Protocol of the Session on March 25, 2009

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Da gibt es auch Irrlichter, so wie Sie!)

Herr Ministerpräsident Wulff, Sie haben sich im Februar dieses Jahres selbst zum Kapitän der Schulpolitik ernannt. Aber statt das schlingernde Schiff in ruhiges Wasser zu steuern, halten Sie gemeinsam mit Ihren Leichtmatrosen von der rechten Seite des Hauses direkt auf das nächste gefährliche Riff zu. Nein, ich glaube, Sie sitzen schon drauf. Was Sie in der Schulpolitik machen, kann man nur noch als Havariekommando bezeichnen.

Nachdem der Herr Ministerpräsident Ihrer Unfähigkeit, Frau Ministerin, das Ruder aus der Hand genommen hat und die Schulpolitik jetzt aus der Staatskanzlei kommt, verwundert einen nichts mehr.

(Zustimmung von Stefan Wenzel [GRÜNE])

Das merkt man vor allem an dem Notfallkoffer, den Sie am 24. Februar hier vorgelegt haben: von keinerlei Sachkenntnis getrübt, die maximale Provokation der Eltern, der Schüler und der Lehrkräfte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Ergebnis: Empörte Reaktionen aus nahezu allen Bildungsverbänden, dem Landeselternrat, Schülerdemos, Streikaufrufe, Resolutionen von Bürgermeistern für den Erhalt der Vollen Halbtagsgrundschulen, und auch die kommunalen Spitzenverbände verlangen Nachbesserungen. Die Ministerin wird an einer IGS ausgeladen, weil man eines an den Gesamtschulen genau verstanden hat: CDU und FDP wollen mit dem Zwang zum TurboAbi diese Schulform endgültig kaputtmachen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN Sie kriegen das Turbo-Abi an den Gymnasien nicht in den Griff, und jetzt sollen die Gesamtschulen diesen Fehler auch noch machen müssen. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, es passt Ihnen nicht, dass so viele Eltern Gesamt- schulen anwählen, und deshalb müssen sie weg. Stört es Sie eigentlich überhaupt nicht, dass sich gerade die Eltern, die bei den Befragungen für ihre Kinder die IGS angewählt haben, weil sie das Abi- tur nach Klasse 13 haben wollen, von Ihnen schamlos betrogen fühlen? (Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Noch am 6. Februar hat Herr Ministerpräsident Wulff an einen Lehrer geschrieben - ich habe den Brief hier und zitiere -, „dass das Land mit dem achtjährigen Gymnasium und der neunjährigen Integrierten Gesamtschule für die Schülerinnen und Schüler zwei Wege zum Abitur anbietet, die sich in ihrer Geschwindigkeit unterscheiden“. Nur 18 Tage später verkünden Sie, Herr Wulff, dass die Eltern diese Wahlmöglichkeit nicht mehr haben sollen. 18 Tage- ist das jetzt die Halbwertszeit Ihrer Regierungspolitik?

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Wulff, Sie machen Schulpolitik nur nach den Einflüsterungen des Philologenverbandes und des Aktionsbündnisses für das gegliederte Schulwesen. Sie haben mit Ihren Beschlüssen dem Schulfrieden in Niedersachsen den Kampf angesagt. Wer eine derart arrogante und vorsintflutliche Schulpolitik macht, hat sich als Steuermann selbst disqualifiziert und kann höchstens noch auf einem Seelenverkäufer anheuern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, noch nicht einmal die Unterrichtsversorgung kriegen Sie mit diesem Notfallkoffer in den Griff,

(Glocke des Präsidenten)

weil viele Ihrer Maßnahmen unrealistisch oder gar nicht umsetzbar sind. Wie viele Stellen haben Sie schon von den 340 Referendarstellen, die Sie durch die Mehrarbeit erzielen wollten? - Nach meiner Kenntnis haben Sie 8 von 340. Wir sind gespannt, was für eine Nummer kommt, wenn es dann wieder heißt: Die Unterrichtsversorgung kriegen wir nicht in den Griff. - Welche Ausrede haben Sie dann?

Aber so ist es, wenn man meint, Schulpolitik könne man aus der Staatskanzlei machen, das könne jeder, man müsse die Lehrer nur verdonnern. Das ist eine Wortwahl, Herr Ministerpräsident, die für sich spricht und mit der Sie sich entlarvt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Nun versuchen Sie auch noch, Druck auf die Schulleitungen auszuüben. Herr Wulff, als Steuermann in der Schulpolitik haben Sie versagt. Ihr Schiff sinkt. Sorgen Sie endlich mit den nötigen Lehrerstellen dafür, dass der notwendige Unterricht tatsächlich stattfindet, und täuschen Sie nicht

länger die Eltern, indem Sie sagen, das Problem sei in zwei Jahren längst von alleine vorbei! Lassen Sie in den Gesamtschulen das Abitur nach Klasse 13 ablegen!

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die Eigenverantwortliche Schule kann selbst entscheiden, welchen Weg zum Abitur sie wählen möchte. Sorgen Sie für eine Schulpolitik, die sich am Bedarf und nicht an den überholten Konzepten aus Ihrer Zeit in der Schüler-Union orientiert!

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich erteile der Kollegin Reichwaldt von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich aus den vielen Resolutionen von Verbänden, Lehrer-, Eltern- und Schülerinitiativen zitieren, die uns zu den Plänen der Landesregierung erreicht haben: Hilflos, planlos, konzeptlos. Der Elternwille wird in die Tonne getreten. Frau Ministerin, wir sind maßlos enttäuscht.

In Oldenburg wurde am 23. März eine Resolution gegen die Maßnahmen der Landesregierung zur Umwandlung der Vollen Halbtagsschule und zum Turboabitur mit den Stimmen der SPD, der Grünen und der Linken verabschiedet. Gleiches hören wir aus Göttingen. Die FDP hat sich in beiden Fällen der Stimme enthalten. Das ist schon interessant. Oder Osterholz-Scharmbeck: Dort spricht sich die CDU-Ratsfraktion gegen das Turboabitur an der IGS aus. - Ihre eigenen Leute laufen Ihnen davon! Alles das zeigt: Diese Schulpolitik ist gescheitert!

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der SPD - Kreszentia Flauger [LINKE]: Es gibt noch Vernünftige bei der CDU!)

Ich nehme jetzt einmal den visuellen Beitrag der Kollegin Heiligenstadt auf, gerichtet an die rechte Seite des Hauses: Sie wissen, wer von diesem Paar untergegangen ist. Es war die Frau, die überlebt hat.

(Heiterkeit bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eltern, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer stehen demonstrierend und protestierend vor der Tür.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Schulleiter schlagen Alarm, und was passiert?

(Anhaltende Unruhe)

Frau Kollegin, ich möchte Sie kurz unterbrechen. - Ich bitte, dass etwas mehr Ruhe einkehrt, sodass die Rednerin Gehör findet. - Bitte schön!

Danke. - Schulleiter schlagen Alarm, und was passiert? - Man versucht, ihnen einen Maulkorb zu verpassen. Tatsache ist: Keine der vorgeschlagenen Maßnahmen der Landesregierung wird das Chaos zum Beginn des nächsten Schuljahres stoppen, wenn mindestens 1 500 Lehrer fehlen werden. Die versprochene Einstellung von zusätzlichen 200 Lehrkräften ist ein Tropfen auf dem heißen Stein.

(Beifall bei der LINKEN)

Sechs Stunden Mehrarbeit für Referendare. Meine Damen und Herren, wollen Sie denn ernsthaft durch eine Verschlechterung der Ausbildung mehr Qualität in unserem Bildungssystem schaffen?

Jährliche Klassenbildung: Dieser Teil des Plans passt gut zu den katastrophalen Lernbedingungen im Sekundarbereich I der Gymnasien mit Lerngruppen mit mehr als 30 Schülern.

Individuelle Prüfung von Teilzeitanträgen: Frau Ministerin Heister-Neumann, glauben Sie nicht, dass viele Kollegen Teilzeit beantragen, weil sie vor allen Dingen ihren eigenen Ansprüchen an eine gute Ausbildung gerecht werden wollen und dies unter diesen Bedingungen anders nicht schaffen können?

Die Umwandlung der Vollen Halbtagsschulen in Verlässliche Grundschulen: Was die Betroffenen dazu sagen, haben Sie gestern vor dem Landtag gehört. Doch das reicht nicht. Die Vollen Halbtagsschulen müssen erhalten bleiben. Sie sind pädagogisch sinnvoll.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Hinblick auf die Unterrichtsversorgung wird diese Maßnahme, die schon um ein Jahr verschoben wurde, kaum etwas bringen.

Eine Kürzung der Stundenentlastung für besondere Aufgaben um 10 %: Das ist besonders interessant. Ich gebe zu, andere Länder schneiden im Vergleich zu uns nicht nur wegen des dort schon

abgeschafften selektiven Schulsystems besser ab, sondern auch deshalb, weil die Rahmenbedingungen für die Schule dort besser sind. Nun kürzen Sie ausgerechnet in diesem Bereich. Für Beratungslehrer wurde das jetzt zurückgenommen. Das erscheint mir schon fast zynisch. Wie ist denn die Beratungssituation in den Schulen? - Die Mittel für Schulpsychologen sind inzwischen fast auf Null gekürzt. Sehen Sie sich die Stellungnahme der Schulpsychologen und der Sozialarbeiter in den Schulen an! Hier muss aufgebaut werden. Da an Kürzungen zu denken, ist wirklich völlig unsinnig.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Krönung von alledem zertrampeln Sie die sprießende Gesamtschulbewegung in diesem Land, indem Sie auch an den IGSn das Turboabitur einführen wollen. Der Landeselternrat sagt dazu: Ein hilfloses Zusammenstellen einzelner Maßnahmen, die zulasten der Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte gehen. - Dem kann ich nur zustimmen, das ist einfach so.

Niedersachsen braucht eine vollständige, zuverlässige Unterrichtsversorgung. Kurzfristig müssen erheblich mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden. Herr Rösler hat auf dem FDPLandesparteitag in Gifhorn gesagt: Gute Bildung kostet, aber schlechte noch sehr viel mehr.

(Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Jüttner [SPD]: Da hat er recht!)

Dazu kann ich nur sagen: Wie wahr! Wann ist also mit dem nächsten Nachtragshaushalt zu rechnen?

Der Mangel in allen Fächern wird auch durch die zusätzliche Einstellung von 1 000 oder 2 000 zusätzlichen Lehrkräften kurzfristig nicht zu beheben sein. Da sind andere Maßnahmen notwendig. Es gibt vernünftige Vorschläge. Auch hierzu verweise ich auf die Anhörung des Landeselternrates.

Wir müssen wissen, wie viele Lehrkräfte in Niedersachsen tatsächlich benötigt werden. Dabei gehe ich nicht von Vorstellungen aus, wie sie z. B. der Landesrechnungshof hat. Er sagt: Aufgrund der demografischen Entwicklung brauchen wir eigentlich gar keine zusätzlichen Lehrkräfte. - Aber auch die 1 500 zusätzlichen Lehrkräfte sind nur ein Minimum. Gebraucht werden sehr viel mehr. Wir schließen uns der Forderung nach einem Masterplan zur Schulentwicklung an.

(Beifall bei der LINKEN)