Protocol of the Session on July 1, 2010

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Oder - Sie haben es angedeutet - müssen unsere Landesbeschäftigten wieder als Sparschwein herhalten, wie Sie es in Ihrer Regierungserklärung angekündigt haben? Noch sehr vorsichtig, aber wir befürchten bei Ihnen Schlimmstes.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie sind ein wirklich überzeugter Kommunaler; das weiß ich. Sie werden selbst am Besten wissen, was das für das Leben in den Städten und Gemeinden bedeutet. Sie wissen auch, was das für die Menschen vor Ort bedeutet.

Für viele Regionen in Niedersachsen wird es einen schweren Verlust an Lebensqualität bedeuten, wenn Schwimmbäder, Spielplätze und Bibliotheken geschlossen werden müssen, wenn die Straßen immer mehr einem Schweizer Käse ähneln oder wenn die Preise für Busse und Theater in Zukunft steigen werden. Deswegen stellen wir an Sie Forderungen: Setzen Sie endlich die in unserer Verfassung verankerte Konnexität um! Wer die Musik bestellt, der soll sie bitte auch bezahlen, Herr Ministerpräsident!

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Sichern Sie die kommunale Investitionsfähigkeit! Das hilft auch dem Handwerk, das hilft auch den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ich will deshalb auch ein Wort zu der von Ihren Leuten in Berlin geplanten Reform der Gewerbesteuer sagen. Ich will dazu einen Vorschlag bringen. Die Kommunen gehen im Augenblick wirklich am Stock. Die Kämmerer blicken in den Abgrund. Es gibt Kassenkredite in schwindelerregender Höhe. Die Kommunen selbst haben große Angst, dass sie nichts mehr gestalten können, sondern dass sie nur noch abwickeln können. Es steht viel mehr auf dem Spiel, als dass die Bürger auch noch das Vertrauen in die Gestaltungskraft des Staates verlieren. Es gibt auch die Gefahr eines Verlusts von Demokratie in Deutschland.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Sie haben die Kommission auf der Bundesebene eben noch als Chance verkauft. In Wahrheit ist es so: Ihr Bundesfinanzminister Schäuble will die Gewerbesteuer weg haben; das ist sein erklärtes Ziel. Ich finde, Schäuble muss gestoppt werden!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, Sie haben uns doch um Mitwirkung gebeten. In diesem Fall biete ich Ihnen an, dass wir den Wegfall der Gewerbesteuer gemeinsam verhindern. Vielleicht können wir sogar noch einen drauflegen, indem wir die Gewerbesteuer auf noch breitere Schultern stellen können. Dann hätten wir dort eine wirklich gute gemeinsame Initiative aus Niedersachsen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Ich biete Ihnen an, dass wir eine breite und ergebnisoffene Diskussion über eine gute Raumordnungs- und Strukturpolitik führen. Diese ist wirklich bitter nötig. Wir nehmen Ihre Angebote gerne an. Wir unterstützten Sie gerne auch in dieser Hinsicht.

Ich komme zum zweiten Punkt: Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Niedersachsen. - Niedersachsen ist ein Land mit einer wirklich großen industriellen Basis. Unser Land steckt aber auch mitten in einem großen Strukturwandel. Deshalb kommt es jetzt darauf an, diesen Wandel eher mit aktiver Innovations- und Industriepolitik zu gestalten. Ihre Antwort darauf war ein schon nach sehr kurzer Zeit gescheiterter Innovationsfonds. Ich erinnere Sie daran, dass Sie noch in Ihrem Wahlprogramm eine Einlage von 500 Millionen Euro gefordert haben. Ich habe mich erkundigt. Heute sind es gerade noch 60 Millionen Euro, die zur Verfügung stehen. Was soll denn aus diesen geringen Zinsen an Innovationen in der Industrie hier gefördert werden? - Sie fangen mit Ihrem Vorschlag wieder von vorn an, wenn Sie dort nur ein Konzept fordern!

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Beim bisherigen Ministerpräsidenten gab es Wirtschaftspolitik nur als Politik à la Einzelintervention. Meine Befürchtung ist: Sie werden das so weiterführen. - Aber, meine Damen und Herren, Krisenintervention allein, von Fall zu Fall, reicht überhaupt nicht aus. Wir brauchen schlüssige Konzepte. Das scheint aber nicht Ihre Stärke zu sein. In Ihrer Wirtschaftspolitik sucht man danach vergebens. Ihr Minister Bode hat dieses System sogar noch perfektioniert: Nach dem Motto „mehr Schein als Sein“ arbeitet er ein Thema nach dem anderen ab, und zwar - Sie erinnern sich! - immer als Pressemitteilung!

(Starker Beifall bei der SPD)

Damit kann er natürlich keinen großen Schaden herbeiführen. Einen großen Schaden haben Sie in der einzelbetrieblichen Wirtschaftsförderung herbeigeführt. Vor der Bundestagswahl wurde durch Minister Rösler massiv Werbung für diese Förderung gemacht, obwohl schon damals absehbar war, dass diese Töpfe überzeichnet sein würden. Die Fördersätze wurden dann ganz schnell abgesenkt. Zur Krönung haben Sie am 31. März die Förderung auf den 1. April, von einem Tag auf den anderen, eingestellt. Wie sollen sich Unternehmen

und Landkreise auf so eine Politik von Ihnen einstellen?

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich finde, so kann man mit Unternehmen und Landkreisen nicht umgehen. Wir schlagen vor: Machen Sie doch zukünftig erst ein Konzept, und dann gestalten Sie eine Förderung um. Damit kann jeder umgehen. Was heißt das denn für Planungssicherheit in Niedersachsen? Was heißt das für eine konjunkturelle Perspektive? Was sagen wir den Bürgerinnen und Bürgern auf ihre Frage, was für eine Wirtschaftspolitik Sie da machen?

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Als Lehre aus der Wirtschaftskrise bin ich in meiner Überzeugung bestärkt worden: Die Landkreise und die Regionen in Niedersachsen brauchen eine aktive Wirtschafts- und Strukturpolitik. Gerade vor dem Hintergrund begrüßen wir Ihre Ankündigungen zur neuen EU-Förderperiode 2014 ff. Hier brauchen wir wirklich ein konzentriertes Vorgehen. Die Stärken Niedersachsens müssen weiterentwickelt werden. Aber wir müssen gerade auch den Regionen, über die Sie heute nicht viel erzählt haben, denen es nicht so gut geht und die vom demografischen Wandel negativ betroffen sind, eine Wachstumsperspektive bieten. Die Landkreise wird es deshalb besonders interessieren, was Sie gemeint haben, als Sie sagten: Wir als Land wollen weiterhin selbst über die Verwendung der EU-Mittel entscheiden. - Das wird eine auch für die Landkreise entscheidende Frage sein.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Wir brauchen für Niedersachsen ein umfassendes, langfristiges Zukunftskonzept. Wir brauchen Impulse für Investitionen, für nachhaltiges Wachstum und für Beschäftigung. Wir müssen deshalb auch die Binnennachfrage aus eigener Kraft stärken, und wir müssen aus eigener Kraft auch Innovationen fördern. Deshalb möchte ich Ihnen auch als Qualitätsopposition einige Vorschläge machen, Herr McAllister.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Karl-Heinrich Lang- specht [CDU]: Als was?)

Der Wissenschaftsstandort muss mit der Wirtschaft stärker vernetzt werden. Das sagen auch Sie. Aber ein gelungenes Beispiel für Vernetzung finden Sie auch vor unserer Haustür. Das ist das, was in einer

der forschungsintensivsten Regionen Europas, nämlich Braunschweig/Hannover, passiert. Das muss Ihnen doch als Vorbild für eine wirklich innovative und zukunftsfähige Politik Niedersachsens dienen. Lernen Sie doch aus den realen guten Beispielen, selbst wenn Sie dazu recht wenig beigetragen haben, Herr McAllister.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben die konkreten Felder benannt; das will ich Ihnen zugestehen. Wir müssen regenerative Energien ausbauen. Wir müssen niedersächsische Stärken wie die Mobilitätswirtschaft, die Energiewirtschaft und die Gesundheitswirtschaft weiterentwickeln. Unser Ziel ist eine ökologische Industriepolitik in Niedersachsen, von der auch der Mittelstand profitiert. Das schafft dann Arbeit und Ausbildung in Niedersachsen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber auch Arbeit und Zukunft müssen zukünftig von uns positiv und positiver formuliert werden. Der Berufseinstieg junger Menschen darf nicht mehr nur noch durch Warteschleifen, befristete Arbeitsverhältnisse oder Leiharbeit geprägt sein. Das zu ändern ist unsere gemeinsame politische Aufgabe. Wie Sie sich zum Teil hier in den Ausschussberatungen oder im Plenum verhalten haben, als es um Schutzrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und um die Begrenzung der Leiharbeit ging, sprach wirklich Bände. Sie haben diese Rechte bisher nicht ernst genommen. Das müssen Sie in Zukunft viel stärker tun.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will das einmal mit Ihrem Pathos sagen: Entscheidend ist nämlich, wie wir hier im Lande mit dem Gelernten, mit dem Elan und mit der Freude der jungen Menschen umgehen. Wir müssen viel mehr Möglichkeiten schaffen, dass ihre Motivation und ihre Kreativität gefördert werden. Wir dürfen nicht allein nur über Wertschöpfung reden, sondern, meine Damen und Herren Abgeordnete, es geht auch um die Wertschätzung unserer jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will aber ein weiteres Problem benennen. Das betrifft die Wissenschaft und die Hochschule. Bereits jetzt sind die Wachstumskräfte durch einen

Fachkräftemangel gebremst. Das ist die Bremse Nummer eins in der Wirtschaft in Niedersachsen. Schon jetzt fehlen 6 000 Ingenieurinnen und Ingenieure, es fehlen aber auch Lehrerinnen und Lehrer, es fehlen Erzieherinnen und Erzieher, es fehlen auch Ärzte, es fehlen auch Informatiker. Deshalb muss es uns besser als in der Vergangenheit gelingen, die jungen Menschen für diese Tätigkeiten zu gewinnen. Wir sind an dieser Stelle leider Entwicklungsland. Wir haben viel zu wenig Studierende in Niedersachsen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine Studierquote von 30 % in Niedersachsen, im Bund von 36 % und angestrebten 40 %, das zeigt, wo wir in Niedersachsen stehen. Das ist ein Riesenproblem.

(Zuruf von der CDU: Wir liegen bei 42 %!)

Wir unterstützen Ihr Konzept der offenen Hochschule. Das ist sehr gut, keine Frage. Wir haben es von Anfang an unterstützt. Aber dass Sie an den Studiengebühren festhalten, das ist wieder zwei Schritte zurück, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Warum Sie dazu noch eine Analyse in Auftrag geben müssen, das ist mir wirklich schleierhaft. Schaffen Sie einfach die Studiengebühren ab! Dann können Sie das evaluieren.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Kampf um die Köpfe hat in Deutschland schon längst begonnen. Es ist ganz klar: Kluge Köpfe braucht das Land. Aber dafür reichen keine Wettbewerbe, dazu reichen auch keine Shows, so nett sie auch wie die IdeenExpo sind. Was wir brauchen - und das ist ein Vorschlag von uns -: Wir müssen die Zukunftswerkstatt und die Forscherlabors in die Schulen bringen. Da helfen sie direkt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn wir den Zukunftstransfer mit den Menschen in Niedersachsen schaffen wollen, dann wird es zukünftig nicht mehr gehen, dass man ein zerstörendes Gegeneinander hat, sondern dann geht es um das gestaltende Miteinander. Wir brauchen dafür die sozial verantwortlich denkenden und handelnden Unternehmer. Wir brauchen dazu das

bewährte konstruktive Engagement der Gewerkschaften und der Betriebsräte, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir brauchen dazu aber auch - deswegen will ich sie nicht vergessen - die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wir brauchen die Kulturschaffenden, und wir brauchen auch die jungen Medientreibenden. Das ist unsere Zukunft in Niedersachsen, meine Damen und Herren.