Protocol of the Session on August 17, 2010

Was ich aber wirklich sonderbar an Ihrem Gesetzentwurf finde, ist, dass Sie darin dafür Sorge tragen, dass ein entlassener Minister weich fällt. Denn ein entlassener Minister soll sein Landtagsmandat wiederbekommen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Weil er sonst am Sessel klebt, ist doch klar!)

Aber das geht dann auf Kosten eines anderen, und zwar des Nachrückers. Den haben Sie nicht so sehr in Visier. Denn was passiert mit ihm? - Er verliert seinen Sitz wieder.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Er hat das Mandat ja freiwillig angenommen!)

Man kann sagen, er nimmt das Landtagsmandat auf einem Schleudersitz wahr. Ist das zumutbar? Wer fängt ihn dann auf? - Auch wird er während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit im Parlament darauf hoffen, dass der Minister nicht zurücktritt oder gefeuert wird. Und wenn der Minister Fehler macht, dann wird der Nachrücker bei den Forderungen nach einem Rücktritt dieses Ministers garantiert zurückhaltend sein. Mit anderen Worten: Diese Regelung ist nicht durchdacht und macht in der Konsequenz keinen Sinn.

Und wenn Sie schon das Thema der Unvereinbarkeiten ansprechen, dann, finde ich, hätten Sie in der Tat die Situation von Minister Schünemann in den Fokus Ihrer Gesetzesinitiative rücken sollen. Er ist Kreistagsabgeordneter, Stadtrat und Landtagsabgeordneter - diese Kombination geht ja noch -, aber gleichzeitig ist er auch noch Minister, und zwar der Minister, der die Kommunalaufsicht wahrnimmt. Und das geht nun überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Er kontrolliert sich ja sozusagen selbst.

(Lothar Koch [CDU]: Selbstkontrolle ist das Vernünftigste!)

Ich meine, wir müssten im Rahmen der Gesetzesberatung eine Formulierung finden, nach der jemand, der Mitglied der Regierung ist, nicht gleichzeitig kommunale Mandate wahrnehmen kann. Das wäre jedenfalls sinnvoller als der Vorschlag der Grünen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist der Kollege Politze für die SPD-Fraktion. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns liegt heute zur ersten Beratung ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung und des Niedersächsischen Landeswahlgesetzes vor. Ein komplizierter Titel für einen einfachen Hintergrund: In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es darum, die Trennung von Amt und Mandat zu regeln, meine sehr geehrten Damen und Herren. Um es kurz zu machen: Die SPDFraktion wird diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Elisabeth Heister-Neumann [CDU])

Die Trennung von Landtagsmandat und Regierungsmitgliedschaft ist sicherlich eine in der Politiktheorie viel diskutierte Größe.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Ganz Europa hat das, Herr Kollege!)

- Bleiben Sie doch ganz ruhig, Herr Briese.

Von der Wirklichkeit der deutschen Parlamente und den Vorgaben des Grundgesetzes ist sie aber weit entfernt, wenn man einmal von Hamburg und Bremen absieht, und das sind bekanntlich nur Teilzeitparlamente; alle anderen Bundesländer haben das nicht, Herr Kollege Briese.

Die erste Frage, die sich mir beim Lesen dieses Gesetzentwurfs stellte, war, warum Sie diesen Gesetzentwurf mitten in der Legislaturperiode ein

bringen. Darauf habe ich in dem Entwurf keine Antwort gefunden.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Bei den ganzen Ministerwechseln!)

Auch auf eine zweite Frage, nämlich warum Sie diesen Gesetzentwurf überhaupt einbringen, habe ich keine Antwort gefunden. In den allgemeinen Kommentierungen zum Grundgesetz heißt es: „Mit dem Begriff Trennung von Amt und Mandat wird die Idee bezeichnet, dass dieselbe Person nicht gleichzeitig ein Mandat in der Legislative und ein Amt in der Exekutive bzw. Judikative wahrnehmen soll.“ In der Bundesrepublik Deutschland ist es beispielsweise üblich, dass Mitglieder der Bundesregierung ihr Bundestagsmandat auch weiterhin wahrnehmen. Diese Praxis entspricht dem Grundgesetz, weil dieses kein Prinzip der strikten Gewaltentrennung kennt, sondern nur das Prinzip der Gewaltenverschränkung. Dieses kommt z. B. im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes zum Ausdruck.

(Zustimmung bei der SPD)

So weit, so gut. Offensichtlich gibt es gemäß unserem höchsten Gesetz kein Problem mit der Ausübung von Amt und Mandat. Unsere Väter und Mütter des Grundgesetzes werden sich damals schon etwas dabei gedacht haben, als sie das Grundgesetz so verfasst haben, wie es jetzt vorliegt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Ein Blick in die Satzung der Grünen lässt Folgendes erkennen:

(Unruhe)

Herr Kollege Politze, bitte warten Sie einen Moment. - Meine Damen und Herren, vielleicht ist das Thema ja so interessiert, dass Sie sich mit Ihren Nachbarn darüber unterhalten müssen. Aber meine Bitte ist, dass Sie dem Redner zuhören und seinen Argumenten folgen. Wir werden über dieses Thema ja in der zweiten Beratung noch einmal diskutieren. Vielleicht hat sich die Diskussion bis dahin erledigt.

Herr Politze, bitte!

Wir werden das dann im Ausschuss diskutieren.

Innerhalb der Satzung der Partei Bündnis 90/Die Grünen ist seit 1980 auch für Parteiämter die Trennung von Amt und Mandat festgeschrieben. Ein Bundestagsabgeordneter darf dort bestimmte Parteiämter nicht wahrnehmen.

Im Mai 2003 wurde diese Regelung gelockert; seitdem dürfen nicht mehr als ein Drittel der Mitglieder des Bundesvorstandes auch Abgeordnete sein. - So kann man es zumindest nachlesen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: So ist es auch!)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in Ihrem höchsten Gesetz, in Ihrer Satzung gehen Sie ganz offensichtlich anders mit diesen Themen um, als Sie es für die Landesverfassung in Niedersachsen anstreben. Sie messen an der Stelle offensichtlich mit zweierlei Maß. Das ist zumindest aus unserer Sicht ein bisschen widersprüchlich mit Blick auf das, was Sie sich wünschen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das kann man doch nicht vergleichen! Das sind doch unterschiedliche Fälle, wir haben doch in der Partei keine Exeku- tive und keine Legislative! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das ist ja Äpfel mit Walnüssen vergleichen!)

Aber wenn die Grünen in Regierungsverantwortung kommen, dann werden ja immer mal wieder Sonderregelungen erlassen, die dann doch die Ausübung von Landtagsmandat und Regierungstätigkeit zulassen.

Jüngstes Beispiel ist Nordrhein-Westfalen, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Dort wurde auf dem Parteitag am 10. Juli 2010 beschlossen, dass Sie dem Koalitionsvertrag mit der SPD zustimmen und die Trennung von Amt und Mandat für diese Legislaturperiode aussetzen wollen.

(Zustimmung und Lachen bei der SPD, der CDU und der FDP)

Die Begründung dafür ist an der Stelle wirklich ganz toll. Ich erlaube mir, dazu Ihren Landesvorsitzenden Sven Lehmann zu zitieren: „’Wenn die SPD im Herbst eine große Koalition mit der CDU eingehen sollte, stehen wir dann ohne unsere drei

Gesichter da’, so die Begründung des Landesvorsitzenden Sven Lehmann

(Oh! bei der CDU und bei der FDP)

für die (vorübergehende) Abschaffung dieses urgrünen Prinzips. Gemeint sind Sylvia Löhrmann, Johannes Remmel und Barbara Steffens“, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Ohne zu sehr in die Politiktheorie einsteigen zu wollen, möchte ich einige Aspekte aufgreifen, die eigentlich auch die Grünen an der Stelle so sehen müssten: erstens das Ernstnehmen des Wählervotums bei der Wahl von Abgeordneten. Ihr Vorschlag würde Folgendes bedeuten: Nach einer erfolgreichen Wahl hat ein Kandidat oder eine Kandidaten mit der Ankündigung einer bestimmten Politik oder von bestimmten Inhalten die Wähler überzeugt und den Wahlkreis direkt gewonnen. Nun steht er bzw. sie trotz Eignung nicht für ein Ministeramt zur Verfügung, oder er bzw. sie muss unter völliger Missachtung des Wählerwillens dieses Landtagsmandat aufgeben; denn er ist ja direkt gewählt worden. Dies wäre weder im Sinne des Landes noch im Sinne der Wähler dieses Landes, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Sie wollen Legislative und Exekutive trennen, erreichen aber genau das Gegenteil. Wenn denn ein Abgeordneter Minister wird, soll nach Ihrem Vorschlag ein Nachrücker dessen Stelle einnehmen. Dieser sitzt gewissermaßen - nun muss ich leider das Wort von Herrn Adler gebrauchen - auf dem Schleudersitz. Das ist an der Stelle wirklich so. Ständig müsste er bangen, dass sein Vorgänger sein Ministeramt verliert. Passiert dieses dann tatsächlich, muss er das Parlament wieder verlassen. Besonders vorteilhafte Voraussetzungen wären das für diese Parlamentarier auf jeden Fall nicht, auch nicht dafür, Parlamentsarbeit übernehmen zu wollen. Das können wir uns nicht wünschen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD)

Ganz besonders pikant wird das Ganze auch deswegen, weil über den Verbleib des Nachrückers im Parlament indirekt ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin entscheiden würde.