Dass es auch ein anderes Oldenburg in dieser dunklen Zeit gab, möchte ich hier nicht unerwähnt lassen: Der mutige Kreuzkampf, den die Oldenburger Münsterländer 1936 gegen die NSDAP führten, gehört zu den wenigen Beispielen für einen organisierten Massenwiderstand gegen die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ aller Lebensbereiche.
Für den aus Dinklage in Oldenburg stammenden Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, war die Unterstützung im Kreuzkampf ein wichtiger Ansporn für seine weltweit bekannt gewordenen Widerstandspredigten gegen das NSRegime.
Meine Damen und Herren, nachdem die Alliierten Anfang Mai 1945 Oldenburg besetzt hatten, richtete die britische Armee im Landtagsgebäude eine Militärregierung ein, die schon am 16. Mai Theodor Tantzen zum Oldenburgischen Ministerpräsidenten ernannte. Mit seinem Namen verbindet sich der Kampf um den Erhalt eines eigenständigen Landes Oldenburg.
Wie Sie wissen, endete dieses Ringen zwischen den Ministerpräsidenten Kopf, Kubel und Tantzen damit, dass Hinrich Wilhelm Kopf seinen Traum - und damit war er nicht allein - von einem vereinten Niedersachsen verwirklichen konnte.
In Volksabstimmungen sprachen sie sich 1956 und 1975 für eine Wiederherstellung als eigenständiges Bundesland aus, was der Bundestag als Gesetzgeber jedoch verhinderte.
Das zeigt, wie ausgeprägt das oldenburgische Eigenbewusstsein auch im Land Niedersachsen geblieben ist. Und mittlerweile ist es, glaube ich, ganz gut gelungen, den richtigen Platz für Oldenburg in Niedersachsen zu finden. Und nicht zuletzt die Bemühungen eigentlich aller Landesregierungen - ich danke insbesondere auch der Landesregierung unter Ministerpräsident Albrecht - haben daran gearbeitet, ein starkes Niedersachsenbewusstsein gemeinsam zu entwickeln und gemeinsam zu tragen. Ich denke, das tun alle bis heute.
Dennoch bleibt es wichtig: Die Verantwortlichen in Niedersachsen - wir alle! - sollten stets darauf achten, allen vier Landesteilen eine gute und geliebte Heimat zu sein. Ich glaube, das ist existenziell wichtig für ganz Niedersachsen. Und deshalb finde ich es wichtig, heute als Landtag deutlich zu machen, dass sich die parlamentarische Tradition Niedersachsens nicht auf Hannover, sich nicht auf 1946 beschränkt, sondern es ist schon mehr dahinter. Das gilt für alle früheren und jetzigen Landesteile.
Dem trägt auch die Niedersächsische Verfassung Rechnung: Sie schützt die überkommenen Einrichtungen der alten Länder und ruft dazu auf, sie weiter mit Leben zu erfüllen. Auch deshalb bin ich überzeugt, dass das Land Oldenburg 1946 nicht etwa untergegangen ist, sondern als lebendiger und selbstbewusster Teil Niedersachsens im Bewusstsein und im Alltag der Menschen gut weiterbesteht.
Und nicht zuletzt ist Oldenburg ja ohnehin einmal im Jahr die mit Abstand wichtigste Stadt Niedersachsens. Wenn nämlich der Oldenburger Grünkohlkönig gewählt wird, ruht der Blick ganz Deutschlands auf der niedersächsischen Landesvertretung. Und jedes Jahr erhebt sich dann die versammelte Bundesprominenz und singt aus voller Kehle: „Heil Dir, o Oldenburg!“
„Meine sehr geehrten Herren! Seine königliche Hoheit der Großherzog haben mich beauftragt, Sie bei Ihrem ersten Zusammentreffen als 33. Landtag freundlich zu begrüßen und sie zugleich bei Ihrem Einzuge in Ihr neues stattliches Haus zu beglückwünschen.“
Mit diesen Worten hat Minister Franz Ruhstrat die anwesenden Abgeordneten am 9. November 1916, also gestern vor 100 Jahren, bei der Einweihungsfeier zur Eröffnung dieses Landtagsgebäudes im Rahmen der ersten ordentlichen Sitzung des 33. Landtages begrüßt.
Der im ersten Satz der Begrüßung von Minister Ruhstrat erwähnte Auftrag des Großherzogs, der verwandte Pluralis Majestatis sowie das Fehlen jeglicher Anrede für die Damen weisen auf eine gänzlich andere Zeit und gleichzeitig auf die Bedeutung dieses Tages und unseres Festaktes hin.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Bernd Busemann! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Stephan Weil! Meine sehr verehrten Damen und Herren Ministerinnen und Minister! Meine sehr verehrten Gäste! Auch ich möchte Sie ganz herzlich zum heutigen Festakt in den Räumen des Alten Oldenburger Landtages begrüßen. Mir war es ein großes Anliegen, das 100-jährige Bestehen dieses Hauses in einem würdigen Rahmen zu feiern.
Sehr geehrte Ehrengäste, Sie alle - ohne Ausnahme, jede Einzelne und jeder Einzelne von Ihnen - tragen sehr deutlich zu diesem würdigen Rahmen bei. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihr Kommen!
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Busemann, sehr geehrte Angehörige des Präsidiums des Niedersächsischen Landtages, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie zu diesem Festakt eingeladen haben und bereits gestern Abend - also auf den Tag, auf die Stunde genau 100 Jahre nach der ersten Landtagssitzung - zu einer Präsidiumssitzung hier im Hause zusammengekommen sind.
Gegenüber vom Alten Oldenburger Landtag befindet sich das ehemalige Staatsministerium, in dem jetzt u. a. das Amt für regionale Landesentwicklung, das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg sowie auch unsere Behörde, die Polizeidirektion, untergebracht sind. Hierin befindet sich auch der ehemalige Kabinettssaal, der seinen Namen behalten hat und immer noch als Besprechungsraum genutzt wird. In diesem Kabinettssaal hat heute Morgen die erste Sitzung einer Niedersächsischen Landesregierung stattgefunden. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil, verehrte Angehörige der Landesregierung, auch dafür ein ganz herzliches Dankeschön!
Herr Landtagspräsident, Herr Ministerpräsident, selbstverständlich sind Sie auch künftig jederzeit eingeladen, die eine oder andere Sitzung hier in Oldenburg in diesen schönen Räumen stattfinden zu lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, 100 Jahre Alter Oldenburger Landtag - Hand aufs Herz! -: Was bedeutet das eigentlich wirklich für uns im Jahre 2016, und warum genau feiern wir das erste Jahrhundert der Geschichte dieses Hauses? - Ich möchte mich auf drei wesentliche Gedanken konzentrieren.
Der Alte Oldenburgische Landtag - mit dem Staatsministerium - ist und bleibt ein wesentlicher Kulturträger in einem umfassend verstandenen Sinne. Er ist zunächst ein wichtiges Zeugnis der Baukunst aus der Zeit seiner Entstehung und der großartigen Leistung der Architekten und Handwerker, die den auf über 200 Pfählen im morastigen Untergrund errichteten Bau unter zum Teil schwierigen Bedingungen des Ersten Weltkrieges, wie der Lebensmittelknappheit, geschaffen haben. In dem Gesamtkunstwerk lassen sich bis heute besondere gestalterische Details aus der Entstehungszeit entdecken. Zwei, die sofort ins Auge springen, sind der durch zehn unkannelierte, ionische Säulen geprägte klassizistische Eingangsportikus sowie die Wandgemälde von Bernhard Winter im Foyer vor dem Sitzungssaal.
Alter Landtag und Staatsministerium prägen nicht nur das Stadtbild, sondern „sind einfach sehr schön, sodass man sie lieben muss“ wie mein Amtsvorgänger Hans-Jürgen Thurau zu sagen pflegte.
Beide Gebäude sind vor allem wesentliche Zeugnisse der demokratischen Anfänge im Oldenburger Land; wir haben es gerade gehört. Gerade dieser Alte Landtag, dieses Haus, atmet den frühen Geist von Aufbruch und Demokratie in der zu Ende gehenden Monarchie unter der Herrschaft des Oldenburgischen Großherzogs.
Auch wenn, wie wir alle wissen, der Freistaat Oldenburg vor nunmehr 70 Jahren im Land Niedersachsen aufgegangen ist, so weht doch gerade heute auf dem Dach dieses Hauses, wie ich finde, völlig zu Recht die blaurote Fahne des Landes Oldenburg.
Die Geburtsstunde des Oldenburger Landtages ereignete sich bereits am 27. April 1848, also vor fast 170 Jahren, als 34 Abgeordnete im Rathaus in Oldenburg zu ihrer ersten Sitzung zusammentrafen; der Landtagspräsident hat es erwähnt. Gut vier Monate später trat der nunmehr aus 35 Abgeordneten bestehende „Landtag zur Vereinbarung des Staatsgrundgesetzes für das Großherzogtum Oldenburg“ zu seiner ersten vorläufigen Sitzung am Pferdemarkt zusammen; auch das ist erwähnt worden.
Der Alte Oldenburger Landtag insgesamt ist damit auch wesentliches Zeugnis früher demokratischer Bestrebungen im Oldenburger Land. Dieses Haus soll uns mahnen und an all die - in der Monarchie bzw. konstitutionellen Monarchie groß gewordenen - weitsichtigen und aufrechten Abgeordneten des frühen Oldenburger Landtages erinnern, die sich engagiert und mutig für den Aufbau der Demokratie im Oldenburger Land eingesetzt haben.
Liebe anwesende Ehrengäste und insbesondere liebe anwesende Abgeordnete aus dem Oldenburger Land als heutige Nachfolger der insgesamt 658 Parlamentarier, die auch in diesem Gebäude Verantwortung für das Oldenburger Gemeinwesen getragen haben, lassen Sie uns gemeinsam mit Kopf und Herz diese Erinnerung aufrechterhalten.
Der Alte Oldenburger Landtag hat leider auch eine braune Vergangenheit, in deren Folge jedenfalls 60 Landtagsabgeordnete verfolgt und mindestens 7 ermordet wurden bzw. an den Folgen der Inhaftierung verstorben sind. Daran erinnert eine 1983 links vom Eingangsportikus angebrachte Gedenktafel.
Der Aufstieg der NSDAP erfolgte im Oldenburger Land schneller als andernorts. Die nationalsozialistische Partei errang bei den Wahlen 1932 48,4 % und damit die absolute Mehrheit der Mandate: 24 von 46 Sitzen. Die Gründe für diesen Wahlerfolg sind vielschichtig. Aber wesentlich mit dazu beigetragen haben die Zerstrittenheit der weiteren Parteienlandschaft und das Fehlen eines Grundkonsenses in der noch jungen Demokratie.
Auch 2016 sind Bedrohungen durch Terrorismus, Islamismus, Flüchtlingskrise und aufwachsende rechte Ränder spürbar, die Verunsicherung auslösen. Nicht wenige Menschen haben den Eindruck, dass ihre Sorgen nicht ernst genommen werden und eine für alternativlos erklärte Politik keinen Raum mehr für andere Auffassungen lässt. Neue Strömungen entstehen, die auf vermeintlich einfache Lösungen setzen und eine klare, durchgehende Abgrenzung vom rechten Rand vermissen lassen.
Ein demokratischer Grundkonsens ist sehr wichtig, und gerade auch aus Sicht der Bevölkerung ist ein guter Umgang von Demokraten untereinander entscheidend. Schon bezogen auf die Zeit nach den für die NSDAP erfolgreichen Wahlen 1931, formulierte der Festredner des heutigen Tages, Herr Professor Dr. Eckhardt, in einem Nachwort zur Geschichte des Oldenburger Landtages:
„Das Verhandlungsklima im Landtag verschlechterte sich zusehends, und die Tonart wurde immer schärfer und verletzender“.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin sehr zuversichtlich, dass dem Alten Oldenburger Landtag und unserer Gesellschaft Erfahrungen wie in den braunen Schreckensjahren für immer erspart bleiben und sich unsere Demokratie - wie in den zurückliegenden 70 Jahren - weiter als eine stabile und wehrhafte erweisen wird.
Als Polizeipräsident darf ich Ihnen an dieser Stelle versichern, dass die Polizei wie bisher alle Anstrengungen unternimmt, um derartige Gefahren abzuwehren.
Es ist für mich natürlich ebenso wichtig, dass alle Demokraten weiterhin hinter ihrer Polizei stehen: bei der Bewältigung ihrer Aufgaben im Zusammenhang z. B. mit der Verfolgung von Terroristen, gewalttätigen Islamisten, ausländerfeindlichen Extremisten, sogenannten Reichsbürgern sowie bei der Verfolgung von Straftaten gegen Flüchtlinge, aber auch bei der Verfolgung von Straftaten durch Flüchtlinge.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Geschichte des Alten Oldenburger Landtages wurde eine sehr ansprechende Ausstellung im Eingangsbereich sowie insbesondere im Foyer und angrenzenden Räumen auf dieser Etage konzipiert, die ich Ihnen sehr ans Herz legen möchte.
Weiter möchte ich Ihnen über die Ausstellung und insbesondere den folgenden Festvortrag von Professor Dr. Eckhardt hinaus eine am Ausgang zum Foyer für Sie bereit liegende Festschrift sehr zur Mitnahme und zur Lektüre empfehlen. Diese ohne historisch-wissenschaftlichen Anspruch eher journalistisch-populär verfasste und sehr zugängliche, reich bebilderte und illustrierte Festschrift vermittelt einen hervorragenden Zugang zur Geschichte des Alten Oldenburger Landtages und bietet eine gute Gelegenheit, in einer stillen Stunde das hier und heute Wahrgenommene noch ein wenig zu vertiefen.
Möge Gott immerfort seine schützenden Hände über dieses Haus, die Region des alten Oldenburger Landes und das ganze Bundesland Niedersachsen halten!
Angesichts der furchtbaren Kriege und des Terrors in der Welt, der unzähligen Opfer, der Getöteten und der Verwundeten und auch angesichts des Leids der Flüchtlinge erstreckt sich dieser Wunsch nach Frieden aber weit über das Oldenburger Land und Niedersachsen hinaus.