100 Tage Übergangsregierung: zu wenig Akzente - zu viele Skandale - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2903
100 Tage Übergangsregierung: zu wenig Akzente - zu viele Skandale - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2902
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, in ihrer ersten Regierungserklärung haben Sie das Thema Haushalt gänzlich ausgespart. Ihre Regierungserklärung zur 100Tage-Bilanz haben Sie wohlweislich nicht im Parlament abgegeben, sondern vor der Landespressekonferenz.
Schön zu lesen, dass es bei Ihnen in der Staatskanzlei jetzt kameradschaftlicher und freundschaftlicher zugeht. Wir würden uns das auch für den Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land, z. B. in Gorleben, oder auch im Umgang mit dem Parlament wünschen.
Sie sind dem Parlament Rechenschaft schuldig über die Leerstellen in Ihrem Haushaltsentwurf 2011 und über die Zahlen, die das Land dem Stabilitätsrat für 2010 tatsächlich meldet. Sie wissen, dort ist eine Klage vor dem Staatsgerichtshof anhängig.
Im Fall Grotelüschen, Herr Ministerpräsident, haben Sie die Vorwürfe nicht ausgeräumt, sondern Sie wollen sie aussitzen. Frau Grotelüschen bleibt Galionsfigur einer Landwirtschaftspolitik, die immer mehr freie Bauern zu Lohnmästern der Fleischindustrie macht. Ihre Agrarpolitik, Herr McAllister, ist mehr Industriepolitik als Landwirtschaftspolitik.
(Karl-Heinz Klare [CDU]: „Freie Bau- ern“ - das muss Ihnen doch schwer über die Lippen gekommen sein, Herr Wenzel!)
In der Bildungspolitik versuchen Sie, die letzte Kurve zu kriegen. Wir haben vernommen, dass Sie flexibel sind und mit den Kommunen reden. Auch mit den Eltern reden Sie. Das ist eigentlich eine sehr schlichte Selbstverständlichkeit. Seit vielen Jahren haben Sie dem Niedergang der Hauptschulen zugesehen. Immerhin: Sie wollen die demografische Entwicklung als Realität anerkennen. Ansonsten: bisher nur Absichtserklärungen.
In der Energie- und der Atompolitik verantworten Sie eine Niederlage, die unser Land noch teuer zu stehen kommt. Sie reden von Windkraft, aber Ihre Regierung in Berlin macht genau das Gegenteil und dreht uns die Luft zum Atmen ab.
„Koalition dreht Klimaschutz zurück“ titelt die Financial Times in der letzten Woche, und das, Herr McAllister, trifft die Windbauern, die Ingenieure bei Enercon und die Handwerker, die Dämmwerke an die Wand oder Solarkraftwerke aufs Dach bringen. Sie lassen in Gorleben weiterbauen, obwohl Sie alle Möglichkeiten in der Hand hatten, und Sie machen ohne Bürgerbeteiligung weiter. Der Rahmenbetriebsplan von 1982 ist Makulatur. Überall hat man dort gebohrt und gebaut, nur nicht dort, wo es beantragt war. Trotzdem verlängern Sie auf dieser Grundlage die Genehmigung. Das ist Rechtsbeugung par excellence.
Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, Sie führen eine Partei, die orientierungslos dahintreibt. Nach Vechta und Celle haben Sie eine weitere Hochburg verloren. In Lingen sind Ihnen alle Dämme gebrochen. Seit vielen Wochen wabert die Wolfsburg-Affäre durchs Land und durch die Republik. Unklar bleibt bisher, Herr McAllister, ob Sie einem grandiosen Hochstapler mit doppelter Buchführung auf den Leim gegangen sind oder ob Sie die Parteikasse auf Kosten der Stadtwerke Wolfsburg geliftet haben. Wenn dort nur Rauch ist, aber kein Feuer, Herr McAllister, dann haben Sie es immerhin mit einem kleinen pyrotechnischen Wunder zu tun.
Nach der Razzia in der CDU-Parteizentrale, Herr Nacke, sind wir jedenfalls gespannt auf das Ergebnis der Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt.
Meine Damen und Herren, Probleme haben Sie genug, Herr Ministerpräsident, aber Ihr Hauptproblem ist: Sie haben keine Ideen. - Sie haben keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, mit welcher Idee und mit welchem Ziel Sie dieses Land eigentlich regieren wollen. Soll es fortschrittlich oder konservativ zugehen? Mit erneuerbaren Energien oder mit Kohle oder Atom? Mit neuer Schule oder altem Denken? Solidarisch und tolerant oder mit diesem Innenminister? Als Einwanderungsland oder als Abschiebebahnhof? - Ihnen fehlt eine Idee, und das Schlimme ist: Man kann es Ihnen eigentlich gar nicht vorwerfen. Sie haben dieses Amt ja gar nicht angestrebt, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Es war nicht Ihr Wunschamt. Sie mussten Ministerpräsident werden,
Ich stelle fest, Herr Ministerpräsident: Sie sind der Vorsitzende einer Übergangsregierung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie verwalten den Posten, bis eine neue Regierung gewählt wird. Schönstes Beispiel dafür ist Ihre gestrige Pressekonferenz, auf der Sie die Stirn hatten, 28 Seiten mit 185 Überschriften von Presseartikeln aus Ihren ersten 100 Tagen zu verteilen. Meine Damen und Herren, Herr McAllister, Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht zum wehenden Vakuum werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, mit Ihrer Regierungserklärung am 1. Juli haben Sie noch versucht, den Eindruck von Tatkraft und Entscheidungsfreude zu erwecken. Diejenigen, die das geglaubt haben, sind bis jetzt gründlich enttäuscht worden.
Ihre ersten 100 Tage als Ministerpräsident sind ohne jede Akzentsetzung verstrichen. Nach Ihrer Wahl am 1. Juli haben Sie eine Reihe von Initiativen angekündigt, doch bisher ist es nur bei guten Vorsätzen geblieben. Bei Ihren größten Baustellen, der Bildungspolitik, der Sozialpolitik, der Finanzpolitik und der Umweltpolitik, stehen zwar immer noch die Schilder „Hier baut McAllister“, aber dahinter klafft und gähnt nur eine große Grube, Herr Ministerpräsident.
In der Schulpolitik haben Sie angekündigt, sich ideologiefrei und pragmatisch auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten.
Stattdessen erleben wir eine Regierung, die unter Ihrer Führung nur noch in ideologischen Grabenkämpfen zwischen Ihrem Kultusminister,
Zu Kooperationsangeboten: Wir haben Ihre Angebote aus der Regierungserklärung durchaus angenommen, Herr Ministerpräsident. Aber die Angebote des Landeselternrates oder der Lehrerverbände wurden von Ihnen entweder gar nicht oder nur sehr halbherzig wahrgenommen.
Der Landeselternrat hat jetzt die Initiative ergriffen, nicht Sie. Sie lassen die Dinge treiben, Herr Minis
terpräsident. Sie verschieben Lösungen auf unbestimmte Zeit. Sie haben in der Pressekonferenz wieder das Ende des Jahres für eine Lösung angekündigt. Ich frage Sie: Wann wollen wir denn zu einem neuen Schulgesetz kommen? Soll das Mitte 2011 sein? - Dann besteht erst 2012 die Chance für die Kommunen. Das ist viel zu spät. Sie könnten jetzt handeln, Herr Ministerpräsident.
Ihrer gestrigen Pressekonferenz konnten wir entnehmen, dass Sie nur sehr wenigen in der SPD und bei den Grünen Vertrauen schenken oder dass Sie wieder einmal einen Popanz aufbauen, indem Sie sagen, dem Gymnasium dürfe nicht geschadet werden. Wir fühlen uns wieder an die Debatte mit Herrn Ministerpräsidenten Wulff erinnert, der immer davor gewarnt hatte, die SPD und die Grünen wollten die Hauptschulen abschaffen. Sie schaffen schon wieder eine solche Diskussion. Sie bauen schon wieder so einen Popanz auf. Sie wollen gar keinen Schulfrieden. Sie bauen jetzt wieder Barrieren auf, Herr Ministerpräsident!
(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ingrid Klopp [CDU]: Sie haben nicht zugehört!)
Herr Minister Althusmann hatte noch davon gesprochen, dass wir über Qualität und Elternwillen reden wollen. Kehren Sie zurück! Nehmen Sie den Vorschlag Ihres Ministers an! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg.
Vor allem aber in der Umweltpolitik und in der Energiepolitik haben Sie eine riesige Luftblase erzeugt. Ihre Mutlosigkeit wird insbesondere in der Atompolitik deutlich. Hier haben Sie genau das Gegenteil von dem gemacht, was Sie zuvor angekündigt hatten. Das betrifft die Laufzeitverlängerungen und die Endlagersuche. Sie scheuen einfach den Konflikt mit Baden-Württemberg und Bayern. Geben Sie es doch zu!
Sie haben auch erklärt, die Weitererkundung von Gorleben sei ergebnisoffen. In Wirklichkeit nehmen Sie aber alle Vorfestlegungen der Bundesregierung widerspruchslos hin. Sie haben gesagt, Ihr Rat würde in Berlin gehört werden. In Wirklichkeit merkt man überhaupt nichts davon. Im Gegenteil: Sie wollen ganz augenscheinlich darauf verzichten, im Bundesrat an dieser Stelle ein Wort aus