Protocol of the Session on October 30, 2009

(Beifall bei der LINKEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das war wirklich zy- nisch!)

Herr Riese möchte antworten. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man soll gemeinhin nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun, aber in manchen Fällen soll man den ersten Schritt gar nicht tun. Ein Sanktionsmoratorium, wie es hier von mehreren Fraktionen gefordert wurde, lehnt die FDP ausdrücklich ab. Es geht überhaupt nicht ohne Sanktionen, weil dadurch völlige Fehlanreize für das Verhalten derjenigen gegeben würden, die diese öffentlichen Leistungen, in vielen Fällen sicherlich aus Notlagen heraus, erhalten möchten.

Wenn man feststellt, dass rechtliche Regelungen in hohem Maße streitbefangen sind, kann und muss man sich über die Weiterentwicklung dieser rechtlichen Regelungen unterhalten. Das ist richtig und geschieht ja auch regelmäßig. Aber wir sind gegen ein Sanktionsmoratorium.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Herrn Watermann für die SPD-Fraktion auf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns schon öfter über diese Situation unterhalten und mehrere gemeinsame Entschließungsanträge zu diesem großen Komplex auf den Weg gebracht. Die heutige Debatte kann man so führen, wie die Kolleginnen und Kollegen es vorher gemacht haben, indem man Zahlenwerke vergleicht und Bibelzitate vorträgt, die vollkommen deplatziert sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum geht es? - Sie müssen sich vielleicht auch einmal damit auseinandersetzen, wie wir das Gesetz gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Es geht um die betroffenen Menschen, die in einer schwierigen Situation sind, die früher in den Sozialämtern unter viel schlimmeren Sanktionen sehr gelitten

haben. Wir haben die beiden Systeme zusammengebracht. Dafür stehe ich, und deshalb rede ich hier auch für die Sozialdemokraten.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Die Gro- ße Koalition ist vorbei, Herr Water- mann!)

Wir sind diesen Weg gemeinsam gegangen. Er war richtig, weil er die Situation der Menschen, die in der Sozialhilfe gefangen waren, erheblich verbessert hat. Trotzdem reden wir heute darüber, dass wir auch mit diesem System nicht alles erreicht haben, was wir eigentlich gewollt haben. Das kann man nicht mit Statistiken belegen, sondern jeder von uns, wenn er denn einigermaßen verwurzelt ist, sollte sich draußen vor Ort ein Bild machen und sich - wenn er vielleicht nicht in Klassenräume gehen darf - zu den Bürgerinnen und Bürgern begeben, um zu hören, wo das System klemmt. Mit den Erkenntnissen daraus haben wir uns dann auseinanderzusetzen.

Wir haben es auch bei den Mitarbeitern, die in den ARGEn und in den Jobcentern beraten und fördern sollen, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen zu tun. Das haben die Kollegen hier bereits gesagt. Deshalb ist der erste entscheidende Punkt, dass wir für die Beschäftigungssituation derer, die fördern sollen, eine vernünftige Rechtsgrundlage schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sehr viele Bescheide nicht in Ordnung sind. Dies hat Gründe. Hier müssen wir Abhilfe schaffen, indem wir die jetzt bestehenden Systeme, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, absichern. Das, was Ihre Regierung in Berlin jetzt macht, können Sie mir nicht in die Schuhe schieben. Wir müssen das, was wir hier gemeinsam aus guten Gründen beschlossen haben, absichern und dürfen nicht zulassen, dass man zu diesem Unsinn mit zwei Trägerschaften zurückkehrt.

(Zustimmung von Wolfgang Jüttner [SPD])

Ich wette - am liebsten würde ich das mit dem Wirtschaftsminister tun; der ist aber nicht da -, dass die Optionskommunen nicht so durchzuschieben sind, wie Sie sich das vorstellen.

(Zustimmung bei der SPD)

Die werden vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben. Die nächste Klage kommt bestimmt. Dann haben wir dort dasselbe Problem.

Wir sollten uns im Ausschuss ernsthaft damit auseinandersetzen. Ich sage deutlich: Ohne Regeln geht es nicht - da bin ich bei Ihnen -, aber wir müssen uns darüber unterhalten, ob die Regeln vernünftig sind. Sie sind dann nicht vernünftig, wenn sie die Lebensexistenz von Jugendlichen bedrohen und bis in den Wohnraum hinein wirken. Es gibt viele kleine Beispiele, die belegen, dass die jetzigen Regeln nicht funktionieren.

Denjenigen, die das Moratorium wollen, sage ich: Wer glaubt, das sei so einfach, der ist unehrlich gegenüber denen, die Steuern zahlen oder kleine Jobs haben und von uns erwarten, dass das Steuergeld nur nach einem bestimmten Regelwerk ausgegeben wird und dass gleiche Regeln für alle gelten.

(Roland Riese [FDP]: Das ist richtig!)

Deshalb lassen Sie uns über die richtigen Regeln streiten! Ich weiß ja, Herr Kollege, dass Sie gelegentlich im Tor stehen und dann auch erwarten, dass der Fünf-Meter-Raum gesichert wird. Das zeigt: Es gibt keine Systeme ohne Regeln, und deshalb sollten wir uns hier auch nicht selber etwas vormachen, sondern ernsthaft mit der Situation umgehen.

Ich bin dabei, wenn wir das, was wir gut auf den Weg gebracht haben, nun auch bei der neuen Regierung gut fortsetzen, die ja nun nicht gerade als Tiger startet. - Ich würde bei Schwarz-Gelb ja eher an einen Tiger denken; aber Sie sind als Ente angekommen. - Wir konnten als einziges Landesparlament sagen, dass wir eine gemeinsame Linie gefunden haben. Vielleicht sagen Sie den Herren, die da jetzt groß am Rad drehen, dass sie das System in dieser Richtung ein bisschen nach vorne bringen. Denn ich glaube, dass es denen, die draußen vor Ort die Arbeit machen, sehr helfen würde. Ich erwarte deshalb eine spannende Debatte in der Sache, stelle aber auch die Anforderung: Es kann nicht sein, dass das, was wir gemeinsam wollten, jetzt einfach an einer neuen Regierung scheitert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Der Ausschuss für Soziales, Frauen und Familie soll sich mit dem Thema beschäftigen. Wer das so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Erste Beratung: Ablehnung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 7. Oktober 2009 „Sechstes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“ im Bundesrat und Neuverhandlung des Bundesanteils an der Finanzierung der Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose und ihre Familien für das Jahr 2010 - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1738

Frau Weisser-Roelle bringt den Antrag für die Fraktion DIE LINKE ein. Frau Weisser-Roelle, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In seiner letzten Sitzung am 7. Oktober 2009 hat das Kabinett Merkel/Steinmeier noch einen verhängnisvollen Entschluss gefasst. Wegen seiner immensen Bedeutung für Hartz-IVEmpfänger und -Empfängerinnen sowie für Kommunen bringen die Linken heute diesen Antrag ein. Wir fordern die Landesregierung auf, den Regierungsentwurf, der dem Bundesrat zugeleitet wurde, abzulehnen und im Zusammenwirken mit den Regierungen der anderen Bundesländer auf kommunalfreundliche Veränderungen hinzuwirken.

Worum geht es? - Nach dem Kabinettsbeschluss soll der im SGB II zu regelnde Beteiligungssatz des Bundes an den Kosten für Unterkunft für Langzeitarbeitslose und ihre Familien im Jahre 2010, also in acht Wochen, auf bundesdurchschnittlich nur noch 23,6 % fallen, für Niedersachsen sogar auf 23 %. In diesem Jahr beträgt die Bundesbeteiligung durchschnittlich noch 26 % sowie 25,4 % für Niedersachsen.

Die im Regierungsentwurf zum Sechsten Änderungsgesetz zum SGB II für das nächste Jahr vorgesehene Bundesbeteiligung ist aber bei Weitem nicht ausreichend, um die im SGB II verankerte jährliche Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro zu sichern. Reden wir Klartext! Nach Angaben des Deutschen Städtetages würden auf die Kommunen, wenn der Gesetzentwurf Rechts

kraft erhält, im nächsten Jahr 2 Milliarden Euro mehr an Unterkunftskosten als im Jahr 2009 zukommen. Für Niedersachsens Kommunen wären das 200 Millionen Euro mehr als noch im Jahre 2009.

Damit stehen die Kommunen vor einem finanziellen Kollaps. Bekanntlich haben die Kommunen inmitten der Krise bereits massive Gewerbesteuereinbrüche zu beklagen. Dazu kommen ihre erheblichen Steuerausfälle aus dem zum 1. Januar 2010 verbindlichen Abzug der Krankenversicherungsbeiträge von der Lohn- und Einkommensteuer. Hier in Niedersachsen kommt noch hinzu, dass die Kommunen im Jahre 2010 nach dem Haushaltsentwurf der Landesregierung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleiches über 500 Millionen Euro weniger als dieses Jahr erhalten sollen. Kommunale Selbstverwaltung verkommt damit immer mehr zur Farce.

Herr Schünemann soll endlich sein schon im Januar 2009 hier im Landtag abgegebenes Versprechen einlösen und sich beim Bund für den Einstieg in eine Reform der Gemeindefinanzen und die Wiederbelebung der Gewerbesteuer einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist für DIE LINKE nicht hinnehmbar, dass sich der Bund nach dem Regierungsentwurf vom 7. Oktober 2009 weiter aus der Finanzierung der Unterkunftskosten zurückziehen will und den Kommunen gleichzeitig neue Lasten in Milliardenhöhe aufgebürdet werden sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hintergrund für die unverantwortliche Absenkung des Bundesanteils an den Unterkunftskosten ist die derzeit geltende praxisferne Berechnungsformel für den Bundesanteil. Diese Berechnungsformel, die in der Begründung unseres Antrages detailliert dargestellt wird, orientiert sich nicht an der tatsächlichen Entwicklung der Unterkunftskosten in den Städten und Gemeinden. Sie orientiert sich indes sehr praxisfern an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften während eines Berechnungszeitraums, der übrigens 1,5 Jahre zurückliegt. Die Folge ist: Bei sinkender Anzahl der Bedarfsgemeinschaften sinkt automatisch die Quote der Bundesbeteiligung.

Aber eine sinkende Anzahl der Bedarfsgemeinschaften bedeutet nicht, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung ebenfalls weiter sinken. Im Gegenteil! Seit Februar 2009 ist bundesweit ein kontinuierlicher Anstieg der Kosten für Unterkunft

und Heizung zu verzeichnen. Diese Entwicklung wird sich inmitten der Krise weiter fortsetzen. Eine Ablösung der Berechnungsformel und ihre Ersetzung durch eine neue, die sich an den tatsächlichen Unterkunftskosten orientiert, ist daher dringend geboten.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Es ist sicherlich auch keine Überraschung, dass die kommunalen Spitzenverbände bei der Aushandlung der praxisfernen Berechnungsformel zwischen Bund und Ländern außen vor gelassen wurden. Sie durften nicht einmal, wie zu hören war, am „Katzentisch“ Platz nehmen.

Dieser Vorgang zeigt erneut, dass ein verbindliches Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände in dem Gesetzgebungsverfahren des Bundes und übrigens auch dem der Länder - Herr Minister Schünemann ist leider nicht da - überfällig ist.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ja, wo ist denn der Kommunalminister?)

- Das ist eine sehr gute Frage! - In Österreich beispielsweise wird dieses Recht den kommunalen Spitzenverbänden seit mehr als 15 Jahren in der Verfassung zugestanden. Die österreichische Bundesregierung würde niemals wagen, Gesetze, die die Belange der Kommunen berühren, ohne frühzeitige Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände zu verabschieden. Das muss auch in Deutschland so eingeführt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Die Landesregierung muss im Bundesrat den Regierungsentwurf ablehnen. Sie soll sich im Bundesrat gleichzeitig für eine Korrektur der Berechnungsformel einsetzen. Sie kann bei alledem zwischenzeitlich auf Unterstützung anderer Landesregierungen zählen, wie die Beratung im federführenden Sozialausschuss des Bundesrates Ende Oktober zu einem entsprechenden Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen zeigt.