Protocol of the Session on February 18, 2010

So kurz kann also die Meinung von Personen aus der Fachwelt auch ausfallen. So kurz, verehrte Gesetzentwurfsautorinnen und -autoren der Grünen-Fraktion sowie lieber Herr Schwarz oder verehrte SPD-Fraktion, werden wir die Debatte hier natürlich nicht halten.

Jetzt sehe ich Herrn Schwarz

(Der Redner blickt sich um)

- hinter mir!

(Uwe Schwarz [SPD]: Ich bin gerade hinter Ihrem Rücken!)

- Da muss man aufpassen. - Ich habe aus Ihren Ausführungen, lieber Uwe Schwarz, gerade geschlossen, dass auch Sie die schöne Fähigkeit der Selbstironie besitzen. Das freut mich wirklich sehr.

Zu den Zeitabläufen kann ich hier zwei Statements einbringen, die Sie interessieren werden. Das letzte Mal, dass sich der Niedersächsische Landtag - vor heute - mit dem Thema Pflegekammer beschäftigt hat, liegt schon einige Jahre zurück. Das war im Jahr 2003, und zwar am 23. Januar.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Damals hieß die Ministerin für Frauen, Arbeit und Soziales Frau Dr. Trauernicht. Sie sagte auf eine Dringliche Anfrage, die übrigens von einer Kollegin der Grünen gestellt wurde:

„Das Engagement, das man in und von einer Pflegekammer erwartet,

wird jetzt in der Regel von den Berufsverbänden übernommen.“

Das war damals die Position. Sie sagte aber auch:

„Eine Diskussion darüber lohnt sich im Hinblick auf eine Konzentration des Engagements und auch der Interessenvertretung. Es gibt aber offensichtlich rechtliche Probleme in der Umsetzung. Deswegen sind wir zurzeit darüber im Gespräch.“

Dieses Gespräch hat klugerweise sechs Jahre lang gedauert. Dann kam es dazu, dass die Grünen-Fraktion in der Drs. 16/2175 - wie immer fleißig, das muss ich sagen, Frau Helmhold - einen Gesetzentwurf eingebracht hat, zu dem man allenfalls anmerken könnte, dass wir erst vor zwei Tagen das Kammergesetz für Heilberufe in diesem Landtag geändert haben. Auch das haben wir im Ausschuss besprochen. Damals haben Sie noch gar nichts davon gesagt, dass Sie das noch umfassender ändern wollten.

Gleichwohl, nur vier Drucksachennummern später - brillante Geschwindigkeit! - hat die SPD-Fraktion einen gleichartigen Entschließungsantrag eingebracht. Das ist nun eine wahrhaft sehr schnelle Reaktion. Dazu einen ganz herzlichen Glückwunsch.

Meine Damen und Herren, im Mittelalter konnte ein Gewerbe nur ausüben, wer einer Zunft angehörte. In der Gegenwart gründen sich Beschäftigungsverhältnisse u. a. - ich betone: unter anderem - auf die im Grundgesetz verankerte Freiheit des Einzelnen, Verträge abzuschließen. Diese Freiheit schließt ja auch die Möglichkeit ein, Verträge nicht abzuschließen. Verträge üben Zwänge aus, wenn man sie einmal abgeschlossen hat, da sich in der Regel die Vertragspartner verpflichten, bestimmte Leistungen zu erbringen oder Rechte zu garantieren. Verträge werden jedoch freiwillig eingegangen. Diese Freiwilligkeit ist ja auch ein Grundzug der Koalitionsfreiheit, einer der schönsten Vorschriften in unserem Grundgesetz, nämlich die Freiheit, sich einem Berufsverband anzuschließen oder nicht.

Das Kammergesetz für Heilberufe in Niedersachsen umfasst typischerweise freie Berufe. Der pflegerische Beruf ist typischerweise kein freier Beruf, sondern ist typischerweise ein Beruf, der in Angestelltenverhältnissen ausgeübt wird. Von daher ist die Frage, ob das in dem Gesetzentwurf richtig

abgebildet ist, noch zu erörtern. Das werden wir im Ausschuss sorgfältig tun.

Die Kollegin Frau Mundlos hat bereits aus dem Abschlussbericht der Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege“ des nordrhein-westfälischen Landtags aus dem Jahre 2005 zitiert. Auch hier möchte ich das Zitat noch ein wenig ergänzen; es ist nämlich ein sehr gutes. In dem Bericht, der auch ausdrücklich sagt, dass es in Zukunft noch zu prüfen ist, ob man eine Pflegekammer braucht, heißt es auch:

„Vor der Einrichtung einer Pflegekammer müssten gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken entkräftet werden. Die Einrichtung einer Kammer mit Pflichtmitgliedschaft berührt mehrere Grundrechte. Die Einrichtung einer Kammer für Pflegeberufe würde gegen das verfassungsmäßige Übermaßverbot verstoßen, wenn die für sie vorgesehenen Aufgaben auch von den bestehenden Berufsverbänden, Vereinen und den Gewerkschaften wahrgenommen werden können.“

Es handelt sich also um ein umfassendes Feld intensiver Diskussionen, die wir im Ausschuss miteinander führen werden.

Zum Antrag der Linken sage ich, da mir die Redezeit ausgeht: Mindestlohn mit der FDP nicht.

Zum Antrag der Koalition sage ich: Er beschreibt das, was wir im Augenblick vernünftigerweise beschließen können. Ich bitte um Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Ministerin Ross-Luttmann, ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zu den Ausführungen von Herrn Schwarz. Herr Schwarz, da Sie den von der Caritas ausgelösten Pflegealarm angesprochen haben, wissen Sie sicherlich, dass er sich im Wesentlichen auf die Höhe der Pflegesätze in Niedersachsen bezieht. Da glaube ich manchmal, lieber Herr Schwarz, dass Sie den Ort der Rede verwechseln. Ich wünsche mir, dass Sie diese Rede auch im Kreistag halten; denn genau dort gehören diese Punkte hin.

Sie wissen sehr genau, dass bei der Frage der Ermittlung der Höhe der Pflegesätze das Land Niedersachsen - wie alle anderen Bundesländer auch - nicht mit am Verhandlungstisch sitzt; denn nach den bundesrechtlichen Vorgaben finden die Verhandlungen zwischen den Einrichtungen auf der einen und den Pflegekassen und den Trägern der Sozialhilfe auf der anderen Seite statt. Von daher sind wir uns hier, glaube ich, einig: Gute Pflege, auf die Menschen, die pflegebedürftig sind, zu Recht einen Anspruch haben, bedeutet, dass die Pflegekräfte fachlich qualifiziert sind und hoch motiviert und engagiert ihre Aufgabe erledigen. Deshalb ist es richtig, dass Pflegekräfte gut bezahlt werden können.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, stellt sich für mich ganz konkret die Frage: Wo ist Niedersachsen gefordert und kann helfen?

Dazu kann ich Ihnen genau drei Bereiche nennen: Erstens. Im Pflegesatz ist ein Bestandteil, der sich mit Investitionskosten befasst. In diesem Bereich unterstützt das Land die Kommunen mit 103 Millionen Euro jährlich. Das ist ein riesengroßer Betrag, der dazu geführt hat, dass dieser Bestandteil der Pflegesätze im bundesweiten Vergleich im Jahre 2007 an zweiter Stelle lag. Sie sehen also, dort, wo wir Verantwortung haben, handeln wir zielgerichtet und entschlossen.

Wir haben noch ein Weiteres gemacht: Wir haben unter der Moderation des Sozialministeriums ein vereinfachtes Pflegesatzverfahren eingeführt.

(Zustimmung bei der CDU und von Christian Grascha [FDP])

Dieses vereinfachte Pflegesatzverfahren ist im Jahre 2009 durchaus zur Anwendung gekommen. Nach Angaben der AOK hat es bis Oktober 2009 etwa 600 Verfahren gegeben, ein Drittel davon nach dem vereinfachten Verfahren. Das hat nach Angaben der AOK zu einer Steigerung der Pflegesätze um immerhin 3,5 % geführt. Sie sehen also: Durch dieses vereinfachte Verfahren haben wir Bewegung in die bisher doch sehr starren Pflegesätze bekommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Drittens. Niedersachsen ist eines von drei Bundesländern, welches im ambulanten Bereich auf freiwilliger Basis investive Maßnahmen fördert.

Vielleicht so viel als kleine Anmerkung zu Ihrer Rede, Herr Schwarz.

Ansonsten würde ich gerne sagen: Natürlich ist die wachsende Zahl von älteren und pflegebedürftigen Menschen eine Herausforderung für uns alle. Niedersachsen verfügt bereits heute über ein gut ausgebautes und qualitativ hochwertiges Pflegeangebot in allen Bereichen, im häuslichen Bereich ebenso wie bei der Tages- und Nachtpflege sowie bei den Pflegeheimen. Hier können Pflegebedürftige unter den Angeboten das Angebot wählen, was ihrer persönlichen Situation und ihren Bedürfnissen am besten entspricht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbstverständlich setzt sich die Landesregierung stets dafür ein, dass diese Angebotsstruktur konsequent weiter ausgebaut und verbessert wird. Gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels werden soziale Berufe mehr denn je Berufe der Zukunft mit hohen Qualitätsansprüchen sein. Daher müssen wir dafür sorgen, dass für diejenigen, die Hilfe und Pflege benötigen, auch morgen noch qualifizierte Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Wir müssen alles dazu tun, um junge Menschen zu motivieren, einen Pflegeberuf zu ergreifen.

Es ist für mich erfreulich, dass die Schülerzahl im Berufsfeld Altenpflege von 4 612 im Jahre 2008 auf immerhin 5 057 im Jahre 2009 gestiegen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ziel der Landesregierung ist es, allen an einer Tätigkeit in der Pflege interessierten und geeigneten Menschen einen Weg in diese Berufe zu ebnen und berufliche Perspektiven mit einem gestuften Ausbildungssystem zu eröffnen, das sich einerseits an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientiert, andererseits aber auch jungen Menschen ganz konkret Aufstiegsmöglichkeiten einräumt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zur Steigerung beruflicher Perspektiven haben wir eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen: Erstens. Mit der Einführung der Berufsfachschule Pflegeassistenz, die für eine Helfertätigkeit in der Pflege ausbildet, haben wir einen Berufseinstieg für Hauptschülerinnen und Hauptschüler geschaffen. Mit dem beruflichen Abschluss wird zugleich auch der Realschulabschluss erworben, der wiederum Möglichkeiten für weiterführende Ausbildungen schafft.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn wir sagen, wir wollen jeden jungen Menschen fördern und erreichen, dann, finde ich, ist

das der richtige Weg, dass wir nämlich gucken, was wir für Hauptschüler machen können, wie wir ihnen Möglichkeiten auch für eine weiterführende Ausbildung eröffnen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens - auch das ist mir ganz besonders wichtig -: In Krankenhäusern wird zunehmend der Beruf des Altenpflegers von Bedeutung sein, und in Altenpflegeeinrichtungen werden mehr Krankenschwestern benötigt. Deshalb müssen wir uns beide Berufsfelder genau angucken und überlegen, was wir zusammenführen können. Hierzu hat es im Henriettenstift in Hannover bereits modellhaft eine gemeinsame Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege und der Altenpflege mit Unterstützung des Landes gegeben. Eine breitere Umsetzung allerdings erfordert, dass der Bund als Gesetzgeber die notwendigen Rahmenbedingungen schafft.

Drittens wollen wir natürlich Schülerinnen und Schüler durch attraktive Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Pflegeberufe interessieren. Neben Fachweiterbildungen in besonderen pflegerischen Schwerpunkten bieten auch entsprechende Studiengänge eine interessante berufliche Perspektive. Über schulische Angebote wie die Fachoberschule wird der Aufstieg ermöglicht.

Viertens plant die Landesregierung - das ist mir persönlich auch sehr wichtig -, Menschen mit einer Berufsausbildung und mehrjähriger beruflicher Tätigkeit auch den Hochschulzugang zu erleichtern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist die Bitte der Länder aufgegriffen worden, die Pflegeausbildung zu reformieren. Dazu soll eine Bund-LänderArbeitsgruppe im März ihre Arbeit aufnehmen. Ich denke, dass das Konzept des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, welches die Möglichkeit der grundständigen akademischen Ausbildung und die Verortung im regulären berufsbildenden System einschließt, hierfür eine gute Grundlage ist.