Meine Damen und Herren, es hat sich jetzt zu diesem Tagesordnungspunkt der Aktuellen Stunde Herr Kollege Hilbers gemeldet. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Steuersystem muss so ausgestattet sein, dass es transparent ist, dass es übersichtlich ist, dass es Leistungsanreize setzt, dass es starke Schultern stärker als schwache Schultern belastet und dass es allgemein dazu beiträgt, die Aufgaben des Staates zu finanzieren.
In den vergangenen Jahren haben wir viel über Steuerfragen und auch über die Fragen diskutiert, wie wir unser Steuersystem optimieren können.
Herr Kollege Grascha hat die Einnahmesteigerungen geschildert: Die Steuerschätzungen prognostizieren bis 2020 durchschnittlich 27 Milliarden Euro Einnahmeverbesserungen pro Jahr. Allein der Staat nimmt im Jahr 2020 gegenüber heute voraussichtlich 135 Milliarden Euro mehr ein. Die Steuerquote wird sich dann im Durchschnitt von 22 auf 22,5 % entwickeln.
Das alles sollte Maßgabe sein, die Spielräume dafür zu nutzen, ein einfacheres, leistungsgerechteres und familienfreundlicheres Steuersystem auszugestalten, meine Damen und Herren. Dazu bedarf es geeigneter Vorschläge. Ich finde, dass der Wirtschaftsflügel der Union, unsere Mittelstandsvereinigung, dazu ein großartiges Konzept auf den Weg gebracht hat,
das in drei Stufen das Steuersystem nicht nur vereinfacht, sondern leistungsgerechter ausgestaltet. Im ersten Schritt soll die Werbungskostenpauschale von 1 000 Euro auf 2 000 Euro angehoben werden. Das würde bedeuten, dass zwei Drittel derjenigen, die eine Steuererklärung abgeben, die Werbungskostenbelege überhaupt nicht mehr zu sammeln bräuchten, sondern diese Pauschale in Anspruch nehmen könnten.
Des Weiteren soll das Steuersystem leistungsgerechter und mittelschichtsfreundlicher werden. Der „Mittelstandsbauch“ gerade im Bereich der Facharbeiter und Facharbeitskräfte muss abgeflacht werden. Das ist die zweite Stufe dieser Reform. Der Grenzsteuersatz muss in der Zone, wo er mit 24 % beginnt, wieder auf 20 % abgesenkt werden, und der Spitzensteuersatz von 42 % soll erst bei 60 000 Euro greifen statt wie bisher bei 53 666 Euro. Das führt dazu, dass die Steuerkurve flacher wird. Das heißt, von jedem zusätzlich verdienten Euro - sei es durch Überstunden, sei es durch Lohnerhöhungen, sei es durch besondere Anstrengungen oder auch durch kalte Progression - bleibt deswegen mehr in der eigenen Tasche. Das ist nicht nur mittelstandsfreundlich, das ist auch leistungsfreundlich. Das Steuersystem muss auch Leistungsanreize setzen und darf sich nicht nur darauf konzentrieren, Herr Schmidt, alles zu verteilen.
Das Steuersystem muss familienfreundlicher gemacht werden. Deswegen schlägt unsere Mittelstandsvereinigung vor, in der dritten Stufe die Grundfreibeträge für Erwachsene anzuheben und dann die Grundfreibeträge für Kinder auf das volle Niveau der Erwachsenen anzuheben. Damit bekommen wir einen wirklichen Familienlastenausgleich. Damit werden Kinder steuerlich genauso behandelt wie Erwachsene, die sich das Familienrisiko teilen. Damit wird ein echter Familienleistungsausgleich geschaffen. Das ist ein zukunftsfähiges Konzept, meine Damen und Herren.
Genau dieses Konzept verdient Unterstützung. Da sollten Sie mitmachen und nicht bremsen. Die Frage der Erhöhung des Kindergeldes um 2 Euro stellt sich an dieser Stelle so gar nicht. Das, was Sie jetzt hier verunglimpfen wollen, diese Erhöhung um 2 Euro, ist nur die Konsequenz aus dem, was beim Freibetrag passiert. Wenn man den Freibetrag anhebt, dann muss man entsprechend das Kindergeld für diejenigen anheben, die vom
Freibetrag nicht partizipieren. Das ist die entsprechende Umrechnung des durchschnittlichen Steuersatzes. Dann kommt man auf diese Summe.
Der Freibetrag soll nämlich nach dem Existenzbericht auf 110 Euro angehoben werden. Das Problem ist, dass Sie das nicht sehen und nicht berücksichtigen wollen.
Meine Damen und Herren, alles das muss auch finanzierbar sein. Die schwarze Null ist nicht irgendetwas, was man wie eine Mantra vor sich herträgt, sondern man kann Sozialleistungen, Familienausgleich und Kindergeld nicht aus Schulden finanzieren, weil dann nämlich genau diejenigen, denen man das zugutekommen lassen will, die davon partizipieren, später diese Schulden zurückzahlen müssen. Das ist eben nicht vernünftig. Wir müssen das aus einem echten Turnaround und mit einem ausgeglichenen Haushalt schaffen, weil jede Generation nur das Geld ausgeben kann, das ihr auch zusteht.
Herr Ministerpräsident, da sind Sie gefordert, in der Steuerdebatte daran mitzuwirken. Sie haben großartig zweistellige Milliardenbeträge angekündigt, haben gesagt, das Feld dürfe man der Union nicht allein überlassen.
Herr Ministerpräsident, Sie müssen liefern! Sie sehen das offensichtlich nur als eine taktische Frage, indem Sie sagen, das dürfe man nicht der Union überlassen. Nein, Sie müssen jetzt liefern!
Sie haben auf eine Anfrage der FDP gesagt, Sie wollten augenblicklich nichts unternehmen und die Gegenfinanzierung wieder mit dem Spitzensteuersatz vornehmen. Dann erhöhen Sie wieder die Steuerkurve. Nein, machen Sie wirklich einmal Entlastung! Machen Sie dazu konkrete Vorschläge, statt Diskussionen darüber zu führen, was Sie der Union nicht überlassen wollen! Das sind taktische Spielchen, die nicht weiterhelfen, Herr Ministerpräsident.
Vielen Dank, Herr Kollege Hilbers. - Schließlich spricht jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Abgeordneter Heere. Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte FDP! Sie beweisen immer wieder Ihr ganz spezielles Verhältnis zu Steuergeld.
Knapp zehn Plenarinitiativen haben Sie in dieser Legislaturperiode gestartet, um irgendwelche Steuern und Abgaben zu senken. Die Zahl Ihrer diesbezüglichen Pressemitteilungen ist noch einmal deutlich größer.
Oder ein Beispiel aus der letzten Plenarwoche. Ausweislich des vorläufige Stenografischen Berichts über die 104. Plenarsitzung sagte ich in einer Debatte zu Ihnen:
„Aber eigentlich offenbart Ihr Antrag nur Ihr komisches Gedankengut, nach dem praktisch jede öffentliche Geldausgabe einen potenziellen Betrug am Steuerzahler darstellt.“
Herr Hocker antwortete laut Protokoll mit einem Zwischenruf, der lautete nur: „Potenziell?“ - Herr Hocker, Ihr Zwischenruf ist entlarvend. Sie finden also tatsächlich, dass öffentliche Geldausgaben einen Betrug am Steuerzahler darstellen. Eine solche Haltung der FDP ist wirklich beschämend.
In genau dieser Denke steht das von Ihnen zur heutigen Aktuellen Stunde beantragte Thema der Steuersenkungen. Sie meinen wohl, nur jeder Euro, der nicht ausgegeben wird, ist ein guter Euro. Aber eine echte Antwort auf die riesigen Herausforderungen bleiben Sie mal wieder schuldig.
Zum Stichwort „Infrastruktur“: Auf der einen Seite beklagen Sie eine zu geringe Investitionsquote - ein bundesweites Problem -, und auf der anderen Seite dürfen vorhandene Mehreinnahmen aus
Ihrer Sicht offensichtlich nicht dafür verwendet werden, sondern müssen anders verwendet werden, nämlich für Steuersenkungen. - Welche Widersprüchlichkeit!
Auch zum Stichwort „Rente“, weil Sie es angesprochen haben, Herr Grascha: Geplant ist, das Rentenniveau weiter zu senken. Rentenbeiträge und Renteneintrittsalter werden hingegen tendenziell eher steigen. Die private Vorsorge ist bei dauerhaft null Zinsen faktisch unmöglich.
Herr Grascha, das ist die Schattenseite der Nullzinspolitik. Aus unserer Sicht sollen aber auch jüngere Menschen die Möglichkeit haben, einmal menschenwürdig in Rente zu gehen, oder etwa nicht? - Aber da helfen keine Steuersenkungen, sondern das Einzige, was da hilft, sind Steuerzuschüsse an die Rentenkasse. Das wird einmal eine sinnvolle Maßnahme sein. Aber Sie wollen das Geld ja jetzt schon für Steuersenkungen ausgeben. Dann ist es für solche sinnvollen Maßnahmen nicht mehr da. Das ist ein Fehler.
Was machen wir zum Thema Kinderarmut - Herr Schmidt sprach es an -, was zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, was zur Wohnungsnot und was zur Eingliederung von SGB-II-Bezieherinnen und -Beziehern in den Arbeitsmarkt? - Ich füge hinzu: Wie wäre es z. B. mit einem geförderten Arbeitsmarkt?
Schließlich das Megathema Bildung. Kein anderes Politikfeld ist so wichtig für die Zukunft dieses Landes. Jeder Euro, den wir dort investieren, wird sich langfristig in finanzieller und gesellschaftlicher Rendite auszahlen. Das ist der richtige Weg für uns Grüne.