Protocol of the Session on March 25, 2009

Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, dass eine solche Diskussion viel zu eindimensional ist.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sorgen Sie doch für Mehrdimensionalität!)

Und dann kommt auch noch der Erklärungsversuch, in England habe man das verboten, und daraufhin gab es keine Amokläufe mehr! Ich halte es für völlig abwegig, das miteinander in Verbindung zu bringen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einige Beispiele zitieren, wie man angemessen mit diesem Thema umgeht. Nach dem schlimmen Vorfall in Erfurt:

„Ich bin erschüttert gewesen über den Tatbestand, dass die Eltern nicht

wussten, dass der junge Mann ein halbes Jahr nicht mehr zur Schule gegangen ist.“

Das ist ein Punkt, auf den wir gucken müssen, wenn wir so etwas in Zukunft vermeiden wollen.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Sehr richtig!)

Dabei geht es um Familie und auch um Schule. Unter wesentlicher Beteiligung von Niedersachsen hat sich die Ministerpräsidentenkonferenz einen Bericht vorlegen lassen, der in mehreren Monaten erarbeitet worden ist. Von Waffen steht da überhaupt nichts drin. Vielmehr heißt es dort:

„Notwendig sind Angebote zur Erhöhung der Erziehungskompetenz und Unterstützungsmaßnahmen bei der Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe, wobei insbesondere den veränderten Familienstrukturen Rechnung zu tragen ist.“

Da ist von Familienzentren die Rede, die wir hier gefordert haben, die aber leider nie in Gang gekommen sind.

Ein zweites Zitat:

„Es ist darüber hinaus erforderlich, dass sich die Schule für neue, über den eigentlichen Unterrichtsauftrag hinausgehende Angebote z. B. im Sinne der Ganztagsbetreuung öffnet und damit stärker als bisher eine familienunterstützende Funktion wahrnehmen kann.“

Das ist der Ansatzpunkt, meine Damen und Herren. Das Diskutieren über das Verbot von Waffen oder Killerspielen ist nur ein kleiner Ausschnitt, der dem Problem nicht gerecht wird.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP - Stefan Wenzel [GRÜ- NE]: Monokausale Erklärungen sind ein Problem!)

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist Herr Oetjen von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland trauert nach dem tragischen Unglück in Winnenden. Unsere Gedanken sind bei

den Familien der Opfer. Wir sollten die dortigen Vorgänge mit Respekt untersuchen. Wir sollten aber nicht in Aktionismus verfallen und eine eindimensionale Lösung für dieses schwerwiegende Problem suchen. Wir sollten auch nicht so tun, als ob es nur am Waffenrecht läge, dass so etwas wie in Winnenden passiert. Das, sehr verehrter Herr Kollege Adler, kann für uns auf keinen Fall die Antwort sein.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte auch ganz deutlich sagen, Herr Kollege Adler, dass das, was Sie hier in Bezug auf Kosovo zum Ausdruck gebracht haben, der Debatte in keiner Weise angemessen ist.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Helmhold?

Ich bin auch sehr skeptisch, dass die Vorschläge, die gerade die Grünen nach dieser Tragödie natürlich medien- und öffentlichkeitswirksam unterbreitet haben, tatsächlich dazu führen würden, dass so etwas verhindert wird.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Besser als nichts zu machen!)

Das deutsche Waffenrecht ist mittlerweile sehr restriktiv. Es wurde 2002 und 2008 geändert. Gerade der niedersächsische Innenminister hat sehr zielgerichtet an der letzten Novelle 2008 mitgearbeitet. In Deutschland haben Personen unter 21 Jahren überhaupt keine Möglichkeit, großkalibrige Waffen zu erwerben. Unter 25 Jahren braucht man ein psychologisches Zeugnis. Das muss man auch einmal deutlich sagen.

Auch wenn das Waffenrecht Regelungen, wie Sie sie fordern, enthielte: Keine Regelung würde verhindern, dass so etwas nicht trotzdem passiert. Deswegen müssen wir neben den legalen Waffen auch die illegalen Waffen, die in Deutschland zuhauf im Umlauf sind, betrachten.

Wir müssen die Jägerinnen und Jäger und die Schützen als Partner gewinnen, um diejenigen, die Waffen nicht ordnungsgemäß aufbewahren, dazu zu bringen, genau dies zu tun. Denn eine ordnungsmäßige Aufbewahrung verhindert, dass Waffen für Attentate und Amokläufe genutzt werden.

Wir sollten jetzt sachlich und in aller Ruhe über die vorliegenden Vorschläge diskutieren, was man tun kann, um so etwas möglichst zu verhindern. Der offene Brief der Eltern hat mich sehr berührt. Aber ich sage noch einmal: In erster Linie ist das nicht ein Problem des Waffenrechtes, sondern ein gesellschaftliches Problem, an dem wir alle gemeinsam arbeiten müssen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Herrn Rolfes von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vor zwei Wochen war es, am 11. März 2009 gegen 9.30 Uhr. Da beging der 17jährige Tim K. in der Albertville-Realschule in Winnenden gezielt seine grauenhafte Tat. Unser tiefes Mitgefühl gehört allen, die ihre Kinder, Familienangehörigen und Freunde aufgrund dieser entsetzlichen Tat verloren haben. Unsere Anerkennung gilt all denen, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens Schlimmeres vereitelt haben. Lehrerinnen und Lehrer, Helfer und Polizisten haben in hervorragender Weise reagiert.

Die ersten Reaktionen der Öffentlichkeit waren Fassungslosigkeit, Trauer, Wut, Bestürzung und natürlich eine tiefe Anteilnahme. Es bleiben aber die immer wieder quälenden Fragen: Warum konnte es zu einer solchen Schreckenstat wie dem Amoklauf von Winnenden kommen? Wie konnte das geschehen? Wie kann ein Mensch nur so etwas tun?

Über einen Mangel an Erklärungsansätzen kann man nicht klagen. Aber haben wir nicht manchmal schnelle Erklärungen, um ja keine Fragen nach unserem eigenen Verhalten an uns herankommen zu lassen? Ist unser Umgang - bei aller notwendigen Auseinandersetzung - denn immer von einem Grundrespekt vor unserem jeweiligen Gegenüber geprägt? Merken wir in einer immer stärkeren Ichgesellschaft überhaupt noch, wenn ein junger Mensch buchstäblich allein bleibt? - Dies gilt natürlich für Eltern, für Freunde, für Lehrerinnen und Lehrer, für Auszubildende, für Kolleginnen und Kollegen, dies gilt für jeden, der in diesem Umkreis zu tun hat. Reden wir nicht gelegentlich auch verächtlich oder gehässig über Andersdenkende und

über Minderheiten, über uns gelegentlich sonderlich erscheinende Menschen?

Natürlich sind Sozialarbeiter, Psychologen und weitere professionelle Helfer erforderlich. Wichtiger ist aber ein Klima in der Gesellschaft, dass niemand verloren geht. Erklärungsversuche aus pädagogischer, psychologischer und soziologischer Sicht hat es in den vergangenen Tagen genug gegeben. Vorschnelle Lösungsansätze oder eine Ursachenforschung, in der wir ganz persönliches Verhalten nicht mit einbeziehen, sind aber zu oberflächlich und lenken oft nur ab.

Vor dem Hintergrund der schrecklichen Tat kann ich natürlich die Eltern der Opfer verstehen, die u. a. eine Verschärfung des Waffenrechts fordern. Hierbei müssen wir uns allerdings vergegenwärtigen, dass mit den Waffenrechtsnovellen 2002 und 2008 das Waffenrecht erheblich verschärft wurde. Durch das Waffengesetz wird sichergestellt, dass privater Waffenbesitz nur nach sorgfältiger Überprüfung der Voraussetzungen gestattet wird und eine fortdauernde Kontrolle der Einhaltung der bestehenden Sicherheitsbestimmungen gewährleistet ist. Dazu wurden mit dem neuen Recht die Anforderungen an die Zuverlässigkeit und persönliche Eignung von Personen, die mit Waffen umgehen dürfen, erhöht. Aufbewahrungsregelungen wurden verschärft, bestimmte Waffen verboten, die Verwendung von Gas- und Schreckschusswaffen stärker reglementiert, um erheblichem Missbrauchspotenzial wirksam entgegenzutreten.

Auch die entsprechende Kontrolle des Waffenrechts ist Gegenstand vieler kontroverser Diskussionen. Nach geltender Rechtslage ist ein Betreten der Wohnung mit Zustimmung des Betroffenen, wenn begründete Zweifel an der sicheren Aufbewahrung gegeben sind oder Straftaten vorliegen, möglich. Ob darüber hinaus eine Kontrolle ohne Ankündigung und ohne Verdacht eingeführt werden soll, ist eingehend, insbesondere allerdings vor dem Hintergrund des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung im Sinne des Artikels 13 des Grundgesetzes, zu prüfen. Dies sollte man an dieser Stelle ernst nehmen. Wir reden doch auch sonst häufig darüber, dass das Grundgesetz zu achten ist. Dann muss es auch an dieser Stelle gelten. Aber niemand sollte geradezu reflexartig ablehnend reagieren, wenn es um Änderungen geht, die möglicherweise zu mehr Sicherheit führen können.

Hier geht es nicht um die Interessen der Jäger und der Sportschützen. Wäre das Waffenrecht ein

gehalten worden, wären diese Taten nicht möglich gewesen. Ursache ist also individuelles Fehlverhalten. Es geht also nicht um Jäger, Sportschützen oder andere, sondern um Rechtsverstöße Einzelner.

Nun ist eben gesagt worden, dass man die Waffen nicht zu Hause aufbewahren soll, sondern z. B. in Schießsportanlagen. Dazu kann ich nur sagen: Wenn man Waffenlager am Rande von Dörfern einrichten will, dann ist es mit dem ruhigen Schlaf vorbei. Das ist sicherlich keine Lösung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Natürlich plädiere ich dafür, die Tat und ihre Ursachen genau zu analysieren. Anschließend sollten sämtliche Vorschläge geprüft und eingehend bewertet werden. Hierzu gehört natürlich auch der Vorschlag der Sozialministerin und des Innenministers zum Verbot von Killerspielen. Das Kriminologische Forschungsinstitut hat festgestellt: Von 44 600 Neuntklässlern haben 27 % angegeben, dass sie den Ego-Shooter „Counter-Strike“ als das beliebteste Spiel ansehen. Jeder Vierte schießt sich viereinhalb Stunden pro Tag durch die virtuelle Welt.

Wir alle sind aufgerufen, wachsam zu sein und eine Kultur des Hinsehens zu pflegen. Es kommt darauf an, die Signale zu erkennen, bevor Schüsse fallen. Aber eines sollten wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes offen sagen: Natürlich müssen wir alles Menschenmögliche tun, um solch eine Tat zu verhindern. Trotzdem gilt: Solche Taten lassen sich leider nicht gänzlich vermeiden.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich schließe mit einem Zitat aus dem FAZ-Kommentar vom 14. März 2009:

„Die Gesellschaft kann nicht verhindern, dass ein Mensch sich an der Welt rächt, von der er sich gedemütigt glaubt.”

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet hat sich noch einmal Herr Adler von der Fraktion DIE LINKE. Herr Adler, Sie haben noch 45 Sekunden.