Protocol of the Session on January 20, 2010

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite Beratung: Einsetzung einer Enquetekommission „Zukunftsfähiges Niedersachsen - leistungsfähige Kommunen, bürgernahe Verwaltung“ - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/1953 - Beschlussempfehlung des Ältestenrats - Drs. 16/2079

Die Beschlussempfehlung des Ältestenrates lautet auf Ablehnung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Modder von der SPD-Fraktion. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, weil wir hier im Parlament zum vierten Mal über die Einsetzung einer Enquetekommission beraten. Ich glaube, wir haben die Argumente ausgetauscht. Ich habe auch wenig Hoffnung, dass ich Sie heute noch zum Umdenken veranlassen kann.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Man soll die Hoffnung nie aufgeben!)

- Nein, die Hoffnung gebe ich nicht auf. Aber manchmal muss man sich die Beulen selber abholen.

Unser Versuch, das hochsensible Thema einer Verwaltungs- und Gebietsreform parteiübergreifend anzugehen, ist leider gescheitert, obwohl wir uns, glaube ich, auch einig sind, dass Handlungsbedarf besteht. Sie haben leider die von uns ausgestreckte Hand ausgeschlagen. Ich finde das sehr schade. Das ist eine vertane Chance.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben sich im Jahre 2003 mit der Auflösung der Bezirksregierungen für einen zweistufigen Verwaltungsaufbau in Niedersachsen entschieden. Damals wurde dieser Schritt als mutig beschrieben. Allerdings war der Schritt nicht wirklich zu Ende gedacht. Er erfolgte überstürzt und ohne Aufgabenkritik. Dadurch hätte er - das wurde Ihnen von Ihrem Gutachter Herrn Professor Hesse auch immer wieder bestätigt - eigentlich eine umfassende Kreisreform unabdingbar gemacht.

Dass wir mit dieser Meinung nicht alleine stehen, haben Sie in den letzten Tagen nachlesen können. Ich will das Urteil des ehemaligen Direktors dieses Landtages, Herrn Professor Albert Janssen, erwähnen - sein Urteil ist nämlich vernichtend -:

„Die niedersächsische Verwaltungsreform von 2004 ist gescheitert. Ihre Ziele wurden nicht annähernd erreicht und nur halbherzig umgesetzt. Nur eine umfassende Kreisreform kann die derzeitigen Mängel beseitigen.“

Ich meine, das müsste Ihnen zu denken geben.

(Beifall bei der SPD)

Zu diesen angemahnten Schritten fehlt Ihnen aber heute wie damals offensichtlich der Mut. Diese Mängel haben nicht wir immer wieder in den Vordergrund gerückt, sondern Stimmen aus der Praxis haben immer wieder gesagt: Die Selbstverliebtheit der Fachressorts hat sich leider verstärkt, die Entscheidungswege haben sich verlängert, und es gibt ein Chaos in den Zuständigkeiten. Das haben wir hier mehrfach erleben dürfen, nämlich durch die unterschiedlichen Aussagen des Staatssekretärs Herrn Ripke.

Sie, meine Damen und Herren, sind auf einem Weg - ich würde ihn als Irrweg bezeichnen -, der leider fatale Folgen für die kommunale Ebene hat. Sie werden mit dem Zukunftsvertrag - darüber

werden wir noch zu sprechen haben - und der vorgetäuschten Freiwilligkeit die Herausforderungen und die Probleme der Kommunen nicht lösen. Das wissen Sie auch. Sie werden nur wenigen Kommunen helfen und nur punktuell zu Veränderungen kommen. Sie werden mit der Freiwilligkeit an Grenzen stoßen. Trotzdem setzen Sie den Weg der Kommunalisierung fort, ohne dabei die Leistungsfähigkeit der Kommunen und der Kreise im Blick zu behalten. Sie werden den Druck dadurch weiter verschärfen. Sie nutzen die finanziell schwierige Situation der Kommunen schamlos aus, und Sie geben damit den schwarzen Peter wieder an die Kommunen. Ich finde das schäbig. Sie handeln in meinen Augen verantwortungslos und werden Ihrer landespolitischen Verantwortung nicht gerecht. Sie haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie ein zukunftsfähiges Niedersachsen aussehen könnte. Wir werden Sie auf die Fehler, die Sie in der Zukunft an dieser Stelle machen werden, immer wieder hinweisen; darauf können Sie sich verlassen.

In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ich rufe jetzt Herrn Briese für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf.

Herr Präsident! Frau Modder hat es bereits gesagt: Wir reden heute zum vierten Mal darüber, ob die kommunale Gebietskulisse in Niedersachsen zukunftsfähig ist oder ob wir zumindest eine Enquetekommission brauchen, um über das Thema einmal vertieft zu reden. Jeder und jede in diesem Haus, der oder die sich vertieft mit den Problemen der kommunalen Selbstverwaltung und der Verschuldung befasst hat, weiß: Die Gebietskulisse in Niedersachsen ist insgesamt nicht zukunftssicher. Über die Gründe haben wir hier schon intensiv diskutiert. Da ist zum einen die demografische Entwicklung. Damit hat sich bereits eine Enquetekommission befasst. Es gibt Landesteile, die sich dramatisch entvölkern. Zum anderen haben wir eine kommunale Finanzkrise, die sich, auf gut Deutsch gesagt, gewaschen hat und die sich durch die Berliner Beschlüsse noch einmal dramatisch verschärfen wird.

Beispielsweise meine Stadt - wir sind gerade in den Haushaltsberatungen; aufgrund der Doppik

hat sich das etwas verschoben - hat ein Rekorddefizit, das einmalig in der Oldenburger Geschichte ist. Dort gibt es ein strukturelles Defizit von 30 Millionen Euro. Das gab es in der Geschichte der Stadt noch nie; das ist einzigartig Die kommunale Verschuldung explodiert nicht nur in Oldenburg, sondern das ist ein landesweites Phänomen. Wer die Debatte in Hannover verfolgt hat, der weiß das.

Da, Herr Schünemann - das wissen Sie auch -, hilft auch kein Zukunftsvertrag mehr, mit dem Sie eine Übernahme der Altschulden versprechen. Die Logik dessen müssen Sie diesem Haus gleich einmal erläutern, dass Sie auf der einen Seite den Kommunen einen Zukunftsvertrag mit Altschuldenübernahme anbieten, während auf der anderen Seite im Bund - das sind die gleichen Regierungsfarben - Beschlüsse gefasst werden, die die kommunale Verschuldung verstetigen und die Kommunen weiter in den Schuldensumpf treiben. Es hat doch überhaupt keine Logik mehr, wenn der Bund Steuerbeschlüsse fasst, die die kommunale Verschuldung weiter vorantreiben, während Sie hier Zukunftsverträge schließen und sagen: Die Schulden, die wir in Berlin verantworten, übernehmen wir teilweise.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Inwieweit das politisch sinnvoll oder nachvollziehbar ist, hat sich mir jedenfalls noch nicht erschlossen. Das können Sie diesem Haus ja gleich noch einmal erklären.

Dass die schwarz-gelbe Landesregierung schon lange nicht mehr an der Seite der Kommunen steht - die Gelben schon überhaupt nicht; sie kujonieren ja lieber die Kommunen; das haben wir gerade schon erfahren -, das wissen wir längst. Dazu brauchen wir gar nicht die Hannover-Debatte heranzuziehen. Das wissen wir von vielen CDUBürgermeistern im Lande oder sogar bundesweit.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Da muss man gar nicht mit Frau Roth vom Städtetag in Frankfurt kommen, sondern auch Herr Hoffmann in Braunschweig war äußerst genervt angesichts der Steuerbeschlüsse in Berlin und hat gesagt: Das können wir schlicht und ergreifend nicht verkraften.

Jetzt kommt also der Zukunftsvertrag statt der Enquetekommission. Man hätte ja auch beides machen können.

(Glocke des Präsidenten)

Der Zukunftsvertrag jedoch - das prophezeie ich Ihnen jetzt schon - wird die großen Probleme nicht lösen; denn wir wissen jetzt schon, dass sich im Lande nicht viel bewegt, Herr Schünemann. Erst einmal haben Sie das Geld für eine komplette Altschuldenübernahme gar nicht mehr. Das wird ja alles nur noch viel schlimmer; das ist das eine Problem. Zum Zweiten bewegt sich aufgrund des Zukunftsvertrages auch nicht viel. Auf Kreisebene tut sich fast gar nichts. Sie können ja ein Liedchen davon singen, wenn Sie sich anschauen, was in Ihrem eigenen Landkreis passiert. Da geht es einmal hierhin, einmal dahin und einmal woandershin. Lüchow-Dannenberg hat gerade beschlossen, nicht mit Uelzen fusionieren zu wollen. Auf der anderen Seite will man in Braunschweig gerne einen Großkreis. Auch das ist Ihnen nicht recht. Da sagen Sie, dass Ihnen das viel zu groß ist. Wo wollen Sie auf Kreisebene eigentlich hin?

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Er weiß nicht, was er will!)

Ich habe es jedenfalls bis heute nicht kapiert. Es gibt einige Klein- und Kleinstgemeinden, die vielleicht einmal über eine Fusion reden. Aber so richtig etwas in die Gänge kommt doch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Am meisten - das ist mein letzter Satz bzw. letzter Absatz - amüsiert es mich, dass ein gewisser Garrelt Duin gemeinsam mit einem MdL Dinkla - - -

Aber nur letzter Satz, nicht Absatz! Ihre Redezeit ist zu Ende.

- - - in Ostfriesland sogar ein neues Parlament, nämlich einen Regionalrat, gründen will. Ich bin sehr gespannt, was die Landesregierung dazu sagt.

Herr Präsident, lassen Sie mich noch Folgendes sagen: Am Ende des Jahres werden die Kommunen noch schlimmer dastehen als jetzt. Die kommunale Finanzkrise wird weiter zunehmen. Dafür tragen auch Sie maßgeblich die Mitverantwortung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Kollege Adler für die Fraktion DIE LINKE. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt hier ein Antrag der SPD-Fraktion vor, der in dieser Periode schon einmal gestellt und vom Landtag auch schon einmal abgelehnt worden ist. Ich frage mich, was der Grund dafür ist, denselben Antrag - bis auf einige unbedeutende sprachliche Punkte, auf die ich schon das letzte Mal eingegangen bin - noch einmal zu stellen.

(Bernhard Busemann [CDU]: Dann braucht man sich keinen neuen aus- zudenken!)

Ich versuche einmal, mich in die Situation der SPD hineinzuversetzen. Wenn ich ein Anliegen weiterverfolgen will, das schon einmal abgelehnt worden ist, dann müsste ich doch eigentlich den Versuch unternehmen, es in anderer Form und mit anderen Inhalten noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, dann müsste ich doch versuchen, auf andere Weise eine Mehrheit zu bekommen. Insofern wäre es wahrscheinlich gerade auch bei diesem Thema recht klug, das Gespräch mit den anderen Fraktionen zu suchen. Das aber ist nicht geschehen, sondern Sie haben die alte Geschichte einfach noch einmal gebracht.

Das Problem mit Ihrem Antrag ist, dass er durchaus richtige Dinge enthält. Richtig ist, dass die Abschaffung der Bezirksregierungen ungeklärte Fragen hinterlassen hat, dass die Stellung der Regierungsvertretungen unbestimmt ist und dass die Abgrenzung der kommunalen Zuständigkeiten einer Klärung bedarf, vor allem im Hinblick auf das Konnexitätsprinzip. Es darf nämlich nicht sein, dass die Kommunen zusätzliche Zuständigkeiten erhalten - was eigentlich erst einmal gut ist -, wenn sie nicht gleichzeitig die notwendigen Gelder bekommen, um diese Aufgaben zu bewältigen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Richtig ist auch die Frage zur Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Sie aufgeworfen haben. Das alles sollte man diskutieren.

Aber dann kommt der Punkt, dem wir nicht mehr zustimmen können. Es geht nicht an, dass Sie in diesem Zusammenhang auf einmal das Thema Aufgabenkritik nennen. In Ihrem Antrag heißt es wörtlich: „Welche Aufgaben können entfallen?“ - Sie müssen sich einmal überlegen, was eine sol