Im Übrigen beantragen wir, dass dieser Antrag im Sozialausschuss und nicht im Kultusausschuss behandelt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Beratung.
(Uwe Schwarz [SPD], Björn Förster- ling [FDP] und Ursula Helmhold [GRÜNE]: Der Sozialausschuss soll zuständig sein!)
- Federführend im Sozialausschuss. Zusätzlich soll der Kultusausschuss zuständig sein. Sehe ich dazu Einvernehmen? - Danke. Dann ist das so beschlossen.
Erste Beratung: Bundesratsinitiative zur Aussetzung der Sanktionen für Hartz-IV-Beziehende (§ 31 SGB II) - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1736
Einbringen wird den Antrag Herr Humke-Focks von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Sanktionen handelt es sich laut Duden um Strafen bzw. Zwangsmaßnahmen. Was § 31 SGB II oder Hartz IV angeht, sollte uns allen klar sein, dass die darin definierten Sanktionen keine unmittelbaren Maßnahmen sind, um Menschen in Lohn und Brot zu bringen.
Im Gegenteil, existenzieller Druck motiviert nicht, sondern macht krank und verschlechtert die Chancen auf eine Reintegration in den Arbeitsmarkt.
Zudem ist auch die Verfassungsmäßigkeit bei einer Kürzung oder Streichung des Existenzminimums mindestens in Frage zu stellen, allein im Sinne von Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Die Massenarbeitslosigkeit ist strukturell verursacht und wird derzeit konjunkturell weiter verschärft. Es ist eine Tatsache, dass die reale Sanktionspraxis Elemente von Willkür enthält.
„Aufgrund der dezentralen Organisationsstrukturen ist es systembedingt, dass in den einzelnen Regionen eigenverantwortlich unterschiedliche Ansätze zur Eingliederung der SGB-IIHilfeempfängerinnen und -empfänger in Arbeit verfolgt werden. § 6 a SGB II sieht nach Wertung des Bundesgesetzgebers zudem ausdrücklich zur Erprobung und Weiterentwicklung alternativer Modelle der Eingliederung einen Wettbewerb auch in der unterschiedlichen organisatorischen Aufstellung der Leistungsträger vor Ort vor.“
Derartige Formulierungen sind aus unserer Sicht entlarvend. Ingmar Kumpmann vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle ist in einer Fachzeitschrift der Frage nachgegangen, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger einer zielgenauen Disziplinierung dienen. Das Institut ist im Übrigen in seiner Ausrichtung konservativ und neoliberal, insofern unverdächtig, automatisch Positionen der Partei DIE LINKE zu vertreten. Das ist wichtig.
Die Auswertung der regionsbezogenen Statistik ergab laut Kumpmann, dass die Anzahl der Sanktionen mit folgenden Faktoren korreliert: Erstens. Je geringer die regionale Arbeitslosenquote, desto höher die Sanktionsquote. Zweitens. Je jünger die Leistungsbezieher, desto höher die Sanktionsquote. Drittens. Je höher der Betreuungsschlüssel, desto höher die Sanktionsquote. Kumpmanns abschließende Bewertung lautet - ich zitiere aus seinem Artikel -:
„Angesichts der geringen Treffsicherheit und der besonderen Härte, die eine Kürzung der Grundsicherung unter das Existenzminimum individuell bedeutet, sollte darauf verzichtet und anderen Formen der Arbeitsanreize, etwa verbesserten Hinzuverdienstmöglichkeiten, der Vorzug gegeben werden“.
Die unterschiedlich aufgestellten Träger der Grundsicherung hingegen sind mit dem Sanktionsparagrafen § 31 SGB II in der Praxis häufig überfordert. Es existiert eine zunehmende Arbeits
belastung. Fallmanager sind oft - dies stellt man fest, wenn man sich die Anstellungsverhältnisse und die Verträge ansieht - fast prekär beschäftigt, und es herrscht eine hohe Fluktuation bei den Beschäftigten in den Jobcentern.
Die Prozess- und Widerspruchslawine aufgrund fehlerhafter Bescheide und deren hohe Erfolgsquoten haben wir in unserem Antrag bereits dargestellt. Deshalb verzichte ich, an dieser Stelle darauf einzugehen.
Schlimm ist, dass Widersprüche keine aufschiebende Wirkung haben. Soziale Zuschreibungen, wie „Arme Menschen sind potenzielle Kriminelle“, werden dadurch aus unserer Sicht zwangsläufig realer.
Die Fragwürdigkeit des Gesamtkomplexes Sanktionen zeigt sich auch intern. Die Bundesagentur für Arbeit hatte am 20. Dezember 2008 per Dienstanweisung klargestellt, dass die Verweigerung der Unterzeichnung einer Einigungsvereinbarung nicht mehr sanktioniert werden dürfe. Dennoch weist die Statistik der Bundesagentur in diesem Zeitraum etwas anderes aus.
Sanktionen gegen die Ärmsten stoßen auch immer mehr auf Akzeptanzprobleme in unserer Bevölkerung. Allein auf der Homepage „www.sanktionsmoratorium.de“ haben bis heute knapp 14 000 Menschen unterzeichnet, darunter auch viel Prominenz, natürlich auch Vertreter unserer Partei, auf deren Nennung ich an dieser Stelle verzichte. Aber es haben auch unterzeichnet: Dr. Heiner Geißler, Dr. Hans-Jürgen Marcus, der Diözesan-CaritasDirektor in Hildesheim, Sven Giegold (MdEP) von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth von den Grünen, Peter Hettlich (MdB) von den Grünen, Ottmar Schreiner (MdB) von der SPD, Hermann Scheer von der SPD, Pfarrer Peter Jankowski und - damit die Kultur nicht zu kurz kommt - auch von Günter Grass und Sebastian Krumbiegel - um die Spannbreite der Kulturschaffenden deutlich zu machen.
Tatsächliche Lösungsansätze zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit sind sehr komplex. Es ist auch wieder an der Zeit, dass wir über Arbeitszeitverkürzungen sprechen.
dungspolitik sprechen. Wir müssen das gegliederte Schulsystem abschaffen. Wir müssen den Binnenmarkt und damit auch die Kaufkraft wieder stärken. Man hätte auch - diese Möglichkeit hätten wir - ernsthaft über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor sprechen können; jedenfalls hätte man damit experimentieren können. Ergo: Wir haben gemeinsam das komplexe Problem zu lösen und nicht Sanktionen auf die Schwächsten abzuwälzen.
Für uns Linke ist das allerdings nur ein erster notwendiger Schritt. Ein zweiter liegt für uns in der sofortigen Anhebung der Regelsätze. Beides ist langfristig durch eine bedarfsdeckende soziale Mindestsicherung zu ersetzen, auf die alle Menschen einen Rechtsanspruch haben, die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, um ihren soziokulturellen Mindestbedarf zu decken. Diese Mindestsicherung ersetzt dann folglich die Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB II, die Grundsicherung nach SGB XII sowie das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Aussetzung der Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher ist dringend geboten. Wir bitten Sie daher um Unterstützung und um eine konstruktive Debatte im Ausschuss. Ich meine, wir können gemeinsam Verbesserungen für die Betroffenen erreichen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken bezieht sich auf eine Kleine Anfrage ihrer Bundestagsfraktion. Mit dieser Anfrage werden die Gründe und die Anzahl von Sanktionsmaßnahmen nach dem SGB II von der Bundesregierung abgefragt.
In der Antwort der Bundesregierung, nachzulesen in der Drs. 16/13577, werden die offiziellen Zahlen und die Gründe für die jeweiligen Sanktionen genannt. Der aufmerksame Leser reibt sich die Augen; denn abweichend von den offiziellen Antworten der Bundesregierung argumentiert die Fraktion DIE LINKE in Hannover mit anderen Zahlenwerten
und Prozentsätzen. Sie stellt dar, dass es auf Bundesebene 789 000 Sanktionen gemäß § 31 SGB II gibt. Die Bundesregierung teilt in ihrer Antwort mit, dass im Jahre 2008 insgesamt 741 000 Sperrzeitenentscheidungen getroffen worden sind. Davon entfielen auf Arbeitsaufgabe, also Selbstkündigung, ca. 182 000 Fälle, auf Meldeversäumnisse 213 000 Fälle und auf verspätete Arbeitssuchendmeldungen fast 295 000 Einzelfälle. Es sind also insgesamt 689 000 Fälle zu verzeichnen, die im Wesentlichen auf diese drei Gründe zurückzuführen sind.
Sie führen an, dass 37 % der Widersprüche in vollem Umfang stattgeben wurde. Die Bundesregierung macht deutlich, dass von den 741 000 Sperrzeitenentscheidungen lediglich 82 000 Fälle, also nicht einmal 10 % aller Fälle, in Widerspruch gestellt wurden. Von diesen sind lediglich 30 000 Widersprüche erfolgreich gewesen. Lediglich 5 000 Fälle - das sind 0,7 % der Gesamtzahl - sind als Klagefälle vor Gericht gegangen; davon waren 5,4 % erfolgreich. Wenn man das umrechnet, wird deutlich, dass wir hier eigentlich von völlig anderen Größenordnungen sprechen als denen, von denen der Kollege Humke-Focks geredet hat.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieser Aussagen und Vergleiche ist festzustellen, dass die Fraktion der Linken hier eine unverantwortliche Stimmungsmache betreibt. Sie argumentiert mit unseriösem, selbst gestricktem statistischen Zahlenmaterial. Ich finde das höchst unredlich.