Protocol of the Session on September 7, 2010

Die nächste Kurzintervention kommt von Frau Helmhold. Bitte schön, Frau Helmhold!

Vielen Dank. - Herr Kollege Riese, ich möchte Ihnen zwei Fragen stellen, nämlich zum Ersten die Frage, ob Ihnen bekannt ist, dass Kinderfüße wachsen, und zwar relativ schnell. Deswegen ist die Beschaffung beispielsweise von zwei Paar Halbschuhen pro Jahr noch relativ tief gegriffen.

Zum Zweiten möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass es sehr wichtig ist, dass Kinder gutes Schuhwerk tragen, weil ihre Füße im Wachstum sind.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Deswegen ist es den Eltern wohl nicht zuzumuten und auch gar nicht möglich - wenn man nicht auf gebrauchtes Material zurückgreifen will, was sich verbietet -, zehn bis zwölf Paar Schuhe im Jahr für einen Satz von 80 Euro anzuschaffen. - Das waren meine Fragen.

Zum Dritten möchte ich Ihnen sagen, dass Ihre Äußerungen für den Vorsitzenden eines Sozialausschusses nach meiner Einschätzung so unan

gemessen und daneben sind, dass ich es wirklich traurig finde.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Riese möchte antworten. Auch Sie haben eineinhalb Minuten Redezeit. Bitte sehr!

(Zurufe von der SPD: Es geht noch schlimmer! Bodenlos! - Weitere Zurufe)

- Einen kleinen Moment! Noch nicht! - Bitte schön!

Herr Präsident, meine verehrten Damen und Herren! Politikerinnen und Politiker sind häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie seien abgehoben. Das gilt nicht nur für die Parlamentarier im Deutschen Bundestag, sondern das gilt auch für die Parlamentarier im Landtag. Nun bitte ich Sie, die Sie mich gerade so herzhaft kritisiert haben, Sie, die es traurig finden, dass der Vorsitzende des Sozialausschusses gelegentlich mit einer Bürgerin und einem Bürger mit geringem Einkommen spricht und sich erkundigt, wie sie ihr Leben führen: Gehen Sie selbst hin, sprechen Sie mit denjenigen, die hart für ihr Geld arbeiten, die schlecht bezahlte Jobs haben, aber nicht als Aufstocker Sozialleistungen bekommen. Sprechen Sie mit denen und erkundigen Sie sich, wie sie es hinkriegen, auf ehrliche Weise mit ihrem Geld zurechtzukommen.

(Zurufe von der SPD und der Linken)

Dann werden Sie feststellen, dass es redlich arbeitende Menschen in Niedersachsen und in Deutschland nicht für eine Schande halten, für ihre Kinder auch einmal - gerade auch wenn die Füße so schnell wachsen - auf die Schuhe älterer Geschwister, des älteren Freundes oder so zurückzugreifen,

(Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

in der Schule zu tauschen, Tauschbasare zu besuchen, dass sie nicht das Mindeste dabei finden, diese Gegenstände in eBay oder auf dem Flohmarkt zu erwerben. Wir dürfen in unserer Abgehobenheit nicht den Eindruck erwecken, als könnten die Steuerzahler diese Märkte außer Kraft setzen und dieses Verhalten überflüssig machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Da vorne steht ein Abgehobener am Mikro! - Pfui-Rufe - weitere Zurufe)

Nun hat sich Frau Ministerin Özkan zu Wort gemeldet. Bitte sehr, ich erteile Ihnen das Wort.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Sie muss sich erst einmal vom Vorredner dis- tanzieren, wenn sie eine ernsthafte Sozialpolitik vertritt!)

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir kommen jetzt wieder zurück zu den Regelsätzen. Ich glaube, das beruhigt etwas die Gemüter.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 dem Gesetzgeber aufgegeben, die Höhe der Regelleistungen nach SGB II bis zum Ende des Jahres zu überprüfen und erforderlichenfalls neu festzusetzen. Das ist unser Auftrag. Das Verfassungsgericht hat dabei deutlich gemacht, in welchen Punkten das gegenwärtige Verfahren zur Erhebung und Bemessung dieser Regelsätze den gesetzlichen Anforderungen entspricht und an welchen Stellen der Gesetzgeber nachsteuern und nachbessern muss. Darum geht es.

Ich ergänze an dieser Stelle - denn der Einwand von Herrn Böhlke war richtig -: Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht dazu geäußert, ob die Höhe der Regelsätze heute zu niedrig oder gar zu hoch ist. Das ist nicht Gegenstand der Entscheidung gewesen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir haben bereits erwähnt, dass wir morgen über die Regelsätze für die Kinder sprechen werden. Insofern klammere ich dieses Thema hier aus. Darauf sollten wir morgen eingehen.

In der Vergangenheit hat sich die Landesregierung - das wurde hier eben auch deutlich - auf Bundes- und Landesebene immer wieder für sachgerechte Lösungen bei der Bedarfsbemessung insbesondere für die Kinder eingesetzt. Ich möchte an dieser Stelle nur erwähnen, dass die Konferenz der obersten Sozialbehörden schon im Frühjahr 2009 eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat,

die sich mit den Anforderungen an die Regelsätze und die Regelsatzbemessung beschäftigt hat.

(Uwe Schwarz [SPD]: Was ist dabei herausgekommen?)

Niedersachsen hat sich daran beteiligt. Dieser Prozess geht weiter

(Christian Meyer [GRÜNE]: Wie lange noch?)

und wird von uns konstruktiv begleitet.

Sie wissen, dass in den nächsten Wochen die Ergebnisse der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen werden. Diese bilden dann die Grundlage für die Festsetzung der Regelleistungen. Diese Ergebnisse müssen wir abwarten, wenn wir konkret über Zahlen und nicht nur über Schuhe und andere Dinge diskutieren wollen. Wir sollten erst einmal die konkreten Zahlen auf dem Tisch haben, und dann können wir uns nicht nur hier darüber konstruktiv unterhalten, sondern auch auf der Bundesebene.

Ich bin ganz zuversichtlich - das ist eben kritisiert worden; aber auch im Bundestag sitzen unsere gewählten Parlamentarier von unseren und von Ihren Fraktionen -, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden und am Ende verfassungskonforme Regelungen stehen werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin Özkan.

(Christian Meyer [GRÜNE]: Eine kon- krete Nebelkerze!)

Mir liegt eine weitere Wortmeldung der SPDFraktion vor. Herr Watermann, Sie haben eine Restredezeit von ca. zweieinhalb Minuten. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, dass ich bei der Beratung zur Sozialgesetzgebung immer sehr leidenschaftlich für dieses Gesetz und seine Intentionen eingetreten bin. Ich muss wirklich sagen, dass ich mir bei der Art der Debatte mit Vergleichen, die ich nicht einmal ansatzweise als passend bezeichnen kann, wirklich große Sorgen mache, wie wir über diejenigen reden, die hier betroffen sind. Es geht

um Menschen, die in einer Notsituation sind, die trotz Arbeit ergänzende Leistungen bekommen, die in ihrem Leben in wirklich schwierigen Situationen sind, ganz gleich, ob sie Bezieher einer Leistung des Staates sind oder nur ein geringes Einkommen haben, die aber sehr wohl vernünftig entscheiden werden.

Aber dass wir uns hier in einer Parlamentsdebatte erdreisten zu sagen, ob mit 80-Komma-noch-was Euro Gebrauchtes oder Anderes gekauft wird, und dass das in die 60er-Jahre transportiert wird, Herr Kollege Riese, halte ich für absolut unangemessen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich bitte Sie sehr, auch in Ihrer Rolle als Vorsitzender des Sozialausschusses, noch einmal ganz genau zu überlegen, wann und zu welchem Zeitpunkt man Vergleiche ziehen sollte. Ich glaube, in der Politik haben wir, egal zu welcher Zeit, wirklich nie gut ausgesehen, wenn wir solche Vergleiche angestrengt haben.

Ich wünsche mir, dass wir eine gute Sozialgesetzgebung weiterentwickeln und dass wir uns den Betroffenen widmen, damit sie vernünftige Leistungen bekommen, von denen sie leben können. Ich möchte nicht, dass wir ihnen vorschreiben, wie sie das zu machen haben.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Watermann. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/2513 ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Einzige (abschließende) Beratung: a) Radverkehrskonzept für Niedersachsen - Mobilität, Klimaschutz, Tourismus, Gesundheit - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/1645 - b) Das Niedersachsenpferd aufs Rad setzen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen -

Drs. 16/1789 - c) Radfahren in Niedersachsen noch attraktiver machen - Zukünftige Radverkehrsförderung in Niedersachsen - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/2182 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Drs. 16/2757