Protocol of the Session on June 9, 2010

Lage in den Krankenhäusern, die zunehmend besorgniserregender wird. Ich nenne die ärztliche Versorgung in der Fläche, die zum Teil schon gefährdet und eingeschränkt ist. Ich nenne des Weiteren die Situation in der Pflege, die auf unterschiedliche Weise prekär geworden ist, gerade für „Normalsterbliche“. Ich nenne des Weiteren, dass ein großer Teil der selbstständigen Hebammen ab dem kommenden Monat nicht mehr von ihrer Arbeit leben kann. Außerdem türmen sich die Eingaben und Widersprüche bei den Krankenkassen aus unterschiedlichen Patientengruppen, die sich um die Finanzierung von wirksamen Medikamenten, Therapien und Eingriffen streiten müssen.

Wir haben darüber hinaus im Vergleich zu anderen wirtschaftsstarken Ländern die niedrigsten Löhne und Gehälter im Gesundheitswesen. Ich frage mich, ob das weiterhin so bleiben muss. Wir sind der Auffassung: natürlich nicht!

(Beifall bei der LINKEN)

Alle diese Fragen haben in den vergangenen Jahren zu umfangreichen Aktivitäten in der Gesundheitspolitik geführt, aber eben nicht in die richtige Richtung. Unter der Überschrift „Gesundheitsreform“ wurde fast ausschließlich auf die Ausgabenseite geschielt und wurde die gesetzliche Krankenversicherung in eine absurde und zunehmend zynische Sparzwanglogik geschickt. Die Probleme der Einnahmeseite wurden hingegen kaum berührt, aber dort, wo man sie angefasst hat, lediglich den Versicherten aufgebürdet - ob Praxisgebühr, Medikamentenzuzahlung oder Zusatzbeiträge. Die paritätische Finanzierung ist längst Geschichte, und wir kritisieren das.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Es gibt allerdings eine tatsächlich soziale Lösung für diese Einnahmeprobleme, und einer der zentralen Schlüssel für eine gerechte Gesundheitsfinanzierung ist u. a. die Einbeziehung aller Einkommen und aller Einkommensarten, wie es im Konzept einer solidarischen Bürgerversicherung zugrunde gelegt ist.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Steu- erzuschuss! - Glocke der Präsidentin)

Es wurde in den vergangenen Jahren nicht nur zugelassen, sondern sogar forciert, dass immer mehr Menschen mit einem guten Einkommen die gesetzliche Krankenversicherung verlassen haben. Ich brauche mich wahrscheinlich hier nur in diesem Saal umzugucken. Wir haben das selbstverständ

lich aus politischen Gründen nicht getan. Das ist aber der Kern des Problems.

Ein Solidarsystem, in dem nur noch Menschen mit einem mittelprächtigen bis geringen Einkommen beisammen sind, ist nun einmal kein Solidarsystem, sondern ein Notstandsgebiet.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das vorgeformte Zweiklassengesundheitssystem nicht gestoppt, sondern via Kopfpauschale oder Leistungsreduzierung ausgebaut wird, ist das nicht nur fahrlässig, sondern eine mutwillige Gesundheitsgefährdung. Ich bedauere es absolut, dass Herr Rösler heute nicht hier ist. Er hätte hier heute sicherlich viel lernen können und dann seinen dritten Anlauf auf die Kopfpauschale endlich auf den Müllhaufen der Geschichte schicken können.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Humke-Focks. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Lammerskitten zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns den zur Debatte stehenden Antrag der SPD-Fraktion so durchlesen, könnten wir ihm vor allem hinsichtlich einer einzigen Stelle zustimmen: hinsichtlich der Überschrift, also gerecht, leistungsfähig, krisenfest. Ein solches Gesundheitssystem wollen wir alle, und genau das Streben danach, nach Gerechtigkeit, Leistungsfähigkeit, Krisenfestigkeit, ist für die CDU im Bund und im Land Motivation und Maßstab für alle Überlegungen und Vorschläge zur Gesundheitsreform.

Gerechtigkeit bedeutet, dass in Deutschland jeder, der es braucht, vom Gesundheitssystem aufgefangen wird, unabhängig von Alter, Einkommen, sozialer Herkunft und gesundheitlichem Risiko.

(Beifall bei der CDU)

Wer aber das will, der kann die von der SPD gewollte und mit diesem Antrag erneut geforderte Bürgerversicherung nur ablehnen. Gerechtigkeit ermöglichen hingegen unsere Überlegungen. Denn wir wollen die finanziellen Lasten auf mehr Schultern verteilen, indem wir den Ausgleich schrittweise auf das Steuersystem umstellen. So

und nur so wird der soziale Ausgleich über das Steuersystem alle einbeziehen, eben gerade auch Gutverdiener oder Privatversicherte, während eine Bürgerversicherung vor allem Facharbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen den Löwenanteil der Finanzierung aufbürden würde.

Eine weitere Forderung aus dem Titel des SPDAntrags ist Leistungsfähigkeit. Leistungsfähiger wird das System, wenn auch die Krankenkassen leistungsfähig und leistungswillig bleiben. Das wollen wir durch mehr Wettbewerb fördern. Wir wollen einen echten Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der deren Angebote und Leistungen verbessert. Aus diesen Angeboten und Leistungen kann dann der Versicherte wählen, indem er einen Zusammenhang zwischen dem Beitrag und der Leistung der Kasse herstellt und auf dieser Grundlage entscheiden kann.

Gelingen kann dieser Wettbewerb aber nur immer dann in vollem Umfang, wenn wir Schritt für Schritt die einheitlichen Beitragssätze durch einkommensunabhängige Beitragssätze in Verbindung mit einem Sozialausgleich ablösen. Dabei soll die Beitragsfreiheit für Ehegatten und Kinder erhalten bleiben, was - nebenbei bemerkt - im Übrigen auch das gern von der Opposition zitierte Wort von der Kopfpauschale ad absurdum führt.

Krisenfestigkeit, auch das fordern die Kolleginnen und Kollegen der SPD im Titel ihres Antrags. Um das Gesundheitssystem krisenfest umzugestalten, müssen wir vor allem die Kostenexplosion in den Griff bekommen. Es gilt, Einsparmöglichkeiten auszuloten und auszuschöpfen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Wie ihre Bürgerversicherung das leisten soll, behält die SPD nicht nur in diesem Antrag, sondern schon seit Jahren in allen Diskussionen für sich.

(Uwe Schwarz [SPD]: Streng vertrau- lich!)

So lange nämlich bleibt sie ein solides, durchgerechnetes Konzept für die Bürgerversicherung schuldig.

Wo soll die Beitragsbemessungsgrenze liegen? Sollen Zinsen, Kapitaleinkünfte und Mieten mitverbeitragt werden? - Zu diesen Fragen hat sich die SPD noch nicht geäußert.

(Uwe Schwarz [SPD]: Ich gebe Ihnen mal die Adresse einer Homepage! Da können Sie das alles nachlesen!)

Zurück zu den Kosten: Der Wirtschafts- und Gesundheitsexperte Dr. Jochen Pimpertz schreibt, dass weniger der demografische Wandel als vielmehr die mangelnde Kostenverantwortung der Versicherten zum einen und der fehlende Wettbewerb zwischen den Kassen zum anderen dafür verantwortlich sind, dass die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung bis 2060 um fast 70 % steigen werden. Daraus lässt sich folgern, dass wir vor allem mehr Wettbewerb und mehr Wahlfreiheit für die Versicherten brauchen. Wie beides zusammenhängt und wie wir es erreichen wollen, habe ich eben dargelegt.

Meine Damen und Herren, das Wort „Bürgerversicherung“ mag populär sein. Trotzdem wäre das nicht die Rettung für unser Gesundheitswesen. Im Gegenteil! Mit der CDU ist eine Bürgerversicherung nicht zu machen. Wir setzen unsere Diskussion fort, erwarten die vertieften Vorschläge, die der Bundesgesundheitsminister bis Anfang Juli vorlegen will,

(Lachen bei den GRÜNEN - Dr. Gab- riele Andretta [SPD]: Darauf freuen wir uns heute schon!)

und werden dann die Weichen richtig stellen, basierend auf den Grundlagen, die ich Ihnen eben genannt habe.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank, Herr Lammerskitten. - Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Riese. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf den sich abzeichnenden Fehlbedarf von 11 Milliarden Euro im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist schon hingewiesen worden. Ich habe den Vorrednerinnen und Vorrednern mit Aufmerksamkeit gelauscht. Konstruktive Vorschläge, meine Damen und Herren, waren nicht dabei.

Worum geht es bei der Weiterentwicklung der Krankenversicherung? - Wir haben ein Dreieck mit eingebauten Zielkonflikten, wie das so oft bei politischen Entscheidungen der Fall ist. Wir wollen - ich glaube, da sind wir uns einig - die notwendige medizinische Versorgung für alle Menschen, sie soll qualitativ hochwertig sein, sie soll wohnortnah

stattfinden, und sie soll den medizinischen Fortschritt mit abbilden.

Darüber hinaus stellen wir fest, dass wir uns im demografischen Wandel befinden und dass dort tendenziell zunehmende Ansprüche an das Gesundheitswesen stattfinden.

Drittens aber wollen wir auch die finanzielle Belastung der Menschen in Grenzen halten.

Das ist ein Dreieck, in dem man sich bewegt, und da passen eben leider nicht alle Dinge gut zusammen.

Meine Damen und Herren, der Bundesgesundheitsminister hat gute Vorschläge zur Kostendämpfung im Pharmasektor gemacht. Da beobachten wir Auswüchse, die es nur in Deutschland gibt. Die müssen abgebaut werden. Es ist ein beherzter Kampf, der dort angefangen wurde. Da werden wir aber Erfolge haben.

(Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Wir brauchen aber auch erheblich stärkere Anreize, als es sie bisher gibt, für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten der Versicherten. Denn im Augenblick ist es ja so: Ich gehe ins Gesundheitssystem, ich bezahle einmal im Quartal meine 10 Euro und dann noch ein paar Zusatzbeiträge für Medikamente, ansonsten kann ich aber völlig ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten Doppel- oder Dreifachdiagnosen in Anspruch nehmen. Das belastet das Gesundheitssystem sehr stark.

Was, meine Damen und Herren, ist die gegenwärtige Lage, entstanden in der Rechtssetzung der Großen Koalition unter einer sozialdemokratischen Gesundheitsministerin? - Wir haben den § 242 im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch. Der beschreibt die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge, er beschreibt keinen Sozialausgleich, und er beschreibt, dass die Krankenkassen bereits in der Gegenwart eine Einkommensprüfung durchführen müssen, weil ja der Zusatzbeitrag auf 1 % des Einkommens für die Versicherten begrenzt ist.

Meine Damen und Herren, kein Zweifel: das Ziel der gegenwärtigen Berliner Entscheidungsfindung ist sehr diskussionsbedürftig, und darüber muss man sich sehr wundern. Da könnten die Berliner Kollegen aus dem niedersächsischen Beispiel wertvolle Hinweise über den Umgang miteinander gewinnen. Das schließt ganz ausdrücklich - das sage ich hier als Sprecher der FDP - den Gebrauch von Vokabeln wie „Wildsau“ auf der

einen Seite, „Gurkentruppe“ auf der anderen Seite ein oder vielmehr aus. So kann man nicht miteinander arbeiten. Man muss auch in einer Koalition, auch gegenüber der Opposition zunächst erst einmal anerkennen, meine ich,

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

dass jede politische Kraft aus ihrer Überzeugung heraus versucht, Politik zum Wohl der Menschen zu gestalten, und sich dann in der Sache unterhalten.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Da ha- ben Sie mal ein wahres Wort gespro- chen! - Glocke der Präsidentin)