Wir kommen zur Beratung. Zu Wort gemeldet hat sich der Kollege Lynack. - Entschuldigung, es ist ein Gesetzentwurf der Landesregierung. Herr Mi
nister, möchten Sie sprechen? - Nein. Dann gehen wir nach der Reihenfolge des Eingangs der Wortmeldungen vor. Herr Lynack, Sie haben das Wort. Bitte schön!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ungefähr ein halbes Jahr vergangen, seit wir zum ersten Mal über die Novellierung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes - kurz: NKomVG - gesprochen haben. Das halbe Jahr, das inzwischen vergangen ist, wurde gut genutzt. Es haben sich zahlreiche Änderungen ergeben, die letztlich in den uns jetzt zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen sind. Auch hier hat das Struck‘sche Gesetz gegolten: Kein Gesetzentwurf verlässt das Parlament so, wie er eingebracht worden ist.
Die Kommunalverfassung, meine lieben Kolleginnen und Kollegen - das wissen wir alle -, ist den ersten Blick ein trockenes, bürokratisches Gebilde. Das Thema ist eher etwas für Insiderinnen und Insider, als dass es die Masse der Menschen in unserem Land bewegen könnte. Dennoch haben die Bestimmungen in der Kommunalverfassung direkte Auswirkungen auf unser Leben, regeln doch die Paragrafen der Kommunalverfassung so grundlegende Dinge wie das Funktionieren unserer Gesellschaft vor der eigenen Haustür.
Unserer Koalition liegt die Novelle, die heute zur Beschlussfassung vorliegt, ganz besonders am Herzen. Ein Grund ist der negative Trend in den vergangenen Jahren, dass zunehmend Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge von der öffentlichen in die private Hand überführt worden sind. Dazu zählen z. B. Aufgaben wie Abfallentsorgung, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Grünflächenpflege, Straßenreinigung usw.
Wir alle in diesem Hause sind uns wohl darin einig, dass es sich hierbei um Aufgaben handelt, die in ganz besonderem Interesse unserer Gesellschaft liegen und daher zuverlässig erledigt werden müssen. Es ist - dort hört es mit der allgemeinen Zustimmung wohl schon wieder auf - im Zweifel besser, wenn diese Aufgaben Unternehmen erledigen, die den Kommunen - sprich: den Städten, Gemeinden oder Landkreisen - selbst gehören.
Kommunale Unternehmen sind letztlich den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet, ihre Aufgaben gut zu erledigen, und eben nicht einer privaten Eigentümerin oder einem privaten Eigentümer, die bzw. der einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen will.
Das heißt nicht, dass es nicht auch Fälle geben könnte, in denen es sinnvoll wäre, kommunale Aufgaben von privaten Unternehmen erledigen zu lassen. Wenn Dritte nicht nur effizienter sind, sondern die Aufgabe auch qualitativ besser erledigen können und dabei vor allem eine langfristige Aufgabensicherung nicht gefährden, ist das ganz bestimmt im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Es sollte aber nicht die Regel sein, dass unsere Kommunen grundsätzlich der Privatwirtschaft den Vorrang geben müssen.
Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit, die mit staatlichen Geldern finanziert werden, sind schlicht nicht dazu da, private Gewinne zu erwirtschaften, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir unterstellen kommunalen Unternehmen nicht per se, dass sie unwirtschaftlicher als private Anbieter sind. Das ist eine wichtige und richtige Grundlage dafür, dass z. B. Strom-, Wasser- und Gasnetze nicht leichtfertig zu Objekten von rein wirtschaftlich profitorientiertem Interesse werden. Das ist definitiv im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger.
Ein weiterer wichtiger Punkt in dem vorliegenden Gesetzentwurf ist die Gleichstellung. Sie liegt uns ebenso stark am Herzen. Leider gibt es immer noch große Probleme in unserer Gesellschaft bezüglich einer fairen und gleichen Behandlung von Männern und Frauen. Der Staat und damit selbstverständlich auch die Kommunen müssen hier mit gutem Beispiel vorangehen und durch ihre und mit ihren Verwaltungen zeigen, wie Gleichstellung funktioniert.
Deshalb werden wir künftig Kommunen ab 20 000 Einwohnerinnen und Einwohnern verpflichten, eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte zu beschäftigen, die mit mindestens einer halben Vollzeitstelle ausgestattet ist.
Auch wird künftig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mehr Thema der Gleichstellungsbeauftragten sein. Familie geht schlicht und einfach beide Geschlechter an.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Christian Dürr [FDP]: Das wissen die Familien, auch ohne dass die SPD das gesagt hat!)
Kindererziehung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht die automatische Aufgabe einer Mutter und hat auch deshalb rein gar nichts nur bei der Gleichstellungsbeauftragen zu suchen.
Ich möchte auch noch auf die Stärkung unserer kommunalen Demokratie eingehen. Die Kommunalwahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen jetzt gerade rund anderthalb Monate zurück, und vielerorts ist die Wahlbeteiligung gestiegen. Das finde ich erst einmal sehr erfreulich. Wir müssen dabei allerdings auch feststellen, dass die Verschiebungen im Parteiengefüge - so gefährlich ich diese Verschiebungen persönlich finde - zeigen, dass unsere Demokratie funktioniert. Gleichzeitig ist dies aber auch ein Aufruf an uns alle, uns noch stärker für die Belange unserer Einwohnerinnen und Einwohner einzusetzen, ihnen unser Handeln zu erklären und sie an den Entscheidungen direkt vor Ort zu beteiligen. Gerade jetzt gilt es, mehr Demokratie zu wagen.
Dazu gehört auch, die direkte Demokratie noch weiter auszubauen. Deshalb werden wir die Quoren für Bürgerentscheide, die sich in der Praxis als unrealistisch erwiesen haben, absenken. Gleichzeitig werden engagierten Bürgerinnen und Bürgern Steine aus dem Weg gerollt, wenn sie ein Bürgerbegehren auf den Weg bringen wollen. Das bedeutet in diesem Fall ganz konkret, dass künftig kein Kostendeckungsvorschlag mehr verpflichtend vorgelegt werden muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich in ihrer Freizeit für unsere Demokratie einsetzen, nicht auch noch zumuten, etwas aus dem Ärmel zu
schütteln, was selbst den meisten Kommunalpolitikerinnen und -politikern nur mit Mühe und meist nur mit professioneller Unterstützung gelingt. Das neue NKomVG ist auch deshalb aus unserer Sicht ein großer Schritt in die Richtung von mehr Bürgerbeteiligung.
Aber nicht nur die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, der Einwohnerinnen und Einwohner, auch die Teilhabe liegt uns bei der zur Abstimmung stehenden Novelle des Kommunalverfassungsgesetzes sehr am Herzen. Mit der Novellierung wird die Bürgerbefragung zur Einwohnerinnen- und Einwohnerbefragung weiterentwickelt. Damit können nämlich künftig auch Mitmenschen, die keinen deutschen Pass haben, einbezogen werden. Hierbei geht es um ein Mehr an Teilhabe für junge Menschen, für unsere Nachbarinnen und Nachbarn, für unsere Kolleginnen und Kollegen, für unsere Freundinnen und Freunde. Es ist nur fair und konsequent, sie alle mit einzubeziehen.
Unsere Demokratie lebt von der Transparenz. Daher wird es künftig möglich sein, Rats- und auch Kreistagssitzungen live über das Internet zu streamen und zu konservieren, damit sie später wieder abgerufen werden können. Auch das ist eine weitere gute Möglichkeit, das Interesse für Kommunalpolitik zu wecken.
Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, nach unserer festen Überzeugung werden alle diese Veränderungen dabei helfen, die Kommunen gerade auch in ihrer Eigenständigkeit zu stärken. Wir freuen uns, die Kommunen mit ihren Spitzenverbänden dabei an unserer Seite zu wissen.
Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals bei allen, die daran mitgearbeitet haben, ganz herzlich bedanken, auch für die konstruktiven Beratungen im Ausschuss - auch wenn wir alle nicht immer einer Meinung gewesen sind -, die dazu geführt haben, dass dieses Paket heute vorliegt und zur Abstimmung steht. Ich bitte Sie alle herzlich, der Ausschussempfehlung zuzustimmen. Lassen Sie uns gemeinsam die Kommunen in unserem Land stärken!
Allen neu gewählten und wiedergewählten Kolleginnen und Kollegen in den Kreistagen und Räten wünsche ich einen guten Start in die neue Kommunalwahlperiode, die am 1. November beginnt,
Danke, Herr Lynack. - Als Nächster hat sich BerndCarsten Hiebing von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Herr Hiebing!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben seit Antritt der aktuellen Landesregierung regelmäßig Rahmenbedingungen und Vorgaben diskutiert, die die kommunale Ebene unmittelbar betreffen. Die Kommunalverfassung ist für unsere Räte und Kreistage ein sehr wichtiger Rahmen. Deshalb ist es wichtig, darüber intensiv zu diskutieren. Von daher, Herr Kollege, war die Zeit nicht immer in dem nötigen Maße vorhanden, um das sorgfältig zu machen. Ich hätte mir gewünscht, dabei etwas mehr Sorgfalt finden zu können.
Nicht normal finde ich allerdings, meine Damen und Herren, dass die Kommunen fast immer unter diesen von Ihnen neu beabsichtigten und umgesetzten Regelungen zu leiden haben. Von einer Kommunalfreundlichkeit, die diese Landesregierung bei Amtsantritt vollmundig angekündigt hat, ist rein gar nichts zu spüren.
Schon vor einiger Zeit waren die kürzeren Amtszeiten für Hauptverwaltungsbeamte eingeführt und die Stichwahlen wieder eingeführt worden - nur um daran zu erinnern. Das gilt auch für die Erhöhung des passiven Wahlalters. Vielleicht haben wir alle das schon ein bisschen vergessen. Aber das hat den Kommunalen nicht besonders geholfen, glaube ich. Jetzt sind Sie dabei, die Kommunalverfassung grundsätzlich zu reformieren.
Ich möchte, meine Damen und Herren, an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass keine Notwendigkeit für eine große Novellierung des Kommunalverfassungsrechts besteht - geschweige denn, ein Bedarf oder ein Wunsch der Kommunen vorhanden gewesen sein sollte. Das ist ausdrücklich nicht der Fall gewesen.
Tatsächlich ist spätestens mit den Anhörungen deutlich geworden, dass die kommunalen Spitzenverbände das Gros der Änderungen ablehnen oder für falsch oder für überflüssig erachten und deshalb den Vorstoß insgesamt klar ablehnen.
Um nachzuvollziehen, warum diese Ablehnung so unmissverständlich ausgefallen ist, reicht es schon, sich einige Teile des Gesetzentwurfs anzusehen. Ich glaube, dass zum einen die Frage der Gleichstellungsbeauftragten zu nennen ist. Wir sind uns über die Bedeutung von Gleichstellungsbeauftragten einig. Dass ihre Tätigkeit wichtig ist, brauchen wir den Kommunen nicht beizubringen. Das wissen sie, und sie wissen auch um deren Bedeutung. Aber es geht hierbei um die Frage, ob wir hierbei das Konnexitätsprinzip außer Kraft setzen und den Kommunen sagen: Wir können es uns besser vorstellen, wie wir das organisatorisch umsetzen würden. - Das ist ein Eingriff in die Organisationshoheit der Kommunen und gleichzeitig ein Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip. Deshalb lehnen wir das ab.
Ein anderer Aspekt, meine Damen und Herren, ist die wirtschaftliche Betätigung unserer Kommunen. Ich halte es für gut, dass das geregelt wird. Aber ich halte es vom Grundsatz her für doch sehr fragwürdig, dass sich Kommunen, die sich wirtschaftlich betätigen wollen - über die Grundsätze dafür kann man sich durchaus unterhalten -, sogar über das eigene Gemeindegebiet hinaus in anderen Kommunen betätigen dürfen. Selbst der GBD hatte dagegen starke Bedenken. Meine Damen und Herren, das geht weit über das Maß des Vernünftigen hinaus.