Protocol of the Session on June 9, 2010

(Zurufe von Ralf Briese [GRÜNE] zur SPD-Fraktion)

Herr Briese, bitte!

Herr Briese, das eignet sich wirklich nicht für Kaspereien. Sie wissen ja: Benehmen ist Glücksache. Ich will es einmal so sagen: Ich wünsche Ihnen viel Glück.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt geht es noch um die Altersgrenze. Frau Modder hat vorhin gesagt, das soll um Gottes Willen bloß nicht so geregelt werden. Auch bei uns gibt es viele, die sagen, eine Altersgrenze wäre eigentlich ganz gut. Aber nach allem, was ich in Gesprächen mit Verfassungsjuristen in Erfahrung bringen konnte, kann man für Kandidaten, die in direkter geheimer Wahl vom Volk als Eingleiser bestimmt werden, keine Altersgrenze zwingend festschreiben, weil in der verfassungsrechtlichen Diskussion auch das Stichwort „Altersdiskriminierung“ eine Rolle spielt. Dazu kann man stehen, wie man will. Ich finde, wir haben einen wahrscheinlich verfassungskonformen Kompromiss gefunden, indem wir jetzt nicht sagen, man kann bis zum Lebensende kandidieren, sondern für die Kandidatur eine Altersgrenze von 65 Jahren vorsehen, nach der Wahl aber die volle Amtszeit ermöglichen. Das Argument, Konrad Adenauer sei ja noch älter gewesen, ist zwar interessant, aber deswegen müssen wir das nicht unbedingt in der Kommunalverfassung so festschreiben.

Ich will noch etwas zur Stichwahl sagen. Zur Stichwahl kann man in der Tat unterschiedlicher Meinung sein. Ich würde nicht sagen, alle, die dafür sind, haben unrecht, und alle, die dagegen sind, haben nicht recht.

(Heiterkeit - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das war eine gute Formulierung! Die einen wie die anderen, beide haben unrecht!)

- Die einen sagen so, die anderen so. - Es gibt Argumente sowohl dafür als auch dagegen. Ein schlagendes Argument hat Herr Minister Schünemann hier schon vorgetragen; ich will es nicht wiederholen. Man geht ja eigentlich davon aus, dass die Legitimation eines Kandidaten durch die Stichwahl steigt, weil er in absoluten Zahlen im zweiten Wahlgang eine größere Unterstützung bekommt als im ersten Wahlgang. Alle uns vorliegenden Zahlen sagen jedoch das glatte Gegenteil. In den allermeisten Fällen hat der Sieger nach der Stich

wahl insgesamt weniger Stimmen als der Zweitplatzierte im ersten Wahlgang. Damit ist belegt, dass durch die Stichwahl die Legitimation nicht steigt. Das ist ein Fakt. Deswegen haben wir uns für die Lösung entschieden, die im Gesetzentwurf vorgesehen ist, und unterstützen die Abschaffung der Stichwahl. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass in Deutschland nur in einem einzigen öffentlichen Bereich ein reines Mehrheitswahlrecht gilt, nämlich im Kommunalwahlrecht bei der Wahl der Eingleiser. Sonst haben wir überall das Verhältniswahlrecht, ob mit oder ohne Stichwahl. Eine interessante Diskussion wäre natürlich, wenn wir sagen - - -

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

- Ich will Ihnen gleich sagen, was dabei herauskommt.

Hätten wir auch im Bundestag und in den Landtagen ein reines Mehrheitswahlrecht, ob mit oder Stichwahl, dann sähe es in diesem Parlament so aus, dass auf dieser Seite 69 Abgeordnete säßen, bei der SPD wären es 18. Dann hätten wir natürlich der Forderung nach einer ordentlichen Verkleinerung des Parlaments Genüge getan. Herr Bartling wäre noch dabei, Herr Jüttner wäre dabei, Frau Modder wäre dabei. Die Linken wären gar nicht dabei.

(Sigrid Leuschner [SPD]: Ich auch!)

- Du wärst auch dabei. - Herr Limburg wäre nicht mehr dabei, Herr Wenzel wäre nicht mehr dabei.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist die Frage!)

Es würde uns hier etwas fehlen.

(Heiterkeit - Kreszentia Flauger [LIN- KE]: Schön, dass Sie etwas vermis- sen würden!)

Es wäre doch gar nicht mehr interessant. Deswegen will ich sehr deutlich sagen: Darüber kann man diskutieren; denn wir diskutieren beim Kommunalwahlrecht über ein ganz spezielles Wahlrecht, das bei den Wahlen zu allen anderen Körperschaften nicht gilt.

Ich finde es schön, dass es mir durch die eine oder andere Bemerkung offensichtlich gelungen ist, bei diesem normalerweise ganz drögen Thema, über das wir hier diskutieren,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Durch Sie gewinnt dieses Thema ungemein!)

bei Ihnen die Leidenschaft zu wecken. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Ausschuss darüber sehr kontrovers diskutieren werden, auf der anderen Seite aber auch bemüht sein werden, die kommunale Ebene zu stärken. Ich bin mir sehr sicher, dass wir am Ende einen ganz hervorragenden Gesetzentwurf verabschieden werden. Und da die allermeisten von uns kommunalpolitisch tätig sind, kann bei diesem Thema jeder mitreden. Ob er recht hat oder nicht, entscheidet sich am Ende.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu einer Kurzintervention zum Beitrag von Herrn Biallas hat sich Herr Limburg gemeldet. Herr Limburg, Sie haben jetzt das Wort für anderthalb Minuten.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Herr Kollege Biallas, das Kompliment gebe ich gerne zurück. Auch mir würde etwas fehlen, wenn Sie nicht hier wären.

(Zurufe von der CDU: Hey! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Na ja, das ist strittig!)

Aber ich möchte auf Ihre Rede eingehen. Ich habe Ihre Zwei-Hüte-Theorie - so will ich das einmal nennen - nicht verstanden. Sie haben davon gesprochen, dass die Wahl eines Samtgemeindebürgermeister in einen Kreistag nicht möglich sein soll, weil er da sozusagen immer als hauptamtlicher und nicht als ehrenamtlicher Vertreter sitzen würde, es aber in Ordnung ist, dass der Innenminister, der gleichzeitig die oberste Kommunalaufsichtsbehörde ist, in einem Stadtrat und in einem Kreistag sitzt, er also gleichzeitig als Innenminister die Kommunalaufsicht führt, die Haushalte genehmigen muss usw., weil er dann auf einmal sozusagen einen zweiten Hut hätte und dort ehrenamtlich tätig wäre. Diese Unterscheidung habe ich denklogisch nicht verstanden. Vielleicht können Sie mir das noch einmal erläutern, Herr Biallas.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die nächste Wortmeldung ist die von Frau Modder von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Modder!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Neuordnung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts hat jetzt auch das Parlament erreicht, nachdem wir in der Öffentlichkeit schon über mehrere Punkte immer wieder einmal diskutiert haben. Ich greife die beiden Punkte Wegfall der Stichwahl und Wegfall der Altersgrenze auf.

Aus einer reinen Zusammenfassung der vier Gesetze ist wohl aus taktischen Überlegungen jetzt ein bisschen mehr geworden, wohl auch, Herr Innenminister, weil Sie die Akzeptanz für dieses Vorhaben steigern mussten. Meine Damen und Herren, ob durch die Zusammenfassung eine praktische Handhabbarkeit des Rechtes erreicht wird, so wie Herr Innenminister Schünemann uns das gerne erzählen will, bezweifle ich sehr; denn auch dieses neue Gesetz wird immer wieder an Gerichten für Arbeit sorgen und aufgrund von neuen Begriffsbestimmungen im alltäglichen Umgang ausgeklagt werden.

Ich hätte mir wirklich sehr gewünscht, Herr Schünemann, wenn Sie dieses Vorhaben erst einmal zur Seite geschoben und zunächst Ihre ganze Kraft und Energie für die Bewältigung der wirklich wichtigen Probleme in der Innen- und Kommunalpolitik verwendet hätten, als da wären: die dramatische Finanzlage der Kommunen, der Zukunftsvertrag, bei dem Sie ja immer wieder anbieten, ihn zum Erfolg zu führen, anstatt mit anzusehen, wo es stockt und stottert, und eine Verwaltungsreform, die ein echtes Leitbild für Niedersachsen erkennbar macht und bei der man sich nicht aus der Verantwortung zurückzieht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber der Innenminister gefällt sich in dieser Rolle und verkennt dabei völlig die wirklichen Probleme der kommunalen Ebene. Die Bereitschaft, sich kommunalpolitisch zu engagieren, ist garantiert nicht an diesem Gesetz festzumachen,

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

sondern vielmehr daran, ob und wie viel Gestaltungsspielraum und vor allen Dingen Handlungsspielraum die kommunale Ebene noch hat. Das hängt wiederum von der finanziellen Ausstattung ab. Es ist weniger spannend, ob ich als Ehrenamtlicher bei einem Losentscheid das Los ziehen darf oder eben nicht.

Der Gesetzentwurf sieht mehr Entscheidungsbefugnisse für die Orts- und Stadtbezirksräte vor, z. B. bei der Benennung und Umbenennung von Straßen und Plätzen. Auf Verlangen des Ortsrates sind ihm die Mittel zur Erledigung dann aber auch zur Verfügung zu stellen.

Meine Damen und Herren, spannend wird es aus meiner Sicht bei der Frage, ob ich wirklich noch von einer Stärkung des Ehrenamtes sprechen kann und darf, wenn ich weitere Zuständigkeiten vom Rat oder vom Kreistag - jetzt neu: Vertretung oder Hauptausschuss - verlagere. Jeder von Ihnen, der in der Kommunalpolitik unterwegs ist, weiß, dass die Sitze im VA und KA heiß begehrt sind. Wenn dann noch mehr Zuständigkeiten hinzukommen, entwertet das aus meiner Sicht die Arbeit des Rates oder des Kreistages in ganz entscheidender Weise.

(Zustimmung von Heiner Bartling [SPD])

Die Entscheidungen werden dann von einigen wenigen in nicht öffentlicher Sitzung getroffen, sodass auch die Öffentlichkeit nicht an dem Entscheidungsprozess teilhaben kann. Das ist eine Vorgehensweise, meine Damen und Herren, von der ich eher glaube, dass sie die Politikverdrossenheit steigern wird.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Stärkung der Fachausschüsse bin ich wieder bei Ihnen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Fachpolitiker in unseren Kommunen durchaus in der Lage sind, auch abschließende Entscheidungen zu treffen. Allerdings wird dann die Budgetierung eine ganz besondere Rolle bekommen.

Meine Damen und Herren, ich will über den Vorsitz der Vertretung - was heute schon möglich ist -, die Stärkung der Eigenverantwortung, Vereinfachung des Entschädigungsrechtes, die öffentlichen Bekanntmachungen im Internet oder auch über die Aufhebung der kommunalen Bekanntmachungsverordnung gar nicht weiter reden, weil ich glaube, dass diese Punkte von geringer Bedeutung sind.

Was ich aber ansprechen will - ich glaube, das hat wirklich Brisanz -, sind die beiden Punkte, die Sie in letzter Minute nachgeschoben haben: die geplante Abschaffung der Stichwahl und die Abschaffung der Altersgrenze.

Meine Wahrnehmung ist, dass es auch von den kommunalen Spitzenverbänden für beide Punkte keine Zustimmung gibt. Warum sind diese Punkte

überhaupt aufgenommen worden? Mit diesen beiden Punkten machen Sie Ihre eigene Schwerpunktsetzung, nämlich die Stärkung des Ehrenamtes, eigentlich wieder kaputt. Aber vielleicht erkennen wir die Zusammenhänge erst später.

Meine Damen und Herren, die Abschaffung der Stichwahl ist aus unserer Sicht ein eklatanter Fehler, der die Akzeptanz der Eingleisigkeit nachhaltig ins Rutschen bringen wird.

(Beifall bei der SPD)

Für uns ist und bleibt das Amt des Bürgermeisters, des Oberbürgermeisters oder des Landrates ein herausgehobenes Amt in der Gemeinde oder im Kreis. Es bedarf einer starken demokratischen Legitimation und darf nicht auf Zufallsergebnissen oder gar taktischen Spielchen fußen.

(Beifall bei der SPD)

Dass die FDP in dieser Frage zustimmt, verstehe wer wolle. Ich verstehe Sie an dieser Stelle nun wirklich nicht. Sie sollten sich bei Ihren Kommunalpolitkern einmal umhören, wie das angekommen ist! Ich kann nur sagen: Weiterhin gute Reise nach unten!