Zweite Beratung: a) Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines regional ausgeglichenen vollständigen Schulangebots - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 16/902 - b) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes - Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/1206 - c) Bildungswege in allen Schulen offenhalten - Gesamtschulgründungen fördern und nicht behindern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/886 - d) Restschulen verhindern - Gleiche Bildungschance für alle Kinder sichern - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/890 - e) Ausbau von Ganztagsschulen jetzt erforderlich - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/900 - f) Das Chaos in der Schulpolitik stoppen - Unterrichtsversorgung sichern, Schulen zukunftsfähig aufstellen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1035 - g) Durchlässigkeit fördern - Turboabitur an Gesamtschulen stoppen! - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1046 - Be
Der Kultusausschuss empfiehlt Ihnen, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 16/1206 - Punkt b - mit Änderungen anzunehmen, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in der Drs. 16/902 - Punkt a - für erledigt zu erklären und die Anträge der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DIE LINKE in den Drs. 16/886, 16/890, 16/900, 16/1035 und 16/1046 - Punkte c bis g - abzulehnen.
Wir kommen jetzt zur allgemeinen Aussprache. Ich rufe jetzt die erste Rednerin auf: Frau Kollegin Heiligenstadt von der SPD-Fraktion, Sie haben das Wort.
(Frauke Heiligenstadt [SPD] betritt das Redepult mit einem Stapel Unter- lagen, der mit einer roten Schleife zu- sammengebunden ist - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist aber eine schö- ne rote Schleife! - Unruhe)
- Ich habe gerade so schön gesagt: Frau Kollegin Heiligenstadt, Sie haben das Wort. Das haben aber nicht alle Kolleginnen und Kollegen gehört.
Herr Bartling hat das noch nicht ganz mitbekommen. Herr Bartling, bitte setzen Sie sich, genauso Herr Kollege Lies, wenn Sie zuhören möchten. - Herzlichen Dank.
- Herr Bode, ja genau, den habe ich gar nicht gesehen. Danke schön, Herr Kollege Wulf, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird die Mehrheit dieses Hauses voraussichtlich das heftig umstrittene Schulgesetz beschließen.
Die Regierungsfraktionen haben das Maßnahmenpaket, das den Schulen in unserem Land droht, „Bildungsland Niedersachsen“ getauft. Doch was geschieht tatsächlich nach Inkrafttreten dieses Gesetzes, wenn es die Mehrheit heute so beschließt? - Sie bauen die Vollen Halbtagsschulen ab und nehmen den Kindern fünf Stunden Unterricht in der Woche weg!
Sie schaffen das Abitur nach 13 Jahren an Gesamtschulen ab und nehmen den Gesamtschulen und Gesamtschülern ein ganzes Jahr Unterricht weg!
Ferner bauen Sie die Allgemeinbildung an der Realschule und der Hauptschule ab und lassen unterschiedliche Entwicklungen im ganzen Land Niedersachsen zu, sodass Hauptschulen und Realschulen Bildungsangebote nur noch nach Kassenlage machen dürfen.
Wissen Sie, wie ich solch ein Gesetz nenne? - Das ist nicht ein Gesetz für das Bildungsland Niedersachsen, sondern das ist ein Gesetz zum Abbau von Bildungsqualität und Bildungschancen.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz hat trotz der einmalig kurzen Beratungszeit in diesem Parlament viele Opfer gefordert. So ist der CDUFraktion nicht nur ihre bildungspolitische Sprecherin, Frau Körtner, verlustig gegangen, sondern auch der Staatssekretär Uhlig hat seinen Posten zugunsten von Herrn Dr. Althusmann räumen müssen, der jetzt das regeln soll, was die Kultusministerin zu regeln nicht in der Lage ist.
Die Mitarbeiter der Landesschulbehörde und des Kultusministeriums werden Zeitungsberichten zufolge von Vertretern der Regierungsfraktionen als „Saftladen“ oder „Schweizer Käse“ beschimpft. Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Sie haben die Gewaltenteilung in diesem Lande immer noch nicht begriffen: Das Parlament bestimmt, wer die Politik macht und welche Politik gemacht wird, nicht die Mitarbeiter der Ministerien und nicht die Landesschulbehörde!
Noch ein persönliches Wort: Die Mitarbeiter von Behörden und Ministerien als Prellbock für eine verfehlte Bildungspolitik zu nutzen, finde ich sehr schäbig.
Meine Damen und Herren, Sie statten die Landesschulbehörde mit immer weniger Personal aus und geben ihr gleichzeitig immer neue Aufgaben, die dort gar nicht mehr geschafft werden können. Sie sorgen mit einem mit heißer Nadel gestrickten Gesetz für ein Bildungsdesaster und dafür, dass das Ministerium mit seinen Fachleuten im Grunde genommen nur noch nacharbeiten kann. Sie umgehen die ordentlichen einzuhaltenden Fristen bei einem Gesetzgebungsverfahren, indem Sie einen von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf als Gesetzentwurf der Landtagsfraktionen bezeichnen, und übernehmen dann - mit Ausnahme von Frau Körtner - nicht die Verantwortung für dieses Chaos.
Ich frage Sie: Wer ist bei Ihnen bereit, ehrlich und offen die Verantwortung für das zu übernehmen, was Sie jetzt Eltern, Schülern und Lehrern aufdrücken? - Es ist niemand da. Fehlanzeige! Stattdessen beschimpfen Sie lieber die Mitarbeiter der Ministerien und der Landesschulbehörde. Die Verantwortlichen schlagen sich in die Büsche, und diejenigen, die die Suppe auslöffeln müssen, werden von den Verursachern dieser Politik auch noch beschimpft.
Wir sagen dagegen ganz deutlich: Sie klauen den Kindern im Lande Niedersachsen ihre Bildungschancen und schreien anschließend auch noch „Haltet den Dieb!“.
Was findet zurzeit im Lande konkret statt? - Die CDU-Basis widerspricht in Resolutionen und Briefen ihrer Landtagsfraktion. Viele CDU-Mitglieder vor Ort wenden sich mit Grausen ob des bildungspolitischen Blindflugs ihrer Landespolitiker ab. Kreistage und Stadträte beschließen einstimmig, dass sie für ihre Gesamtschulen oder Vollen Halbtagsschulen den derzeitigen Status erhalten wollen. Und wofür das alles? - Für ein Gesetz, das die Bildungsqualität in Niedersachsen abbaut.
Der Name Ihres Maßnahmenkatalogs „Bildungsland Niedersachsen“ klingt wie Hohn in den Ohren der vielen engagierten Eltern, Schüler und Lehrer.
Wir haben an vielen Veranstaltungen - auch abends -, Diskussionen und Aktionen vor Ort teilgenommen.
Das, was die Eltern, Lehrer und Schüler am meisten verärgert, ist, dass Sie sie nicht ernst nehmen, dass Sie sogar die Demonstranten als hysterisch und überzogen bezeichnen, dass Sie den Leuten ein „Bildungsland Niedersachsen“ vorstellen und in Wirklichkeit Bildungsabbau betreiben, dass Sie ein Pseudoanhörungsverfahren durchführen und nicht auf ein einziges Argument in diesem Anhörungsverfahren eingehen, dass Sie sich nicht genügend Zeit für eine ordentliche Teilhabe an der Auseinandersetzung über den besten Weg für eine gute Bildung in Niedersachsen nehmen, dass Sie Tausende von Briefen, E-Mails, Unterschriften, Petitionen ignorieren und sich einfach darüber hinwegsetzen.
Jeder in diesem Land weiß, dass das, was Sie heute beschließen werden, nur dem verzweifelten Stopfen von Lücken in der Lehrerversorgung und dem krampfhaften Festhalten an Ihrem ideologisch geprägten Bildungsverständnis dient.
Mit diesem Gesetzentwurf opfern Sie die Vollen Halbtagsschulen im Lande für ganze zusätzliche 90 Vollzeitlehrereinheiten, die Sie dann an den Gymnasien einsetzen wollen. Sie spalten die Schülerschaft an den Gesamtschulen, indem sie aufgrund des Turboabiturs nur noch in unterschiedlichen Kursen unterrichtet werden können.
Damit vernichten Sie ein erfolgreiches pädagogisches Konzept. In jedem Fall entziehen Sie diesem erfolgreichen Konzept - dies beweisen die Gesamtschulen in Niedersachsen auf eindrucksvolle Weise - an den Integrierten Gesamtschulen den Boden, weil nun die Leistungsstarken aufgrund der KMK-Vorgaben in der Sekundarstufe I 13 Stunden zusätzlich unterrichtet werden müssen. Damit zerstören Sie die wichtigste Säule für Gesamtschulen: die hohe Durchlässigkeit in allen Jahrgängen.
Noch nicht einmal als Maßnahme zur Sicherung der Unterrichtsversorgung taugt dieses Turboabitur an den Gesamtschulen; denn Sie brauchen zusätzliche Lehrer bis 2018.
(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie haben doch eben noch gesagt, wir stehlen denen ein Jahr! Sie müssen sich mal überlegen, was Sie sagen!)