Protocol of the Session on October 6, 2010

100 Tage Übergangsregierung: zu wenig Akzente - zu viele Skandale - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2903

100 Tage Übergangsregierung: zu wenig Akzente - zu viele Skandale - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2902

Ich erteile dem Kollegen Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, in ihrer ersten Regierungserklärung haben Sie das Thema Haushalt gänzlich ausgespart. Ihre Regierungserklärung zur 100Tage-Bilanz haben Sie wohlweislich nicht im Parlament abgegeben, sondern vor der Landespressekonferenz.

Schön zu lesen, dass es bei Ihnen in der Staatskanzlei jetzt kameradschaftlicher und freundschaftlicher zugeht. Wir würden uns das auch für den Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land, z. B. in Gorleben, oder auch im Umgang mit dem Parlament wünschen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie sind dem Parlament Rechenschaft schuldig über die Leerstellen in Ihrem Haushaltsentwurf 2011 und über die Zahlen, die das Land dem Stabilitätsrat für 2010 tatsächlich meldet. Sie wissen, dort ist eine Klage vor dem Staatsgerichtshof anhängig.

Im Fall Grotelüschen, Herr Ministerpräsident, haben Sie die Vorwürfe nicht ausgeräumt, sondern Sie wollen sie aussitzen. Frau Grotelüschen bleibt Galionsfigur einer Landwirtschaftspolitik, die immer mehr freie Bauern zu Lohnmästern der Fleischindustrie macht. Ihre Agrarpolitik, Herr McAllister, ist mehr Industriepolitik als Landwirtschaftspolitik.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: „Freie Bau- ern“ - das muss Ihnen doch schwer über die Lippen gekommen sein, Herr Wenzel!)

Wirkliche Bauern haben bei Ihnen nicht viel zu erwarten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Bildungspolitik versuchen Sie, die letzte Kurve zu kriegen. Wir haben vernommen, dass Sie flexibel sind und mit den Kommunen reden. Auch mit den Eltern reden Sie. Das ist eigentlich eine sehr schlichte Selbstverständlichkeit. Seit vielen Jahren haben Sie dem Niedergang der Hauptschulen zugesehen. Immerhin: Sie wollen die demografische Entwicklung als Realität anerkennen. Ansonsten: bisher nur Absichtserklärungen.

In der Energie- und der Atompolitik verantworten Sie eine Niederlage, die unser Land noch teuer zu stehen kommt. Sie reden von Windkraft, aber Ihre Regierung in Berlin macht genau das Gegenteil und dreht uns die Luft zum Atmen ab.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

„Koalition dreht Klimaschutz zurück“ titelt die Financial Times in der letzten Woche, und das, Herr McAllister, trifft die Windbauern, die Ingenieure bei Enercon und die Handwerker, die Dämmwerke an die Wand oder Solarkraftwerke aufs Dach bringen. Sie lassen in Gorleben weiterbauen, obwohl Sie alle Möglichkeiten in der Hand hatten, und Sie machen ohne Bürgerbeteiligung weiter. Der Rahmenbetriebsplan von 1982 ist Makulatur. Überall hat man dort gebohrt und gebaut, nur nicht dort, wo es beantragt war. Trotzdem verlängern Sie auf dieser Grundlage die Genehmigung. Das ist Rechtsbeugung par excellence.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Sie führen eine Partei, die orientierungslos dahintreibt. Nach Vechta und Celle haben Sie eine weitere Hochburg verloren. In Lingen sind Ihnen alle Dämme gebrochen. Seit vielen Wochen wabert die Wolfsburg-Affäre durchs Land und durch die Republik. Unklar bleibt bisher, Herr McAllister, ob Sie einem grandiosen Hochstapler mit doppelter Buchführung auf den Leim gegangen sind oder ob Sie die Parteikasse auf Kosten der Stadtwerke Wolfsburg geliftet haben. Wenn dort nur Rauch ist, aber kein Feuer, Herr McAllister, dann haben Sie es immerhin mit einem kleinen pyrotechnischen Wunder zu tun.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist nur mie- ser Stil, was Sie hier machen! Völlig daneben!)

Nach der Razzia in der CDU-Parteizentrale, Herr Nacke, sind wir jedenfalls gespannt auf das Ergebnis der Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Probleme haben Sie genug, Herr Ministerpräsident, aber Ihr Hauptproblem ist: Sie haben keine Ideen. - Sie haben keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, mit welcher Idee und mit welchem Ziel Sie dieses Land eigentlich regieren wollen. Soll es fortschrittlich oder konservativ zugehen? Mit erneuerbaren Energien oder mit Kohle oder Atom? Mit neuer Schule oder altem Denken? Solidarisch und tolerant oder mit diesem Innenminister? Als Einwanderungsland oder als Abschiebebahnhof? - Ihnen fehlt eine Idee, und das Schlimme ist: Man kann es Ihnen eigentlich gar nicht vorwerfen. Sie haben dieses Amt ja gar nicht angestrebt, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Es war nicht Ihr Wunschamt. Sie mussten Ministerpräsident werden,

(Lachen bei der CDU)

weil Ihr Vorgänger keine Lust mehr hatte, meine Damen und Herren. So war es!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich stelle fest, Herr Ministerpräsident: Sie sind der Vorsitzende einer Übergangsregierung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie verwalten den Posten, bis eine neue Regierung gewählt wird. Schönstes Beispiel dafür ist Ihre gestrige Pressekonferenz, auf der Sie die Stirn hatten, 28 Seiten mit 185 Überschriften von Presseartikeln aus Ihren ersten 100 Tagen zu verteilen. Meine Damen und Herren, Herr McAllister, Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht zum wehenden Vakuum werden.

Ich danke Ihnen.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN so- wie Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Schostok von der SPDFraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, mit Ihrer Regierungserklärung am 1. Juli haben Sie noch versucht, den Eindruck von Tatkraft und Entscheidungsfreude zu erwecken. Diejenigen, die das geglaubt haben, sind bis jetzt gründlich enttäuscht worden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Hans- Christian Biallas [CDU]: Davon kön- nen Sie einiges lernen!)

Ihre ersten 100 Tage als Ministerpräsident sind ohne jede Akzentsetzung verstrichen. Nach Ihrer Wahl am 1. Juli haben Sie eine Reihe von Initiativen angekündigt, doch bisher ist es nur bei guten Vorsätzen geblieben. Bei Ihren größten Baustellen, der Bildungspolitik, der Sozialpolitik, der Finanzpolitik und der Umweltpolitik, stehen zwar immer noch die Schilder „Hier baut McAllister“, aber dahinter klafft und gähnt nur eine große Grube, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In der Schulpolitik haben Sie angekündigt, sich ideologiefrei und pragmatisch auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten.

(Heinz Rolfes [CDU]: Ja, machen wir auch!)

Stattdessen erleben wir eine Regierung, die unter Ihrer Führung nur noch in ideologischen Grabenkämpfen zwischen Ihrem Kultusminister,

(Heinz Rolfes [CDU]: So ein Unfug! Das ist ja unglaublich!)

dem Ministerpräsidenten, der FDP-Fraktion und Teilen der CDU-Fraktion verharrt.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

Zu Kooperationsangeboten: Wir haben Ihre Angebote aus der Regierungserklärung durchaus angenommen, Herr Ministerpräsident. Aber die Angebote des Landeselternrates oder der Lehrerverbände wurden von Ihnen entweder gar nicht oder nur sehr halbherzig wahrgenommen.

(Ingrid Klopp [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Der Landeselternrat hat jetzt die Initiative ergriffen, nicht Sie. Sie lassen die Dinge treiben, Herr Minis

terpräsident. Sie verschieben Lösungen auf unbestimmte Zeit. Sie haben in der Pressekonferenz wieder das Ende des Jahres für eine Lösung angekündigt. Ich frage Sie: Wann wollen wir denn zu einem neuen Schulgesetz kommen? Soll das Mitte 2011 sein? - Dann besteht erst 2012 die Chance für die Kommunen. Das ist viel zu spät. Sie könnten jetzt handeln, Herr Ministerpräsident.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ihrer gestrigen Pressekonferenz konnten wir entnehmen, dass Sie nur sehr wenigen in der SPD und bei den Grünen Vertrauen schenken oder dass Sie wieder einmal einen Popanz aufbauen, indem Sie sagen, dem Gymnasium dürfe nicht geschadet werden. Wir fühlen uns wieder an die Debatte mit Herrn Ministerpräsidenten Wulff erinnert, der immer davor gewarnt hatte, die SPD und die Grünen wollten die Hauptschulen abschaffen. Sie schaffen schon wieder eine solche Diskussion. Sie bauen schon wieder so einen Popanz auf. Sie wollen gar keinen Schulfrieden. Sie bauen jetzt wieder Barrieren auf, Herr Ministerpräsident!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ingrid Klopp [CDU]: Sie haben nicht zugehört!)

Herr Minister Althusmann hatte noch davon gesprochen, dass wir über Qualität und Elternwillen reden wollen. Kehren Sie zurück! Nehmen Sie den Vorschlag Ihres Ministers an! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg.

Vor allem aber in der Umweltpolitik und in der Energiepolitik haben Sie eine riesige Luftblase erzeugt. Ihre Mutlosigkeit wird insbesondere in der Atompolitik deutlich. Hier haben Sie genau das Gegenteil von dem gemacht, was Sie zuvor angekündigt hatten. Das betrifft die Laufzeitverlängerungen und die Endlagersuche. Sie scheuen einfach den Konflikt mit Baden-Württemberg und Bayern. Geben Sie es doch zu!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sie haben auch erklärt, die Weitererkundung von Gorleben sei ergebnisoffen. In Wirklichkeit nehmen Sie aber alle Vorfestlegungen der Bundesregierung widerspruchslos hin. Sie haben gesagt, Ihr Rat würde in Berlin gehört werden. In Wirklichkeit merkt man überhaupt nichts davon. Im Gegenteil: Sie wollen ganz augenscheinlich darauf verzichten, im Bundesrat an dieser Stelle ein Wort aus

Niedersachsen mitzureden. Sie lassen Niedersachsen an dieser Stelle schlichtweg hängen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)