerlei Konsequenzen ergeben?
Was war das für eine absurde Argumentation, die im letzten Plenum vorgetragen wurde? - Da hieß es: Herr Nacke, in fünf Fällen haben Gespräche zum Erfolg geführt; damit ist bewiesen: Das Gespräch ist der richtige Weg. Und wenn es in einem Fall nicht zum Erfolg führt, ist das eben hinzunehmen.
In welchem anderen Rechtsgebiet würden Sie denn sagen: „Wenn eine Anordnung, eine Bitte, ein Gespräch nicht zum Erfolg führt, dann dulden wir das mal, auch wenn ein Rechtsverstoß im Raum steht.“? In keinem anderen Rechtsgebiet würden Sie das zulassen.
Deswegen fragen wir: Warum haben Sie die Ordnungsmaßnahmen, die das Schulgesetz in § 61 vorsieht, nicht ausgenutzt? Warum haben Sie, nachdem die Gespräche eben nicht gefruchtet haben, nicht irgendwann einmal gesagt, es wird jetzt zu einem Schulverweis kommen? Warum haben Sie keine Bußgelder gegen die Familie verhängt, gegen die Eltern, die den offensichtlichen Rechtsbruch ihres noch minderjährigen Kindes offensichtlich zulassen?
In keinem anderen Bereich würden Sie das tun! Kein anderer Bereich von radikalem oder schulschädlichem Verhalten würde von Ihnen nach dem Motto begleitet werden: „Egal, wir nehmen das jetzt mal hin. Das soll jetzt mal so sein. Noch ein halbes Jahr, und dann ist die Schülerin ja weg.“ - Bei keinem anderen Bereich würden Sie das zulassen. Hier lassen Sie es zu, und diese Ungleichbehandlung ist das schlimme Zeichen, das Sie setzen.
Aber selbst wenn Sie die Position vertreten wollten, dass man das Ganze nun über zwei Jahre lang zugelassen habe, weswegen man möglicherweise vor einem Verwaltungsgericht verlieren würde, das argumentieren würde: „Zwei Jahre lasst ihr es zu und das letzte halbe Jahr nicht mehr. Das ist inakzeptabel.“, und selbst wenn es so gesehen würde, dass man diesem Mädchen den Schulabschluss ermöglichen müsste, frage ich: Warum hat man sich nicht für die Möglichkeit des Hausunterrichts entschieden? - Auch das wäre noch möglich gewesen, damit zumindest der rechtswidrige Zustand an der Schule beseitigt wird. Das wäre auch nicht nur möglich gewesen, das wäre zwingend gewesen. Dass Sie das nicht gemacht haben, ist ein riesiger Ermessensfehler. Damit begehen Sie Rechtsbruch oder dulden Sie Rechtsbruch.
(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Was denn jetzt? Wollen wir uns mal entscheiden?)
Im letzten Plenum kam dann der Rettungsanker, als Björn Försterling gesagt hat: „Das Schulgesetz ist nicht ganz eindeutig. Die FDP hat einen entsprechenden Entwurf eingebracht. Darüber wird nachher gesprochen.“ Daraufhin kam Herr Limburg und sagte: „Oh, sehen Sie mal, das Schulgesetz ist gar nicht so eindeutig.“
Das ist aber falsch. Erstens sagt die Regierung das anders, zweitens sagt die Kultusministerin es selber anders, drittens sagen es die Fraktionen von SPD und Grünen anders, und viertens sagen auch CDU und FDP es anders.
Selbst wenn Sie es anders sehen, Herr Limburg - wie Sie versucht haben deutlich zu machen -: Die Kultusministerin hat nichts getan, um dieses Schulgesetz zu ändern. Sie haben keine Änderung auf den Weg gebracht, was längst hätte passieren können und müssen. Auch hier ein Verstoß gegen Ihre Rechtsposition!
Mit Ihrem Amtseid vom 19. Februar 2013 haben Sie, Frau Ministerin, geschworen, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Niedersächsische Verfassung sowie die Gesetze - auch das Schulgesetz - zu wahren und zu verteidigen. So steht es in Artikel 31 der Niedersächsischen Verfassung. Aber mit dem Dulden, dem Geschehenlassen, verstoßen Sie gegen ebendiesen Amtseid. Und für diesen Fall sieht unsere Verfassung, Artikel 40 Abs. 1, die Ministeranklage, vor. Deswegen haben wir diesen Antrag heute auf den Weg gebracht.
Auch wenn ich weiß, dass die parlamentarischen Regeln, denen wir hier natürlich folgen, dazu führen werden, dass Sie diesen Antrag heute ablehnen, bitte ich Sie: Überdenken Sie Ihre Position! Ich weiß doch, dass es auch in den Fraktionen von Grünen und SPD Leute gibt, die eine andere Position vertreten. Ich könnte sie hier namentlich nennen, ich erspare es diesen Kolleginnen und Kollegen aber.
Spätestens zum Schulhalbjahreswechsel wäre doch der richtige Zeitpunkt, entscheidend durchzugreifen. Wenn Sie das nicht machen, begehen Sie einen Riesenfehler.
Mit Islamfeindlichkeit hat das überhaupt nichts zu tun, wie Sie, Frau Hamburg, es am 15. September der CDU-Fraktion unterstellt haben. Wenn Sie die Diskussion in diese Richtung lenken, begehen Sie einen Fehler. Es ist nämlich eine Aufgabe dieses Parlaments und der Gesellschaft insgesamt - und zwar ausdrücklich, Herr Ministerpräsident, unter Beteiligung der Verbände, mit denen Sie in Gesprächen stehen -, zu definieren, was in dieser Gesellschaft, in unserer toleranten, rechtsstaatli
chen Gesellschaft, eine zulässige Ausübung der Religion ist und was darüber hinaus geht und als islamistisch nicht mehr hingenommen werden kann. Das müssen wir definieren.
Sie drücken sich hier um klare Positionen. Sie drücken sich hier um klare Grenzen. Damit erledigen Sie das Geschäft der Islamisten und der Populisten aus dem rechten Bereich gleich mit. Das ist das Problem.
(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP - Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN - Anja Piel [GRÜNE]: Oh, Herr Nacke! Das ist ja nicht zu glauben!)
Wie ich schon beim letzten Mal gesagt habe, liefern Sie damit sowohl den islamistischen Hasspredigern als auch den rechtsradikalen Populisten das Argument, dass sich dieser Staat selbst dann nicht wehrt, wenn seine eigenen Regeln nicht eingehalten werden.
Einen solchen Staat wollen die Menschen nicht. Die Menschen wollen einen starken und einen kraftvollen Staat, der bereit ist, seine eigene Position zu verteidigen und durchzusetzen. Sie vertreten mit dieser Entscheidung diesen Staat nicht!
Und weil das so ist, hat diese Ministerin gegen ihren Amtseid verstoßen. Es wäre gut, wenn der Staatsgerichtshof die Chance bekommen würde, darüber eine Entscheidung zu treffen, damit die Ministerin dann die notwendigen Konsequenzen ziehen könnte.