Auch viele Experten, meine Damen und Herren, haben daran berechtigte Zweifel. Es drängt sich eine ganze Reihe von Fragen auf, die uns beschäftigen und auf die wir von der Landesregierung schon bald konkrete Lösungsvorschläge erwarten.
Erstens. Es ist derzeit völlig unklar, wie sich der Sparkurs auf die Zulieferer, also auch die Jobs, die auch mittelbar von VW abhängen, auswirken.
Es ist gut, Herr Lies, dass Sie jetzt zu einem Zulieferergipfel einladen. Das kann aber nur der Anfang sein, und es stellt sich die Frage: Warum erst jetzt?
Sie müssen alles dafür tun, dass der Zukunftspakt bei VW kein Vertrag zulasten Dritter, nämlich der VW-Zulieferer, wird.
Im letzten Jahr hat VW bundesweit rund 1 600 Ausbildungsplätze angeboten, darunter rund 260 duale Studienplätze. Zum Ausbildungsstart am 1. September 2016 stellte VW allein in Wolfsburg mehr als 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Ich frage mich: Was ist hier in Zukunft zu erwarten?
Klar ist doch: Wenn die Automobilindustrie in der Region Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter wirklich vor einem ähnlichen Strukturwandel steht wie das Ruhrgebiet beim Steinkohlebergbau vor Jahrzehnten, dann erfordert das natürlich auch erhebliche eigene Anstrengungen seitens der Landesregierung und nicht erst in einem Morgen, sondern im Jetzt, meine Damen und Herren.
Müssen wir nicht jetzt schon über großangelegte Qualifizierungsprogramme des Landes für Handwerk und Mittelstand in der Region nachdenken, um diesen Strukturwandel sozialverträglich in allen Bereichen zu gestalten?
Drittens. Der Großraum Braunschweig ist die Forschungsregion Nummer eins in Europa. Gemessen an seiner Wirtschaftsleistung kann er auf den höchsten Anteil an Forschungs- und Entwicklungsausgaben verweisen. Wenn Volkswagen jetzt zusätzlich Tausende von IT-Spezialisten nach Wolfsburg locken will, dann stellt sich natürlich auch diese Frage: In welcher Art und Weise werden die Hochschulen in Braunschweig, Wolfsburg, Salzgitter darauf vorbereitet? Konkret: Was tut die Wissenschaftsministerin dafür?
Herr Weil, der Begriff „Zukunft“ kam in Ihrer Rede allein 15-mal vor. Wie diese Zukunft für die Beschäftigten von Volkswagen konkret aussehen könnte und welche Maßnahmen zur Umsetzung notwendig sind, das konnten Sie hier nicht einmal im Ansatz skizzieren. Das, was Sie hier heute vorgetragen haben, ging über die Lektüre des Handelsblatts vom letzten Freitag nicht hinaus. Eine einzige Enttäuschung!
Deshalb meine eindringliche Bitte: Es ist an der Zeit, dass die jetzt anstehenden Veränderungsprozesse bei Volkswagen endlich klar und deutlich benannt werden, damit die Beschäftigten von
Volkswagen und ihre Familien durch die sich abzeichnenden Veränderungen eben nicht weiter verunsichert werden, wie es derzeit der Fall ist. Denn, meine Damen und Herren, Verunsicherung ist ein idealer Nährboden für Populismus. Dagegen helfen am Ende nur Klarheit und Wahrheit.
Vielen Dank, Herr Kollege Thümler. - Ich erteile jetzt für die SPD-Fraktion der Vorsitzenden, Frau Modder, das Wort. Bitte!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Thümler, wir sollten aufhören, uns hier gegenseitig Märchen zu erzählen.
(Zustimmung bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Ja, das stimmt! Und der MP sollte damit anfangen! Wie wär’s damit?)
Wenn Sie, Herr Thümler, von Fehlinformation und Missachtung des Parlaments reden, dann will ich nur einmal in Erinnerung rufen: Am Freitagmorgen sind die Fraktionsvorsitzenden vom Ministerpräsidenten informiert worden. Sie hatten keinerlei Nachfragen.
Wir hatten die Möglichkeit - der Wirtschaftsminister hatte es angeboten -, am Freitagnachmittag entweder persönlich oder durch Telefonschaltkonferenz Informationen zu erhalten, und gestern hat es eine Unterrichtung in den zuständigen Ausschüssen gegeben.
(Dirk Toepffer [CDU]: Weil das alles nichts Neues war, Frau Modder! - An- ja Piel [GRÜNE]: Das ist unglaublich!)
So viel zur Wahrheit, Herr Thümler, und zur Missachtung des Parlaments. Sie sollten damit endlich einmal aufhören.
Ich will Ihnen noch eines sagen, Herr Thümler: Wenn Sie hier über den Zukunftspakt so reden, als sei das etwas, was man so aus dem Ärmel geschüttelt hat, dann möchte ich Ihnen empfehlen, einmal mit dem Gesamtbetriebsrat zu reden. Die wissen genau, dass über Wochen und Monate hart gerungen wurde, um jetzt endlich Sicherheit für die Beschäftigten zu finden. Auch das gehört zur Wahrheit dazu, Herr Thümler.
Meine Damen und Herren, wir haben heute Morgen bereits über eine überaus erfolgreiche Geschichte unseres Landes in den vergangenen 70 Jahren geredet. Neben der Rückschau und den Lehren, die wir aus der Vergangenheit ziehen können, sind wir als handelnde Politikerinnen und Politiker in der Pflicht, die Gegenwart zu gestalten und die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen. Die gleichen Anforderungen, meine Damen und Herren, gelten nach meinem Dafürhalten selbstverständlich auch für die Verantwortlichen in der Wirtschaft.
Volkswagen und Niedersachsen gehören auch aufgrund der Geschichte unseres Landes eng zusammen. Volkswagen ist ein Konzern, der nicht zuletzt auch durch den großen Einsatz seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten 70 Jahren eine unglaubliche Erfolgsgeschichte geschrieben hat. Volkswagen ist aktuell der größte Autobauer der Welt, und das Herz dieses Weltkonzerns schlägt nach wie vor in Niedersachsen. Das ist gut so, und das soll auch so bleiben, meine Damen und Herren.
Unser Ministerpräsident Stephan Weil hat es gerade schon einmal deutlich gemacht: Hinter dem Volkswagenkonzern liegen turbulente Wochen und Monate. Das hat zum einen mit den klar zu benen
nenden Verfehlungen zu tun, die wir heute unter dem neudeutschen Begriff „Dieselgate“ zusammenfassen. Man muss konstatieren, dass Volkswagen sich und der gesamten deutschen Automobilindustrie mit der Manipulation von Abgaswerten einen absoluten Bärendienst erwiesen hat.
Die Aufklärung dieses Skandals wird den Konzern noch Jahre beschäftigen, sie wird Kapazitäten binden, und sie wird Summen kosten, die den vermeintlichen Nutzen der Manipulation weit übersteigen werden.
Für mich als Sozialdemokratin steht bei der Aufarbeitung dieses eklatanten Fehlverhaltens die Frage der Verantwortung im Mittelpunkt. Es sind eben nicht die Kolleginnen und Kollegen in den Werkshallen, die diese Manipulation zu verantworten haben.
Meine Damen und Herren, deshalb erwarten wir als SPD-Fraktion, dass diese Verantwortung nicht auf die Beschäftigten an den niedersächsischen Standorten abgewälzt wird.
Deshalb ist es wichtig, dass der zwischen Vorstand und Gesamtbetriebsrat ausgehandelte Zukunftspakt, der sich ganz anderen Herausforderungen stellt, auch und gerade in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal in die Belegschaft ist.
Volkswagen stellt sich aufgrund der Herausforderungen der Digitalisierung, des Umstiegs auf Elektromobilität und der dringend erforderlichen Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Marke Volkswagen dem wohl größten Umbau seiner Geschichte. Das ist, glaube ich, unbestritten.
Wir haben es bereits gehört: Niedersachsen wird mittelfristig bis zu 10 000 Industriearbeitsplätze bei Volkswagen verlieren. Auch werden viele Leiharbeiter an den niedersächsischen Standorten entgegen der sonstigen Gepflogenheiten bei Volkswagen nicht übernommen werden können. Auch wenn man sich um Anschlussbeschäftigungen bemühen will, sind das für die Betroffenen bittere Nachrichten. Das kann man auch nicht mit blumigen Worten wegdiskutieren.
Aber, meine Damen und Herren, Volkswagen wird den größten Umbau in seiner Unternehmensgeschichte ohne betriebsbedingte Kündigungen und mit dem höchstmöglichen Maß an Sozialverträglichkeit bewerkstelligen. Es werden siebeneinhalbtausend zukunftssichere und hoch qualifizierte Ar
beitsplätze in Niedersachsen entstehen. Alle niedersächsischen Standorte werden trotz der gewaltigen Umstrukturierungen erhalten bleiben und haben auch weiterhin eine Zukunft. Die Einzelheiten dazu hat der Ministerpräsident ausgeführt. Das muss ich an dieser Stelle, glaube ich, nicht wiederholen.
Der Zukunftspakt gibt den Belegschaften nach vielen Monaten der Befürchtungen und Verunsicherungen endlich Sicherheit. Das sind gute Nachrichten, meine Damen und Herren,
Meine Damen und Herren, die Umwälzungen in der Industrie und in der Arbeitswelt, die wir in den nächsten Jahren erleben werden und zum Teil heute schon erleben, sind gigantisch. Besonders im Bereich der Automobilindustrie stehen tiefgreifende Veränderungen bevor. Der Ministerpräsident hat es bereits gesagt: Die Elektromobilität und alternative Antriebe werden eine immer größere Rolle spielen. Hinzu kommen die Digitalisierung und die immer weitergehende Vernetzung der Fahrzeuge.
Angesichts dieser Herausforderungen brauchte es zwingend eine neue Strategie, die sicherstellt, dass das Herz von Volkswagen auch in Zukunft in Niedersachsen schlagen kann.
Meine Damen und Herren, man muss es so deutlich sagen: Ohne eine solche Strategie und ohne diese Umstrukturierungen hätte die Gefahr bestanden, dass die Automobilindustrie in Niedersachsen, dass Volkswagen den Anschluss an die Zukunft verliert. Eine solche Entwicklung hätte noch wesentlich größere Probleme für den Konzern und seine Beschäftigten mit sich gebracht.
Meine Damen und Herren, mit dem Zukunftspakt stellt sich Volkswagen so auf, dass die hohen Sozialstandards des Konzerns langfristig gehalten werden können. Hier zeigt sich einmal mehr, was verantwortungsvolle, aber auch unnachgiebige Gewerkschaftsarbeit bewirken kann. Dafür vielen Dank an den Gesamtbetriebsrat!