In der letzten Wahlperiode hatte die schwarz-gelbe Landesregierung die Neugründung von Gesamtschulen ganz verboten. Dies konnte sie angesichts der immer größeren Zahl von Kindern und Jugendlichen, die abgewiesen werden mussten, weil sie keinen Platz an einer Gesamtschule bekamen, nicht durchhalten. Kurz vor der Landtagswahl hat der Ministerpräsident deshalb eine Lockerung versprochen. Sie alle erinnern sich.
2008 gab es zwar eine Lockerung des Neugründungsverbotes, aber die große Hürde der Fünfzügigkeit und das Verbot der gebundenen Ganztagsschule sollten dafür sorgen, dass die Nachfrage
nach Gesamtschulen doch im Rahmen und kontrollierbar blieb. Das Ergebnis: Die Eltern fühlten sich betrogen und die Kommunen als Schulträger unnötig bevormundet.
Aber auch dieser Versuch, Herr Wulff, die Gesamtschulen auszubremsen, ist Ihnen misslungen. Binnen kurzer Zeit gab es überall im Land wieder neue Gesamtschulgründungsinitiativen. Nicht zuletzt wegen des Desasters mit dem Turboabi stieg die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen immer mehr, auch bei den Eltern von Kindern, die für das Gymnasium empfohlen waren.
Das war wahrscheinlich der eigentliche Grund für die besonders perfide Idee, auf die der Ministerpräsident im Februar offensichtlich vom Philologenverband gebracht worden ist: Wenn die Gymnasien durch das Turboabitur gegenüber den Gesamtschulen zunehmend unattraktiv werden, dann muss eben auch den Gesamtschulen das Turboabi aufgezwungen werden. - Herr Ministerpräsident, auch wenn Sie heute mit aller Arroganz der Macht diesen Plan durchziehen wollen, ohne Rücksicht auf Verluste, selbst in Ihren eigenen Reihen, werden Sie auch mit diesem Plan scheitern, wie Sie überhaupt in der Schulpolitik vollständig versagen.
In Niedersachsen, Herr Ministerpräsident, tragen Sie allein die Verantwortung für das Desaster in der Schulpolitik. Was Sie mit Ihrer Ministerrochade angerichtet haben, trauen Sie sich jetzt nicht zu korrigieren. Sie haben aus parteitaktischen Erwägungen eine Ministerin in das so wichtige Amt der Kultusministerin berufen, die bereits als Justizministerin überfordert und erfolglos war.
Frau Heister-Neumann hat es letztes Jahr in Rekordzeit, nämlich in zwei Monaten, geschafft, mehr als 10 000 Menschen gegen sich auf die Straße zu bringen,
richtsversorgung und der Hauptschulen kriegen Sie die Probleme nicht in den Griff: weder die Probleme mit der Unterrichtsversorgung noch die nötige Weichenstellung für eine neue Schulstruktur der Zukunft in Niedersachsen.
Aber anstatt endlich die nötige Kurskorrektur vorzunehmen und die völlig überforderte Ministerin abzulösen, wechseln Sie den Staatssekretär aus. Jetzt soll der Reserveoffizier Dr. Althusmann einmal zeigen, wie man eine Schulpolitik durchsetzt, die niemand im Land will. „Ein Ex-Offizier als Feuerlöscher“ titelte die Nordsee-Zeitung am 10. Juni.
(David McAllister [CDU]: Ihre Arro- ganz ist unerträglich! So etwas Arro- gantes! Überhebliche Arroganz!)
Herr Ministerpräsident, Sie stellen Ihre persönliche Eitelkeit über das Recht der Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen auf bestmögliche Bildung, weil Sie das Gesicht wahren wollen.
In diesen Tagen bekommen wir wieder die Zahlen auf den Tisch, wie viele Kinder in Niedersachsen an Gesamtschulen keinen Platz bekommen haben. Es werden immer mehr, Her Wulff, jedes Jahr. Es kommen immer mehr Briefe, Tausende Petitionen gegen die Schulgesetznovelle, jede Woche Demonstrationen und Aktionen gegen Ihre Schulpolitik, im Moment sogar jeden Tag. Erfolg sieht anders aus, Herr McAllister, Herr Wulff. Das ist kein Erfolg!
Mit Schulpolitik, so heißt es, kann man keine Wahlen gewinnen, aber man kann damit Wahlen verlieren.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Ich kann Sie nur auffordern, Herr Wulff, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP: Legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab! Machen Sie endlich eine Schulpolitik, die sich an Bedarf und Fachverstand orientiert! Kommen Sie heraus aus Ihren Schützengräben, und machen Sie sich gemeinsam mit uns auf den Weg zu einer zeitgemäßen Neuausrichtung der Schulpolitik in Niedersachsen!
Danke schön. - Zu Wort gemeldet hat sich unser fraktionsloses Mitglied, Frau Wegner. Sie haben für zwei Minuten das Wort. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An der hohen sozialen Selektivität des deutschen Bildungswesens im internationalen Vergleich hat sich seit den ersten PISA-Studien nichts Grundsätzliches geändert. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Solange Sie krampfhaft versuchen, das dreigliedrige Schulsystem zu konservieren, wird das auch so bleiben. Der durch Ihre Politik verursachte Mangel an Lehrkräften, der Unterrichtsausfall, die überfüllten Klassen, der schleppende Ausbau der Ganztagsschulen - all das wirkt natürlich in die gleiche Richtung.
Was die Schule nicht leistet, muss Nachhilfe abdecken. Der Nachhilfemarkt in Deutschland ist ein Milliardengeschäft. Straff organisierte Firmen beherrschen den Markt. Auch Obskuranten wie Scientology und Neonazis versuchen dort ihr Glück. Hoffentlich hat unser allseits wachsamer Minister Schünemann darauf genauso ein Auge wie z. B. auf mich.
Die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre wird hier Folgen haben. Die Integrierte Gesamtschule ist die einzige Schulform, die von ihrer Struktur her geeignet ist, der sozialen Selektion entgegenzuwirken. Fünf Jahre lang haben Sie den erklärten Elternwillen und den Wunsch vieler Schulträger missachtet und jede Neugründung blockiert. Nun wollen Sie die IGS zwingen, diesen Wahnsinn der Schulzeitverkürzung mitzumachen und damit ihr bewährtes integratives System zu zerschlagen -
wiederum gegen Massenproteste der Betroffenen. Aus Gründen der Gleichbehandlung, sagen Sie - welch ein Zynismus! : Gleichbehandlung zur Verschärfung der sozialen Ungleichheit.
Nun soll Herr Dr. Althusmann die Wogen glätten. Wir alle wissen, was das bedeutet. Die Landesregierung setzt zur Durchsetzung ihrer Schulpolitik „Panzer“ ein.
Für die Fraktion der Linken hat sich Frau Reichwaldt zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute die Schulgesetznovelle und die thematisch damit im Zusammenhang stehenden Anträge bzw. den Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen in der zweiten Beratung. Die zweite Beratung sollte eigentlich die abschließende Beratung eines Gesetzes sein. Doch in diesem Fall, meine Damen und Herren, verspreche ich Ihnen, dass die Debatte hier keineswegs der Abschluss ist.
Im Gegenteil: Wenn wir nachher das Gesetz beschließen sollten, ist es zwar eine parlamentarische Niederlage für die Integrierten Gesamtschulen. Doch diese Schulform wird sich trotz aller Hürden, die Sie ihr in den Weg zu legen versuchen, flächendeckend in Niedersachsen durchsetzen.
Ich verspreche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, Ihnen, Herr Ministerpräsident Wulff, und Ihnen, Herr Dr. Althusmann, dass Sie sich mit diesem Thema weiterhin auch im Parlament auseinandersetzen müssen. Meine Fraktion wird sich weiterhin für längeres gemeinsames Lernen, für integrativen Unterricht und gegen soziale Selektion im Schulsystem einsetzen.
(David McAllister [CDU]: 14 oder 15 Jahre für jeden, Frau Reichwaldt? - Karl-Heinz Klare [CDU]: So lange, wie sie gebraucht hat!)
Das heißt, wir werden weiterhin für die Integrierte Gesamtschule kämpfen. Mit der Fortsetzung der Debatte erhalten Sie auch - - -
- Haben Sie Ihren Dialog beendet? - Dann kann ich weiterreden. - Mit der Fortsetzung der Debatte erhalten Sie dann auch die Chance, doch noch zur Einsicht zu kommen, Ihre eigenen Fehler zu korrigieren und Ihre eigenen Lernblockaden einzureißen, um einmal das Motto des derzeit stattfindenden Bildungsstreiks auf Sie anzuwenden.
Sie haben in den vergangenen fünf Wochen seit der Einbringung Ihres Gesetzentwurfs ein Musterbeispiel dafür abgeliefert, was man sich alles leisten kann, wenn man die Mehrheit hat. Dann kann einem die Meinung von Betroffenen egal sein, die Meinung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Verbänden, Institutionen und sonstigen Zusammenschlüssen, von Jung und Alt, von Menschen, die noch in der Schule sind oder deren Kinder in der Schule sind. Alles wird von Ihnen ignoriert.