Protocol of the Session on June 8, 2010

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile dem Kollegen Perli von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hochschulgesetznovelle, die heute beschlossen werden soll, verfolgt drei Schwerpunkte: erstens den Ausbau der Offenen Hochschule, zweitens die Einführung von Stiftungen, um Studiengebühren zu parken, drittens Änderungen bei den Berufungsverfahren sowie in besonderen Fällen die Aussetzung bedeutender Bestandteile der Hochschulverfassung an den Universitäten.

Den ersten Punkt kann ich kurz halten. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Hochschulöffnung für Menschen ohne Abitur weiter fortgesetzt wird. Wir hätten uns natürlich weitergehende Maßnahmen gewünscht,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Welche denn?)

vor allem die Öffnung des Masterstudiums für das lebenslange Lernen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Entscheidender wird jedoch sein, ob die Hochschulen mit der Öffnung gleichzeitig mehr Mittel in die Hand bekommen, um den neu gewonnenen Studierenden auch Angebote machen zu können, die sie motivieren, das Studium bis zum Ende durchzuziehen. Ein Student, der mit einer abgeschlossenen beruflichen Ausbildung, aber ohne Abitur an die Hochschule kommt, braucht gerade in der Anfangszeit Unterstützungsangebote; sonst werden wir ihn wieder verlieren.

Bei dem zweiten Schwerpunkt der Novelle versuchen Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, das Bunkern von Studiengebühren gesetzlich abzusichern. Eigentlich möchte ich über das Thema der Verteilung der Einnahmen aus Studiengebühren gar nicht groß diskutieren; denn Studiengebühren gehören abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber zu diesem Murks, den Sie hier einführen, kann man an dieser Stelle nicht schweigen. Wir erinnern uns, dass sich zwischenzeitlich Einnahmen aus Studiengebühren in Höhe von 90 Millionen Euro bei den Hochschulen angestaut hatten. Das hat zu Recht für große Empörung gesorgt und die Forderung nach der Abschaffung der Gebühren bekräftigt. Aber Sie schaffen die Studiengebühren nicht ab, sondern führen eine Stiftung ein. Das halte ich für einen ziemlichen Mumpitz. Studiengebühren sind doch kein Generationenvertrag nach dem Motto „Ich zahle heute ein, und irgendwann profitieren meine Kinder davon“.

Wenn die Hochschulen schon keine Verwendung für die Gebühren haben, dann sollten sie das Geld nicht auch noch bunkern dürfen, sondern müssen es unverzüglich an die Studierenden zurückzahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der dritte Punkt ist der spannendste: Sie wollen mit Änderungen bei den Berufungsverfahren und der neuen Exzellenzklausel den Eindruck erwecken, dass ausgerechnet Demokratie und Mitbestimmung dafür verantwortlich sind, dass unsere Hochschulen nicht noch erfolgreicher sind. Dabei ist es doch die Kürzungspolitik von CDU und FDP, die die Unterfinanzierung der Hochschulen auf die Spitze getrieben hat. Diese Schuld tragen Sie, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Novelle des Gesetzes bauen Sie die Möglichkeiten aus, erstens Professoren ohne Ausschreibungen zu berufen und zweitens Berufungskommissionen ohne Mitwirkung der einzelnen Statusgruppen einzurichten. Der Verzicht auf eine Ausschreibung soll insbesondere dann zum Tragen kommen, wenn es gilt, „eine in besonderer Weise qualifizierte Persönlichkeit“ zu gewinnen. Da stellt sich postwendend die Frage: Warum haben Sie auf einmal Angst vor Wettbewerb? - Ist es nicht so, dass sich Personen, die wirklich in einer besonderen Art und Weise qualifiziert sind, auch ohne diesen Paragrafen in Berufungsverfahren durchsetzen könnten? - In der Anhörung zur Gesetzesnovelle wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass erstens alle Lehrstuhlinhaber qualifizierte Persönlichkeiten sind und mit dieser Regelung die anderen Professoren implizit herabgewürdigt werden,

(Zustimmung bei der LINKEN)

dass es zweitens darum gehen sollte, die besten Köpfe für die Hochschulen zu gewinnen, was am besten durch eine öffentliche Ausschreibung erfolgen kann, und drittens dieser Passus nach Ansicht mancher Sachverständiger gegen Artikel 33 des Grundgesetzes verstößt. Demnach müssen alle öffentlichen Ämter allen Personen gleichermaßen zugänglich sein. Die Besetzung darf nur von der persönlichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung abhängig gemacht werden und daher nicht unter der Hand ausgekungelt werden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Für uns ist ferner nicht akzeptabel, dass im profilbildenden Bereich der Hochschulen die Berufungskommissionen nur aus Professoren und - so heißt es - „gleichermaßen geeigneten Personen“ bestehen dürfen. Es gilt dieselbe Argumentation wie eben. Sie verfahren nach dem Motto „Je wichtiger die Professur, desto weniger Demokratie“.

(Unruhe)

Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen? - Jetzt können Sie fortfahren.

Warum aber sollen die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Studierenden künftig nicht mehr mitreden dürfen? - Sie sind die wahren Experten der Lehre, weil sie die meisten Lehrveranstaltungen anbieten bzw. als deren Teilnehmerinnen und

Teilnehmer in den Seminaren sitzen. Es ist daher vollkommen falsch, dass ihr Fachwissen künftig aus den Berufungsverfahren ausgeschlossen werden kann.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun zur Exzellenzklausel. Der Senat einer durch die Exzellenzinitiative geförderten Universität soll mit ihr beschließen können, dass bedeutende Bestandteile der Hochschulverfassung außer Kraft gesetzt werden - darunter die gesamte Organisationsstruktur. Zustimmen muss nur das Fachministerium. Der Landtag wird hier entmachtet. Die Krönung ist, dass CDU und FDP diesen weitreichenden Paragrafen erst nach der Anhörung vorgelegt haben, um die Ansichten der Betroffenen, der Mitglieder der Hochschulen, nicht mehr berücksichtigen zu müssen. Das ist ein ungeheuerliches Vorgehen! Aber es zeigt exemplarisch, welche hochschulpolitische Ideologie Sie haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Exzellenz und Demokratie passen für Sie genauso wenig zueinander wie Qualität und Mitbestimmung.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Na, na, na!)

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die Offene Hochschule ist richtig und wichtig. Die Linke fordert aber weitergehende Schritte und Maßnahmen, um die Betreuung der Studierenden sicherzustellen. Die Studiengebührenstiftung und die weitere Entdemokratisierung der Hochschulen lehnen wir deutlich ab.

Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der diese Fehlentwicklungen korrigiert und unsere Vorstellungen von einer offenen, sozialen und demokratischen Hochschule aufzeigt. Ich werbe hier noch einmal dafür, dass Sie ihm zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile Frau Ministerin Professorin Wanka das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich mache mir nichts vor, und ich denke, das tun auch die Hochschulpolitiker hier im Parlament nicht: Das Thema Hochschule ist normalerweise ein sehr spezielles Thema, das nicht unbe

dingt alle interessieren muss. In diesem Bereich passiert viel, aber man hat vielleicht nicht einen so genauen Einblick in die Details. Aber das, was hier heute vorgelegt wird, interessiert zumindest in einem Punkt alle - das ist ganz einfach zu erklären -; das ist für Niedersachsen, und zwar nicht nur für die jungen Leute, sondern auch für die Eltern und Großeltern, richtig wichtig: Ich meine den Hochschulzugang ohne Abitur.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In der Tat muss die Entscheidung, ob das Kind den Weg zum Abitur einschlägt, sehr früh getroffen werden. Dabei bestehen Unsicherheiten; man weiß nicht, wie sich das Kind weiter entwickelt. Auch die Entscheidung, die später die 16-, 17- oder 18jährigen Menschen treffen müssen, nämlich was sie nach dem Abitur machen, ob sie eine Berufsausbildung oder ein Studium absolvieren, ist außerordentlich schwierig. Dabei werden auch viele Fehlentscheidungen getroffen.

Wenn aber jemand in Niedersachsen heute mit einem Schulabschluss - nicht Abitur - z. B. eine Ausbildung im Bereich Heizung, Lüftung, Sanitär absolviert und selbst - oder auch der Meister - merkt, dass er eigene Ideen und Verbesserungsvorschläge hat und dass es ihm leichtfällt, und wenn er sich vorstellen kann, mehr in diesem Bereich zu machen, dann kann er jetzt an die Hochschule gehen. Dazu muss er keine Prüfung in Physik oder Mathematik ablegen - die würde er wahrscheinlich nicht bestehen, weil er aus dem Schulbereich heraus ist -, sondern er kann sich auf der Basis seines Berufsabschlusses und einer dreijährigen Berufserfahrung an der Hochschule einschreiben. Dabei gibt es keine Hemmschwelle, keine Hürde. An der Hochschule muss er dann allerdings die Kenntnisse in Mathematik und Physik nachholen, die man z. B. für das Fach Elektrotechnik braucht. Dazu wird nun im Gesetz die Möglichkeit geschaffen.

Wir müssen jetzt alle Hochschulen - auch diejenigen, die in der Anhörung nicht dafür waren -, die Wirtschaft, die Handwerkskammern, die Industrie- und Handelskammern dafür begeistern, damit diejenigen, die diesen Weg gehen, in der Anfangsphase in der Hochschule Unterstützung erfahren, damit sie keinen Misserfolg haben. Sonst ist das nicht effektiv.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Andretta, ich habe gerade von Ihnen gehört, dass diese Idee eine SPD-Idee ist. Da bin ich ein bisschen überrascht.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das wurde ins Hochschulgesetz geschrie- ben!)

- Nein, das stand da nicht, sondern das ist in Niedersachsen neu.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: 1993!)

- Nein, Herr Jüttner, nicht das. Da kenne ich mich aus, auch bei Ihren Gesetzen. Die neuen Regelungen, die mit dieser Novelle eingeführt werden - wenn sie heute angenommen wird, wovon ich ausgehe -, haben bisher nur zwei Bundesländer eingeführt, und Niedersachsen ist das dritte.

(Reinhold Coenen [CDU]: Sehen Sie, Herr Jüttner!)

Diese drei Bundesländer sind: NordrheinWestfalen - vor Kurzem -, Brandenburg - im Jahr 2008 - und jetzt Niedersachsen. Wenn wir einmal die politischen Verhältnisse betrachten, dann hat das nicht Frau Kraft gemacht, als sie Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen war, sondern Herr Pinkwart. Nun können Sie sagen „In Brandenburg ist ja die SPD mit in der Regierung“. Ich kann Ihnen sagen: Es hat einer Menge Agitation und Propaganda von meiner Seite bedurft, um das wirklich hinzukriegen.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Offene Hochschule ist natürlich noch viel mehr.

Zweiter Punkt: Studienbeiträge. Ich sage es noch einmal deutlich: Man kann nicht sagen, Studiengebühren seien per se gut. Man kann genauso wenig sagen, Studiengebühren seien per se schlecht. Es kommt darauf an, wie das System ausgehandelt worden ist. Hier in Niedersachsen ist es so: Wenn jemand studieren will und sich an einer Hochschule einschreibt, muss er 500 Euro Studiengebühren pro Semester zahlen. Er bekommt aber völlig unabhängig davon, was die Eltern verdienen, ob sie eine Sicherheit stellen, z. B. ein Haus, für die gesamte Zeit, in der er Studiengebühren zahlt, ein Darlehen von der NBank, das er mit 50 Euro im Monat über viele Jahre zurückzahlt, wenn er nach dem Studium beruflich tätig ist. Das ist also wirklich nicht der Punkt, an dem man sozial ausgrenzt.