Mit unserem Entschließungsantrag - ich weiß ja, dass ihn die Fraktionen auf der linken Seite des Hauses ablehnen werden - ging es uns in erster Linie um den ersten Sachverhalt, also um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, weil damit natürlich die Frage verbunden ist, wie die Landesregierung mit diesem Urteil sinnvollerweise umgeht. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es werden in den Bundesländern auch verschiedene Möglichkeiten praktiziert. Die eine Möglichkeit ist die sofortige Freilassung des Personenkreises, der von diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betroffen ist. Es gibt die Möglichkeit, gar nichts zu tun, nach dem Motto „Staatsanwaltschaft und Gerichte werden es schon regeln. Wir wollen mal sehen, was dabei herauskommt“, und es gibt eine dritte Möglichkeit, die darin besteht, nicht aufgrund des Urteiles freizulassen, sondern im Gegenteil die Staatsanwaltschaften anzuweisen, keine sofortige Freilassungen vorzunehmen und für den Fall, dass aufgrund einer richterlichen Entscheidung eine Freilassung angeordnet wird, den Rechtsmittelweg entsprechend auszuschöpfen.
Letztere Entscheidung hat Justizminister Busemann zu diesem Sachverhalt getroffen. Wir halten sie ausdrücklich für richtig. Es war unser Anliegen, dies mit unserem Entschließungsantrag im Plenum deutlich zu machen und als Landtag den Justizminister darin zu stärken, dass er diesen Weg gewählt hat und diesen Weg weiterhin beschreitet.
Dieser Entscheidung des Ministers liegt eine rechtliche Auffassung zugrunde, die da lautet: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat die Qualität eines einfachen nationalen Gesetzes, und wie jedes andere nationale Gesetz muss sich auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an unserer deutschen Verfassung messen lassen. Damit ist es sehr wohl berechtigt, auch nach diesem Urteil die verfassungsmäßige Abwägung vorzunehmen, nämlich zwischen dem Grundrecht eines Menschen auf persönliche Freiheit - hier der des Sicherungsverwahrten - und dem Grundrecht eines jeden einzelnen Bürgers auf körperliche Unversehrtheit. Die Abwägung, welches dieser beiden Grundrechte durchschlägt und welches dieser beiden Grundrechte im konkreten Einzelfall bei dem jeweiligen Sicherungsverwahrten höher zu bewerten ist, rechtfertigt auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, weiterhin
Sicherungsverwahrung zu vollziehen. Dies ist von den entsprechenden Gerichten, in der Regel Oberlandesgerichten, teilweise bestätigt worden, insbesondere von niedersächsischen Gerichten. Teilweise ist es nicht bestätigt worden mit der Folge, dass es zu Freilassungen von Personen, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden sind, gekommen ist. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht aus. Auf sie warten wir, weil sie sicherlich auch für die Zukunft sehr grundlegende Ausführungen enthalten wird.
Ich komme jetzt zu dem zweiten Sachverhalt, also dem Kompromiss, der in Berlin zwischen den Koalitionsfraktionen verabredet worden ist. Ich fürchte, dass dieser Kompromiss nicht alle diejenigen Straftäter erfassen wird, deren Freilassung trotz fortbestehender Gefährlichkeit bereits erfolgt ist oder möglicherweise in Kürze noch ansteht. Denn, meine Damen und Herren, Sicherungsverwahrung knüpft an eine Straftat an, und die Kette „Straftat, Haft, Sicherungsverwahrung“ wird mit einer Freilassung unterbrochen. Ich habe rechtlich erhebliche Bauchschmerzen und Probleme, wenn ich jemanden nach einer erfolgten Freilassung ohne eine neue Straftat wieder einer Sicherungsverwahrung unterziehe. Ich glaube also, dass dort nach wie vor eine Lücke vorhanden ist und dass sich der Staat schon darauf einstellen muss, mit diesem Personenkreis weiter umzugehen. Es kommt uns darauf an, die Zahl dieser Personen, soweit es irgendwie möglich ist, durch das entsprechende geschilderte Verhalten der Landesjustizverwaltung zu reduzieren.
Die Opposition hat kritisiert, dass unser Antrag in seinem Punkt 2 inhaltlich nicht genügend aufgefüllt sei, sondern sich in der Tat darauf beschränkt, auf eine gesetzliche Regelung aus Berlin und die Notwendigkeit einer schnellen Gesetzgebung hinzuweisen. Das ist sicherlich richtig, erklärt sich aber aus der Intention unseres Antrages, die ich vorhin geschildert habe.
Wir werden aber möglicherweise dennoch das eine oder andere zur Sicherungsverwahrung sagen. Ich will Ihnen gerne sagen, was die CDU-Fraktion von diesem Thema hält. Wir brauchen - das ist breiter Konsens - natürlich auch zukünftig eine Sicherungsverwahrung. Bei uns ist es so - das halte ich auch für richtig -, dass lebenslange Freiheitsstrafe nicht lebenslange Haft bedeutet, sondern dass
schon die Chance besteht, bei Verurteilungen zu lebenslanger Haft vorzeitig entlassen zu werden. Wenn das aber so ist, dann muss der Staat auch ein Instrument haben, dass er bei denjenigen Tätern, bei denen eine vorzeitige Haftentlassung in Betracht kommt, bei denen aber noch eine Gefährlichkeit besteht, letztendlich über die Sicherungsverwahrung darauf hinwirken kann, dass der Täter die Freiheit nicht ohne Weiteres wiedererlangt.
Das sehen die Linken etwas anders. So habe ich Sie bisher in Ihren Ausführungen verstanden, Herr Adler. Sie sagen: Sicherungsverwahrung ist letztlich eine Form der Haft, der eine Straftat nicht mehr zugrunde liegt, weil die Haft verbüßt worden ist. - Das sieht die CDU-Fraktion - dies möchte ich ausdrücklich sagen; es ist schön, dass man sich insofern abgrenzen kann - in der Tat völlig anders.
Der zweite Bereich knüpft an die Frage an: Wie kann in einer Hauptverhandlung über eine schwere Straftat die Situation für ein Strafgericht überhaupt sein? - Es kann sein, dass man Anhaltspunkte dafür hat, dass eine Gefährlichkeit des Täters auch nach der Haft fortbestehen wird und dass man sicher ist, dass das so ist. Dann kann man die Sicherungsverwahrung anordnen. Es kann sein, dass es Anhaltspunkte gibt, aber dass man die sichere Prognose für die Gefährlichkeit nach der Strafhaft nicht geben kann. Dann darf man eine Sicherungsverwahrung vorbehalten. Es gibt aber auch Sachverhalte, bei denen man die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des Urteils nicht erkennen kann, damit in dem Urteil keinen Vorbehalt machen kann, sich die Gefährlichkeit eines Menschen aber dann in der Haft herausstellt. Das ist das Thema der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Aus der Sicht der CDU-Fraktion brauchen wir auch für die Zukunft eine Regelung, um diesen Personenkreis sicher erfassen zu können.
Ob dabei die elektronische Fußfessel eine geeignete Möglichkeit ist, das sieht die CDU-Fraktion eher kritisch.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Fußfessel nur sagt, wo ein Täter ist, aber nicht sagt, was er tut. Insofern ist das Instrument wahr
Da die Sicherungsverwahrung keine Strafe ist, darf sie nicht wie eine Strafe vollstreckt werden. Inzwischen hat sich wohl die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir eine vollzugsfernere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung für die Zukunft in speziellen Einrichtungen benötigen werden. In Deutschland befinden sich bundesweit zurzeit rund 500 Menschen in Sicherungsverwahrung. Das heißt gleichzeitig, weil der Personenkreis noch überschaubar ist, dass das sicherlich nicht jedes Bundesland für sich tun sollte, sondern dass hier sicherlich länderübergreifende Maßnahmen sinnvoll sind. Jeder hier im Plenum sollte wissen, wenn darüber diskutiert wird: Das bedeutet, es kommen finanzielle Lasten auf das Land Niedersachsen zu, um eine angemessene Form der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung für die Zukunft zu gewährleisten.
Nun wird immer gesagt, zusätzlich muss eine weitere Therapiemöglichkeit in der Sicherungsverwahrung angeboten werden. Dabei wird eines übersehen: Es wird so getan, als gebe es diese Therapiemöglichkeit erst mit der Sicherungsverwahrung. Das ist überhaupt nicht richtig, sondern es ist umgekehrt: Therapieangebote hat es im Strafvollzug schon immer gegeben. Die Personen, von denen wir reden, sind diejenigen Personen, die diese Therapieangebote in der Strafhaft nicht angenommen haben oder bei denen sie nicht gewirkt haben. Daran, dass das in der Sicherungsverwahrung plötzlich anders sein soll, habe ich doch gewisse Zweifel. Ich bin zwar ein Mensch, der immer an das Gute im Menschen glaubt, aber ich bin auch Realist. Ich gehe davon aus, dass es auch weiterhin Menschen geben wird, die hochgefährlich sind, die über therapeutische Maßnahmen nicht ansprechbar sind und die wir deshalb auch in Zukunft mit einer Sicherungsverwahrung belegen müssen, um unsere Bürgerinnen und Bürger vor diesen Straftätern sicher zu schützen.
Herzlichen Dank, Herr Dr. Biester. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Kollege Adler zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir von Sicherungsverwahrung reden, dann müssen wir uns einmal vergegenwärtigen, worum es dabei überhaupt geht. Sie wird nämlich wie eine Freiheitsstrafe vollstreckt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gesagt - Herr Dr. Biester, das ist nicht unsere Auffassung, sondern die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte -, dass sie im Grunde wie eine Freiheitsstrafe wirkt und im weiteren Sinne als Strafe zu betrachten ist.
Aber es gibt rechtliche Unterschiede, auf die man eingehen sollte. Eine Freiheitsstrafe beruht immer auf einem Strafurteil. Das Ausmaß der Freiheitsstrafe ist von der Schuld des jeweiligen Täters abhängig. Deshalb ist die Freiheitsstrafe in der Regel zeitlich begrenzt, mit Ausnahme von lebenslänglich bei Mord. Bei der Sicherungsverwahrung ist das anders: Sie ist auf unbestimmte Zeit.
Ein zweiter wichtiger Unterschied, auf den ich hinweisen möchte, ist folgender: Eine Freiheitsstrafe wird nach einer Straftat verhängt, wenn vorher ein Prozess stattgefunden hat, in dem die Schuld des Täters zweifelsfrei bewiesen worden ist. Sie kennen den Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten.
Bei der Sicherungsverwahrung ist es umgekehrt. Da wird gesagt: Wir wissen nicht genau, wie gefährlich er ist. Im Sinne des Schutzes der Bevölkerung lassen wir ihn lieber drin. - Hier dreht sich das also um. Hier ist im Grunde „Im Zweifel gegen den Angeklagten“ das leitende Prinzip. Man muss sich einmal überlegen, was eigentlich von den Psychologen erwartet wird, die in die Köpfe der Menschen hineingucken und sagen sollen: Du erklärst zwar, dass du keine Straftaten mehr begehen willst, aber wir wissen das besser als du. Wir sagen, ob du gefährlich bist oder nicht.
Das ist meiner Ansicht nach eine Überforderung der Psychologen. Da wird von der Wissenschaft etwas erwartet, was sie gar nicht leisten kann.
Wissen Sie, worauf das im Ergebnis hinausläuft? - Wenn ein Psychologe eine falsche Prognose abgegeben hat und ein Straftäter rückfällig geworden ist, dann fallen die Medien über ihn her. Das führt in der Tendenz dazu, dass diese Gutachten immer
sehr vorsichtig sind, weil natürlich kein Psychologe anschließend am Pranger stehen will. Man denke nur etwa an den Fall von Sexualstraftaten, obwohl das bei den Sicherungsverwahrten nur eine kleine Gruppe ist.
Der Bundestag hatte gute Gründe, seinerzeit die Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre zu begrenzen. Er hatte dabei wahrscheinlich auch ein bisschen im Blick, dass das Institut der Sicherungsverwahrung von den Nazis eingeführt worden ist, damals mit dem sogenannten Gewohnheitsverbrechergesetz. Später hat der Bundestag mehrheitlich entschieden, diese Zehnjahresgrenze aufzuheben.
Dann hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nichts anderes gemacht, als eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit festzustellen, nämlich dass die Aufhebung der Höchstgrenze natürlich nur für denjenigen gelten kann, der nach dieser Gesetzesänderung Straftaten begangen hat.
Diese rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit will der Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen infrage stellen. Er will stattdessen Vorurteile der Stammtische bedienen und spekuliert auf Ängste, ohne die tatsächlichen Risiken in diesem Bereich seriös darzustellen.
Wenn ich mir Ihren Entschließungsantrag angucke, dann muss ich sagen, dass sich die Nr. 2 im Grunde genommen erledigt hat. Sie haben ja in der Debatte gesagt, als der Antrag zum ersten Mal im Plenum behandelt worden ist, Sie wollten nur einen Anstoß geben. Inzwischen gibt es eine Vereinbarung des Justizministers und der anderen Mitglieder der Regierung zu dieser Frage. Deshalb bräuchten wir jetzt eigentlich keinen Anstoß mehr.
Interessant wäre aber gewesen, wenn Sie in Ihrem Entschließungsantrag wenigstens eigene Ideen vorgebracht hätten, wie die Sicherungsverwahrung in Zukunft ausgestaltet werden soll. Aber dazu enthält Ihr Antrag gar nichts, reine Fehlanzeige.
Ich kann nur in Stichworten andeuten, was meiner Ansicht nach notwendig wäre: Notwendig wäre ein völlig neues System der Sicherungsunterbringung, das in einem Stufenplan an solche Dinge anknüpft wie: zunächst zeitlich begrenzter Ausgang mit Überwachung, zeitlich begrenzter Ausgang ohne Überwachung, offener Vollzug und Führungsaufsicht nach der Entlassung. Diese Dinge müssten in ein neues System kombiniert und so ausgestaltet werden, dass die Resozialisierung des Straftäters -
Ich glaube, damit würde dem Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung mehr Genüge getan, als wenn man Stammtischparolen bedient.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Dezember 2009 verkündet, dass eine zunächst auf zehn Jahre begrenzte Sicherungsverwahrung nicht rückwirkend verlängert werden kann. Das ist der Ausgangspunkt für die in den letzten Monaten sehr intensive Diskussion zu diesem Thema.
Das Thema Sicherungsverwahrung - dies möchte ich vorwegnehmen - ist ein hochsensibler Politikbereich, weil man sofort mit den Ängsten der Menschen konfrontiert ist, Opfer eine Straftat werden zu können. Die eindringliche Forderung meiner Fraktion war daher immer, sachlich und ernsthaft mit dem Thema umzugehen, gründlich zu arbeiten und dann Lösungen vorzulegen,
die deutlich machen: Opferschutz und Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern sind wichtig und werden auch umgesetzt, z. B. durch eine Form der Sicherungsverwahrung, die rechtlichen Überprüfungen standhält. Ein wichtiger Beitrag für die Sicherheit der Menschen besteht dann allerdings auch darin, auch während der Sicherungsverwahrung die Möglichkeiten von Resozialisierung und Therapie zu nutzen und auch dort die Straftäter auf ein Leben in Freiheit und ohne weitere Straftaten vorzubereiten.
Diesen Zweiklang - Schutz der Bevölkerung und gleichzeitig Resozialisierung - hätte ich mir in der öffentlichen Diskussion deutlich intensiver gewünscht.