Protocol of the Session on November 24, 2009

Man kann an vielem herumdeuten. Gerade die Interpretation von Zahlen ist ja sehr beliebt.

(Jürgen Krogmann [SPD]: Dann nen- nen Sie die Zahlen doch!)

Wir sind uns wahrscheinlich darin einig, dass 174 die Gesamtzahl der Bereiche ist, die betrachtet

wurden. Dass man von 174 Bereichen überhaupt nur 30 gefunden hat, in denen es eine Steigerung gegeben hat, und unter diesen 30 Bereichen nun 5 beschreibt, bei denen es aus Sicht der Gutachter überlegenswert wäre, das Vorverfahren wieder einzuführen, lässt für mich nicht darauf schließen, dass das Vorverfahren weit überwiegend eingefordert wird, weil 5 im Verhältnis zu 174 nicht weit überwiegend ist. Insoweit müssten Sie Ihre Wortwahl im Hinblick auf die Zahlen noch einmal überprüfen.

Sie haben auch Ausführungen zu der Frage der Eingangszahlen an den Verwaltungsgerichten gemacht. Wir haben an den Verwaltungsgerichten immer Schwankungen, auch durch einzelne Rechtsbereiche, durch neue Rechtsgebiete, durch gesellschaftliche Herausforderungen usw.

In der Evaluation wird festgestellt, dass die schon um die ab 2005 den Sozialgerichten zugewiesenen Verfahren der Sozialhilfe bereinigten Eingangszahlen bei den Verwaltungsgerichten in etwa wieder auf das Niveau des Jahres 2004 gesunken sind. Damit liegt das unbereinigte Gesamtgeschäftsaufkommen bei den Verwaltungsgerichten im Jahr 2008 um über 2 000 Verfahren unter der Zahl der noch im Jahr 2004 bearbeiteten Klagen. - Das ist zunächst einmal Fakt. Insofern ist von der Klagewelle, der Überschwemmung, der Flut auf unsere Verwaltungsgerichte, die seit 2004 hier im Parlament gebetsmühlenartig beschworen wurde, nichts zu spüren.

In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch festzustellen, dass der Verband der Verwaltungsrichter in der Anhörung, die Sie ja so aufmerksam verfolgt haben, gesagt hat, dass die Geschäftsbelastung in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht das Maß dessen übersteigt, was tatsächlich leistbar ist. Wo bei solchen Aussagen von Menschen aus der Praxis derzeit eine Überlastung der Verwaltungsgerichte sein soll, das müssten Sie noch einmal erklären.

Besonders schön finde ich immer das Argument der Entlastung der Kommunen. Natürlich ist es eine Entlastung für die Kommunen, wenn sie das Vorverfahren nicht mehr durchführen. Wir haben allerdings darauf verzichtet, jeder einzelnen Kommune in Niedersachsen vorzuschreiben, dass sie eine Statistik darüber zu führen hat, was sie denn nun im Einzelnen tut oder nicht tut. Sie soll ja nicht für Statistik da sein, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Aus meiner Sicht ist es ein ganz entscheidender Punkt, dass wir die Kommunen sehr

wohl entlastet haben. Das haben auch die kommunalen Spitzenverbände im Einzelnen ausgeführt. Sie von der SPD sollten den Kommunen insgesamt etwas mehr zutrauen.

(Widerspruch bei der SPD - David McAllister [CDU]: Das können Sozia- listen nicht!)

Wir wollen das heute beschließen. Wir finden, das Vorverfahren in der früher genannten Form hat sich nicht bewährt. Die Aussetzung war richtig und hat zu einer anderen, zu einer besseren Kommunikation geführt. Sie hat Verfahren schlanker gemacht und Kosten gespart. Wir sollten den Kommunen und den Bürgerinnen und Bürgern zutrauen, dass sie dialogorientiert miteinander umgehen. Wir trauen auch dem Innenministerium zu, dass es zusammen mit den Kommunen das Beschwerdemanagement weiter vorantreibt, allerdings nicht holzschnittartig vom grünen Tisch. Das, was in Oldenburg richtig ist - das habe ich in der Beratung im Fachausschuss bereits gesagt -, muss in der ländlichen Samtgemeinde Hanstedt nicht richtig sein. Ein flächendeckendes Beschwerdemanagement würde voraussetzen, dass man ganz Niedersachsen über einen Kamm schert. Das wollen wir nicht. Niedersachsen ist vielfältig, auch wenn wir heute beschließen, dass das Vorverfahren in diesen Rechtsbereichen dauerhaft abgeschafft wird. Das ist eine gute Entscheidung im Sinne der Bürger.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!)

Deswegen werden wir dem heute mit Freude zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Briese das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können heute feststellen, dass dieser Gesetzentwurf der Landesregierung mit Bürokratieabbau gar nichts zu tun hat, sondern er hat schlicht und ergreifend etwas mit Rechtsmittelabbau zu tun.

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Diese Reform geht zulasten der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Er stärkt die Verwaltung, aber er schwächt die Bürgerrechte. Das kennen wir aus Ihrem Hause, Herr Schünemann, das hat eine gute bzw. schlechte Tradition in dieser Legislaturperiode. Bürgerrechte, egal welcher Couleur, sind Ihnen ein Graus.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das stimmt doch nicht!)

- Darüber können wir gleich noch einmal reden, Herr Coenen, wenn wir das Informationsfreiheitsgesetz behandeln. Auch das ist ein Bürgerrecht, wofür Sie ja ebenfalls sind. Mit Bürgerrechten oder dem Grundgesetz haben Sie immer so Ihre Probleme. Da schauen Sie verdrießlich auf den Boden. Sie würden eigentlich viel lieber ein staatliches Überwachungsrecht einführen. Das ist Ihre Politik der letzten fünf Jahre. Das konnte man ganz deutlich beobachten.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das sind Unterstellungen!)

Das kann man auch hier beobachten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Widerspruchsverfahren ist - das ist deutlich geworden - ein sehr kostengünstiges und sehr einfach zu handhabendes Rechtsinstrument. Herr Kollege Wiese, jetzt kann man darüber reden, ob wir das Widerspruchsverfahren tatsächlich in allen Rechtsgebieten brauchen, wie wir es in der Vergangenheit hatten. Wenn ein Recht gar nicht in Anspruch genommen wird oder wenn der Ausgangsbescheid der Widerspruchsbehörde in 90 oder 95 % der Fälle bestätigt wird, dann kann man darüber nachdenken, ob man dieses Rechtsinstrument abschafft. Das ist gar keine Frage. Aber dort, wo es eine Wirkung erzielt, sollte man das tunlichst nicht machen. Da haben Sie - das muss ich wirklich sagen - in Ihrem Redebeitrag nicht die Wahrheit gesagt; denn da kommt die Evaluation zu gänzlich anderen Ergebnissen. Die verdrehen Sie sehr stark und stellen sie nicht wahrhaftig dar. Das gehört schon zur Wahrheit dazu.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das war das Interessante in Ihrem Redebeitrag. Sie haben dazu gesagt: Ja, wir haben 170 Rechtsmittelkreise, in denen wir Widerspruchsverfahren hatten, und vielleicht 30 gibt es noch, bei denen das sinnvoll wäre. - Das Entscheidende in dieser Debatte ist doch, wie oft die Bürgerinnen und Bürger von den kommunalen bzw. behördlichen Bescheiden tangiert sind. Sie schaffen das

Widerspruchsverfahren in Rechtskreisen ab, die eine sehr große, entscheidende Rolle für viele Leute spielen, z. B. beim Wohngeld oder auch beim BAföG. Das sind doch Behördenentscheide, die für sehr viele Menschen eine große Rolle spielen. Die sind zukünftig gezwungen, zum teuren Verwaltungsgericht zu ziehen. Das finden wir überaus unvernünftig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die SPD hat - das muss man ihr zugutehalten - die Evaluation seriös aufgearbeitet. Sie hat das, was die Evaluatoren vorgeschlagen haben, in einen entsprechenden Antrag gegossen.

Herr Schünemann, dann kann man sich eine Evaluation auch sparen. Sie haben die Wissenschaftler verhohnepiepelt. Das muss man einfach so sagen. Sie haben eine Evaluation in Auftrag gegeben, das Ergebnis stand aber schon von vornherein fest: Wir wollen das in Bausch und Bogen abschaffen. - Dann kann man sich eine solche Begleitforschung und viel Geld und Arbeit sparen, wenn Sie von vornherein schon wissen, was dabei am Ende herauskommt. Ich finde, damit haben Sie die Leute veralbert.

(Glocke der Präsidentin)

Ich möchte - die Redezeit ist fast um - drei entscheidende Argumente nennen - auch Herr Krogmann hat das angesprochen -: Die Kommunen können gar nicht beziffern, ob das ein wirklicher Vorteil für sie ist. Diese Aussage ist in der Anhörung überraschend gewesen. Die Verwaltungsrichter haben sehr deutlich gemacht - auch da haben Sie die Wahrheit immer wieder gedehnt, Herr Schünemann -, dass es natürlich eine Erhöhung der Fallzahlen an den Gerichten gegeben hat. Auch in diesem Zusammenhang haben Sie hier im Hause also nicht die Wahrheit gesagt.

(Glocke der Präsidentin)

Das Dritte und Letzte, was ich sagen möchte, Frau Präsidentin, ist: Die große Frage ist doch: Ist es eigentlich ein rechtspolitischer, demokratischer oder kultureller Fortschritt, wenn die Leute jetzt wieder auf den Goodwill, auf die Gnade des Sachbearbeiters angewiesen sind, ob er sich dazu bequemt herauszufinden, ob die Entscheidung überhaupt richtig gewesen ist?

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Nein!)

Ich finde, das ist kein demokratischer Fortschritt, sondern ein Rückschritt in den alten verwaltungsrechtlichen Obrigkeitsstaat. Das, was Sie hier ma

chen, ist keine moderne Bürgerpolitik, sondern altes verstaubtes Preußentum.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Herr Adler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Widerspruchsverfahren in der Verwaltungsgerichtsordnung, von woher wir es kennen, hat ja durchaus seinen Sinn. Ihm liegt nämlich die Erkenntnis zugrunde, dass Verwaltungshandeln auch fehlerhaft sein kann. Der Vorgang, der entschieden worden ist, soll auf einen anderen Schreibtisch und dort noch einmal überprüft werden, bevor er auf den Richtertisch kommt.

Der Landtag nutzt in der gegenwärtigen Situation nur eine Ausnahmevorschrift innerhalb der Verwaltungsgerichtsordnung, sozusagen ein Schlupfloch, das dort für die Länder offen gelassen worden ist. Die Folge ist eine Mehrbelastung für die Verwaltungsgerichte; dazu ist schon vieles gesagt worden. Das gilt nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Dies führt nämlich dazu, dass sich die Verwaltungsrichter nicht mehr nur mit offenen Rechtsfragen beschäftigen müssen, sondern auch Rechenfehler der Verwaltung nachrechnen oder sich mit umstrittenen tatsächlichen Fragen beschäftigen müssen wie z. B. das Einkommen der Eltern beim BAföG und vieles andere, was man alles vernünftigerweise im Vorverfahren hätte regeln können.

Die für uns entscheidende Frage ist: Welche Regelung ist bürgerfreundlicher, mit oder ohne Vorverfahren? - In diesem Zusammenhang bitte ich Sie jetzt, drei Fälle durchzudenken.

Der erste Fall ist, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt offensichtlich fehlerhaft ist. Dann besteht mit dem Widerspruchsverfahren die Chance, dass die Verwaltung den Fehler erkennt. Aus der Sicht des Betroffenen wäre dies ein Vorteil, weil er sich dann ein verwaltungsgerichtliches Verfahren spart, was bekanntermaßen manchmal Jahre dauern kann. - Das ist die erste Fallgruppe.

Die zweite Fallgruppe ist, dass der Verwaltungsakt, um den es geht, fehlerfrei ist, dass er also richtig ist. Dann besteht immerhin die Chance, dass die Widerspruchsstelle den Bürger überzeugt, bevor er

die Klage vor dem Verwaltungsgericht anstrengt. Das wird in einigen Fällen nicht gelingen, in einigen aber vielleicht doch.

Die dritte, interessanteste Fallgruppe sind für mich die zweifelhaften Fälle. Das sind diejenigen Fälle, bei denen der Verwaltungsakt nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Dann würde nach meiner Konstruktion das Verwaltungsgericht später die Rechtswidrigkeit feststellen. Wenn Sie sich einmal in diese Fallgruppe hineindenken, werden Sie zu dem Schluss kommen, dass es aus der Sicht des Bürgers einfacher ist, erst einmal im Widerspruchsverfahren zu versuchen, die Verwaltung zu überzeugen, um einen Prozess zu vermeiden. Ohne den Widerspruch haben die Bürgerinnen und Bürger nämlich gleich das volle Kostenrisiko; darauf ist schon hingewiesen worden. Nach dem Gerichtskostengesetz müssen nämlich gleich mit Prozessbeginn drei Gerichtsgebühren eingezahlt werden. Das ist im Ergebnis unsozial. Dies ist der Kern der Sache, um den es geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Bürger werden dann abgeschreckt, eine verwaltungsgerichtliche Klage zu erheben, weil sie nicht die Chance des Vorverfahrens haben. Im Ergebnis kommen weniger Bürger zu ihrem Recht. Ist es das, was Sie wollen?

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Oetjen das Wort.

Ganz herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns bereits im Ausschuss und im Rahmen der Anhörung intensiv mit dem Thema der Abschaffung der Widerspruchsverfahren auseinandergesetzt.

Als wir uns dafür entschieden haben, das zu machen - im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung wurde das ja diskutiert -, haben wir gesagt, dass wir das Thema evaluieren lassen wollen. Der Kollege Briese hat schon darauf hingewiesen, dass von den 174 Bereichen nur wenige Bereiche vorgeschlagen worden sind, bei denen man erwägen sollte, die Widerspruchsverfahren wieder einzuführen. Dies ist im Wesentlichen mit den gleichen Argumenten begründet worden, meine Damen und