Protocol of the Session on November 30, 2016

Bis 1937 bestanden das Großherzogtum, der Freistaat und zuletzt das Land Oldenburg aus drei weit auseinander liegenden Landesteilen: in der Mitte - das blau gekennzeichnete Gebiet - der Landesteil Oldenburg - früher genannt Herzogtum Oldenburg, im Gegensatz zum Großherzogtum Oldenburg; das ist das heutige Oldenburger Land, wie es dann im Land Niedersachsen aufgegangen ist - von der einzig oldenburgischen Ostfriesischen Insel Wangerooge bis zu den Dammer Bergen, ganz kurz vor Osnabrück.

Rechts oben auf der Karte - das kleine blau gekennzeichnete Gebiet - sehen Sie den Landesteil Lübeck mit dem Regierungssitz in Eutin. Viele von Ihnen kennen bestimmt die Schwartauer Marmelade als Brotaufstrich. Sie stammt aus ehemaligem oldenburgischen Gebiet. Ich nenne auch noch Timmendorfer Strand.

Links unten auf der Karte - auch blau gekennzeichnet - sehen Sie den Landesteil Birkenfeld - vielen von Ihnen wohl am ehesten durch die Schmuck- und Edelsteinstadt Idar-Oberstein bekannt.

Die am 23. Februar 1919 gewählte Verfassunggebende oldenburgische Landesversammlung arbeitete mit dem Direktorium eine neue Verfassung aus und wählte die erste Regierung des Freistaats Oldenburg. Diese sogenannte Weimarer Koalition - wie im Reich - bestand aus der DDP mit dem neuen Ministerpräsidenten Theodor Tantzen, der SPD und dem Zentrum, hielt allerdings nur bis 1923. Seitdem gab es sogenannte Beamtenregierungen, mehr oder minder unpolitische Ministerien, die vor allem von der Rechten, der DVP, und dem Zentrum gestützt wurden und sich bis 1932 an der Macht hielten.

In diesem Jahr erzwang die NSDAP im Verein mit der KPD durch eine Volksabstimmung die Auflösung des Landtags und Neuwahlen. Darüber wird sich die KPD vermutlich sehr geärgert haben. Aus ihnen gingen nämlich die Nationalsozialisten - Herr Kühme hat das schon erwähnt - mit einer absoluten Mehrheit von 24 der insgesamt 46 Parlamentssitze hervor. Oldenburg erwarb sich den traurigen Ruhm, am 16. Juni 1932 die erste rein nationalsozialistische Landesregierung im Reich zu bekommen. Die Nazis, die in dem vor allem von der Landwirtschaft bestimmten Freistaat Oldenburg schon seit 1928 im Landtag vertreten waren und seit 1931 als stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellten, waren bereits bei der Eröffnung des 6. Landtags im Juni 1931 „in Uniform in ge

schlossenem Zuge zum Landtag“ marschiert. Es hat dann im Landtag noch eine Diskussion über das Tragen von Uniformen gegeben.

Abb. 7: Propagandapostkarte mit dem Landtagsgebäude und der Hakenkreuzsonne über dem Staatsministerium, wohl 1932

Nun sehen Sie ein kurioses Bild. Das ist vermutlich eine Propagandapostkarte aus dem Jahre 1932; sie ist nicht genau datiert. Sie sehen links das Landtagsgebäude, rechts das Staatsministerium und - nun kommt es! - über dem Staatsministerium die Hakenkreuzsonne. Aber - und da haben sich die Macher böse vertan - statt dass die Sonne aufgeht, steht sie im Westen und geht somit unter.

(Heiterkeit)

Man hatte dann nichts Eiligeres zu tun gehabt, als diese Karten wieder einzusammeln.

Kaum an der Macht, erklärten die Nationalsozialisten schon 1932 mit aller Deutlichkeit, dass künftig nur noch sie das Sagen hätten. So kündigten sie an, „mit einigen parlamentarischen Gepflogenheiten“ aufzuräumen, und drohten gegenüber der SPD: „Sie müssen sich daran gewöhnen, dass Sie hier nichts mehr zu sagen haben“. Der Gauleiter und künftige Ministerpräsident Carl Röver verkündete: „Wir werden unsere Macht brutal ausnutzen“, und ein Parteikollege äußerte: „Ihr werdet Euch noch wundern hier.“

Der Ton im Parlament wurde nun rauer, oft geprägt von Gemeinheiten und Gehässigkeiten, persönlichen Unterstellungen und Verunglimpfungen. Dagegen dürfte der am 23. September 2016 in der Presse bemängelte „rüde Ton“ im Niedersächsischen Landtag ein leichtes Säuseln gewesen sein.

Abb. 8: Die Zentrumsfraktion vor dem Landtagsgebäude, 1932/33

Die Tage des Oldenburger Landtags wie aller deutschen Landesparlamente waren nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 und den Reichstagswahlen am 5. März desselben Jahres gezählt. Am 23. Mai 1933 tagte der weitgehend gleichgeschaltete Oldenburgische Landtag zum letzten Mal. Bis zum Sommer 1933 waren alle Parteien im Reich außer der NSDAP entweder verboten worden oder hatten sich unter dem Druck der braunen Machthaber selbst aufgelöst.

Abb. 9: Die uniformierten Mitglieder der NSDAP-Fraktion mit Hospitanten im Landtagsgebäude am 21. September 1933

Am 21. September 1933 versammelte sich noch einmal die NSDAP-Fraktion zusammen mit den Hospitanten von der ehemaligen Fraktion der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot - das waren Stahlhelm und Deutschnationale Volkspartei - in einem Sitzungszimmer des Landtagsgebäudes und ließ sich, wie Sie sehen, fotografieren - alle in Uniform. Durch Reichsgesetz vom 30. Januar 1934 wurden „die Volksvertretungen der Länder … aufgehoben“.

Die unverhüllten Drohungen der Nationalsozialisten im Oldenburgischen Landtag der ausgehenden Weimarer Republik sollten für eine ganze Reihe von Oldenburger Parlamentariern bald furchtbare Realität werden; auch darauf wurde schon hingewiesen. Die Zahl der Bedrückten und Verfolgten ist groß. Mehrere KPD- und SPD-Abgeordnete verloren sogar ihr Leben. Daran erinnert - auch schon erwähnt - die 1983 vom damaligen Präsidenten des Niedersächsischen Landtages am Oldenburger Landtagsgebäude enthüllte Bronzetafel.

Auf der anderen Seite - viele von Ihnen werden davon gehört haben, dass die NS-Vergangenheit der Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages und der Landtage anderer Länder in den vergangenen Jahren untersucht worden ist - brachte es der stellvertretende Gauleiter und Ministerpräsident des Landes Oldenburg von 1933 bis 1945, Georg Joel, von 1955 bis 1959 zum niedersächsischen Landtagsabgeordneten, bis 1957 für die rechtsradikale DRP, danach als Gast der FDP/BHE-Fraktion. In den gedruckten Landtagshandbüchern erscheint als sein Beruf - ganz nonchalant - „Ministerpräsident a. D.“.

Schon im Mai 1933 hatte das Oberverwaltungsgericht in Oldenburg auf „eine rüde Anordnung“ der neuen Regierung hin innerhalb von vier Tagen von der Gerichtsstraße in das Landtagsgebäude umziehen müssen, wo es gerade einmal vier Räume im Obergeschoss erhielt. Die nächsten Jahre findet man unter der Adresse Tappenbeckstraße 1 - heute Theodor-Tantzen-Platz 8 - nur das Oberverwaltungsgericht, doch dürften schon damals im Gebäude auch Dienststellen der NSDAP gewesen sein. Nach dem Umzug des OVG an den heutigen Sitz am Schlossplatz im Jahr 1939 finden wir im Landtagsgebäude das Organisationsamt und das Gaugericht der NSDAP.

Nach Kriegsende residierte ab Mai 1945 sowohl im Ministerial- als auch im Landtagsgebäude die britische Militärregierung, die dann das Staatsministerium im Dezember 1946 an den Präsidenten des neu gegründeten Verwaltungsbezirks Oldenburg abtrat. Das von den britischen Streitkräften beschlagnahmte Landtagsgebäude wurde erst am 3. August 1956 freigegeben.

Fortan unterstand das Landtagsgebäude dem Verwaltungspräsidenten in Oldenburg, von 1978 bis 2003 dem Präsidenten des Regierungsbezirks Weser-Ems. Es diente u. a. der Behörde als Kantine - das ist noch heute der Fall -, der Plenarsaal wird für kulturelle Veranstaltungen, z. B. Konzerte, ge

nutzt, und seit 1983 finden hier im Herbst die Jahresversammlungen der Oldenburgischen Landschaft statt.

Seit 2004 ist der jeweilige Polizeipräsident in Oldenburg der Hausherr von Landtags- und Regierungsgebäude, und seit dem 1. Januar 2005 - das bedauern sicherlich manche in Oldenburg - gibt es keine Bezirksregierungen mehr in Niedersachsen.

Der im Januar 1946 als erstes Parlament in der britischen Besatzungszone eingesetzte sogenannte Ernannte Landtag in Oldenburg - dazu gehörte ja auch Herr Fiebich, der uns heute besucht; er ist der letzte noch lebende oldenburgische Landtagsabgeordnete, also Abgeordneter in einem Oldenburger Landtag; natürlich gibt es auch heute noch oldenburgische Landtagsabgeordnete im Niedersächsischen Landtag -

(Zurufe)

tagte nicht hier im Landtagsgebäude, sondern in den Räumen der Handwerkskammer. Die damalige Landesregierung unter Ministerpräsident Theodor Tantzen - das ist derselbe, der 1919 bis 1923 Ministerpräsident war, damals gewählt, jetzt von den Briten eingesetzt - versuchte im Verlauf des Jahres vergeblich, ein Land Weser-Ems - das ist der Traum von Theodor Tantzen gewesen - oder wenigstens ein Land Oldenburg durchzusetzen. Erfolg hatte letztlich der Plan des hannoverschen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf mit dem Land Niedersachsen.

Am 6. November 1946 - das war ziemlich genau vor 70 Jahren - hielt der Landtag in Oldenburg mit einer bewegenden Rede Theodor Tantzens, die man nach Thomas Vogtherr „zu den bedeutendsten Parlamentsreden des 20. Jahrhunderts zählen sollte“, und einer von allen Parteien getragenen Entschließung seine letzte Sitzung ab.

Abb. 10: Die erste Niedersächsische Landesregierung am 26. November 1946. Sitzend in der ersten Reihe von links: Verkehrsminister Theodor Tantzen (FDP), Ministerpräsident

Tantzen zog sich nicht in den Schmollwinkel zurück, sondern trat als stellvertretender Ministerpräsident und Verkehrsminister in das niedersächsische Allparteienkabinett Kopf ein, starb allerdings schon im Januar 1947 in seinem Oldenburger Dienstzimmer.

Auf dem Bild sehen Sie in der ersten Reihe - ganz links - Theodor Tantzen, daneben den Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf und rechts den Landwirtschaftsminister August Block von der Niedersächsischen Landespartei; das war die sogenannte Welfenpartei, aus der später die DP hervorging.

Nach der Verordnung Nr. 70 der Militärregierung vom Frühjahr 1947 sollte die Gesetzgebung des Landes Niedersachsen u. a. „die Belange der früheren Länder auf dem Gebiet der Überlieferung, Kultur, Architektur und Geschichte gebührend berücksichtigen …“ Diese Formulierung wurde in etwas veränderter Form als sogenannte Traditionsklausel in die Vorläufige Niedersächsische Verfassung von 1951 und fast wortgleich in die endgültige Verfassung von 1993 übernommen. Sie gilt somit immer noch. Diesem Anliegen fühlt sich die 1975 gegründete Oldenburgische Landschaft bis heute verpflichtet.

Wenn wir, meine Damen und Herren, nunmehr das 100-jährige Bestehen dieses repräsentativen Oldenburger Landtagsgebäudes feierlich begehen, so dürfen wir dabei nicht vergessen, dass es nur 17 Jahre seiner eigentlichen Zweckbestimmung dienen konnte. Es waren die Nationalsozialisten, die dem alten Landtag nach 85 Jahren der Existenz ein Ende bereiteten und sein noch junges Domizil zweckentfremdeten. Seitdem hat das Haus kein Landesparlament mehr in seinem Innern gesehen - bis auf den heutigen Tag!

Abb. 11: Das Landtagsgebäude in Oldenburg (Gestaltung von Klaus Beilstein)

70 Jahre nach der Gründung des Landes Niedersachsen durch eine rückwirkend zum 1. November 1946 in Kraft getretene Verordnung der britischen Militärregierung vom 8. November erinnert der „Alte Landtag“ in Oldenburg - Sie sehen das Bild, das auf dem Landtagshandbuch vorn ist; eine Umsetzung des Oldenburger Künstlers Klaus Beilstein -, der eigentlich der „neue Landtag“ ist, zwar einerseits an die Jahrhunderte währende Selbstständigkeit des Landes Oldenburg, stellt aber andererseits in keiner Weise ein Symbol für irgendwie geartete Loslösungsbestrebungen von Niedersachsen und die Wiederherstellung eines Landes Oldenburg dar. Diese Funktion hat es nach allem, was wir wissen, auch nie gehabt.

Das Volksbegehren von 1956 und der Volksentscheid von 1975 sind längst Geschichte. Die Oldenburger sind gute Niedersachsen geworden mit einem gesunden Regionalbewusstsein als Deutsche und Europäer.

Ich habe mir heute früh noch einen Schlusssatz ausgedacht. Wenn ich sehe, wie komplett der Landtag hier versammelt ist, kann ich ja nur vorschlagen, dass der Niedersächsische Landtag zumindest einmal in einer Legislaturperiode nach Oldenburg kommt und hier tagt. Dann hätten Sie immer ein volles Haus wie das Europaparlament in Straßburg.

Vielen Dank.

(Beifall)

Erwin Schulhoff

Fünf Stücke für Streichquartett IV. „Alla Tango milonga“4

(Beifall)

Grußwort des Landtagspräsidenten a. D. Horst Milde

Horst Milde, Landtagspräsident a. D.:

Herr Landtagspräsident! Herr Ministerpräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist keineswegs selbstverständlich, dass der Niedersächsische Landtag und die Niedersächsische Landesregierung in die Hauptstadt eines ehemaligen Landes kommen, um des 100-jährigen Be

4 Ventapane Quartett des Oldenburgischen Staatstheaters

stehens dessen ehemaligen Landtagsgebäudes zu gedenken.

Nicht allen Landtagen - ich muss vielleicht präziser formulieren: nicht allen Landtagsgebäuden - ist ein solch langes Leben beschieden, und so wird mit diesem denkwürdigen Besuch - fast zeitgleich mit der Gründung des Landes Niedersachsen vor 70 Jahren - ein wesentliches Stück wechselvoller deutscher, niedersächsischer, aber auch europäischer Geschichte wachgerufen.

Zu der wechselvollen Geschichte gehört aber auch, dass es 30 Jahre nach Errichtung dieses Gebäudes zu einem tiefen Einschnitt in die Bevölkerungsstruktur Oldenburgs gekommen ist. Über 200 000 Vertriebene aus dem deutschen Osten kamen damals hier in das noch bestehende Land Oldenburg. Jetzt leben in der Stadt Oldenburg Menschen aus 27 anderen Nationen. Niemand hat das damals vorausgesehen. Diese gewaltige Bevölkerungsentwicklung ist schon etwas Wesentliches, das man nicht vergessen sollte.

Wenn durch diese Sondersitzung dazu beigetragen wird, dass sich Geschichtsbewusstsein und Zukunftsorientierung miteinander verbinden, dann hat sie ihren Sinn erfüllt.

Der Festvortrag von Professor Eckhardt, aber auch die Vorträge meiner anderen Vorredner haben uns allen einen Teil der Geschichte des Landes Oldenburg und dieses Gebäudes vor Augen geführt. Dieser Blick zurück ist heute mehr denn je nötig und für die Identifizierung jedes Einzelnen mit seiner angestammten oder neuen Heimat wichtig. Diesem Blick will ich mich anschließen.

Die Geschichte Oldenburgs ist eine sehr stolze. Vieles ist für immer vergangen, manches hat die Zeiten überdauert, sich behauptet, und trotz der Veränderung in der Bevölkerungsstruktur wurde Oldenburgs Identität in vielfacher Weise bewahrt. Dazu gehören in erster Linie neben den gesellschaftlichen Vereinigungen, neben Sitten und Gebräuchen die unter dem Schutz der Niedersächsischen Verfassung stehenden Oldenburger Kulturinstitutionen wie z. B. das Oldenburgische Staatstheater mit der August-Hinrichs-Bühne. Dazu kommen Körperschaften öffentlichen Rechts der Wirtschaft wie z. B. die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer Oldenburg oder auch Dienstleistungsunternehmen wie die 230 Jahre alte Landessparkasse zu Oldenburg und die bald 150 Jahre alte Oldenburgische Landesbank. Nach wie vor gibt es die Evangelisch-Lutherische Kirche zu Oldenburg und