Protocol of the Session on August 18, 2016

Einen Flaschenhals merken wir immer wieder bei allen diesen therapeutischen Ansätzen: die Rekrutierung von geeignetem Personal. Der Markt bei Psychologen, Psychiatern und Therapeuten ist oftmals sehr eng, auch der Markt beim Pflegepersonal. Es fällt auch schwer, Stellen im Vollzug zu besetzen.

Von daher ist es durchaus sinnvoll, eine bestehende Institution, die vom Sozialministerium geführt wird, mitzunutzen und für Sexualstraftäter zu öffnen. In die Kooperationsvereinbarung ist der AJSD eingebunden - ein wirksames und wichtiges Instrument. Die Vereinbarung ist ein wichtiger Baustein, die jetzt wirksam werden muss. Wir wollen die Ergebnisse abwarten und sehen, wie das funktioniert.

Es ist eine Chance, wenn Maßregel- und Justizvollzug stärker zusammenwachsen. Der Unterausschuss hat sich in dieser Legislaturperiode das Beispiel der Schweiz angeschaut, wo es ganz anders läuft. Er hat sich mit der Frage befasst, ob es Bereiche gibt, die in Zukunft enger zusammenarbeiten können.

Ich will aber auch auf andere Bereiche hinweisen. Erwähnt sei die JVA Oldenburg. Der Unterausschuss hat sich dort vor einigen Monaten über die Neuaufstellung im Bereich der psychiatrischen Versorgung informiert. Justizministerin NiewischLennartz hat in den letzten Jahren sehr erfolgreich die psychiatrische Versorgung im Vollzug ausgebaut und für ein deutliches Mehr an Behandlungsplätzen gesorgt.

Ich will auch den Landespsychiatrieplan erwähnen, bei dessen Aufstellung hinterfragt wurde, inwieweit sich die psychiatrische Versorgung in Niedersachsen verändern kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir finden es gut, dass die CDU den Impuls dazu gegeben hat, darüber zu reden, was besser werden kann. Das von ihr vorgeschlagene Instrument sehen wir aber nicht als geeignet an.

Ich will noch zwei grundsätzliche Anmerkungen machen.

Wir haben hier vor knapp einem Jahr gemeinsam eine Entschließung mit dem Titel „Wirksame Resozialisierung von Inhaftierten ermöglichen!“ be

schlossen, um deutlich zu machen, dass sich auch das Parlament dieser Aufgabe stellt. Ich finde, das war ein richtiges Signal. Es wurde auch in der Fachöffentlichkeit sehr zur Kenntnis genommen.

Wenn wir uns intensiv dem Thema „Integration von Sexualstraftätern“ widmen wollen, müssen wir auch überlegen: Welche Bedeutung kommt der Arbeit des Parlaments bei diesem Thema zu? Welche Verantwortung haben wir - der Kollege Genthe hat diese Frage angerissen -, wenn es besondere Vorkommnisse im Justizvollzug oder im Maßregelvollzug gibt? Müssen wir damit nicht sehr sensibel umgehen, um unserer politischen Verantwortung gerecht zu werden, statt die Chance auf eine schnelle Schlagzeile zu nutzen?

Wir glauben, mit einer Skandalisierung von Vorkommnissen machen wir es denen, die im Vollzug arbeiten, denen, die sich mit therapeutischen Ansätzen befassen, und denen, die sich in die Gesellschaft reintegrieren wollen, schwer, ihre Ziele zu erreichen. Dessen müssen wir uns bewusst sein.

Wir meinen, dass die Kooperation zwischen dem Sozialministerium und dem Justizministerium ein guter Weg sein kann. Wir wollen die Ergebnisse abwarten und auswerten. Bei Bedarf können wir dann nachsteuern. Wenn es Verbesserungsnotwendigkeiten gibt, sind wir immer daran interessiert, diesen nachzukommen.

Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, werden wir Ihrem Antrag hier heute nicht zustimmen können. Dieses Thema bleibt aber auf der Agenda. Wir sind bereit, uns ihm wieder zu widmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Brunotte. - Helge Limburg, Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir heute im Ergebnis zu einer kontroversen Abstimmung kommen werden, begrüße ich ausdrücklich, dass grundsätzlich Einigkeit darüber herrscht, dass die Resozialisierung und Therapierung von Straftätern eine wichtige Rolle spielen muss und dass sie letztendlich auch

ein wichtiger Beitrag zum Opferschutz in unserer Gesellschaft ist.

Der Kollege Brunotte hat es angesprochen: Es ist nicht das erste Mal, dass wir in diesem Punkt Einigkeit erzielen. Wir haben gemeinsam eine Entschließung zum Thema Resozialisierung beschlossen. Wir haben auch an anderen Stellen gemeinsam mit den Ministerien wichtige Schritte auf den Weg gebracht.

Aber wir erleben - auch darauf ist zu Recht hingewiesen worden - auch die andere Seite. Wir haben immer und immer wieder erlebt, dass Entweichungen, insbesondere aus dem Maßregelvollzug, politisch skandalisiert worden sind, dass versucht worden ist, den betreffenden Ministerien dafür ans Zeug zu flicken. Das ist natürlich das Gegenteil von sachlichen Beiträgen zur Resozialisierung und zur Reintegration in die Gesellschaft. Das schürt vielmehr Ängste und erschwert die Arbeit aller Mitwirkenden.

Dass Rot-Grün den Antrag für ein Modellprojekt an dieser Stelle ablehnt, heißt nicht, dass in dem Bereich nichts passiert. Ihr Vorwurf, bei uns heiße es einfach „Weiter so!“, Herr Kollege Dr. Genthe, ist nicht richtig. Das wissen Sie.

Vielmehr ist in dieser Legislaturperiode sehr viel passiert. Herr Brunotte hat darauf hingewiesen. Ich möchte zwei Sachen noch einmal betonen.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir die Fachkompetenz in den forensischen Einrichtungen im Maßregelvollzug und die Therapiemöglichkeiten jetzt verstärkt für andere Straftäter öffnen. Das ist sinnvoll und richtig. Da haben wir bewährte Strukturen.

Es ist gut und richtig, dass wir den Ambulanten Justizsozialdienst, AJSD, hier verstärkt einbinden. Auch er hat große Kompetenz und Erfahrung im Bereich der Bewährungshilfe und der Resozialisierung.

Aber egal, wie wir das äußere Modell gestalten: Das Kernproblem - auch darauf hat Herr Brunotte hingewiesen - ist in der Tat der Mangel an geeigneten Therapeutinnen und Therapeuten bzw. die Schwierigkeit, Plätze gerade für Straftäterinnen und Straftäter in diesem Bereich zu finden. Das werden wir mit keinem Modell schlagartig lösen können. Wir alle müssen in den kommenden Jahren kontinuierlich werben und arbeiten, um Personal zu gewinnen und Therapieplätze schaffen zu können.

Abschließend bleibt zu sagen: Ich freue mich, dass Niedersachsen in diesem Bereich unter Rot-Grün vorangeht. Ich freue mich ausdrücklich, dass wir alle ein großes Interesse an diesem Thema haben. Für den Moment lehnen wir Ihren Entschließungsantrag ab. Aber selbstverständlich muss das Thema auch in den kommenden Jahren weiter bearbeitet werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Limburg. - Jetzt hat sich die Ministerin zu Wort gemeldet. Frau Ministerin Cornelia Rundt, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion hat sich in diesem Antrag für die Psychotherapie von Straftätern starkgemacht. Wir stimmen darin überein, dass wir diese Täter bestmöglich therapieren müssen. Zum einen schulden wir das den Opfern dieser schrecklichen Taten. Zum anderen geht es natürlich darum, neue Taten zu verhindern.

Für die psychotherapeutische Nachsorge für Straftäter, insbesondere für Sexualstraftäter aus dem Justizvollzug, haben wir ein System von fünf verschiedenen Maßnahmen entwickelt, die dem Ambulanten Justizsozialdienst für die Betreuung dieses Personenkreises zur Verfügung stehen. Die Maßnahmen reichen von der Behandlung durch niedergelassene Therapeutinnen und Therapeuten über die Weiterbehandlung durch die sozialtherapeutischen Abteilungen des Justizvollzugs, die Kooperation mit regionalen psychiatrischen Fachkliniken und die Nachbetreuung durch die forensische Ambulanz der Justizvollzugsanstalt Rosdorf bis hin zu einer Kooperation mit den forensischen Institutsambulanzen der Maßregelvollzugseinrichtungen in Niedersachsen.

Diese Institutsambulanzen verfügen über mehrjährige Erfahrungen im Bereich der Nachsorgebehandlung für straffällige Patientinnen und Patienten und können - abhängig von der jeweiligen individuellen Indikation - sowohl Einzel- als auch Gruppentherapien anbieten. Bei Bedarf können diese durch medikamentöse, sozialtherapeutische oder psychotherapeutische Behandlungen ergänzt werden. Eine entsprechende Kooperationsverein

barung ist abgestimmt und wird demnächst förmlich unterzeichnet.

Außer auf diese umfangreichen Behandlungsmöglichkeiten möchte ich auf die gemeinsam vom Innenministerium, vom Justizministerium und von meinem Haus entwickelte und im Dezember 2015 modifizierte Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftäterinnen und Sexualstraftätern in Niedersachsen - kurz: KURS Niedersachsen - hinweisen. Diese Konzeption dient der Verbesserung der Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen - der Polizei, des Maßregelvollzugs und der Justiz - bei der Verringerung des Rückfallrisikos und bei der Stärkung der Resozialisierung von Sexualstraftätern, die unter Führungsaufsicht stehen.

Darüber hinaus ist das Sozialministerium auch präventiv engagiert, indem es wissenschaftlich begleitete Modellprojekte wie das Präventionsprojekt Pädophilie im Dunkelfeld an der Medizinischen Hochschule Hannover, das Pädophilieprojekt „Prävention sexuellen Missbrauchs“ der Universitätsmedizin Göttingen und ein weiteres Präventionsmodellprojekt der Medizinischen Hochschule Hannover, das sich an potenzielle sexuelle Gewalttäter und Vergewaltiger wenden soll, fördert.

Über diese Präventionsprojekte erwarten wir auch fundierte Kenntnisse über erfolgversprechende Therapieprogramme und darüber hinaus auch mehr Therapeutinnen und Therapeuten, die sich für solche komplexen und schwierigen psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen von Sexualstraftätern interessieren.

Ich glaube, dass ich habe aufzeigen können, dass wir in Niedersachsen bereits über eine Behandlungsstruktur verfügen und darüber hinaus gerade dabei sind, vielfältige Aktivitäten für eine Optimierung dieser Angebote zu finden. Deswegen sehe ich auch keinen Bedarf für Modellprojekte. Vielmehr kommt es darauf an, dass wir die vorgenannten Aktivitäten konsequent und bestmöglich umsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Es liegen keine weiteren Bitten um Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 17/4360 ablehnen will, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das Erste war die Mehrheit.

Der folgende Tagesordnungspunkt sollte eigentlich erst morgen behandelt werden. Ich rufe ihn aber, wie vereinbart, jetzt auf:

Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung: Einrichtung einer Muttermilchbank in Niedersachsen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/6257

Zu Einbringung hat sich Tina Glosemeyer, SPDFraktion, zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Petra Tiemann [SPD]: Jetzt sagt er auch schon „Tina“! - Heiterkeit)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland kommen jährlich etwa 60 000 Kinder zu früh zur Welt. Mit einem Gewicht von unter 1 500 g sind sie kaum in der Lage, selbstständig zu atmen. Für sie beginnt mit der Geburt ein Kampf ums Überleben. Für die Eltern beginnt eine schwere Zeit. Die Kinder haben vielfältige gesundheitliche Probleme. Am häufigsten treten diese Probleme im Darmtrakt auf. Die Erkrankung Nekrotisierende Enterokolitis ist die häufigste Komplikation. Sie ist für das Auftreten eines akuten Abdomens bei Frühgeborenen verantwortlich.

Von allen Frühgeborenen ist jedes zehnte Kind mit einem Geburtsgewicht unter 1 500 g betroffen. Es sterben etwa 5 bis 10 % der von einer Nekrotisierenden Enterokolitis betroffenen Neugeboren. Haben sie die Nekrose auf einem großen Darmabschnitt, hat sie sich also dort ausgedehnt und muss aufgrund dessen der Darm entfernt werden, entwickelt sich bei dem Kind ein Kurzdarmsyndrom und muss ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. Die Gefahr von Spätfolgen ist sehr hoch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Studien belegen, dass diese Komplikationen durch Füttern von Muttermilch vermieden werden können. Für Frühgeborene ist die Versorgung mit den individuell richtigen

Nährstoffen überlebenswichtig. Natürlicherweise ist die Milch der eigenen Mutter ein Garant für die optimale Ernährung der Kleinen. Doch ihre Wirkung geht weit über die Gewichtszunahme hinaus. Muttermilch lässt die Darmflora des Kindes reifen, stärkt unmittelbar das Immunsystem und beugt Säuglingssterblichkeit vor.