Protocol of the Session on February 17, 2010

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Kollege Watermann gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über eine Reform, bei der ich feststellen muss, dass einige anfangen, sich nicht mehr zu ihr zu bekennen. Wir sprechen hier über eine Reform, die die ungerechte Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe zusammengebracht hat. Außerdem reden wir darüber, dass es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben hat. Ich finde, es ist ein gutes Urteil, weil es die Schwächen aufzeigt, die wir bei dieser Gesetzgebung hatten, und zwar wir alle; denn alle waren beteiligt.

(Kurt Herzog [LINKE]: Nein, wir nicht!)

- Die Linken nicht; das stimmt. Sie waren und sind ja weiterhin für die Wiedereinführung des alten Systems. Mit Ihnen möchte ich mich heute aber nicht so intensiv beschäftigen; denn Ihr Verharren in alten Strukturen hilft niemandem weiter.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Da haben Sie wohl recht!)

Meine Damen und Herren, Sie beginnen hier die Diskussion, indem Sie von schallenden Ohrfeigen reden. Ich sage Ihnen: Wenn man ein Urteil bekommt, ist es richtig, dass man Konsequenzen daraus zieht. Es ist aber auch gut, einzuräumen,

dass man damals auf dem gemeinsamen Weg einen Fehler gemacht hat, den man jetzt korrigieren muss. Übrigens wird der Fehler nicht dadurch korrigiert, dass man sofort einseitig festlegt, was das Ergebnis ist. Vielmehr muss man sich zunächst genau anschauen, was in dem Urteil aufgeschrieben worden ist.

Zum einen ist darin aufgeschrieben worden, dass die Regelsätze nicht vom Ministerium per Verordnung festgesetzt werden müssen, sondern von der Politik. Das halte ich für weise und vernünftig. Das führt dazu, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen.

Zum anderen steht in dem Urteil auch ganz deutlich, dass die jetzigen Sätze nicht dem Grundgesetz entsprechen und neu zu berechnen sind. Ich sage klipp und klar: Das müssen wir uns genau angucken. Zudem steht darin eindeutig, dass die Kindersätze nicht richtig sind, weil bestimmte Teile dabei nicht berücksichtigt werden.

Meines Erachtens gehört es dazu, dass man sich auch damit auseinandersetzt. Die Diskussion, die jetzt obendrauf gesetzt worden ist, dass man Ihrer Meinung nach die Sätze jetzt senken könne bzw. durch eine Absenkung zur Einhaltung des Abstandsgebotes beitragen müsse, geht in die vollkommen falsche Richtung.

(Beifall bei der SPD)

Der Wirtschaftsminister - ich habe hier vorhin sehr wohl zugehört - hat das mit auf den Weg gebracht.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: So ist es!)

Was für ein Gebot des Sozialstaates ist es eigentlich, wenn eine Absicherung in der Not zur Aufstockung von Löhnen benutzt werden kann? Was empfinden eigentlich die Menschen, die Sie als Aufstocker ansprechen und dann beschimpfen, dass sie nicht die Leistungsträger seien?

(Christian Dürr [FDP]: Im Gegenteil! Sie beschimpfen die doch, Herr Wa- termann!)

Ich frage mich ohnehin, was der Begriff „Leistungsträgerschaft“ in diesem Hause bedeutet. Wenn man hier manche Rede hört, kommt man zu der Überzeugung, dass viele von uns, die hier reden, ab und zu einmal darüber nachdenken müssten, was sie eigentlich von sich geben; denn sie diffamieren mit ihren Äußerungen andere.

Ich sage Ihnen: Dieser Sozialstaat kann nicht wollen, dass wir denjenigen, die nicht bereit sind, an

ständige Löhne zu zahlen, im Prinzip den Anreiz bieten, das Geld aus den öffentlichen Haushalten zu holen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Dafür ist die Grundabsicherung nicht erfunden worden. Dafür war sie auch niemals gedacht.

Wenn wir uns jetzt den Kindern nähern und uns stärker der Kinder annehmen, müssen wir nach meiner festen Überzeugung über die eigenständige Absicherung und Grundsicherung für Kinder reden. Meines Erachtens ist das nämlich die einzige Antwort, die wir dazu geben können.

Ihnen sei noch einmal Folgendes gesagt: Wir werden zu dieser Gesetzgebung stehen. Die schallende Ohrfeige haben wir uns alle abgeholt. Ab und zu ist die Redlichkeit in der Politik auch nicht verboten.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Kollege Dürr gemeldet. Bitte!

(Roland Riese [FDP]: Christian, zeig’s ihnen!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Watermann, ich will direkt bei dem Thema „Redlichkeit“ anfangen. Richtig ist, dass mit Ausnahme der Linken alle Fraktionen in diesem Hause und im Deutschen Bundestag die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe als richtigen Schritt bezeichnet haben. Das ist ausdrücklich richtig. In der Tat haben wir im Bundesratsverfahren konstruktiv an dieser Sache mitgewirkt.

Frau Kollegin Helmhold, es wundert mich schon ein wenig, dass gerade die Grünen auf einmal nichts mehr von der Verantwortung wissen wollen, die sie damals im Deutschen Bundestag getragen haben, und zwar sowohl von der Verantwortung für die Gesetzgebung in der Sache als auch von der Verantwortung in den Ministerien.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das habe ich nicht gesagt! Quatsch!)

Seit Monaten und Jahren klingt es hier im Niedersächsischen Landtag so, als seien die Grünen bei der ganzen Sache nie dabei gewesen, meine Damen und Herren.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Haben Sie meine Rede nicht gehört?)

Das muss der Öffentlichkeit auch gesagt werden.

(Beifall bei der FDP)

Weil Herr Jüttner und Herr Watermann hier etwas zum Thema Hartz-IV-Aufstocker gesagt haben, möchte ich auch noch kurz darauf eingehen. Wie müssen sich Ihre Worte eigentlich für diejenigen anhören, die sich trotz notwendiger Unterstützung durch den Staat jeden Tag aufraffen und einer Arbeit nachgehen, meine Damen und Herren? Jetzt in dieser Situation auf die Hartz-IV-Aufstocker einzuhauen, ist ausdrücklich - - -

(Zuruf von den GRÜNEN: Was? - Ur- sula Helmhold [GRÜNE]: Jetzt ist aber Schluss! - Kreszentia Flauger [LIN- KE]: Das ist doch nicht wahr!)

- Entschuldigung, genau das ist doch Ihr Ansatz gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wie muss es sich für die Hartz-IV-Aufstocker anhören, wenn jetzt gesagt wird, sie seien an dieser Stelle die eigentlichen Dummen der Nation?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Hier muss ja alles auf Grundeis gehen!)

Das ist falsch. Richtig ist - um das deutlich zu sagen -: Wenn jemand von Hartz IV lebt und alles dafür tut, aus dieser Situation herauszukommen, dann hat er die volle Solidarität der Gesellschaft verdient.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

- Herr Will, ich gehe gerne auf Ihren Zwischenruf ein. Als Gesellschafter eines mittelständischen Einzelhandelsunternehmens will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Gerade auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im deutschen Einzelhandel, die sicherlich nicht mit hohen Löhnen gesegnet sind, aber viele Stunden arbeiten, und zwar auch am Wochenende, sind die Mitte der Gesellschaft, um die es auch Guido Westerwelle in der Debatte gegangen ist.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Denen wollen Sie alle Zuschläge wegneh- men! - Kreszentia Flauger [LINKE]: Die sollten anständige Löhne be- kommen! - Weitere Zurufe)

Sie haben die Unterstützung verdient. Sie zahlen Steuern. Sie zahlen die Sozialabgaben in diesem Land. Wir werden sie weiterhin auch als unsere Klientel in Deutschland ansehen - um das klar zu sagen.

(Beifall bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber nur die, die Erst- und Zweitstimmen nicht unterscheiden können! - Weitere Zurufe - Unruhe)

Meine Damen und Herren, es ist schwierig, das Ganze nachzuvollziehen, weil die Zwischenrufe so vielfältig sind, dass man den Redner gar nicht mehr hört.

(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Das liegt aber an der „Qualität“ des Red- ners! - Zustimmung bei der SPD)

Ich bitte Sie, Herrn Dürr jetzt reden zu lassen. Wenn Sie dann noch Redezeit haben, können Sie sich gerne zu Wort melden.

Herr Dürr, bitte!

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich meine aber, dass dieses Urteil, wie einige Vorredner bereits gesagt haben, ausdrücklich auch Chancen bietet, beispielsweise beim Thema „Hartz-IV-Sätze für Kinder“. Auch Herr Kollege Thiele hat hier schon zu Recht darauf hingewiesen, dass insbesondere das Thema Bildung wieder eine größere Rolle spielen muss. Das Bundesverfassungsgericht hat uns ebenfalls ins Stammbuch geschrieben, dass es das Ziel sein muss, durch mehr Bildung die Hartz-IV-Kette, die es leider in einigen Familien in Deutschland gibt, zu durchbrechen.