Protocol of the Session on February 16, 2011

auch wenn Sie, Kollege Limburg, das Beispiel des Verfassungsgerichts anführen. Das ist eine sehr zweischneidige Sache. Wir erleben es gerade bei der Diskussion um Peter Müller. Ob das immer so wünschenswert ist, ist wirklich eine andere Frage.

(Beifall bei der SPD)

Die bisherigen Erfahrungen mit der Besetzung des Staatsgerichtshofs haben nie einen Zweifel an der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter aufkommen lassen, und das sollte auch so bleiben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Dr. Biester hat jetzt für die CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Niedersächsische Staatsgerichtshof ist ein angesehenes Verfassungsorgan unseres Landes Niedersachsen. Er steht völlig zu Recht außerhalb jeder politischen und parteipolitischen Diskussion. Seine Mitglieder sind Präsidentinnen und Präsidenten niedersächsischer Gerichte, Professorinnen und Professoren unserer juristischen Fakultäten sowie eine angesehene Rechtsanwältin und Notarin.

Von den neun Mitgliedern sind drei Frauen und sechs Männer. Da fragt sich auch ein geneigter Leser Ihres Gesetzentwurfes, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Haben wir hier wirklich ein Problem?

Schauen wir uns doch einmal in der Bundesrepublik Deutschland um. Von allen Bundesländern haben drei eine Quote, nämlich Brandenburg, Berlin und Niedersachsen. Alle Staatsgerichtshöfe dieser drei Länder haben jeweils neun Mitglieder. Die Quote liegt bei einem Drittel, also drei Mitgliedern eines Geschlechtes. Wir stehen also in Niedersachsen mit unserer derzeit bestehenden ge

setzlichen Regelung an der Spitze der Bewegung, und nicht - diesen Anschein könnte Ihr Gesetzentwurf erwecken - am Ende.

So müssen Sie schon die Geschichte seit 1957 anführen, um Ihre Forderung zur Erhöhung der Zahl von drei auf vier vermeintlich begründen zu können. Das kann aber nicht der Maßstab sein. Die Frage ist nicht, was 1957 oder 1960 war, sondern die Frage ist, wie es heute, im Jahr 2011, aussieht. Heute haben wir, wie gesagt, eine Besetzung mit drei Frauen und sechs Männern an diesem Gericht und erfüllen die Quote. Uns hindert niemand, diese Quote auch ohne gesetzliche Regelung zu ändern.

Die Mitglieder werden mit Zweidrittelmehrheit vom Landtag gewählt. Der Landtag - also wir, nicht irgendwer sonst, den Sie durch ein Gesetz binden müssten - ist gehalten, für eine angemessene Beteiligung von Frauen und Männern Sorge zu tragen. Für die CDU-Fraktion kann ich erklären, dass wir bereit sind, uns dieser Aufgabe zu stellen. Das haben wir auch bei unseren Besetzungsvorschlägen bewiesen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ihr Gesetzentwurf erweckt den Anschein, als hätten wir dieses Augenmaß nicht. Dagegen verwahren wir uns.

Meine Damen und Herren, Bündnis 90/Die Grünen sind in einigen Bundesländern an der Regierung beteiligt oder waren es zumindest bis vor Kurzem. Schauen wir uns also einmal nach dem Motto „Kehre vor der eigenen Haustür“ die dortigen Regelungen an.

Hamburg: Neun Richter, keine Quote, zwei Damen.

Saarland: Acht Richter, keine Quote, eine Frau.

Rheinland-Pfalz: Neun Richter, keine Quote, zwei Frauen.

(Helge Stefan Limburg [GRÜNE]: In Rheinland-Pfalz waren wir noch nie an der Regierung! Da haben Sie nicht gut recherchiert!)

Gehen wir weiter nach Nordrhein-Westfalen oder Bremen; das könnte man also fortsetzen. Es gibt kein Bundesland, in dem Sie an der Regierung sind oder waren, in dem Sie für eine Quote gesorgt haben. Wir in Niedersachsen, wie gesagt, haben diese Quote.

(Beifall bei der CDU)

Im zweiten Teil fordern Sie eine jedenfalls zum Teil öffentliche Anhörung von Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl.

Das wirft für uns schon die Frage auf, auch wenn Sie Gegenteiliges beteuert haben, ob Sie Zweifel an der juristischen und sozialen Qualifikation der derzeitigen Mitglieder des Staatsgerichts haben. Glauben Sie nicht auch, dass diejenigen, die an niedersächsischen Gerichten und an niedersächsischen Universitäten Spitzenpositionen erlangt haben, über die erforderliche Qualifikation verfügen?

Ich will es einmal aussprechen: In Wirklichkeit geht es Ihnen um etwas anderes. Sie fühlen sich als Bündnis 90/Die Grünen bei Besetzungsverfahren außen vor, und - das will ich auch zugeben - das sind Sie auch. Das sind Sie auch, solange Sie nicht an einer Regierung beteiligt sind oder nicht die größte Oppositionspartei stellen. Ersteres wird in der nächsten Zeit sehr unwahrscheinlich sein, Letzteres - größte Oppositionspartei in Niedersachsen - mag eher möglich sein.

(Stefan Wenzel [GRÜNE] lacht)

Unsere Verfassung sieht ein Zweidrittelquorum für die Wahl der Richter vor. Um dieses Quorum erfüllen zu können, ist es erforderlich, dass sich die großen Parteien, die dieses Quorum darstellen, miteinander verständigen.

Ich sage ausdrücklich: Das ist keine Kungelei, sondern das ist ein Auftrag der Verfassung, die uns vorgibt, uns dieser Verantwortung zu stellen. Wir haben für eine angemessene Besetzung Sorge zu tragen. Dieser Verantwortung stellen wir uns durch entsprechende Gespräche zwischen den Parteien.

Ich bin mir sicher, dass hier in Niedersachsen eine Partei einen Vorschlag nicht akzeptieren würde, wenn eine andere Partei eine Richterin oder einen Richter aus rein parteipolitischen Gründen vorschlagen würde. Insofern ist eine fachlich begründete Auswahl durch die Regelung, wie sie in der Verfassung vorgegeben ist, absolut gewährleistet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Limburg, ich kann es mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, wie es denn ist, wenn Bündnis 90/Die Grünen an der Besetzung von Gerichten beteiligt sind.

Im Jahre 2001 schlugen Sie Herrn Wolfgang Nešković als Richter beim Bundesgerichtshof vor

(Helge Stefan Limburg [GRÜNE]: Das hören wir schon seit zehn Jahren!)

- übrigens ein Mann und keine Frau.

(Heiterkeit bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Ein guter Mann!)

Der Präsidialrat des Bundesgerichtshofes hielt ihn fachlich für nicht geeignet,

(Helge Stefan Limburg [GRÜNE]: Aber alle anderen!)

da er nie zu einer Erprobung an einem Oberlandesgericht abgeordnet war.

Diese Wahl wurde von Ihnen aus rein parteipolitischen Gründen durchgedrückt und hat dazu geführt - was sicherlich ungewöhnlich ist -, dass der damalige Präsident des Bundesgerichtshofes, Herr Hirsch, am 22. Oktober 2001 im Spiegel beklagte, dass der Eindruck entstanden sei, nicht die besten Richter kämen zum Bundesgerichtshof, sondern politische Erwägungen seien bestimmend gewesen.

Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, dieses Beispiel zeigt mit aller Deutlichkeit: Niemand ist so schamlos bei der Durchsetzung parteipolitisch motivierter Richterbesetzungen wie Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Oh! bei den GRÜNEN)

Deshalb verwahren wir uns gegen Belehrungen, wie wir Richterinnen und Richter im angemessenen Verhältnis unter fachlichen Gesichtspunkten benennen.

Wir werden Ihren Gesetzesvorschlag deshalb in beiden Punkten ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu dem Beitrag von Herrn Dr. Biester hat sich Herr Kollege Limburg zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben das Wort für 90 Sekunden, Herr Limburg.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Biester, zunächst einmal ist es ja schön, dass man nie auslernt. Als gerade eben Sie nach vorne gegangen sind, habe ich

gedacht, dass eine sachliche Debatte garantiert ist. Sie haben mich eines Besseren belehrt. Aber gut, ich lerne gerne hinzu, auch wenn ich es bedauere, dass Sie das Niveau so weit heruntergezogen haben.

Ich möchte auf einige Aspekte eingehen.

Sie haben angesprochen, wir würden diesen Gesetzentwurf nur einbringen, weil wir uns benachteiligt fühlten. Das ist überhaupt nicht der Fall. Wenn Sie nachschauen, wer auf wessen Vorschlag zurzeit am Niedersächsischen Staatsgerichtshof ist, so werden Sie auch einen auf Vorschlag der Grünen benannten Richter, nämlich Herrn Schrader, finden. Diesen Vorschlag hatten wir zu einem Zeitpunkt eingebracht, als wir nicht an der Regierung beteiligt waren und auch nicht die größte Oppositionsfraktion stellten. Zugegebenermaßen konnten wir diesen Vorschlag mit freundlicher Unterstützung durch die Sozialdemokraten durchsetzen. Insofern sind wir nicht unterrepräsentiert, sodass wir den Gesetzentwurf auch nicht aus einer Neidposition heraus gestellt haben.

Der zweite Aspekt. Ich finde es schon sehr vermessen von Ihnen, dass Sie trotz ausdrücklich gegenteiliger Darstellung unterstellen, wir Grüne würden indirekt versuchen, die gegenwärtige Besetzung des Staatsgerichtshofes zu kritisieren. Das, Herr Kollege Dr. Biester, ist ein schwerwiegender Vorwurf. Diesen müssen Sie schon konkreter belegen, wenn Sie hier so in die Debatte gehen.

Ich habe ausdrücklich dargestellt, dass es keine Kritik am gegenwärtigen Personal gibt. Aber auch Sie, Herr Kollege, werden die Augen nicht davor verschließen können, dass auch ein schlechtes Besetzungsverfahren manchmal zu einem guten Ergebnis führen kann. Das ist aber noch lange kein Grund, an einem schlechten Verfahren festzuhalten.

Der letzte Punkt. Sie haben den Vergleich zu anderen Bundesländern gezogen. Ich kenne Ihre Landesregierung sonst nicht so zauderhaft, zu sagen: Na ja, wenn wir ein bisschen besser sind als die anderen, selbst wenn es insgesamt noch schlecht ist, dann bleiben wir dabei. - Seien Sie doch auch in diesem Punkt mutig, und gehen Sie noch weiter voran!