Protocol of the Session on December 9, 2010

Das hat einen guten verfassungspolitischen Sinn. Wie der Bund über die Fondspolitik nicht in die Aufgabener

füllung der Länder einwirken können soll, sollen die Länder nicht über Mitfinanzierungsangebote die Entscheidung des Bundes und seiner Bahn zu ihren Gunsten beeinflussen können. Das Land würde zudem auf diese Weise eine Ausbauentscheidung, die nach der Verfassung am Wohl der Allgemeinheit und insbesondere den Verkehrsbedürfnissen zu orientieren ist (Artikel 87 e Abs. 4 Satz 1 GG), über das beste finanzielle Angebot beeinflussen.

Der Verstoß gegen Artikel 104 a Abs. 1 GG macht § 6 Abs. 2 Finanzierungsvertrag nichtig, da ein Vertrag die Verfassungsordnung nicht ändern kann.

Die Konsequenzen sind die Nichtigkeit des Finanzierungsvertrages, das Verbot weiterer Zahlungen und die Geltendmachung der geleisteten Zahlungen.“

Neben dieser rechtlichen Bewertung zum bisherigen Finanzierungshintergrund des Projektes Stuttgart 21 belegen die Informationen in einem Artikel auf www.stern.de vom 24. November 2010 - „Stuttgart 21: Schwere Fehler in der Bibel?“ Ungereimtheiten bei den Kostenangaben der DB AG zu Stuttgart 21:

„Das wichtigste Papier für S 21 bezifferte schon 2002 die Kosten auf 4,2 Milliarden Euro. Die Bahn sagt: Kleiner Fehler, gemeint seien D-Mark. Doch im Papier steht alles in Euro.“

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Was haben wir eigentlich mit Stuttgart 21 zu tun?)

- Darauf, was wir mit Stuttgart 21 zu tun haben, kommen wir gleich.

Herr Kollege Hagenah, Sie sollen nicht bewerten. Man muss nicht auf jeden Zwischenruf eingehen.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Aber auf wichtige schon!)

Gut. Danke schön.

Also:

„Die Bahn sagt: Kleiner Fehler, gemeint seien D-Mark. Doch im Papier steht alles in Euro.“

Ich frage die Landesregierung:

1. Teilt die Landesregierung die aus dem Gutachten dargestellte kritische rechtliche Bewertung zur Mitfinanzierung des Bundesneubauprojektes Stuttgart 21 von Rechtsprofessor Dr. Dr. Meyer aus Berlin und, falls nicht, warum nicht?

2. Wird die Landesregierung vor dem Hintergrund der Mittelkonkurrenz gegenüber dem Bund Rechtsmittel gegen diese laut Gutachten rechtswidrige Mitfinanzierung einlegen, um wichtige Bahnprojekte in Niedersachsen wie z. B. den zweigleisigen, elektrifizierten und lärmgeschützten Ausbau der Strecke Wilhelmshaven–Oldenburg gegenüber dem durch diese Mitfinanzierung bisher vorgezogenen Projekt Stuttgart 21 voranzubringen und, falls nicht, mit welcher Begründung?

3. Wie bewertet die Landesregierung in diesem Zusammenhang die in dem oben ebenfalls zitierten Stern-Artikel dargestellten Fakten, dass die DB AG bereits im Jahr 2002 die Kosten für das Projekt Stuttgart 21 auf 4,2 Milliarden Euro beziffert hat?

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Hagenah. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Bode. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nun grade mal drei Monate her, als ich hier über die Finanzierung wichtiger norddeutscher Bauvorhaben im Hinblick auf die Projekte Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen– Ulm Auskunft gegeben habe. Schon im September habe ich darauf hingewiesen, dass wir uns an Kostenspekulationen zu Bahnprojekten nicht beteiligen.

(Enno Hagenah [GRÜNE] überreicht der Schriftführerin einen Wortmel- dungszettel)

- Ich bin doch noch gar nicht fertig, und Sie haben schon eine Nachfrage?

(Heiterkeit - Enno Hagenah [GRÜNE]: Wenn ich den Zettel dann erst einrei- che, wenn Sie fertig sind, kann ich keine Frage mehr stellen!)

- Ach so! Na gut. Vielleicht hat sich das ja erledigt, wenn ich fertig bin, und Sie können Ihre Wortmeldung wieder zurückziehen, Herr Hagenah.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, schon im September habe ich darauf hingewiesen, dass wir uns an Kostenspekulationen zu Bahnprojekten nicht beteiligen. Dennoch habe ich meine Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die Finanzierung unserer Projekte durch Kostensteigerungen anderer Projekte des Bedarfsplanes gefährdet sein könnte.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 gerade kein Projekt des Bundesverkehrswegeplans ist. Nach den Worten von Staatssekretär Ferlemann handelt es sich bei Stuttgart 21 um ein eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG. Wenn wir über Bedarfsplanprojekte reden, dann sollten wir über die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm reden. Logischerweise kann bei diesem Bedarfsplanprojekt eine Kostenexplosion zu einer direkten Konkurrenz um Bundesmittel für andere Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans führen.

Meine Sorgen um die niedersächsischen Schienenbauprojekte sind mittlerweile allerdings geringer geworden. Denn inzwischen haben wir einen weiteren, einen wichtigen Meilenstein erreicht, nämlich die Finanzierung für den zweigleisigen Ausbau zwischen Rastede und Varel auf der Strecke Oldenburg–Wilhelmshaven.

(Zuruf von Olaf Lies [SPD])

Falls wir heute nicht mehr bis Frage 45 kommen sollten, Herr Lies, so teile ich Ihnen schon an dieser Stelle mit, dass entgegen der teilweise stattgefundenen Berichterstattung dieser zweigleisige Ausbau natürlich auch den umfassenden Lärmschutz für die Anwohner beinhaltet.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Jens Nacke [CDU]: Olaf, du weißt es doch besser!)

Auch für die Y-Strecke habe ich gute Nachrichten: Seitdem die Grünen in Hamburg die Koalition und die Regierung verlassen haben, können wir feststellen, dass sich die Freie und Hansestadt Ham

burg an der Planung der Y-Trasse mit einem Darlehen in Höhe von mindestens 3,5 Millionen Euro beteiligen wird. Das ist eine sehr gute Entwicklung für Norddeutschland.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir sind ebenfalls fest davon überzeugt, dass aufgrund der intensiven Gespräche, die wir auch mit dem Bundesland Bremen in der letzten Zeit führen, und durch diesen Schritt in Hamburg auch in Bremen eine neue Diskussion und eine neue Motivation, sich ebenfalls an einer Vorfinanzierung der Planungskosten zu beteiligen, entstehen wird. Denn diese Trasse ist für die Küstenländer und für die Hafenstandorte von großer Bedeutung. Auch Bremen ist natürlich ein Hafenstandort. Man wird den Reedern und dem Hafen, insbesondere natürlich Bremerhaven, die Unterstützung nicht verweigern wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese frohen Nachrichten vorausgeschickt, beantworte ich im Namen der Landesregierung Ihre Fragen wie folgt:

Zu 1: Das Land Niedersachsen maßt sich nicht an, Vorgänge im Land Baden-Württemberg rechtlich zu bewerten. Beim Ausbau der Bundesinfrastruktur geht es vielmehr um die gesamte Entwicklung der Maßnahmenfinanzierung. Wir wissen alle, dass der Bundesverkehrswegeplan unterfinanziert ist. So ist vom Bund nicht nur eine angemessene finanzielle Ausstattung des Bundesverkehrswegeplans zu fordern, was wir auch tun, sondern auch Transparenz bei der Finanzierung und der Entscheidung über die Finanzierung. Unser Vorstoß auf der letzten Verkehrsministerkonferenz hat den Ländern diesbezüglich mehr Transparenz bei den für den Schienenbereich geschlossenen Finanzierungsvereinbarungen gebracht. Für zukünftige Entscheidungen fordern wie nach wie vor mehr Transparenz ein.

Eines ist jedoch völlig klar: Würde der Neubau der Strecke Wendlingen–Ulm aus rechtlichen oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht umgesetzt werden, und würde der Bund hierdurch Kosten einsparen, dann gäbe es keinerlei Mechanismen, die dafür sorgen würden, dass dieses Geld nach Niedersachsen ginge. Wir haben kein Anrecht auf Finanzierung der Bundesverkehrswegeplanmaßnahmen, sondern wir sind auf die jeweilige Finanzierungsentscheidung des Bundes angewiesen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das stimmt!)

Deshalb macht auch eine rechtliche Prüfung der Verträge überhaupt keinen Sinn. Unser Ansinnen ist es nicht, mit juristischen Tricks zu arbeiten, sondern politisch zu überzeugen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bund hat sich die Hafenhinterlandbindung auf seine Fahnen geschrieben. Das steht im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP. Wir weisen bei jeder Gelegenheit auf den Koalitionsvertrag und die sich daraus ableitende Handlungsnotwendigkeit hin.

Zu 2: Entsprechend meiner Antwort zu der ersten Frage werden wir keine Rechtsmittel gegen die Mitfinanzierung des Landes Baden-Württemberg einlegen. Wir überzeugen mit unseren Argumenten. So haben wir erfolgreich die Finanzierung für die durchgehende Zweigleisigkeit der Strecke Oldenburg–Wilhelmshaven erreicht, so kommen wir Schritt für Schritt bei der Y-Trasse weiter, und so arbeiten wir ebenfalls engagiert weiter an der Realisierung des Mega-Hubs in Lehrte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten nicht vergessen, dass wir weder den Bundesverkehrswegeplan verantworten noch Träger der Projekte des Bundesverkehrswegeplans sind und diese Projekte auch nicht bezahlen. Dennoch erreichen wir mit unserem Engagement für das Land beachtliche Erfolge, auch wenn unsere Schienenprojekte von der Opposition alles andere als konstruktiv begleitet werden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zu 3: Unsere Befürchtungen zu Kostensteigerungen von Bedarfsplanprojekten - egal, welches Projekt es ist, es könnte auch das Projekt der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm sein - habe ich benannt. Die Abschätzung von Kosten für Neubaustrecken ist ohnehin eine sehr undankbare Aufgabe. Erstens vergeht bei Schienenprojekten oft sehr viel Zeit bis zur Realisierung, und zweitens kommen in dieser Zeit sehr schnell andere oder zusätzliche Anforderungen, beispielsweise bei der Sicherungstechnik oder aber beim Lärmschutz, hinzu. Eine verlässliche Kostenangabe ist in der Regel also erst nach Abschluss der Vorplanung möglich, nachdem aber die Entscheidung, ob ein Projekt realisiert wird, im Vorfeld schon längst gefallen ist.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Tricky!)

Das heißt, alle Bedarfsplanprojekte für die Schiene haben eine gewisse Unschärfe. Jegliche Kosten

spekulation ohne solide Grundlage ist daher zu vermeiden. Die aktuelle Informationen, die uns das Bundesverkehrsministerium im September dieses Jahres genannt hat, lautet: 2,89 Milliarden Euro.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wissen, dass wir im Bereich Schiene viel bewegen und dass wir noch viel bewegen wollen. Sie erkennen an meinen Ausführungen, welcher Aufwand und welches Engagement durch das Land erforderlich sind. Für den Erfolg dieser Verkehrsprojekte von der Finanzierung bis zur Fertigstellung wäre eine konstruktive Begleitung durch den gesamten Landtag sehr hilfreich.