Protocol of the Session on February 19, 2013

Die Krise der Offshoreindustrie an der Küste sollte uns den Ernst der Situation eindringlich vor Augen führen. Hier gilt das, was für die Energiewende insgesamt Maßstab unserer Politik sein wird, alle niedersächsischen Beiträge zu leisten, die möglich sind, und zugleich eindringlich dafür einzutreten, dass aus dem derzeit bestehenden Energiechaos tatsächlich die versprochene Energiewende wird.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Er- klären Sie mal, wie Sie das machen! - Gegenruf von Uwe Schwarz [SPD]: Opposition ist Mist!)

Über den Abschied von der Atomwirtschaft kann es heute keinen ernstlichen Streit mehr geben, über den Umgang mit ihrem historischen Erbe dagegen sehr wohl. Niedersachsen hat das zweifelhafte Privileg, dass in den vergangenen Jahrzehnten alle Pläne zur Endlagerung des Atommülls und alle Umsetzungsschritte einzig und allein auf unser Land beschränkt gewesen sind.

(Johanne Modder [SPD]: Genau! So ist das!)

Der Streit um Gorleben hat jahrzehntelang unser Land politisch gespalten. Die Asse zeigt in aller Deutlichkeit, welche Gefahren mit der atomaren

Endlagerung verbunden sind. Die Landesregierung hat in dieser Frage eine sehr klare Haltung: Sicherheit geht über alles.

Es ist gut und richtig, wenn jetzt erstmals über eine neue, ergebnisoffene Suche nach Standorten diskutiert wird. Niedersachsen hat kein Recht, sich aus dieser Diskussion abzumelden. Wir haben aber jedes Recht, aus unseren konkreten Erfahrungen auch konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die geologisch - nicht politisch - begründeten Zweifel am Standort Gorleben sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht kleiner, sondern größer geworden. Es ist doch wohl das Mindeste, wenn man sich anschickt, Sicherheit für buchstäblich eine Million Jahre schaffen zu wollen, dass über die geologische Eignung eines Standorts kein nennenswerter Streit besteht. Diese Voraussetzung wird sich für Gorleben nicht herstellen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Widerspruch von Jens Nacke [CDU])

Deswegen ist die neue Landesregierung gleichzeitig die erste, die eines unmissverständlich festhält: Gorleben ist als Standort für ein atomares Endlager ungeeignet.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Diese Haltung werden wir sehr klar und freundlich in alle Diskussionen einbringen.

(Jens Nacke [CDU]: Sagen Sie einmal etwas zum Endlagersuchgesetz!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Energiepolitik zur Agrarpolitik, das wäre noch vor relativ kurzer Zeit ein gewaltiger Sprung gewesen. Heute nicht mehr. Die Verbindung von Energiewirtschaft und Landwirtschaft bei der Produktion von Biogas ist ein besonders markantes Beispiel für die immer intensivere landwirtschaftliche Produktion. Auch die Veredelungswirtschaft zeigt denselben Trend und hat an Intensität ständig zugenommen.

In wirtschaftlicher Hinsicht durchaus erfolgreich, hat Niedersachsen seine Position als Agrarland Nummer eins gefestigt. Aber gleichzeitig wächst der Konfliktstoff, der mit dieser Entwicklung verbunden ist. Die „Vermaisung der Landschaft“ mag als Stichwort ebenso genügen wie die durchaus bedenkliche Belastung des Grundwassers in weiten Teilen Niedersachsens mit Nitrat. Anlass zur

Kritik unter dem Gesichtspunkt des Tierschutzes, des Verbraucherschutzes hat es zunehmend gegeben, ebenso wie Streit in örtlichen Gemeinschaften, die an der Grenze ihrer Belastbarkeit angekommen sind.

Die Landesregierung will den Charakter Niedersachsens als Agrarland sichern und der Ernährungswirtschaft gute, nachhaltige Bedingungen verschaffen. Statt einer Politik, die 40 000 bäuerliche Betriebe in unserem Land vor die Alternative „wachsen oder weichen“ stellt, wollen wir diese Betriebe im Rahmen einer sanften Agrarwende gezielt fördern.

(Jens Nacke [CDU]: Was soll das denn sein? - Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

- Das kann ich mir richtig vorstellen, dass es Ihnen schwerfällt, sich das vorzustellen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich habe wirklich den Eindruck, lieber Herr Kollege Nacke: Wir beide werden in den nächsten Jahren noch viel Spaß miteinander haben. Aber darauf freue ich mich.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jörg Hill- mer [CDU]: Butter bei die Fische! Was genau haben Sie vor? - Weitere Zuru- fe von der CDU - Glocke des Präsi- denten)

Die Landesregierung wird im Dialog mit den Unternehmen - da haben Sie schon einmal ein erstes Merkmal - dafür sorgen, dass der Tierschutz geachtet wird, das Vertrauen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern gestärkt wird und die Belange der Umwelt berücksichtigt werden.

Wir setzen uns für ein verbessertes Planungsrecht der Kommunen im Außenbereich ein, werden den Biolandbau fördern und auf eine Produktion von Lebensmitteln drängen, die in der Gesellschaft Akzeptanz und Vertrauen findet.

Eine Revolution in der Agrarpolitik ist von dieser Landesregierung nicht zu erwarten, eine Evolution in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sehr wohl, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Insofern ist es auch nicht falsch, davon auszugehen, dass die Themen des ländlichen Raums von dieser Landesregierung mit besonderer Aufmerk

samkeit verfolgt werden. Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel, im Zusammenhang mit der Regionalpolitik, im Zusammenhang mit der Agrarpolitik - immer wieder habe ich in den vergangenen Minuten die Entwicklung in der Fläche unseres Landes hervorgehoben; denn hier sind die Herausforderungen tatsächlich am Größten.

Das gilt auch für den Erhalt der sozialen Netze. Die Landesregierung sieht mit Sorge, dass aktuell gerade in der Fläche eine Reihe von Krankenhäusern vor dem wirtschaftlichen Aus stehen. Sie nimmt die Bedenken ernst, wie in Zukunft eine würdige Pflege gerade im ländlichen Raum bei zurückgehenden Bevölkerungszahlen und zunehmender Alterung gewährleistet sein soll. Das sind Fragestellungen, die wir zum Schwerpunkt unserer sozialpolitischen Aktivitäten machen werden.

Aber eben nicht nur auf der Landesebene: Die wirtschaftliche Situation unserer Krankenhäuser, die Sorge um die Pflege älterer Menschen in Niedersachsen sind auch das Ergebnis einer unübersehbaren Benachteiligung unseres Landes. Sowohl bei der Krankenhausfinanzierung als auch bei den Pflegesätzen sind unsere Krankenhäuser, sind unsere Pflegeheime weit, weit unterhalb des jeweiligen Bundesdurchschnitts. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Pflegekräfte in Niedersachsen haben das Recht auf denselben Lohn wie in anderen Bundesländern, Krankenhäuser in Niedersachsen haben das Recht auf dieselbe Refinanzierung wie in anderen Bundesländern. Deswegen wird die Landesregierung alle Möglichkeiten über den Bundesrat dafür nutzen, dass bei der sozialen Grundversorgung Gerechtigkeit hergestellt wird und wir damit auch das soziale Netz in der Fläche unseres Landes sicherstellen können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an Herausforderungen ist also wahrlich kein Mangel, wenn wir in die Zukunft Niedersachsens blicken. Ehrlich gesagt, sie sind so groß, dass sich die Landespolitik verheben würde, wollte sie diese Aufgaben alleine angehen. Wir sind in jedem gesellschaftlichen Bereich, in jedem Politikfeld auf Verbündete und Unterstützung angewiesen. Die Fähigkeit zur Partnerschaft und Kooperation soll deswegen den Arbeitsstil dieser Landesregierung prägen.

Um Ihnen nur einige Beispiele zu geben: Die Bedeutung einer erfolgreichen Integrationspolitik ist nicht zu überschätzen. Ein immer größerer Teil unserer Bevölkerung hat einen Zuwanderungshintergrund, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Die Landesregierung wird deswegen in allen Ressorts Integration als Querschnittsaufgabe ansehen. Sie wird unterschiedlichen Kulturen, Weltanschauungen, Religionen mit Respekt begegnen und beispielsweise einen Staatsvertrag mit muslimischen Glaubensgemeinschaften anstreben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung wird in der Flüchtlingspolitik einen Paradigmenwechsel vornehmen und in Härtefällen den Gesichtspunkt der Mitmenschlichkeit in den Vordergrund stellen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung wird den Verfassungsschutz gründlich reformieren und einen Beitrag dazu leisten, gerade bei Migrantinnen und Migranten verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Kommunen sind für unseren Politikansatz unverzichtbare Partner. Ohne handlungsfähige Kommunen lässt sich unser Gemeinwesen auf Dauer nicht zusammenhalten. Die Landesregierung wird sich deswegen bei der Finanzausstattung als Anwältin der Städte, Gemeinden und Landkreise in der Bundespolitik verstehen. Sie wird daneben die Kommunen als Partner stärken und um Mitarbeit bitten - ich verweise nur auf die Ausführungen zur Schulpolitik und zur Regionalpolitik. Es gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Reihe von kommunalen Erfahrungen, von denen die Landespolitik profitieren kann, und wir sollten diese Möglichkeiten nutzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir wollen auf Augenhöhe mit den Partnerinnen und Partnern in der Gesellschaft unsere Politik vorantreiben - in der Wirtschaftspolitik ebenso wie in der Sozialpolitik. Um Ihnen auch dazu nur ein Beispiel zu geben: Inklusion darf sich nicht in erster Linie verstehen als Politik für Menschen mit Behinderungen, sondern muss sich in erster Linie verstehen als Politik mit Menschen mit Behinderungen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Landesregierung ist schließlich auch davon überzeugt, dass wir gut daran tun, unsere Demokratie zu stärken. Machen wir uns nichts vor: Die Distanz zwischen Regierten und Regierenden ist spürbar gewachsen. Ich halte das für einen schleichenden Muskelschwund unserer Demokratie. Demokratie ist anders, als alle anderen Regierungssysteme auf Vertrauen und auf Mitwirkung angewiesen. Deswegen haben wir vor, die Stichwahlen bei der Wahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern bzw. Landrätinnen und Landräten wieder einzuführen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir werden die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung verbessern und auch insoweit direkte Demokratie erleichtern.

Und wir wollen die politische Bildung in unserem Land stärken. Je mehr junge Menschen und je besser sie das politische System verstehen und Politik beurteilen können, desto besser ist das für unsere Demokratie. Deswegen müssen wir miteinander diese Aufgabe sehr ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hat sich - wenn Sie unter alles das einen Strich ziehen wollen - die Zukunft unseres Landes zur Aufgabe gemacht. Wir wollen unser Land nicht verwalten, sondern gestalten. Wir wollen es zukunftssicher machen.

(Ulf Thiele [CDU]: Und Sie haben kei- ne Idee, wie das geht!)