So viel zu Ihrem Glauben, was die Mehrheit in diesem Land will, Frau Modder. Sie vertreten hier eine Minderheitenposition.
Wir fordern nicht die totale Überwachung von jedem und allem zu jeder Zeit. Wir haben auch keine Überwachungsfantasien, wie die Grüne Jugend dem Bundesinnenminister auf entsprechende Pläne hin unterstellte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir wollen nicht, dass sich Frauen, Männer, ältere Menschen nicht mehr in Busse, in Bahnen, auf Bahnhöfe und auf öffentliche Plätze trauen, weil sie sich dort nicht sicher fühlen. Viele Menschen fühlen sich dort nicht mehr sicher, und zwar nicht, weil sie sich vom Staat verfolgt fühlen, sondern sie fürchten Übergriffe und haben Angst vor Straftaten. Diese Angst ist begründet, wenn eine Landesregierung nicht dafür Sorge trägt, dass sich die Bürger durch verschiedene Sicherheitsvorkehrungen in ihren Ängsten ernst genommen fühlen. Nehmen Sie das nicht ernst, verlieren Sie die Menschen an Populisten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der SPD hat aber scheinbar ein Lernprozess stattgefunden. Im Mai 2013 sprach Minister Pistorius zwar laut heise online vom 19. Mai 2013 auf entsprechende Vorschläge der CDU von reflexhaften Forderungen, die nur wenig hilfreich bei der Beurteilung von Sachfragen seien. Im Januar dieses Jahres sagte er dann aber laut NDR, dass er absolut dafür sei, mehr öffentliche Plätze per Video überwachen zu lassen. Taten folgten diesen Worten allerdings nicht. Wir zitieren dieses und auch die sehr lobenswerten Pläne zur umfassenden Videoüberwachung in Bussen und Bahnen von Minister Lies in unserem Antrag. Der Kollege Onay von den Grünen reagierte übrigens auf die Ankündigung von Minister Lies sehr ablehnend.
Auf Bundesebene gibt es inzwischen wohl Einigkeit, dass die Videoüberwachung auch im privaten Bereich ausgedehnt werden soll. Das Bundesinnenministerium hat entsprechende Pläne, insbesondere z. B. für Einkaufszentren, vorgelegt. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Herr Lischka, sagt hierzu laut Welt online vom 26. Oktober 2016:
„Die gewachsene Terrorgefahr gebietet es, dass nicht nur öffentliche Plätze wie Bahnhöfe und Flughäfen, sondern auch Einkaufszentren und große Veranstaltungen videoüberwacht werden.“
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Lischka hat recht. Der Amoklauf von München hat gezeigt, dass eine vollständige Überwachung des Einkaufszentrums sinnvoll gewesen wäre. Datenschutz ist wichtig, aber nicht grenzenlos. Gegenwärtig übertreiben wir es hier manchmal. Schockiert hat mich beispielsweise ein Bericht über einen Gastwirt in Berlin, der bei sich Überwachungskameras installierte, nachdem er einmal überfallen und zweimal bei ihm eingebrochen wurde. Dieser Gastwirt hatte Aufnahmen der öffentlichen Straße vor seiner Gaststätte, die entscheidend halfen, die Entführung und Ermordung des vierjährigen Mohamed und des sechsjährigen Elias aufzuklären. Der Täter konnte deshalb vor Kurzem zur Höchststrafe verurteilt werden. Dieser Wirt wurde anschließend wegen der unerlaubten Kamera angezeigt, weil es diese Aufnahmen nach dem geltenden Datenschutzrecht nicht hätte geben dürfen.
ihrer Videoüberwachungsanlagen demontieren werde. Hintergrund war ein Gerichtsverfahren, aber auch der Koalitionsvertrag, der die Reduzierung der Zahl der Anlagen vorsieht. Ich bitte den Innenminister, darzulegen, wie viele der Kameras tatsächlich abgebaut wurden. Ich habe auf der Übersicht der Videoüberwachungsanlagen der Polizeidirektion Hannover nachgeschaut, wie viele Kameras noch da sind. Wenn ich es richtig beurteile, sind zu meiner persönlichen Überraschung noch alle 77 Kameras da. Herr Minister Pistorius, vielleicht können Sie das kurz aufklären. Haben Sie entsprechend dem Koalitionsvertrag und der Presseankündigungen Kameras abgebaut, oder stehen diese noch in vollem Umfang in Hannover richtigerweise zur Verfügung?
Die Gegner der Videoüberwachung wenden nicht ganz zu Unrecht ein, dass die meisten von Kameras hergestellten Bilder gar nicht betrachtet werden können. Selbstverständlich können nicht 77 Polizeibeamte z. B. in Hannover die ganze Zeit auf den Bildschirm schauen und die Bilder überwachen. Es gibt aber inzwischen auch intelligente Videoüberwachung, die z. B. erkennt, ob Gepäck stehen gelassen wird, ob jemand stürzt oder ob es ähnliche Vorkommnisse gibt. Die Technik entwickelt sich also weiter, und zwar so, dass auch mehr Nutzungsmöglichkeiten bestehen. Das gilt auch für die Qualität der übertragenen und aufgezeichneten Bilder. Das macht die Systeme effizienter, ist aber natürlich datenschutzrechtlich relevant. Hier müssen wir moderne Lösungen finden, die nicht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung völlig einseitig gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit überbetonen.
Aber, Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Vorfälle von Köln wären ohne Videoaufzeichnungen noch weniger aufzuklären, als sie es jetzt schon sind. Das liegt zum Teil an unzureichender Überwachung und der schlechten Qualität der Bilder. Deshalb muss dieses verbessert werden.
Auch hier in Niedersachsen sind die bestehenden Anlagen nicht auf dem technisch neuesten Stand. Ändern Sie das, meine Damen und Herren, um den Menschen wieder ein stärkeres Gefühl der Sicherheit in Niedersachsen zu geben!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist bewusst, dass hier viele Daten gesammelt werden. Daher legen auch wir großen Wert darauf, dass diese gut geschützt werden und keine unbefugten Dritten hierauf Zugriff haben. Das ist natürlich auch für den privaten Bereich sicherzustellen.
Wir fordern die Landesregierung auf, die niedersächsischen Gesetze an die Erwartungen der Bevölkerung anzupassen. Insbesondere für die Überwachung in Bussen und Bahnen ist das Land zuständig, wie das Verwaltungsgericht Hannover festgestellt hat. Hier sollten wir die Gesetze weiter modernisieren. Das Land Niedersachsen sollte auch die Bemühungen des Bundes unterstützen und nicht hinter den Regelungen des Bundes zurückbleiben.
Ich will es noch einmal deutlich machen: Die Videoüberwachung ist ein wichtiges Instrument, polizeiliche Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr zu gewinnen und Strafverfolgungen vielleicht erst zu ermöglichen. In den anstehenden Beratungen unseres Antrages bin ich auf die vielfältigen Hinweise und Anregungen der Kolleginnen und Kollegen gespannt.
Wir wollen möglichst viele Menschen bei diesem Thema mitnehmen. Die klare Mehrheit der Bevölkerung ist aber eindeutig für eine maßvolle Ausdehnung der Videoüberwachung - natürlich unter Beachtung der Datenschutzregelungen. Ich hoffe deshalb, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen können sich dazu durchringen, Videoüberwachung in geeigneter Form in Niedersachsen zuzulassen und damit den hohen Stellenwert der Gefahrenabwehr zu unterstreichen.
Wir halten es für wichtig, dass sich die handelnden Personen erklären. Bei Frau Kollegin Modder haben wir bereits gehört, dass sie sich irrt. Beim Innenminister ist medial nicht klar zu erkennen: Ist er jetzt für Videoüberwachung oder dagegen? Einzig Verkehrsminister Lies spricht da eher eine deutliche Sprache.
Wir freuen uns auf die Beratungen. Ich denke, im Hinblick auf die Sicherheit in Niedersachsen sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Wir werden sicherlich auch kluge Lösungen finden.
Vielen Dank, Frau Kollegin Jahns. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Belit Onay das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Jahns, es ist schon interessant, zu beobachten, wie sich die Videoüberwachung mehr und mehr zu einer der Hauptsäulen der Sicherheitspolitik der Union entwickelt. Herr de Maizière hat aktuell Pläne zur Erweiterung der Videoüberwachung auf Bundesebene vorgestellt. Eine ähnliche Tonlage schlagen nun auch Sie hier in Niedersachsen an.
Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen: Videoüberwachung gibt es nicht umsonst, sondern nur auf Kosten flächendeckender Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.
Man muss sich bei der Lektüre Ihres Antrags schon fragen, welches Grundrechtsverständnis Sie hier an den Tag legen. In der Begründung Ihres Antrages schreiben Sie:
„In öffentlichen Bahnen, Bussen, Bahnhöfen, zentralen Plätzen und Straßen müssen Passagiere jederzeit damit rechnen, beobachtet zu werden.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem Rechtsstaat ist das natürlich nicht der Fall. Bürgerinnen und Bürger müssen eben nicht damit rechnen, jederzeit beobachtet zu werden. Und das ist auch gut so.
Denn selbstverständlich sind auch Bahnhöfe, Straßen und öffentliche Plätze Orte der Kommunikation und der Demonstration. Sie sind - um es mit dem Bundesverfassungsgericht zu sagen - „Orte des Verweilens und der Begegnung“ und eines „allgemeinen kommunikativen Verkehrs“. Hier einfach davon zu sprechen, dass eine Beobachtung selbstverständlich sei, ist schon ein schräges Rechts- und Staatsverständnis.
Weiter behaupten Sie in dem Antrag sogar, dass der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung den „Schutz der Bürgerinnen und Bürger und ihren Zugang zum öffentlichen Raum“ verletzen könnte. Das Supergrundrecht Sicherheit lässt grüßen, meine sehr geehrten Da
Ich möchte nun nicht sagen, dass Videoüberwachung überall und immer falsch ist. Aber wir haben da einen klaren rechtlichen Kompass: Ein solcher Eingriff, eine solche Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Um es auf den Punkt zu bringen: Er muss verhältnismäßig sein.
- Das sagen Sie vielleicht hier in der Rede, Frau Jahns. Aber Beispiele, die ich zitiert habe, sprechen eine andere Sprache.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedeutet für Niedersachsen und für das gesamte Bundesgebiet auch, dass eine Ausweitung der Videoüberwachung nur auf Grundlage solider wissenschaftlicher Evaluation und konkreter Nachweise bestehender Gefahren erfolgen kann, also nicht beliebig. Videoüberwachung darf eben nicht pauschal ausgeweitet werden, nicht - wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben - auf alle Orte.
Sie erwähnen das Beispiel Köln. Meines Wissens waren auf die Fläche, auf der die Vorfälle stattgefunden haben - im Bereich des Bahnhofs und darüber hinaus -, 80 Videokameras - korrigieren Sie mich gegebenenfalls - gerichtet. Durch diese Videokameras konnte aber letztlich leider keiner dieser Übergriffe verhindert werden. Denn Technik allein verhindert keine Straftaten.
(Christian Dürr [FDP]: Dafür braucht man mehr Polizisten! - Angelika Jahns [CDU]: Das Sicherheitsgefühl wird ge- stärkt!)
Das Sicherheitsgefühl ist das Stichwort, sehr geehrte Frau Jahns. Leider ist es doch eher eine kurze, subjektive und trügerische Sicherheit. Das zeigen die Zahlen der Infratest-Studie, die Sie zitiert haben, deutlich. Natürlich fühlen sich manche Menschen durch Videoüberwachung erst einmal sicherer. Aber für wirkliche Sicherheit können sie nicht sorgen. Keine Kamera kann herunterhüpfen und Menschen retten.
Abschließend noch ein Zitat: Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass eine Ablehnung Ihrer Vorschläge dem Geist, den „Vorstellungen der 80erJahre“ entsprechen würde. - Mich als Kind der
80er hat die Lektüre Ihres Antrages in der Tat an die 80er erinnert, vor allem an „1984“, das Buch von George Orwell.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, das Verständnis, das Sie in Ihrem Antrag offenbaren, kann nicht unbedingt als Diskussionsgrundlage dienen. Aber ich bin gespannt auf die Beratungen im Innenausschuss.
Herr Onay, bleibe Sie bitte stehen. Ich wollte Sie bei Ihren Gedanken nicht unterbrechen. Aber jetzt möchte ich die Chance nutzen, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jahns beantworten würden.