Protocol of the Session on January 19, 2010

Langzeitstudien zeigen, dass jeder Euro, den wir in die frühkindliche Bildung stecken, sehr gut investiertes Geld ist, weil somit die Entwicklung der Kinder gefördert wird und ihre Erfolgsaussichten im späteren Leben steigen.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann über- nimmt den Vorsitz)

Spätere Fördermaßnahmen oder Justizkosten fallen dann nicht mehr an. Wissenschaftler haben im Rahmen einer Langzeitstudie in den USA ermittelt, dass Kinder ohne vorschulische Unterstützung doppelt so häufig verhaftet wurden wie Kinder mit guter vorschulischer Betreuung. Die Schulabbrecherquote lag um ein Drittel niedriger, die Arbeitslosigkeit war um 20 % geringer.

Solange Kita-Gebühren bleiben und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten sowie die Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder eingeschränkt bleiben, wie dies derzeit der Fall ist, wird der soziale Aufstieg in dieser Gesellschaft weiterhin strukturell und absichtlich massiv behindert; denn die Besserverdienenden können sich leichter gute Entwicklungsbedingungen für ihre Kinder erkaufen, als die sozial Schwachen dies können, die auf das Angebot der Kommunen und der freien Träger angewiesen sind.

Diese Politik der Zementierung der sozialen Schichten kennzeichnet CDU/FDP-Regierungen. Dies erleben wir an den Grundschulen, die Kinder im Alter von zehn Jahren aussortieren. Dies erleben wir auch an den weiterführenden Schulen durch die Dreigliedrigkeit und die Abkopplung des Gymnasiums von den restlichen Schulen. Ferner erleben wir dies an den Hochschulen durch die Zugangsprüfungen und die Studiengebühren.

Uns liegt ein Antrag der SPD-Fraktion vor, mit dem zumindest Zwischenschritte zu einer besseren Betreuungssituation vorgeschlagen werden. Wir werden diesen Antrag unterstützen.

Nicht hinsehen und die Situation schönreden, wie Sie es seitens der CDU und der FDP tun, führt jedoch zu einer erheblichen „Verschuldung“ gegenüber unseren Kindern. Beachten Sie dieses Thema nicht als abgeschlossen. Die nächsten Initiativen der Opposition werden kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Brammer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Was man verspricht, muss man auch halten - Kinder sind uns mehr wert!“ Das ist die Überschrift des vorliegenden Entschließungsantrags der SPD-Fraktion. Wie wichtig dies

ist, zeigen die neuesten Zahlen der statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Unsere Krippen bilden nach wie vor das Schlusslicht. Unsere Kitas liegen ganz weit hinten.

Unser Ziel ist es, dass Niedersachsen von der derzeitigen Schlusslichtposition im Bereich der frühkindlichen Bildung ganz nach vorn kommt.

(Zustimmung bei der SPD)

Dazu gehört natürlich, dass wir die Gruppenstärke in den Kindertagesstätten reduzieren, dass wir den Personalschlüssel sowohl in den Kindertagesstätten als auch in den Krippen verbessern - ich erwähne beispielhaft die dritte Krippenkraft - und dass wir die Verfügungsstunden der Fachkräfte erhöhen. Dies begründe ich beispielhaft mit den gestiegenen Anforderungen aufgrund des von den Fachverbänden entwickelten Orientierungsplans sowie mit den Anforderungen nach § 8 a SGB VIII.

Kindertagesstätten sind keine Aufbewahrungsorte, sondern Bildungseinrichtungen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dazu gehört deshalb auch, dass wir dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren genügend Fachkräfte ausgebildet werden können und dass wir vor dem Hintergrund der entsprechenden UN-Konvention das Thema Inklusion konsequent auch in Krippen angehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Letztendlich gehört dazu auch, dass alle Kindergartenjahre beitragsfrei gestellt werden, wie es die Regierungsfraktionen versprochen haben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wenn wir im Bildungsbereich weiterkommen wollen, dann ist die Erfüllung der von uns gestellten Forderungen zur Erreichung dieses Ziels unerlässlich.

Die von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Anträge sind zwar wünschenswert, jedoch aus Sicht der SPD-Fraktion zumindest zurzeit nicht seriös finanzierbar. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diese Anträge der Stimme enthalten.

Ich weiß, was wir gleich von den Regierungsfraktionen hören werden. Wahrscheinlich werden wir ein Loblied auf all das hören, was in diesem Bereich schon alles gemacht wurde. An erster Stelle wird wahrscheinlich das nifbe genannt, dann werden

die vielen Modellprojekte erwähnt. In den Einrichtungen lästert man über „Projektitis“.

(Norbert Böhlke [CDU]: Wovon reden Sie?)

Davon werden die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings nicht besser.

Ich möchte noch auf etwas eingehen, was die Kollegin Vockert anlässlich der ersten Lesung dieser Anträge am 27. August 2009 von sich gegeben hat. Sie sagte z. B.:

„Mindeststandards werden garantiert. Jede Kommune, jeder Träger hat es in der Hand zu sagen: Wir machen mehr.“

Das stimmt. Dabei handelt es sich aber um freiwillige Leistungen. Irgendwann wird die Kommunalaufsicht eingreifen und den ärmeren Kommunen die dritte Kraft in den Einrichtungen versagen. Dann haben wir die Situation, dass es ein vernünftiges Krippenangebot nur in den Bereichen gibt, in denen die Kommunen über die notwendigen Finanzmittel verfügen. Dies trifft insbesondere die Gemeinden, die durch hohe Arbeitslosigkeit oder soziale Brennpunkte anderer Art gekennzeichnet sind.

Unser Innenminister hat in einem Schreiben vom 19. Dezember 2008 zur Cuxland-Erklärung sehr deutlich gemacht, was auf uns zukommt. Er erklärt in diesem Schreiben, dass dem Landkreis Cuxhaven im Rahmen der Umsetzung des sogenannten Krippengipfels insgesamt 5,4 Millionen Euro zustünden.

Weiter merkt er an: Im Landkreis Cuxhaven haben sich die Kommunen entschieden, hauptsächlich in den Ausbau von Krippenplätzen zu investieren. Die wesentlich kostengünstigeren Investitionen zur Schaffung von entsprechenden neuen Betreuungsplätzen im Bereich der Kindertagespflege kommen im dortigen Betreuungskonzept kaum vor. Gerade für kleine Kommunen könnten entsprechende Investitionen auch im Bereich der Kindertagespflege eine Lösung sein, die einer angespannten Finanzlage Rechnung tragen und das angestrebte Ausbauziel realisierbar machen.

So viel zum Thema Einflussnahme.

(David McAllister [CDU]: Ja und?)

Mit derartigen Formulierungen macht der Minister deutlich, wohin die Reise gehen soll.

Ich möchte auf noch etwas eingehen, was Frau Vockert am 27. August 2009 gesagt hat, und zwar zur Betriebskostenförderung:

„Der Bund gibt unter dem Strich 29,9 %, die Kommunen geben 34,05 %, und das Land ist mit 35,7 %, also dem größten Brocken, dabei.“

Ich habe irgendwann einmal gelernt, dass man beim Addieren von Prozentwerten bei 100 landen muss. Bei der Addition dieser Prozentzahlen komme ich aber auf mehr als 100 %.

Außerdem frage ich mich, wo eigentlich der Elternanteil bleibt. Diesen hat die Landesregierung in Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden bei 25 % der Gesamtkosten festgelegt. Das bedeutet, dass sich die Werte, die Frau Vockert genannt hat, auf die übrigen 75 % beziehen. Somit schrumpft der Landesanteil von 35,7 % auf magere 26,75 %. Sie betreiben also Augenwischerei.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Ein 25-prozentiger Elternbeitrag bedeutet für eine Ganztagseinrichtung 250 Euro pro Monat. Bei einer Teilzeiteinrichtung sind dies 200 Euro pro Monat. Sagen Sie uns doch einmal, welche Eltern diese Beiträge zahlen sollen!

Ich befürchte, dass Sie die Krippen nach 2013 gar nicht weiter ausbauen wollen. Bei Bedarf verweisen Sie auf die günstigeren Tagesmütter. Den Eltern muten Sie Beiträge zu, die zumindest von vielen überhaupt nicht gezahlt werden können. Diejenigen, die aufgrund eines geringen Einkommens Anspruch auf wirtschaftliche Jugendhilfe haben, werden dann ab 2013 unter Umständen über das geplante Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro aus den Einrichtungen herausgekauft.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema Betreuungsgeld haben Sie sich bezeichnenderweise noch überhaupt nicht geäußert. Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, bekennen Sie endlich Farbe! Das Thema frühkindliche Bildung - das gilt wohlgemerkt nicht für alle von Ihnen, aber für viele - ist für Sie einfach nur lästig. Am Geld kann es aber doch nun wirklich nicht liegen. Wer wie Sie meint, trotz schwieriger Zeiten noch Steuergeschenke verteilen zu können, kann uns nicht allen Ernstes erzählen, die frühkindliche Bildung sei nicht finanzierbar.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Wort hat nun Frau Vockert für die CDU-Fraktion.

(Zuruf)

Ich sage immer die Wahrheit. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift des Antrags der SPD-Fraktion, nämlich „Kinder sind mehr wert“ - es wurde schon gesagt, dies ist eine Kampagne der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege -, gefällt mir, gefällt uns ausgesprochen gut.

Wir alle müssen uns aber die Frage stellen: Was heißt denn eigentlich „mehr wert“? Dürfen wir als verantwortliche Politiker das lediglich darauf münzen, wie SPD, Grüne und Linke es uns in ihren Anträgen und Gesetzentwürfen nahebringen wollen, dass der alleinige Schlüssel darin liegt, mehr Geld zur Verfügung zu stellen - mehr Geld; das wurde eben gesagt - für die Verbesserung des Personalschlüssels oder die Reduzierung der Gruppengrößen?

Auch zur Kofinanzierung ist eine ganze Menge gesagt worden. Die Hilflosigkeit der Oppositionsfraktionen dabei ist deutlich geworden. Für den, der sie nicht mehr vor Augen hat, habe ich vorsichtshalber noch einmal die Änderungsanträge zum Haushalt vom vergangenen Jahr beigebracht, die zeigen, dass das z. B. die Grünen unter Finanzierungsvorbehalt stellen und, und, und. Das ist überhaupt nicht glaubwürdig.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Hin- ter dem „und, und, und“ verbirgt sich ein Unterschied, Frau Vockert!)