Protocol of the Session on March 26, 2009

Das ist völlig illegitim und zeigt, dass Ihre gesamte Studiengebührenpolitik eine Farce und ein Betrug an den Studierenden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nun zum Thema. Die Landesregierung versucht, in der Antwort auf die Große Anfrage auf über 102 Seiten darzulegen, welche riesigen Fortschritte bei der Hochschulöffnung dokumentiert werden können. In der Tat werden Sie wahrscheinlich ein paar Zahlen finden, die zeigen, dass Niedersachsen im Bundesvergleich in einzelnen Teilbereichen ganz gut dasteht. - So weit zu dem von Herrn Stratmann erbetenen Lob.

(Lachen bei der CDU und bei der LINKEN)

Doch entscheidend ist, dass alles auf einem äußerst niedrigen Niveau geschieht. Die Landesregierung stellt selbst fest, dass es - ich zitiere - „nicht gelungen ist, Bildungschancen und soziale Herkunft zu entkoppeln.“ In Zahlen ausgedrückt heißt das - ich zitiere erneut -: „Von den Studierenden im Sommersemester 2006 haben bundesweit 62 % der Eltern einen hohen oder gehobenen sozialen Status, 38 % der Eltern haben einen hohen sozialen Status. Dieser Anteil ist im Vergleich zu den Vorjahren stetig gestiegen. Bei gleichbleibendem Prozentsatz der Eltern mit gehobener sozialer Einstufung ging diese Entwicklung zulasten des Anteils an Studierenden aus Familien mit niedrigem sozialem Status." Diese Einschätzung der Landesregierung wird durch eine andere Zahl bestätigt: In Niedersachsen haben 39 % der Eltern einen Hauptschulabschluss. Es gibt aber nur 14 % der Studierenden, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben. Diese Bevölkerungsgruppe ist deutlich unterrepräsentiert. Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Bildungschancen werden vererbt. Das hängt nicht damit zusammen, dass Kinder von Hauptschuleltern dumm geboren werden. Es sind unsere gesellschaftlichen Strukturen, die dazu führen, dass sie in ihrem Leben von Anbeginn an weniger Chancen haben. Man könnte hier auch einmal über Kapitalismus an sich und Bildungschancen im Kapitalismus sprechen.

(Zurufe von der CDU: Bitte nicht!)

Die materiellen Umstände der Eltern und das eventuell schwierige soziale Umfeld, in dem die Kinder aufwachsen, führen bereits zu eindeutigen Startnachteilen in der Schule. In diesem im wahrsten Sinne des Wortes asozialen Schulsystem werden die Kinder aus bildungsfernen Schichten weiter strukturell benachteiligt und diskriminiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir über Hochschulzugang und Bildungschancen reden, dürfen wir also nicht nur auf den Übergang von der Schule zur Hochschule schauen, sondern müssen ganz unten anfangen: bei der frühkindlichen Bildung, dem Übergang in die Grundschule und dem völlig falschen Aussieben der Kinder in einem Alter von zehn Jahren in verschiedene Schulformen. Hier sind bereits die Grundsteine für Bildungsungerechtigkeit gelegt. Deshalb muss das Bildungssystem insgesamt umgekrempelt werden.

Herr Stratmann, ich bitte Sie hierzu, einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass es die Linke überhaupt nicht geben würde, wenn SPD und Grüne in der Vergangenheit alles gut gemacht hätten.

(Beifall bei der LINKEN)

Hören Sie daher bitte auf, uns mit der SPD und den Grünen in eine Schublade zu werfen. Wir haben viele andere Vorstellungen. Das Entscheidende ist: Unsere Vorstellungen sind noch nicht in die Praxis umgesetzt worden.

(Zuruf von der CDU: Daran sind wir doch nicht auch noch schuld, oder?)

Für die Hochschulen und die Hochschulpolitik hat diese soziale Schere vor allem drei Konsequenzen.

Zum Ersten brauchen wir eine gut strukturierte und sinnvoll aufgebaute Studieneingangsphase, in der die aus einem nicht akademischen Elternhaus stammenden Studierenden begleitet und in die Eigentümlichkeiten wissenschaftlichen Arbeitens sowie die Arbeitsabläufe einer Hochschule eingeführt werden.

Zum Zweiten brauchen wir keine Eignungstests oder sonstigen Formen der subjektiven Studierendenauswahl. Eine Hochschulzugangsberechtigung muss eine Zugangberechtigung bleiben und darf nicht zu der Berechtigung verkommen, sich an einer Hochschule zu bewerben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Landesregierung hat sich selbst in der Antwort auf die Große Anfrage das Ziel gesetzt - ich zitiere wieder -, „in den kommenden Jahren jeder und jedem Studierwilligen einen Studienplatz ihrer bzw. seiner Wahl anzubieten“. Ich frage mich an dieser Stelle allerdings schon, wie Sie das bewerkstelligen wollen. Zum Beispiel wird ein Studierwilliger, der seinen Bachelor mit 2,7 abgeschlossen hat, nicht in das Masterstudium wechseln dürfen. Vielleicht sollten wir in dieser Legislaturperiode doch einen neuen Versuch starten, einen Gesetzentwurf zum freien Zugang zum Masterstudium einzubringen; denn früher oder später werden Sie alle zusammen Ihre Linie hier korrigieren müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Dritten brauchen wir eine Reform der Studienfinanzierung. Nach unserer Überzeugung leisten die Studierenden wertvolle Arbeit. Wer arbeitet, soll bezahlt werden und nicht selbst bezahlen müssen. Also weg mit den Studiengebühren, auch mit dem Darlehensangebot der NBank, und weiteren Abschreckungsmechanismen vor dem Studium! Kein Mensch will mit einem Schuldenberg von 15 000 Euro ins Berufsleben starten. Hier werden besonders die sozial Schwachen und die Angehörigen der bildungsfernen Schichten benachteiligt. In diesen Familien wird der Widerstand gegen ein Linguistikstudium mit Sicherheit größer sein als in einer Kunsthistorikerfamilie.

Neben der Abschaffung der Studiengebühren ist eine schnelle Reform des BAföG erforderlich. Wir brauchen eine sichere elternunabhängige Grundfinanzierung für alle Studierenden. Diese Grundfinanzierung setzt sich zusammen aus Kindergeld und Freibeträgen, die bislang an die Eltern gehen. Für sozial Bedürftige gibt es zusätzlich weitere finanzielle Unterstützung, und zwar als Vollzuschuss - als Vollzuschuss, Herr Stratmann - und nicht wie bisher als hälftigen Kredit. Studierwillige dürfen nicht durch die Angst vor Verschuldung vom Studium abgeschreckt werden.

Wenn Sie endlich unsere Ideen eines gerechten Steuersystems umsetzten würden,

(Oh! bei der CDU)

würden die Akademiker der Gesellschaft diesen Vertrauensvorschuss auch auf Heller und Pfennig zurückzahlen - allerdings erst dann, wenn sie im Arbeitsleben stehen und es sich leisten können.

Ich fasse zusammen: Um wirklich Bildungschancen zu verbessern und die soziale Schere zu schließen, brauchen wir eine gemeinsame Schule

für alle, individuelle Fördermöglichkeiten, eine Abschaffung jeglicher Form von Studiengebühren und eine Reform der Studienfinanzierung. Die Landesregierung torpediert hingegen die Gesamtschulen, nimmt die Lehrkräfte an die Kandare, bejubelt die Studiengebühren und schweigt zur Studienfinanzierung. Mit diesen Rezepten werden Sie auch in den nächsten Jahren noch feststellen können, dass es - Zitat - „nicht gelungen ist, Bildungschancen und soziale Herkunft zu entkoppeln.“

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Nacke von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Möhle, zunächst einmal von dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede in diesem Hause an Ihrem heutigen Geburtstag.

(Zuruf von der SPD: Er hat schon einmal geredet!)

- Er hat schon einmal geredet? Dann war es seine erste Rede zur Hochschulpolitik. Sehen Sie mir das bitte nach. Frau Kollegin Andretta hat mir also auch dort eine falsche Information gegeben.

(Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Ich bedanke mich herzlich für Ihre Erklärung, dass ich nach Ihrer Auffassung kein Skandal bin. Das freut mich natürlich. Sagen Sie es trotzdem nicht zu oft; denn sonst bekomme ich in meiner eigenen Fraktion Schwierigkeiten. Das würde ich gern vermeiden.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Außerdem bedanke ich mich noch einmal für die Anfrage. Es war eine Fleißarbeit, diese Fragen überhaupt zusammenzutragen und zu strukturieren. In der Haushaltsdebatte habe ich schon gesagt, dass ich auf die Antwort sehr gespannt bin.

Verehrter Herr Minister, ich schließe mich natürlich auch dem Dank an Sie und vor allen Dingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die das alles zusammengetragen haben. Viele dieser Informati

onen werden wir in zukünftigen Besprechungen und Debatten rund um die Hochschulpolitik sicherlich brauchen können und irgendwann auch fortschreiben müssen.

Nun enthalten auf über 100 Seiten gegebene Antworten auf 114 Fragen sehr viele Informationen. Jeder findet eine Zahl - das haben die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition hier auch gut zelebriert -, bei der man meint, sie so auslegen zu können, dass sie im Ergebnis zu dem passt, was man vorher schon gesagt hat.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ha- ben wir von Ihnen gelernt!)

- Es wäre schön, wenn Sie von uns ein bisschen etwas gelernt hätten, Frau Kollegin. Dann wären Sie nicht ganz umsonst hier.

Ausweislich vieler Kerndaten ist die Struktur in Niedersachsen besser als in Deutschland; der Bildungsstand in Deutschland ist besser als in den OECD-Staaten - Antwort auf Frage 2. Studienanfänger werden jünger - Antwort auf Frage 4. Übereinstimmung bei den Geschlechtern an den Hochschulen ist gegeben - Antwort auf Frage 6. Wir haben etwas mehr Frauen an den Universitäten - Antwort auf Frage 17. Die Zahl der Absolventen steigt - Antwort auf Frage 10.

Das sind nur einige Beispiele, an denen man erkennen kann, dass wir in Niedersachsen auf einem richtigen und sehr guten Kurs sind. Deswegen können Sie, was ich auch verstehe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mit dem Ergebnis dieser Anfrage und den gelieferten Zahlen nicht zufrieden sein; denn im Ergebnis folgen die statistischen Daten natürlich nicht Ihrer Ideologie, insbesondere hinsichtlich der Studienbeiträge. Die Barrieren an den Universitäten, die Sie immer gern herbeireden möchten, sind so nicht gegeben. Insofern ist es überraschend, an dieser Stelle zu hören, dass sich ausgerechnet Vertreter der SPD für jedes Kind einen Beamtenvater wünschen. Diese Information ist auch neu, Herr Möhle.

Insgesamt darf man sagen, dass Niedersachsen bei der Hochschulpolitik auf dem richtigen Weg ist. Ich nenne nur den Hochschulpakt 2020 mit der Frage, wie wir die Universitäten zukunftsfest machen und sie mit Studienplätzen und Finanzen ausstatten, und den Zukunftsvertrag, den die Landesregierung in Niedersachsen mit den Hochschulen abgeschlossen hat, um ihnen erstmals über mehrere Jahre eine Planungssicherheit zu geben, damit sie wissen, wie sie finanziell ausgestattet

sein werden, worin natürlich auch das Aufkommen für die Hochschulen aus den Studienbeiträgen eingeschlossen ist.

Die Offene Hochschule, also der Hinweis, dass jeder die Chance bekommen soll, an den bisher erreichten Bildungsstand, die bisherigen Abschlüsse und, was noch viel wichtiger ist, auch dort, wo kein Abschluss erzielt werden konnte, Anschlussmöglichkeiten zu haben, der Verzicht auf Sackgassen und stattdessen immer weitere, neue, offene Wege sowie Teilzeitstudiengänge - wie aus der Statistik hervorgeht, ist alles das hochattraktiv für nicht traditionelle Studienanfänger, also jene, die nicht das Abitur auf dem traditionellen Wege als Hochschulqualifikation erworben haben. In diesem Zusammenhang nenne ich auch die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen.

Alles das zeigt, dass die Hochschulpolitik in Niedersachsen auf einem hervorragenden Weg ist. Das können wir an diesen ganzen Zahlen ablesen. Es ist höchst bedauerlich, dass von den Oppositionsparteien versucht wird, dies schlechtzureden. Wir kennen das aber auch nicht anders; so etwas haben wir schon öfter gehört.

Es ist auch völlig klar, dass wir an dem Ziel festhalten wollen, die Studienanfängerquote zu steigern. Der Minister hat aber völlig zu Recht gesagt, dass dies nicht auf Kosten der Qualität erfolgen darf. Das ist ganz wichtig. Man muss natürlich auch überlegen, was überhaupt zukunftsfähig ist. Was rechtfertigt es, an dieser Stelle verstärkte Bemühungen zu unternehmen?

Wir haben 5 000 freie Studienplätze, beispielsweise in den Ingenieurstudiengängen. Dort bräuchten wir nach Auffassung aller mehr Studierende und machen auch entsprechende Angebote. In diesen Studiengängen sind Bewerber in Niedersachsen herzlich willkommen. Sie können jederzeit anfangen, zu studieren. Was nützt es uns denn - das darf ich sagen, weil ich selbst Jura studiert habe -, noch weitere Juristen auszubilden, die der Markt im Moment möglicherweise gar nicht aufnehmen kann? - Damit würden wir den jungen Menschen keinen Gefallen tun. Wenn wir nur Billigstudiengänge einführen, kommen wir an dieser Stelle nicht weiter.

Insofern wundert mich auch, dass das Ganze hier als schlechter Witz bezeichnet wird, Frau HeinenKljajić. Dann wird auch noch die Relation zwischen Studierenden und Professoren, die besonders gut ist, kritisiert

(Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE]: Das habe ich nicht kritisiert!)